Dienstag, 30. Juni 2015

30. Juni 1915


„Nach sorgfältigem Einschießen unserer Geschütze und Minenwerfer, unter denen sich zahlreiche Schwere Kaliber befanden, war schließlich der denkwürdige 30. Juni gekommen. Kaum zeigte sich das erste Frührot über den dunklen Wäldern, da entwickelte sich in den Gräben ein Gehen und Hasten, ein  Schieben und Drängen, ein Laufen und Rennen: die Infanterie zog heran und stellte sich an den befohlenen Plätzen bereit. Sturmkompagnien in erster Linie waren von rechts nach links 5., 7., 3., 4. Kompagnie, hinter denen als Unterstützung der Rest ihrer Bataillone stand. Als Regimentsreserve war weiter das III. Bataillon an die Totenmannmühle und ans Zerbsterlager herangeholt worden. Pünktlich 5.15 Uhr früh unterbrachen ein erster Minenschlag, ein erster Kanonenschuß die Ruhe des Morgens und in hundertfältigem Widerhall fiel die ganze Artillerie ein, die 3½ Stunden lang ihren Eisenhagel über den Stellungen der Franzosen niederprasseln ließ. Schuß auf Schuß saß in der feindlichen Stellung und grauenvoll mußte es für diejenigen gewesen sein, die dieses Feuer aushalten mußten. Ganze Blockhäuser flogen in die Luft, Holzverschalungen brannten lichterloh, Palisaden zersplitterten in tausend Fetzen und zwischenhinein schlug in den viertelstündigen Feuerpausen der Artillerie auch noch das Feuer unserer Maschinen-gewehre. Den letzten Widerstand sollten schließlich zwei in die Stellung E vorgezogene Feldgeschütze brechen, die über Visier und Korn hinweg aus kürzester Entfernung in die feindliche Stellung hineinschossen.
Und trotz einer solchen Feuerwirkung schoß der Gegner noch, als 8.45 durch den in den Sträuchern sich haltenden Rauch und Qualm hindurch die acht Sturmkolonnen des Regiments zusammen mit den mit Drahtscheren ausgerüsteten Pionieren aus den Sappenköpfen vorbrachen. Verzweifelt versuchten einzelne Maschinengewehre und Infanteriereste in tapferster Gegenwehr den Angriff der Deutschen zu brechen; ihre Kraft war zu gering, abgeschnitten von jeder Hilfe, konnten sie nur noch ihre Haut so teuer als möglich verkaufen. Das deutsche Feuer hatte entsetzlich gewirkt: tot, verwundet, zerquetscht, blutend stöhnend, verstört lagen die Franzosen in ihrem vorderen Graben, als die deutschen Sturmwellen darüber hinwegbrausten. Das Drahtverhau war zerschnitten und zerschossen und nichts hemmte den Einbruch der in mehrere Linien gegliederten Angriffskompagnien in die gegnerische Stellung, die teilweise mit Kavallerieschützen besetzt war. Tapfer waren auch sie, aber den kampfgewohnten Infanteristen doch nicht gewachsen. Beim II. Bataillon ging es, trotz erheblicher Verluste schon beim Überschreiten des Drahthindernisses, ausgezeichnet vorwärts und nach kurzem Handgranatenkampf war nicht nur die 1., sondern 9.05 Uhr bereits die 2. feindliche Linie genommen. Aber auch hier ließen sich 5. und 7. Kompagnie unter ihren Führern Leutnant Lieb und Leutnant d. R. Hartmann nicht halten und verstärkt und mitgerissen durch die einschwärmende 6. Kompagnie gingen sie gegen den 3. Graben des Feindes vor, der beim Fehlen eines weiteren Widerstandes glatt genommen wurde. Trotzdem damit die befohlene Linie erreicht war, ließen sich einzelne Gruppen verleiten, noch weiter vorzudringen und mit Teilen des I. R. 124 den Franzosen bis an den ins Biesme-Tal abfallenden Hang zu folgen. Dort stießen sie auf überlegene Kräfte und mußten unter erheblichen Verlusten – 5. Kompagnie hatte nahezu ihre sämtlichen Zugführer verloren, Leutnant d. R. Hauber und 5 Mann des II. Bataillons blieben vermißt – auf die allgemeine Linie des Bataillons zurückgehen, in der unter Benützung der französischen Gräben eiligst eine Stellung angelegt wurde. Gegen sie rannte der Gegner nach heftiger infanteristischer Feuervorbereitung in starken Gegenstößen mehrmals an. Aber umsonst. Infanteriefeuer und schnell vorgebrachte Maschinengewehre sorgten dafür, daß ihm jeder Erfolg versagt blieb.
Während im Abschnitt des II. Bataillons 400 Meter von der Ausgangsstellung entfernt so eine neue feste Stellung im Werden war, wurde im linken Abschnitt beim I. Bataillon noch heftig gekämpft. Die 3. Kompagnie, die Oberleutnant a. D. Aich führte, war im Anschluß an das II. Bataillon mit ihrem rechten Flügel noch auf gleicher Höhe mit diesem geblieben, weiter nach links aber fiel das Bataillon zurück, da sein linker Flügel, die 4. Kompagnie unter Hauptmann Freiherr von Perfall, von einem Blockhaus her längere Zeit schärfstes Feuer erhielt und empfindliche Verluste der ersten Wellen hinnehmen mußte. Von den Besten wurden dabei Vizefeldwebel Schmidt 3. Kompagnie und Unteroffizier Preising 4. schwer verwundet. Aber es gelang, schließlich auch hier, die erste und zweite feindliche Linie zu nehmen. Der linke Nachbar I. R. 67 dagegen, war über den ersten Graben nicht hinausgekommen und stand vor einer gut ausgebauten, in dichtem Gestrüpp liegenden zweiten Stellung, die nach der Karte deutscherseits der „Grüne Graben“ genannt wurde. Dieser mündete unmittelbar links vom Regiment in die deutsche Linie und bot taktisch die Möglichkeit, vom Grenadierregiment aus den Gegner im Rücken zu fassen. Ehe es aber so weit sein konnte, vergingen lange Stunden von Erkundungen und Tastversuchen, die wiederum Blut kosteten; zunächst war es daher so, daß der Angriff zum Stocken gekommen war und das Festhalten des Erreichten die wichtigste Aufgabe wurde. Nebenher ging das Aufräumen der zusammengeschossenen Franzosenstellung, wo die Verwundeten geborgen, die Gefallenen beerdigt wurden und ein reiches Material in die Hände fiel. Die Reservekompagnien wurden herangezogen, halfen in vorderer Linie mit,  gruben Verbindungswege und bereits in den Mittagsstunden konnten Suppe und Kaffee der Kampftruppe in Speiseträgern zugeführt werden, was bei dem sehr heißen Sommertag äußerst nötig war. Die Mannschaft erhielt dadurch frische Kraft, den neuen Graben zur Verteidigung einzurichten, der bis zum Abend schon ein wesentlich anderes Gesicht hatte, als er von den Franzosen übernommen worden war. Unablässig wurden ihr dazu von den Reservezügen Schanzzeug, Schutzschilde, Sandsäcke, Patronen und Hand-granaten vorgebracht und das ganze Regiment arbeitete mit, den schönen Erfolg des Tages, der mit rund 300 Gefangenen abschloß, sich nicht mehr entreißen zu lassen. Ja, schon wurde nach der nächsten Stellung ausgeschaut, die es noch zu nehmen galt, wenn auch der Erfolg der linken Nachbardivision vollwertig werden sollte.“


aus: „Die Ulmer Grenadiere an der Westfront“, Stuttgart 1920

siehe Skizze unter dem 9. Oktober 1914

Reinhold Böckle (3. von rechts) mit seinem 1916 gefallenen Bruder Friedrich (Mitte)

Bilder aus dem Besitz und mit freundlicher Genehmigung von www.ruvyk.de


Montag, 29. Juni 2015

29. Juni 1915


„Am 29. Juni wurde zweimal der Angriff gegen die feindlichen Stellungen mit aller Tatkraft versucht. Er scheiterte aber sowohl vormittags als nachmittags, weil die Vorbereitung durch die Artillerie in keiner Weise ausreichte. Die Kompagnien des Regiments vermochten sich zwar näher an den Feind heranzuarbeiten, erlitten jedoch hierbei so schwere Verluste, daß die Stoßkraft des Angriffs 500 Meter vor den russischen Stellungen erlahmen mußte. Als der Abend kam, lagen die vordersten Linien der Füsiliere in dem sumpfigen Bachtal, wo ein tiefes Eingraben unmöglich war, in äußerst ungünstiger Stellung dem noch immer in seinen sicheren Gräben und Stütz-punkten ungeschwächten Feind gegenüber, der jeden Sturmversuch mit seinen Maschi-nengewehren im Keim erstickte.“


aus: „Das Füsilier-Regiment Kaiser Franz Joseph von Österreich, König von Ungarn (4. württ.) Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1921

Sonntag, 28. Juni 2015

28. Juni 1915


„Der 27. Juni verläuft auffallend, fast unheimlich, ruhig, doch um 2 Uhr morgens geht die Hölle los. Granate auf Granate heult heran, Schrapnells pfeifen über den Graben, Leute werden verschüttet und wieder ausgegraben. Qualm und Sand füllt die ganze Stellung. Alles kauert am Grabenrand, das Gewehr in der Faust. Die M.-G. schütten Wasser durch ihre versandeten Gewehre, um sie wieder feuerbereit zu machen. Teilweise in zehn Glieder tief stürmen sie heran, doch vergebens. In hervorragender Weise haben besonders die 3. und 4. Kompagnie mit den M.-G. den Angriff unter schweren Verlusten abgewiesen. Im Sturmschritt eilten die Reservekompagnien mit aufgepflanztem Seitengewehr zur Unterstützung heran. Der Feind hat genug. Die strahlend aufsteigende Sonne zeigt die Russen im wilden Zurückfluten; mühsam kriechend suchen die Verwundeten Deckung. Die russischen Gefangenen sehen aber mit Entsetzen im Gesicht und verstört auf unsere Regimentsnummer!
Bei der Abwehr des überaus starken russischen Angriffs hat sich außer den vorerwähnten Kompagnien noch besonders der Gewehrführer Unteroffizier Blaich der M.-G.-K. hervorgetan. Vor seinem Gewehr lagen die zusammengeschossenen Angreifer in großer Zahl. Während des Hauptangriffs versagt sein Gewehr. Durch den Einschlag von Granaten in unmittelbarer Nähe werden zwei Mann seiner Bedienung und das Gewehr selbst außer Gefecht gesetzt. Der tapfere Blaich verliert die Ruhe trotz der gebotenen Eile nicht. Wie auf dem Schießstand macht er den notwendig gewordenen Lauf- und Schloßwechsel und ist gerade damit fertig, als der Feind noch wenige Sprünge von seinem Gewehr entfernt ist! – Nur Kaltblütigkeit, Entschlossenheit und ein tapferes Herz kann solche Leistungen in solcher Lage vollführen. Als Lohn war ihm das E. K. I zugedacht, doch fiel der tapfere Held noch vor der Verleihung wenige Wochen später bei Katschka.“


aus: „Das Infanterie-Regiment „Alt Württemberg“ (3. Württ.) Nr. 121 im Weltkrieg 1914–1918ׅ, Stuttgart 1921

Samstag, 27. Juni 2015

27. Juni 1915


„Der Gegner leistete kaum mehr Widerstand, und die Verfolgung führte das Füsilier-Regiment fast in einem Zuge bis nach Zurow, wo das I. und II. Bataillon erst am Abend des 26. Juni wieder durch russische Abteilungen, die auf den beherrschenden Höhen östlich des Dorfes saßen, in ihrem Vorwärtsdringen aufgehalten wurden. Der junge Leutnant Betz wurde während der Verfolgung von einer Granate zerrissen. Er war der erste Offizier, der auf dem neuen Kriegsschauplatz den Soldatentod starb. Rechts von den Füsilieren hatten die 129er die Gegend westlich Kolokolin, links die Spitzen der 1. Infanterie-Division die Waldstücke westlich Fedorowka erreicht.
Äußerst ungünstige Geländeverhältnisse unterbrachen in Zurow die Verfolgung. Die von Südwesten herankommende Straße zwängte sich im Dorfe selbst zwischen einem See und einem Sumpf hindurch. Auf einige hundert Meter konnte man nur in dieser schlauchartigen Enge vorwärts kommen. Diese Stelle war aber von den Maschinen-gewehren der Länge nach bestrichen, die der Russe in genauer Kenntnis der Örtlichkeit auf den Höhen östlich des Dorfes aufgestellt hatte. Die Lage war folgende:


Während des ganzen 27. Juni gelang es nicht, über Zurow hinaus vorzudringen. Der Russe lag in mehreren Gräben auf den Hängen östlich Zurow. Jeder Versuch, aus der Dorfenge herauszustoßen, scheiterte an dem starken Feuer des Gegners. Der weitere Angriff wurde daher bei Tag aufgegeben und für die Nacht vom 27./28. Juni ein durch starke Artilleriewirkung vorbereiteter Stoß in Aussicht genommen. Das I. und II. Bataillon lagen in Zurow im Schutze der Häuser, das III. Bataillon, jetzt dem Regiment wieder unterstellt, war nach Fedorowka gezogen worden.“




aus: „Das Füsilier-Regiment Kaiser Franz Joseph von Österreich, König von Ungarn (4. württ.) Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1921

Freitag, 26. Juni 2015

26. Juni 1915


Hans Scheurlen
geboren am 23. Juni 1895 in Stuttgart
gefallen am 26. Juni 1915 in Rußland

Scheurlen war der Sohn des Majors Otto Scheurlen. Er hat bis zu seinem 12. Lebensjahr das Gymnasium in Reutlingen, dann das Karlsgymnasium in Stuttgart durchlaufen. Schon in den Knabenjahren zeigte sich sein klarer, in sich geschlossener, zielbewußter Charakter. Das Liebste war ihm des Sonntags eine Wanderung in den nahen Bergen der Schwäbischen Alb. Nach dem Gymnasium war er ein Vierteljahr in Besançon, um sich in der französischen Sprache zu vervollkommnen und am 1. Oktober 1913 trat er als Einjähriger im württembergischen Grenadier-Regiment „Königin Olga“ ein, dem sein Vater 25 Jahre angehört hatte. Ein gewandter Turner und guter Schütze tat er trotz seiner jungen Jahre den Dienst leicht und machte sich als frischer, froher Soldat allerseits beliebt. Nach einem halben Jahr kam er als Studierender der Medizin nach Tübingen und trat im Sommersemester 1914 bei unserer Burschenschaft ein. Mit der Mobilmachung meldete er sich als Freiwilliger bei seinem Regiment und  setzte es durch, mit ihm schon am 4. August in seiner alten 2. Kompagnie ins Feld zu rücken auf den westlichen Kriegsschauplatz. Durch ein Dorf in Lothringen marschierend bekam er aus einem Haus einen Schuß in den Rücken, der aber in der Hauptsache von der Kaffeebüchse aufgefangen wurde. Das Strafgericht an den feindlichen Dorfeinwohnern war ihm der erste schwere Kriegseindruck. Kurz darauf am 23. August wurde er bei einem der ersten Treffen durch einen Granatsplitter an der linken Hand verwundet und lag längere Zeit im Karl-Olgaspital in Stuttgart, bis er am 19. Januar 1915 mit Ersatztruppen wieder zu seinem Regiment, das nun in Polen stand, stoßen konnte. Seiner verletzten Hand wegen kam er nun zu einer Maschinengewehrabteilung und wurde bald zum Leutnant befördert. Das E. K. II hatte er schon in Frankreich erhalten. Am 6. April erlitt er bei einer starken Beschießung seiner Stellung eine schwere Verschüttung, sah seinen Freund, Leutnant Freiherrn von Pechmann,  neben sich 2 Stunden lang leiden und sterben, ohne daß er, selbst eingeklemmt und im russischen Feuer liegend, hatte helfen können. Erst nach einstündiger Arbeit konnte er befreit werfen. Nach 14 Tagen trat er, wenn auch von den erlittenen Quetschungen noch hinkend, wieder Dienst. Auf 25. Juni früh war ein Sturm angesagt. Froh, daß es endlich vorwärts gehen sollte, stellte er seine Gewehre ein. Das Glas am Auge behufs Einschätzung der Entfernung wurde er von der feindlichen Kugel in den Kopf getroffen. Auf sein Grab auf dem Gutshof von Romeny Febory nördlich von Praschnitz setzten ihm seine Maschinengewehrleute ein Kreuz mit der Inschrift: „Hier ruht unser lieber Leutnant Hans Scheurlen“. Er selbst war mit dem Gedanken des Todes im Felde vertraut und hatte sich bestimmt dahin ausgesprochen: „Wo ein Soldat fällt, soll er bleiben, da ist Heimaterde. Wenn die Angehörigen wüßten, was es für uns draußen ist, diese Ausgrabungen, sie würden es lassen.“ Kurz vor dem Angriff sprach er noch mit einem Freunde, Konrad von Alberti, und seine letzten Worte zeigten, daß ihm der Gedanke an seine Mutter – sein Vater war schon 1907 gestorben – doch schwer auf der Seele lag. Der Nachruf des Regiments lautet: Den Heldentod für König und Vaterland fand am 26. Juni 1915in treuester Pflichterfüllung Leutnant Hans Scheurlen, Ritter des Eisernen Kreuzes II. Kl. und des Friedrichordens II. Kl. mit Schwertern. Ein leuchtendes Beispiel von Tapferkeit und treuer Kameradschaft hat er sich in den schweren Stellungskämpfen durch unermüdliche Tätigkeit und Umsicht in hervorragender Weise ausgezeichnet. Bei Vorgesetzten, Kameraden und Untergebenen gleich beliebt, betrauert das Regiment tief den schweren Verlust dieses ausgezeichneten jungen Offiziers. Als einer der Besten wird er in den Herzen aller Grenadiere fortleben. So wird er auch fortleben in unseren Herzen.“

aus: „Die Gefallenen der Burschenschaft Germania zu Tübingen, Gedenkschrift für die im Weltkrieg gefallenen Bundesbrüder 1914–1919“, Stuttgart ohne Jahr



Donnerstag, 25. Juni 2015

25. Juni 1915


„Endlich der 25. Juni sollte der Tag des Angriffs werden. Während dem I. Bataillon die Aufgabe zufiel, dem Feind die Murawkaschanze zu entreißen, hatte das III. Bataillon das ganze Wäldchen von Kot und darüber hinaus in Besitz zu nehmen.
Von 9.30 Uhr vormittags ab trat die Artillerie, verstärkt durch Minenwerfer, in Tätigkeit; erst kamen die rückwärtigen Verbindungen, dann die Hauptangriffspunkte mit anschließenden Gräben an die Reihe.
10 Uhr vormittags – es war ein heißer Tag, wie am 12. Juni – traten, 300 bis 400 Meter vom Feind entfernt, die vier Wellen des III. Bataillons: 1 Zug Pioniere 5. Kompagnie Pionierbataillon 13 mit Handgranaten und Drahtscheren ausgerüstet, dann 12., 11., 10. Kompagnie in lichten Schützenlinien auf 20 Schritt folgend, dabei 1 Zug Pioniere mit Äxten und Sägen zum Niederlegen des Wäldchens, 1 Kompagnie Stabstruppe III auf 100 Meter folgend, mit Stahlschutzschilden und großem Schanzzeug, und schließlich die 9. Kompagnie links rückwärts zum Sturm an. – Heftig läßt der Feind seine Geschütze speien, doch unentwegt arbeiten die tapferen Pioniere am Drahthindernis und öffnen der Infanterie den Weg!
Seiner Kompagnie weit voraus stürmt Oberleutnant d. R. Gehring gegen des Feindes Geschoßhagel an, begeistert folgen ihm seine Musketiere, das feindliche M.-G.-Feuer, das auch von der Flanke übel mitspielt, nicht achtend.
Leutnant d. R. Eberhard wird durch die russischen Drahthindernisse im Vorwärts-stürmen gehemmt und muß sein junges Leben lassen, mit ihm manch tapferer Musketier. Wo sich noch Widerstand zeigt, sind genug tapfere Alt-Württemberger, die ihn gewaltsam brechen. Mehrere russische M.-G. werden noch im Feuern überrannt und erbeutet.
Unterdessen brach 10.15 Uhr vormittags, nachdem die Artillerie das Feuer auf das Hintergelände verlegt hatte, das I. Bataillon zum Sturm auf die Murawkaschanze in drei Wellen in ähnlicher Weise vor. Wiederum Pioniere an der Spitze, dann dicht dahinter 3. und 4. Kompagnie, 1 Zug M.-G.-K., mit 200 Meter Abstand 1. Kompagnie und Stabstruppe I. Bataillon, wie III. Bataillon ausgerüstet.
Ein kurzer, energischer Kampf und das Regiment hatte nach 45 Minuten alle Angriffspunkte mit einer Beute von 280 Gefangenen, 3 M.-G., darunter 1 deutsches mit zahlreicher Munition im Besitz. Außerdem fielen viele verwundete Russen in unsere Hände. Doch wie immer nach solchen Angriffen, die Hauptarbeit steht erst bevor. Mit aller Kraft geht es an den Ausbau der genommenen Stellung, der verdammte Sandboden will nicht halten! Währenddessen arbeiten die Pioniere mit Leibeskräften, um endlich das Wäldchen dem Erdboden gleichzumachen. Heiß brennt die Sonne auf die erschöpften Mannschaften, an Wasser fehlt es, dagegen nicht an russischen Kugeln, die der Feind aus einer neuen, etwa 400 Meter entfernten Stellung herübersandte. Hindernisse, M.-G., Minenwerfer werden eingebaut, jede Minute ist kostbar, denn nur zu gut weiß man, daß der Russe alles daran setzten wird, uns wieder zu vertreiben. Man sieht auch von Przasnysz Verstärkungen in Wellen anrücken, die in den feindlichen Gräben verschwinden.
Mit Einbruch der Dunkelheit sind an den günstigsten Stellen Scheinwerfer eingebaut; sie sind von der Grabenbesatzung wenig geschätzt, da sie nur das feindliche Feuer in erhöhtem Maße auf sich ziehen. Die größte Arbeit ist getan. Verbindungen sind hergestellt, die Verbände wieder geordnet. An Verlusten hatte das Regiment 20 Tote, 124 Verwundete zu beklagen.
An Ruhe war nicht zu denken. Mit der Waffe im Arm sammelte jeder neue Kräfte, wo er stand und war. Aber Leuchtpatronen sind wenigstens da, und wenn auch vor Müdigkeit die Augenlider zufallen, geschlafen wird nicht, heute muß alles wachen, zumal die Nacht stockdunkel ist; sie erleichtert dem Feind das Herankommen!“

aus: „Das Infanterie-Regiment „Alt Württemberg“ (3. Württ.) Nr. 121 im Weltkrieg 1914–1918ׅ, Stuttgart 1921


aus: „Das Grenadier-Regiment „Königin Olga“ (1. Württ.) Nr. 119 im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart, 1927

Mittwoch, 24. Juni 2015

24. Juni 1915



„Am 24. Juni zeigte sich, daß der Gegner sich hauptsächlich in dem unmittelbar benachbarten Klodno festgesetzt hatte. Die II. Abteilung ging daher mit der 4. und 6. Batterie an der Südostecke von Zoltance mit Front gegen Klodno in Stellung. Im Laufe des Nachmittags sollte eine Neugruppierung stattfinden, Vorkommandos einer K. u. K. Infanterie-Division, die hauptsächlich aus den als besonders gute Soldaten bekannten Bosniaken bestand, trafen ein. Als neuen Abschnitt sollte das Regiment den Sektor zwischen der Straße Zoltance – Klodzienko und dem Wald von Zauscie erhalten. Die Erkundungen waren abgeschlossen. Die eigene Infanterie war im Laufe des Nach-mittags unter Zurücklassung schwacher Postierungen abmarschiert. Da meldete um 6 Uhr abends der in der Beobachtungsstelle der 4. Batterie beobachtende Leutnant d. R. Stäbler, daß das Verhalten der Russen auf einen bevorstehenden Angriff schließen ließe. Da die Bundesgenossen aus nicht bekannten Gründen noch nicht vollständig zur Stelle waren, wurden Teile der eigenen Infanterie zurückbeordert. Von etwa 6.45 Uhr abends setzte heftiges russisches Artilleriefeuer aus Nordosten gegen unsere Stellungen ein. Nach starker Artillerievorbereitung schritt russische Infanterie in dichten Kolonnen zum Angriff vor. Die 1. Batterie nahm den Nordrand des Dorfes Klodzienko unter Feuer, in dem sich bereits russische Infanterie festgesetzt hatte, während die 3. Batterie die bei der Bahnlinie und dem Bahnhof Klodno vorgehenden Russen unter Feuer nahm. Nachdem dieser Angriff zum Stehen gekommen war, setzte ein zweiter Angriff aus Richtung Klodno ein. Die 2. Batterie, die diesmal im Brennpunkt der Gefechte stand, eröffnete ihr Feuer aus nächsten Entfernungen und steigerte ihre Feuerkraft zeitweise bis zum Schnellfeuer. Immer neue Russenhaufen kamen angestürmt, hoben im letzten Augenblick die Arme hoch und liefen teilweise durch die feuernde Batterie durch ins Dorf, wo sie von Burschen und Sanitätern gesammelt wurden. Überall loderte das Feuer aus brennenden Gehöften zum Himmel und erleuchtete die schreckliche nächtliche Szene. Hauptmann Tscherning wurde inmitten seiner Geschütze schwer verwundet; trotzdem hörte die Batterie keine Sekunde auf zu feuern und die Munitionswagen der leichten Munitions-Kolonne galoppierten mehrfach in die Feuerstellung vor. Mitten im Gefecht wurde ein ernster Schaden durch das mutige und entschlossene Zugreifen des Leutnants d. R. Schall vermieden. Mit einigen Getreuen drang der in vielen Gefechtslagen bestens bewährte Offizier mitten im feindlichen Infanterie- und Schrapnellfeuer in eine brennende Scheune ein und brachte den dort lagernden Munitionsvorrat glücklich heraus, ehe das Feuer größeres Unheil anrichtete. Auch die 4. und 6. Batterie griffen auf den erschossenen Entfernungen in den Kampf ein und trugen das Ihre zum Erfolg bei. Der erst am heutigen Tage beim Regiment eingetroffene Leutnant Fürst von Urach, der sich freiwillig zum Regiment gemeldet hatte, um den Bewegungskrieg kennenzulernen, war die ganze Zeit im Auftrag des Regiments-kommandeurs zu den Batterien unterwegs, um den Kommandeur über den Stand des Gefechts auf dem Laufenden zu halten. Kurz nach 10 Uhr abends konnten alle Angriffe als abgeschlagen gelten. Die übrige Nacht verlief ruhig. Die geplante Ablösung fand nicht statt. Das Regiment hat in dem Nachtgefecht 1612 Schuß verfeuert. Mehrere tausend tote und verwundete Russen bedeckten das Kampffeld. Das Regiment durfte den 24. Juni 1915 als neuen Siegestag buchen.“


aus: „Das Württembergische Feldartillerie-Regiment König Karl (1. Württ.) Nr. 13 im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1928

Dienstag, 23. Juni 2015

23. Juni 1915


„Die Abteilungen waren am 22. Juni, von 3 Uhr vormittags feuerbereit. Gegen Mittag kam die Nachricht, daß die befestigte Stadt Lemberg von den verbündeten Truppen genommen sei. Gleichzeitig kam der Befehl zum Vormarsch über Kulikow und Zwertow auf Zoltance. In Kulikow lag gleich am Westeingang ein großer Judenfriedhof. Die Stadt bestand größtenteils aus ärmlichen Strohhütten der russophilen Ruthenen. Um den Markt waren die mehrstockigen Steinhäuser der jüdischen Bevölkerung fast vollständig ausgebrannt. Zwei Kirchen standen in ihrer üppigen Größe in krassem Gegensatz zu der Unterkunft der christlichen Bevölkerung. Nach Mitteilung eines polnischen Verwalters hatte die Bevölkerung nach einer umfangreichen Plünderung die Gebäude der Juden angesteckt. Jetzt begrüßte die bedrückte Judenschaft die Deutschen unter Anheben des Käppchens mit dem Ruf: „Hoch Deutschland!“ und „Winschen Glick, meine Herren!“ Als die Division Zwertow erreichte, wurde der Westrand von Zoltance von gegnerischen Schützen besetzt gemeldet. Die II. Abteilung wurde 2 km westlich Zwertow am Waldrand entlang vorgezogen und ging sofort zwischen Zwertow und dem Wald Las Zastaje in Stellung. Die Beobachtung wurde an den Nordrand des Waldes Las Zastaje vorgeschoben. Die feindlichen Schützenlöcher wurden noch vor Dunkelheit unter lebhaftes Feuer genommen. Die I. Abteilung wurde westlich Zwertow bereitgestellt. Die eigene Infanterie kam am Abend nicht mehr zum Sturm. Die II. Abteilung war von 6 Uhr an feuerbereit; die I. Abteilung hatte mit Tagesanbruch die Höhe südlich des Waldes Las Zastaje erkundet und die 1. Batterie dem Res.-Inf.-Regt, das durch den Wald in Richtung Zahajka vorging, zur Unmittelbaren Unterstützung des Infanterieangriffs zugeteilt. Die 1. Batterie ging 11 Uhr vormittags auf der Höhe südlich des Waldes östlich Las Zastaje in Stellung. Die 2. und 3. Batterie wurden vorläufig bereit gestellt. Da die Beobachtungsverhältnisse wegen Nebels ungünstig waren, begann die planmäßige Beschießung der feindlichen Stellungen erst 9.30 Uhr vormittags. Das Feuer wurde entsprechend dem Vorgehen der eigenen Infanterie geregelt. Die I. Abteilung nahm im Verlaufe des Gefechts Stellungswechsel auf Höhe Zahajka vor. Der Sturm wurde besonders wirksam unterstützt durch einen Infanterie-Zug unter Leutnant Trick, der von Höhe 373 direkt feuerte. Nach dem Gelingen des Sturms wurde aus allen Rohren Verfolgungsfeuer auf den zurückflutenden Gegner abgegeben. Etwa 2 Uhr nachmittags gingen die Abteilungen auf den nächsten Wegen in beschleunigter Gangart auf Zoltance vor. Zum erstenmal waren die Russen in gewöhnlichen Schützenlöchern ohne Hindernisse uns entgegengetreten; ihre Verluste waren entsprechend: fast in jedem Schützenloch lag ein toter oder verwundeter Russe, etwa 300 Gefangene wurden gemacht. Das Regiment hat über 1700 Schuß verfeuert
Zoltance brannte noch an einigen Stellen, als die Batterien den Ort erreichten. Es machte den Eindruck einer für die dortigen Verhältnisse überaus sauberen Stadt. In nur etwa 50 Häusern waren die Bewohner, austrophile Ruthenen, zurückgeblieben; der Rest der Einwohnerschaft von 750 Häusern, war mit den Russen als „moskophil“ weggegangen. Die Stadt besaß eine ausnehmend schöne Kirche in byzantinischem Geschmack. Die Division bildete die äußerste Spitze des Keils, der nördlich von Lemberg vorgetrieben wurde. Mit dem Besitz von Zoltance wurde für den Gegner die Bahn  Lemberg – Kaminonka Struwilowa unterbrochen. Entsprechend der Eigenart der Lage standen die Batterien um Zoltance und waren nach Art des Igels nach verschieden Richtungen feuerbereit. Der Einsatz der Artillerie spielte sich am 23. Juni folgendermaßen ab: Die 5. Batterie ging südlich Zoltance mit Front nach Osten in Stellung und nahm einen gegnerischen Schützengraben auf Höhe Kalezow unter Feuer, der nach kurzer Beschießung vom Gegner geräumt wurde. Kurz darauf wurde die 4. Batterie neben der 5. Batterie eingesetzt. Die I. Abteilung ging mit der 3. Batterie zuerst am Nordrande von Zoltance in Stellung und feuerte entlang der nach Nordosten führenden Straße und beschoß eine seitwärts trabende russische Batterie. Später wurde auch die 1. und 2. Batterie gegen Klodno eingesetzt. 6.30 Uhr abends erhielt die 6. Batterie den Befehl, auf Höhe Mobilka in Richtung nach Norden in Stellung zu gehen. Sie bekam beim Auffahren starkes russisches Schrapnell- und Granatfeuer von Norden und Osten. Für die Nacht wurde angeordnet, daß die Batterien feuerbereit in ihren Stellungen verblieben. Der Ausdruck „Sperrfeuer“ war noch unbekannt, im Prinzip wurde aber genau so verfahren, als ob Sperrfeuer angeordnet gewesen wäre.“




aus: „Das Württembergische Feldartillerie-Regiment König Karl (1. Württ.) Nr. 13 im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1928

Montag, 22. Juni 2015

22. Juni 1915


„Am 22. Juni hatten die Engländer noch einmal einen Angriff auf den Ypernweg und die Quersappe versucht, der blutig abgeschlagen und dann vom Feinde nicht mehr wiederholt wurde. Dann trat endgültig Ruhe ein.“


aus: „Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 248 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1924

Sonntag, 21. Juni 2015

21. Juni 1915


Josef Heilig
U.-OFFZ. D. R. 7./124                                                                              † 21. JUNI 1915
Geb. 5. 3. 90 in Attenweiler, Sohn des O.-Lehrers in Schammach, Sem. Gmünd 1910, Einj. bei 124 in Weingarten 1911/12, U.-Lehrer in Kirchberg, Justingen und zuletzt Karsee, rückte mit Kriegsbeginn zu seinem alten Regiment ein und machte den Vormarsch um  Verdun mit, wobei er im Sept. 1914 durch einen Blindgänger eine leichte Gehirnerschütterung erlitt. Am 20. Juni wurde er durch eine Mine vor seinem Unterstand so schwer verletzt, daß er bewußtlos liegen blieb und tags darauf in Binarville seinem Bruder (Lehrer in Baden) im Opfertode nachfolgte. Heilig hatte eine glückliche Natur. Er faßte das Leben von der Sonnenseite. Über alle Widerwärtigkeiten des Seminar- und Soldatenlebens führte ihn sein Gleichmut und sein Humor. „Durch seinen Witz und sein fröhliches Gesicht, selbst im höchsten Kugelregen, war er allen lieb und wert.““


aus: „Ehrenbuch der im Weltkrieg gefallenen kath. Lehrer Württembergs“, Biberach an der Riß 1927

Samstag, 20. Juni 2015

20. Juni 1915


„Als Tag des Angriffs wurde der 20. Juni bestimmt. Im Verein mit Teilen des Regiments 127 sollte sich das Regiment 120, mit dem II. Bataillon als Sturmbataillon, in den Besitz des Labordère-Werkes setzen und dieses halten. Die Nachbarregimenter hatten durch Scheinangriffe die Aufmerksamkeit des Gegners von der Front des Regiments abzulenken. Die letzten Tage dienten noch notwendigen Truppenver-schiebungen, der Bekanntgabe des Angriffsbefehls an die Führer, der Ausgabe genauester Anweisungen an die Sturmtruppführer, Artillerie-, Verbindungs- und Minenwerferoffiziere, von derem glücklichen Zusammenarbeiten der Erfolg des Tages wesentlich abhängig war.
In der Nacht vom 19. auf 20. Juni werden die Sappenköpfe, die zu Sprengungen vorgesehen sind, mit Ladungen versehen, sowie die Drahthindernisse vor der eigenen Front beseitigt, und noch ehe die Sonne am Morgen des 20. Juni ihre Strahlen durch die zerzausten Bäume auf das Grabengewirr wirft, blitzen aus hunderten von Geschützrohren Mündungsfeuer auf und in rascher Folge hageln unzählige von Geschossen aller Art auf die feindlichen Stellungen. Von Stunde zu Stunde steigert sich die Heftigkeit des Feuers; kurze Feuerpausen dienen der Reinigung der Geschütze und dem Herbeischaffen neuer Munition. Die Wirkung der Artillerie und Minenwerfer ist verheerend; dichte Staubwolken hüllen das Labordère-Werk und die feindlichen Artilleriestellungen ein. Krachend fallen die schweren Minen und 21 cm-Granaten in und zwischen die feindlichen Stellungen; Baumstämme werden entwurzelt und meterhoch in die Lüfte geschleudert. Der Gegner hat sich bald gefaßt und erwidert das Feuer lebhaft; einzelne aufgeregte feindliche Maschinengewehr-Schützen lassen schon, ehe unsere Infanterie die Gräben verläßt, ihre Waffe spielen; feindliche Flieger erscheinen neugierig über den Stellungen. In unseren Gräben werden die letzten Vorbereitungen für den Infanteriesturm getroffen; Hunderte von Sturmleitern zum Erklimmen der Grabenwände werden bereitgestellt, die Seitengewehre werden vorsichtig aufgepflanzt und Handgranaten zurechtgelegt. Immer näher rückt der Augenblick des Sturms. Die Sturmtruppführer verfolgen in fieberhafter Aufregung das Fortschreiten der Zeiger ihrer gleichgestellten Uhren von Minute zu Minute. Da plötzlich – 6.50 Uhr vormittags –, ein gewaltiges Beben und Krachen; man glaubt, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die Sprengladungen sind in die Höhe gegangen und werfen zentnerschwere Erdklumpen in einem Umkreis von mehreren hundert Metern umher. Noch ehe diese zu Boden gefallen sind, haben die ersten Leute in kühnem Sprung die Sprengtrichter erreicht; weitere folgen. Zwischen das Krachen der Artilleriegeschosse mischt sich der schrille Ton einzelner noch kampffähiger feindlicher Maschinengewehre. In wenigen Sekunden ist man dem 80–100 Meter entfernt gelegenen feindlichen Werk auf Handgranatenreichweite nahegerückt. Ein kurzer Halt zum Ausschnaufen, dann eine wohlgezielte Handgranatensalve und hinein geht’s in den feindlichen Graben. Dutzende von Franzosen kriechen völlig apathisch aus halb zusammengedrückten Unterständen hervor, werfen ihre Waffen weg und verschwinden, ohne eine Aufforderung abzuwarten, in Richtung nach unseren alten Gräben. Andere wehren sich von Schulterwehr zu Schulterwehr verzweifelt mit Handgranaten und Pistole, Gefangenschaft oder Tod ist schließlich ihr Los. Unsere Leute erreichen in immer größerer Zahl den feindlichen Graben. Feindliche Maschinengewehre, die flankierend das Zwischengelände bestreichen, machen sich sehr unangenehm bemerkbar. Manchen der Unsrigen, die eben sich zum Sprung aus einem Granattrichter erheben, trifft das mörderische Geschoß. Verwundete, blutüberströmt, schleppen sich zu mehreren nach rückwärts, sich gegenseitig so gut wie möglich helfend. Nach etwa einer halben Stunde ist die befohlene Linie von den Sturmtruppen erreicht. Ein gewaltiges Arbeiten beginnt, denn jede Minute bringt den Mann tiefer in die Erde und sichert ihn damit mehr gegen feindliche Geschosse. Langsam läßt die beiderseitige Artillerie-tätigkeit nach. Die eigene und die feindliche Truppenführung hat das Bedürfnis, sich über die neugeschaffene Lage zu orientieren und Maßnahmen für die Weiterführung des Kampfes einzuleiten. Mit Unterstützung von Pionieren und Arbeitstruppen, die Schanzgeräte mit nach vorne bringen, wird alsbald mit dem systematischen Ausbau der Stellung begonnen, da jeden Augenblick feindliche Gegenangriffe aus dem nahen „Martins-Werk“, wo der Gegner seine Reserven versammelt hat, losbrechen können. Unsere Maschinengewehr-Schützen haben ununterbrochen den Finger am Hebel ihrer Waffe und, wenn sie nur die leiseste Bewegung in dem dichten Strauchwerk vor der neuen Stellung wahrnehmen, verlassen urplötzlich hunderte von Geschossen den Lauf der Gewehre. Bis zum Abend sind die Verteidigungsarbeiten so weit gediehen, daß die Grabenbesatzung einem feindlichen Gegenangriff mit Ruhe entgegensehen kann. Kleine Handgranatenkämpfe an beiden Flügeln des Regiments bei der 5. und 8. Kompagnie enden zu unseren Gunsten; ebenso werden feindliche Gegenangriffe, die in der Nacht vom 20./21. Juni einsetzen, glatt abgewiesen. Das Labordère-Werk war endgültig unser.
Nur einige feindliche Blockhäuser vor der Front der 8. Kompagnie konnten dem dort besonders zäh kämpfenden Gegner nicht abgenommen werden; ungenügende Artillerie-vorbereitung hatte an dieser Stelle den Infanterieangriff sehr erschwert.
Über 100 Gefangene und viel Kriegsgerät war die Beute des Regiments. Die blutigen Verluste des Gegners waren hoch, aber auch unsere Ausfälle an Toten und Verwundeten recht erheblich.“


aus: „Das Infanterie-Regiment „Kaiser Wilhelm, König von Preußen“ (2. Württemb.) Nr. 120 im Weltkrieg 1914–1918ׅ, Stuttgart 1922

Freitag, 19. Juni 2015

19. Juni 2015


Vom 15.–20. Juni war jeweils ein Bataillon des Regiments in vorderster Linie, und zwar zunächst das II. Bataillon. Es bildete hier zusammen mit einem bayrischen Bataillon ein Regiment unter der Führung des Oberstleutnant Fromm. Ein zweites Bataillon R. 120 lag in Villerval, 3 Kilometer östlich Drocourt, in Bereitschaft, das III. Bataillon in Drocourt in Ruhe. Die beiden letzteren Bataillon unterstanden dem Oberstleutnant Vischer.
Die Zeit von Thelus war für das vordere Bataillon kaum besser, als die Tage im Ulmer Weg. Einmal schlug eine schwere Granate in den Bataillonsgefechtsstand und tötete hier den Kommandeur des III. Bataillons, Major Kolb, dessen Adjudanten, Leutnant Volkmann, und den gesamten Unterstab, soweit er hier anwesend war. Aber alle französischen Angriffe wurden beim Regiment abgewiesen, ja einige von anderen deutschen Truppen geräumte Schützengräben mit Handgranate und  Bajonett wieder zurückerobert. Besonders tat sich hierbei Leutnant Gültig hervor, der sich ja schon in den Vogesen und bei La Boisselle ausgezeichnet hatte. Hier bei Arras erwarb er sich unter den Kameraden die Bezeichnung: „Spezialist für Handgemenge.“ Leider fand dieser ebenso tapfere, als stille und bescheidene Mensch später, zu den Fliegern versetzt, seinen Tod, und zwar stürzte er über einem Abschnitt des Regiments nach einer Verwundung ab. Auch Hauptmann von Döhn, der Held vom Ulmer Weg, fiel bei Arras–Thelus.“

aus: „Das Württembergische Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 120 im Weltkrieg 1914–1918“ Stuttgart, 1920

Donnerstag, 18. Juni 2015

18. Juni 1915


„Reserve 120 ist am ersten Angriffstag so bedenklich erschöpft, daß der Kommandeur vor dem Feindessturm um Ablösung  vorstellig werden muß. Dennoch hält das Regiment den Sturm im Labyrinth, im „Ulmer Weg“ aus, den schwersten des Krieges bisher. Das I. Bataillon vorn, dann das II., dann das III.
Vor der Front des Regiments hat der Angreifer überhaupt keinen Erfolg. An einzelnen Knoten ist das Handgemenge wohl so ernst und dicht geworden, daß man den Führer der 2. Kompagnie, Leutnant Winter, mit drei Soldaten zusammen tot aufeinander-gestürzt findet.
Dort, wo es gilt, ein Loch zwischen dem Nachbarregiment zu stopfen, wachen der Unteroffizier Aspacher und seine Gruppe. Die Wellen der schwarzen und weißen Franzosen schieben sich davor hin und her. Der Gefreite Decker – jeder wird im brennenden Augenblick zum Befehlshaber – schreit: „Kameraden, Schnellfeuer!“ Hurra, Handgranaten, Gewehrsalven schmettern, krachen, klatschen durcheinander. Prächtige Ziele, nie kommt das Korn aus dem Franzosenrock heraus. Vom Artilleriestand 116 sieht Leutnant d. R. Geißmayer die Infanterie ihr Feuer in die Sturmlinien abgeben, offen auf dem Graben stehend: Wie Wild vom Hochstand aus werden die anrennenden Feinde abgeschossen.
Die schier ganz aufgeriebene 4. Kompagnie wird in der Nacht durch die 5. abgelöst.
Auch diese hält gegen breite Angriffe. Der „Ulmer Weg“ bleibt in den Händen des Regiments. Doch nebenan dringt der Feind durch den Talweg ein und setzt sich fest. In der übernächsten Nacht wird er unter Mithilfe der Achten, geführt von Leutnant d. R. Gültig, wieder hinausgejagt.
Das II. Bataillon verlor am 18. Juni auch seinen vortrefflichen Führer, Hauptmann Döhn fiel zusammen mit dem Leutnant d. R. Schönleber.“


aus: „Schwäbische Kunde aus dem großen Krieg“, 4. Buch, Stuttgart 1921

Mittwoch, 17. Juni 2015

17. Juni 1915

„Den 17. Juni benützt die Kompagnie dazu, um sich in der Reservestellung einzuschanzen. Das feindliche Artilleriefeuer setzt wieder verstärkt ein und bringt der Kompagnie Verluste. Um 5 Uhr nachmittags erhält sie Befehl, in die stark beschossene Stellung einer Jäger-Kompagnie in der Wüstenrunz einzurücken. Man befürchtet dort einen Angriff und die Kompagnie verbringt die Nacht in Stellung. Der Franzose greift jedoch nicht an.“


aus: „Die Geschichte der Württembergischen Gebirgsschützenׅ, Stuttgart 1933

Dienstag, 16. Juni 2015

16. Juni 1915


„Am 14. Juni 1915 lief beim Regiment eine Fliegerphotographie ein, aus der deutlich ersichtbar war, daß der Gegner südlich der Straße Menin-Ypern zwischen Hooge und 3. Borne und östlich und westlich entlang des Weges vom Eierwäldchen zur 3. Borne drei Grabenstränge mit je vier unmittelbar hintereinander parallel laufenden Gräben, sogenannte „Wabengräben“ angelegt hatte. Schätzungsweise konnten sechs Bataillone darin bereitgestellt werden, zum wellenweisen Vorgehen in kurzen Abständen.
Das Regiment erkannte sofort, daß ein Angriff bevorstehe und veranlaßte die Artillerie, ihre Feuertätigkeit zu erhöhen. Die Munitionsbestände und Handgranaten wurden vermehrt. Im Hauptkampfgraben wurden die Überbankfeueranlagen vervollständigt. Die Schützen der Maschinengewehr-Züge prüften Gewehre und Munition nach. Die eigene Artillerie wurde bis in alle Einzelheiten hinein genau instruiert und über alle Beobachtungsergebnisse auf dem Laufenden gehalten.
Der Kampfabschnitt des Regiments vom Eierwäldchen bis zum Bellewaardebeekgrund lag seit acht Tagen unter schwerem Feuer, zwei- bis dreimal täglich hieb der Feind mit eiserner Faust auf unsere Gräben. Es schien aber alles erst die Ouvertüre zu sein. Unsere vorgetriebenen Patrouillen brachten keinerlei Anhaltspunkte zurück, die auf einen baldigen, bzw. kurz bevorstehenden Angriff schließen ließen.
Am 14. abends gingen an alle Führer und Unterführer die seither gemachten Wahrnehmungen hinaus, mit dem Hinweis, daß in den nächsten zwei bis drei Tagen mit einem feindlichen Angriff gerechnet werden müßte.
Die vordere Linie war besetzt vom III. Bataillon unter Hauptmann Kölle. 10., 11. und 12. Kompagnie in der Kampfstellung. 9. Kompagnie als Reserve am Storchschnabel.
In Bereitschaft lag das I. Bataillon, Führer Hauptmann Keiper-Knorr, das II. Bataillon unter Hauptmann Baumanns Führung als Reserve im Hannebeekgrund und im Polygonwald.
In der Nacht vom 15./16. Juni 1915 fragte das Regiment um 12 Uhr und 2 Uhr vormittags telephonisch beim Führer des Kampfbataillons nach dem Verhalten des Gegners an und mahnte nochmals zur Wachsamkeit. Es veranlaßte die Pioniere, die feindlichen Gräben mit Minen zu beschießen. Die drei Kompagnie-Führer der vorderen Linie meldeten daraufhin, daß ihre Kompagnien kampfbereit seien, Handgranaten waren bereitgelegt und die im Werfen derselben besonders tüchtigen Leute auf den ganzen Abschnitt verteilt. Die Maschinengewehr-Bedienungen standen feuerbereit hinter ihren Gewehren.
Um 2 Uhr traf beim Regiment die Meldung ein, daß der Feind sich auffallend ruhig verhalte.
Um 3 Uhr kam vom Beobachtungsoffizier, gleichzeitig vom Führer der 11. Kompagnie die Nachricht: „Feind hat seine Sturmgassen geöffnet. Bewegung und Lärm ist in den feindlichen Gräben deutlich erkenn- und vernehmbar; eigentümlicherweise schweigt die gegnerische Artillerie völlig.“ Der Regimentsadjudant gab diese Wahrnehmung sofort an die Artillerie weiter und erwirkte, daß sowohl schwere als auch leichte Artillerie die feindlichen Infanterie-Stellungen sofort mit Feuer belegten. Dieses eigene Feuer ließ jedoch bald wieder nach.
Für das ganze Regiment war höchste Alarmbereitschaft angeordnet. Gegen 3.10 Uhr vormittags begann der Gegner mit der Beschießung des vorderen Grabens und der Laufgräben mit leichten Granaten und Schrapnells. Langsam steigerte sich das Feuer. Nach 25 Minuten kamen Granaten schwersten Kalibers hinzu, die den  Graben und die Brustwehr beschädigten. Unter den Erdfontänen und den einstürzenden Grabenwänden wurden zahlreiche Leute verschüttet. Bäume stürzten in den Graben. Das M.G. am linken Flügel wurde völlig verschüttet.
Feldwebel-Leutnant Gastel, der im Graben anwesend war, gab an:
„Nachdem die schweren Granaten auf den Graben kamen, war er in kurzer Zeit, etwa nach fünfzehn Minuten, völlig verschüttet. Sandsäcke und Schießscharten flogen bis zu 50 Meter hinter den Graben; ich sah, daß das M.G. am linken Flügel völlig zugeschüttet und nicht mehr zu sehen war. Infolge der Verheerungen durch die schweren Granaten – es mögen bis 3.30 Uhr vormittags, abgesehen von den zahllosen leichten und Schrapnells, zirka fünfzig Stück auf Brustwehr und Graben gekommen sein – war mit Sicherheit anzunehmen, daß die beiden M.G. in der Mitte ebenso begraben worden seien. Der Rauch von den Granaten war so dicht, daß auf 10 Meter nichts mehr zu erkennen war, die wenigen Leute, die noch schießen konnten, feuerten in die Wolken hinein. Die Atmungsorgane litten weniger, umsomehr aber die Augen unter der Einwirkung der Gase, die die Granaten entwickelten; die Augen tränten unter brennendem Schmerz, daß man sie kaum noch öffnen konnte. Gegen 3.30 Uhr vormittags verstummte das feindliche Artilleriefeuer, aber im selben Augenblick feuerten zahlreiche Maschinengewehre gegen unsere Stellung. Die Mannschaften der Grabenbesatzung schossen, ohne einen Gegner zu erkennen, in die dichte Rauchwolke hinein. Nach zirka sieben Minuten begann der Gegner aufs neue mit der Beschießung unserer Stellung, das schwere Granatfeuer etwas rückwärts auf die Laufgräben und den Ausweichgraben verlegend. Aus südlicher Richtung von Hooge her kam heftiges Infanterie- und Maschinengewehrfeuer, daraufhin schickte ich eine Patrouille nach dem vorderen Graben von Regiment 132, vermutend, daß diese Besatzungsmannschaft auf uns schießt. Die Patrouille kam nach zirka einer Stunde gegen 5.30 Uhr vormittags zurück und meldete mir, Regiment 132 hält den Waldrand. Auf diese Meldung und die Gefahr hin, abgeschnitten zu werden, ging ich mit meinem Zug in Höhe Bellewaarde-Ferme zurück, wo bereits Kompagnien des Bereitschaftsbataillons in Stellung lagen; dort wurde mir auch die Meldung meiner Patrouille bestätigt, daß Regiment 132 den Waldrand südwestlich Etang de Bellewaarde halte.“
Vom rechten Flügel des Regiments und von der Mitte kam keine Meldung. Bis heute vernahm man keine Kunde darüber, was dort vorging. Nach dem Bericht des Feldwebel-Leutnant Gastel mußte man annehmen, daß der Graben völlig eingeebnet und die Besatzung verschüttet wurde.
Der englische Angriff kam aus dem Eierwäldchen und ging über unseren eingeebneten rechten Flügel weg. Von hinten konnte infolge der mächtigen Rauchschwaden der berstenden Geschosse vom Angriff nichts gesehen werden. Es steht aber fest, daß am Eierwäldchen im Handgemenge erbittert gekämpft wurde, bis der die Beschießung überlebende Teil unserer Grabenbesatzung durch die gegnerische Übermacht erdrückt wurde.
Hauptmann Kölle besetzte in der Zwischenzeit mit seiner Bataillons-Reserve (9./246) die Aufnahmestellung im Storchschnabel. Mit den drei vorderen Kompagnien war keine Verbindung mehr vorhanden. Telephondrähte waren abgerissen, Melder kamen durch das Feuer nicht durch, es kehrte keiner von ihnen wieder zurück. Die gesteigerte Unklarheit und Ungewißheit zwang ihn zu dem Entschluß, das Gelände zwischen der vorderen Linie und dem Storchschnabel preiszugeben. Den nach links verlorenen Anschluß an Regiment 132 wollte er durch Anschluß an den See ersetzen. Nach rechts war Anschluß notdürftig vorhanden.
4.30 Uhr vormittags erhielt das Bereitschafts-Bataillon den Befehl, mit zwei Kompagnien nach vorne zu stoßen und die zurückgedrängten Teile des III./246 vorzureißen. Es stellte sich nun heraus, daß Hauptmann Kölle bereits Befehl zum Rückzug erteilt hatte. Auf Befehl des Regiments übernahm nun Hauptmann Baumann den Befehl über die vordere Linie.
zwischen 7 und 8 Uhr vormittags kam das Gefecht zum Stehen. Die vordere Linie (Teile des II. und III. Bataillons) hielt den Storchschnabel besetzt. Der Gegner hielt diesen Stellungsteil unter heftigem Feuer. Vor der Storchschnabelstellung lagen die dichten Schützenwellen des Gegners fest und wurden von unserem Infanteriefeuer heftig erfaßt. Er erlitt sehr große Verluste. Auf Veranlassung des Regiments schoß die eigene Artillerie nun auch dorthin, was mit sichtlichem Erfolg geschah.
Wie der Gegner bis an die Storchschnabelstellung gelangte, entzieht sich wiederum jeder Kenntnis. Von der vorderen Grabenbesatzung kam nur der linke Flügelzug Gastel zurück. Von der übrigen Besatzung kam weder Führer noch Mann zurück. Alle Offiziere fielen. Die kümmerlichen Reste von den Mannschaften, die zurückkehrten, waren fast alle verwundet während der Beschießung nach hinten gekommen, den eigentlichen Infanterieangriff machten sie im Kampfgraben nicht mehr mit.
Der Gegner schien an drei Stellen der Front eingebrochen zu sein, gegenüber dem Südrand des Eierwäldchens, an der Nordecke des T-Wäldchens und am Bellewaardebeek entlang. Die das heftige Artilleriefeuer überlebende Grabenbesatzung wurde in der Flanke und im Rücken gefaßt. Sie war jeder Bewegungsfreiheit beraubt, die Gewehre waren von Granaten zerschlagen, die Munition verschüttet und so fiel ein kleiner Teil in Gefangenschaft.
Während der Artillerievorbereitung schienen die vorderen Sturmwellen des Gegners bereits nahe an unserer vorderen Linie gelegen zu haben. Ihr weiteres Vorgehen muß sehr langsam vor sich gegangen sein, denn sie erschienen vor der Storchschnabelstellung erst später.
Auch die englische Artillerie war anscheinend über den Fortgang des Kampfes im Unklaren. Sie schoß längere Zeit auf unbesetzte deutsche Gräben zweiter Linie. Sie schädigte dabei ihre eigene Infanterie und hielt deren Vorgehen auf.
Um 9 Uhr vormittags ergriff das Regiment wiederum die Initiative und stieß bis an den Ostrand der Bellewaarde-Ferme vor. Eine Kompagnie des Reserve-Bataillons zog sich am Etang de Bellewaarde entlang. Die erreichte Linie zog sich schon über Eclusette, dem nach Norden ziehenden Feldweg entlang an den Ostrand der Bellewaarde-Ferme. Nach Regiment 248 hin bestand Verbindung, von Regiment 132 links war nichts zu sehen.
11.20 Uhr befahl die Division: Die erreichte Linie ist unter allen Umständen zu halten und das Gelände nach vorwärts zu erkunden. Vorerst nicht weiter vorgehen und unter keinen Umständen, wenn mit Regiment 132 kein Anschluß.
Dem Regiment lag aber an dem Besitz der Höhe 44 vor der Bellewaarde-Ferme. In Eile wurde ein Angriffsbefehl ausgearbeitet. 11.40 Uhr vormittags traf vorne der schriftliche Angriffsbefehl ein, dem sogar Skizzen beigegeben waren.
12.15 Uhr war der 246er wieder Herr der Bellewaarde-Ferme und hatte den Engländer über die Höhe hinabgeworfen. Auch der linke Flügel kam vor und als Regiment 132 ebenfalls wieder Gelände gewann, konnte der Anschluß nach links wieder hergestellt werden. Bei diesem Vorgehen wurde der Gegner unter konzentrisches Feuer genommen und erlitt schwere Verluste.
Die Kompagnien waren nun aber vollständig vermischt. Um geordnete Befehlsverhält-nisse herbeizuführen, teilte das Regiment die Front in drei Abschnitte ein, Abschnitt rechts (nördlich der Ferme) unter Hauptmann Baumann, Abschnitt Mitte Hauptmann Kölle, Abschnitt links Hauptmann Keiper-Knorr. Jeder Abschnittskommandeur schied sofort eine Reserve aus.
Kaum war die neue Linie organisiert, als ein erneuter Angriff der Engländer einsetzte, der aber um ½4 Uhr nachmittags restlos abgeschlagen war. Auch bei diesem Angriff holte sich der Tommy blutige Köpfe. Beim Abschlagen dieses Vorstoßes waren die neu eingesetzten Maschinengewehre der Reserve lebhaft beteiligt. Bis 4 Uhr nachmittags war vom Regiment alles eingesetzt. In der Hand des Regiments-Kommandeurs befanden sich als Reserve nur noch zwei Kompagnien des II. Bataillons. Auf Ersuchen wurden dem Regiment zwei Kompagnien des Jäger-Bataillons 26 zur Verfügung gestellt. Die Meldungen, welche aus der Kampflinie kamen, widersprachen sich und ergaben keine Übersicht über die Lage und die erreichte Linie. General von Roschmann ging daher persönlich in Stellung wo er sich mit den Bataillonsführern über den weiteren Verlauf des Gegenangriffs besprach. Im Storchschnabel feuerte er die Mannschaften, die dort in der Schützenlinie lagen, an und leitete eine Zeitlang persönlich das Gefecht. Er achtete nicht der einschlagenden Artilleriegeschosse, Leutnant Pfister, Adjudant III./246, wurde, neben ihm stehend, verwundet, ebenso Gefechtsordonnanzen. Das persönliche Erscheinen des Generals in der Gefechtslinie, mitten im Gewühl des Kampfes, rief einen ganz unbeschreiblichen Eindruck bei den Mannschaften hervor. Mit seinen weit sichtbaren roten Spiegeln am Uniformkragen stand er als Mittelpunkt des Regiments im Feuer.
Gegen Abend gelang es auch dem rechten Flügel an beiden Seiten des Roschmannweges Boden zu gewinnen und über die Bellewaarde-Ferme hinauszukommen. Hie kämpfte der Rest des III. Bataillons, sowie die 8. Kompagnie, Leutnant Hoffmann; die 6. Kompagnie Hauptmann Seeger. Bei diesem Vorgehen erbeutete ein Zug der 6. Kompagnie, geführt von Feldwebel-Leutnant Gastel (12. Kompagnie), ein  englisches Maschinengewehr und machte dreißig unverwundete Gefangene.
8.30 Uhr nachmittags erfolgte nach starker Artillerie-Vorbereitung nochmals ein Vorstoß gegen die englische Stellung aus dem Raume Storchschnabelwäldchen bis Etang de Bellewaarde. Regiment 248 unterstützte diesen Angriff und stieß zwischen Bellewaarde-Ferme und Eierwäldchen vor, nach Südwesten. Auch Regiment 132 sollte sich daran beteiligen, ebenso Jäger 26. Da die Zeit der Vorbereitung jedoch zu kurz war, konnte der Angriff nicht mehr recht zur Geltung kommen.
Mit Rücksicht auf die hereinbrechende Dunkelheit und die gegenteiligen Wünsche der Anschlußregimenter mußte ein weiteres Vorgehen aufgegeben werden.“



aus: „Das Württembergische Reserve-Infanterie.-Regiment Nr. 246“, Stuttgart 1931

Montag, 15. Juni 2015

15. Juni 1915


„Die sonst so stillen Täler hallten vom Kriegslärm wider, von dem Feuerschein der brennenden Häuser geleitet flüchtete der Rest der Zivilbevölkerung das Münstertal hinaus. Vom Lauchtal bis zum Barrenkopf lag sich sich steigerndes feindliches Artilleriefeuer auf den deutschen Linien – dem Franzosen ging es um mehr als nur örtliche Erfolge! Sein alter Traum sollte sich verwirklichen, nach der Einnahmen von Hilsenfirst durch Lauch- und Fechttal in die Rheinebene vorgedrungen werden. Am 14. Juni begann die Schlacht. Schwere 28-cm-Granaten zerpflügten den 1270 m hohen Hilsenfirstgipfel, bald sind von der Linie über Latschenköpfle zur Wüstenrunz nur noch Trümmer übrig. Auch die Reserven erhalten Feuer; um 5 Uhr nachmittags trifft von der Brigade der Befehl ein: „Die Württembergische Gebirgs-Kompagnie ist alarmbereit!“ 9.30 Uhr abends wird er ergänzt: „Vom III. Bataillon Reserve-Infanterie-Regiment 79 ist bekannt, daß nachmittags in der Wüstenrunz ein vorgeschobenes Grabenstück verloren ging. Seither fehlt jeder Verbindung mit dem Bataillon. Die Kompagnie hat gegen die Hilsenfirststellung vorzugehen, die Lage festzustellen und das verlorene Grabenstück in der Nacht wieder zu nehmen!“ Sofort tritt Zug Wagner zur Aufklärung der Lage an. Die Unteroffiziere Schuster und Knupfer erkunden Hilsenfirst-Nord und Latschenköpfle, dort finden sie die preußischen Kameraden am Waldrand und stellen durch Verbindungsleute den Anschluß an die Gipfelstellung wieder her. Leutnant Wagner läßt seinen Zug in die Infanteriestellung einschwärmen. Die Aussagen der 79er über die Ereignisse des ersten Kampftages sind sehr verworren und ergeben kein genaues Bild, nicht einmal die Lage des verloren gegangenen Grabenstückes ist ganz einwandfrei festgestellt, als die restlichen drei Züge gegen 3 Uhr morgens in Lechterwand eintreffen. Noch fallen nur vereinzelte Infanterieschüsse, im Osten kündet ein flammendes Morgenrot den jungen Tag. Fröstelnd stehen die Schützen in der Morgenkühle, den schweren Rucksack auf den Karabiner gestützt, der Frühwind trägt einen sonderbar scharfen Geruch nach Schwefel und Harz vom Wald herunter. Leise summt die Gruppe eine Melodie, ahnungsvoll todbereit: „Morgenrot, Morgenrot …“
Das Gepäck wird im Wald abgesetzt. Oberleutnant Schaller läßt sich von Leutnant Wagner über die Lage unterrichten und befiehlt dann den dritten Zug unter Leutnant Ludwig zur Besetzung der Gräben der Hauptstellung; der zweite Zug unter Leutnant Banzhaf verlängert den bereits am Waldrand liegenden Zug Wagner nach rechts. – Anschließend am rechten Flügel geht der vierte Zug mit Leutnant Zehender vor, beauftragt, den linken Flügel des Gegners zu umfassen und gegen die Hauptstellung zu drängen. Die Maschinengewehre stehen auf Anordnung von Oberleutnant Morneburg hinter dem linken Flügel der Kompagnie in Gefechtsbereitschaft. Mit zwei Maschinen-gewehren und 180 Karabinern geht die Kompagnie ins Gefecht. Schon ist der erste Zug, ohne den Aufbau der übrigen Züge abzuwarten, unter Führung des preußischen Infanterieoffiziers, dessen Kompagnie den Graben verlor, zum Sturm angetreten. Stärkstes feindliches Abwehrfeuer gebietet dem Vordringen Halt, der tapfere preußische Leutnant fällt. Mittlerweile stellen sich die andern Züge im Laufschritt befehlsgemäß auf, sind jedoch am raschen und gleichmäßigen Vorgehen durch Drahtverhaue stark behindert. Mörderisches Feuer empfängt sie. Leutnant Zehender stürmt seinem vierten Zug voran; beim Heraustreten aus dem Wald beschlagen sich die Gläser seiner Brille und ehe er die Lage erkennen und dem Zuruf „hinwerfen!“ des Unteroffiziers Schild folgen kann, trifft ihn eine Kugel in den Hals. Unbekümmert um das rasende Feuer will Unteroffizier Schober als treuer Freund seinem Führer beispringen, da erreicht auch ihn das tödliche Geschoß. Die Verluste wachsen, – nur zu gut liegendes feindliches Artilleriefeuer setzt ein, – vor allem machen den Angreifern die gerade gegenüber am Schnepfenried aufgestellten Batterien schwer zu schaffen. eine Granatlage nach der anderen heult heran, das Schicksal des Angriffs ist besiegelt, der Kompagnieführer gibt den Befehl, ihn abzubrechen und langsam in die Ausgangsstellung zurückzugehen. Zur Vermeidung unnötiger Verlust werden nur Beobachtungsposten vorne gelassen und durch Fernsprechleitungen mit der Hauptstellung verbunden, die in fieberhafter Eile am Steilhang oberhalb Lechterwand ausgebaut wird. Mit verbissener Wut und bitterer Trauer um die gefallenen Kameraden wird die Rückbewegung durchgeführt.
In der Hauptlinie wird die Verbindung nach rechts und links aufgenommen; durch Fernsprecher erstattet der Kompagnieführer an die Brigade Bericht über die Vorgänge. Diese kann sich kein klares Bild über die Geländeverhältnisse machen und befiehlt Oberleutnant Schaller zur mündlichen Besprechung ins Brigadestabsquartier. Das Kommando über die Kompagnie erhält so lange Oberleutnant Morneburg. Das feindliche Feuer steigert sich immer mehr. Stunde um Stunde prasselt der Eisenhagel auf den Berg nieder, von Süden, Westen und Nordwesten wird der Hilsenfirst zertrommelt; alle Kaliber sind dabei beteiligt, von den kleinen Eselsgranaten bis zu den großen 28ern, die vom Belchen herüberkommen und mächtige Löcher in den Boden reißen. Bäume stürzen krachend, Steine, Wurzeln, Granatsplitter und Zweige wirbeln in der mit Rauch und Schwefeldunst erfüllten Luft; in dieser Hölle graben sich Menschen mit kurzen Infanteriespaten in den steinigen Boden, helfen mit hastigen Händen nach, um nur tiefer, tiefer zu kommen, ducken sich in die Löcher, wenn eine Granatlage bedrohlich heranpfeift, warten gekrümmt, atemlos, mit geschlossenen Augen auf den Einschlag und nur zu oft gibt der Kamerad links oder rechts keine Antwort mehr, wird nie mehr eine geben. Die Verluste sind schwer, die Linie wird dünn, aber sie hält.
Eine Infanterie-Kompagnie verstärkt rechts der W.G.K. 1. Besonders schwierig wird die Lage der Gipfelbesatzung, sie leidet furchtbar unter der starken Feuerwirkung, die sich gegen Nachmittag auf sie konzentriert. Auch die rückwärtigen Verbindungen werden mit Geschossen überschüttet, um das Heranbringen von Reserven, Munition und Verpflegung zu unterbinden. Die eigene Artillerie rührt sich kaum, die wenigen Batterien sparen ihre Munition für die Angriffsabwehr. Schlag 5 Uhr sieht der als Beobachter mit seiner Gruppe vorn liegende Unteroffizier Elsäßer, wie es drüben beim Gegner lebendig wird. Am hohlen Wald und am Langenfeldkopf werden die spanischen Reiter auseinandergeschoben und in wenigen Minuten entwickeln die dunkelblauen Alpenjäger dichte erste, zweite und dritte Angriffslinien. Sie kommen in breiter Front, Offiziere voraus, in gleichmäßigem Schritt den Hang herunter, rechter Flügel gegen Hilsenfirstgipfel, linker nach der Wüstenrunz. „Alarm! Sie kommen!“ gellt der Ruf. Er löst die ungeheure Nervenspannung, beendet das Gefühl des Ausgeliefertseins an den nächsten Granattreffer. Zweiter, dritter und vierter Zug richten sich in der Felshalde ein, dort ist gutes Schußfeld auf den anrückenden Gegner, weshalb auch Leutnant Stäbler sein Maschinengewehr dort aufstellt. Der erste Zug gräbt sich als Verbindung zur Gipfelstellung in Schwarmlinie am Osthang des Latschenköpfle oberhalb der Waldgrenze ein. Die Franzosen sind indessen auf 6–700 Meter herangekommen. Sie rechnen nicht mit großem Widerstand, ihre Artillerie hat ihnen gut vorgearbeitet! Sie rechnen auch nicht mit schwäbischer Zähigkeit. Rasendes Feuer schlägt ihnen entgegen, die Schützen jagen aus den Karabinern heraus, was das Zeug hält, und das von Leutnant Stäbler selbst bediente Maschinengewehr mäht ganze Reihen der „blauen Teufel“ nieder. Der Angriff wankt und flutet zurück. Ungeachtet aller Verluste versucht der Gegner erneut, vorzukommen. Er muß wieder zurück. Die feindliche Artillerie überdeckt die Felshalde mit Schrapnellfeuer. Aber die Schützen weichen nicht, sie halten den immer und immer wieder anstürmenden Franzosen stand, die schließlich jedes weitere Vorgehen gegen die Wüstenrunz aufgeben müssen und sich am jenseitigen Hang eingraben.
Äußerst bedrohlich ist die Lage in der Gipfelstellung. Soweit deren Besatzung nicht geflüchtet war, ergab sie sich den französischen Kräften, die durch das Flankenfeuer der Gebirgsschützen nachgekommen waren. Aber der durch starke Verluste geschwächte Gegner vermochte den errungenen Vorteil nicht auszunützen; der schwachen Gebirgs-kompagnie, die allein noch auf dem Hilsenfirst aushielt, wäre es fast schlimm ergangen. Leutnant Wagner hat nach links verlängert, als die Infanterie zurückging; seine Linie ist jetzt sehr dünn, aber bereit, den Franzmann heiß zu empfangen, wenn er vom Gipfel nachrückt. Die Verbindung mit den anderen Zügen ist abgerissen. Wenn die Franzosen nachstoßen, ist die Kompagnie umzingelt, und im Bewußtsein der gefährlichen Lage gibt Oberleutnant Morneburg den Befehl: „Die Kompagnie zieht sich nach Landersbach zurück!“ Leutnant Wagner, den dieser Befehl nicht erreicht, befiehlt dem 1. Zug seinerseits: „Die Stellung wird unter allen Umständen gehalten.“ Teile der Kompagnie ziehen sich in den Wald unterhalb Lechterwand zurück und bereiten eine Aufnahme-stellung vor. Ein Häuflein wackerer Schützen aber, von allen Zügen, bleibt in den am Tag gehaltenen Stellungen. Um 9 Uhr abends bläst der Feind noch einmal zum Angriff, aber kein Franzose verläßt den Graben. Endlich steigt aus den Tälern die lang ersehnte Dunkelheit herauf und bringt einigermaßen Ruhe über das Kampffeld. Weithin lodert der Flammenschein der brennenden Dörfer an der Fecht; immer wieder gehen Leuchtkugeln hoch, knallen die Peitschenschläge vereinzelter Infanterieschüsse in das Vorgelände. Für die Verteidiger gibt es keine Pause. Fieberhaft wird am Ausbau der behelfsmäßigen Stellung gearbeitet und nicht ohne Sorge an den nächsten Tag gedacht. Nach Mitternacht kommt Hilfe. Im Steinbergwald ist das 14. Jäger-Bataillon eingetroffen, die in der Nacht noch vorkommenden Kundschafter werden freudig begrüßt.“



aus: „Die Geschichte der Württembergischen Gebirgsschützenׅ, Stuttgart 1933