Samstag, 30. Juni 2018

30. Juni 1918



„Am 30. Juni, um 10.35 Uhr abends, setzte auf der ganzen Regimentsfront schlagartig stärkstes feindliches Feuer ein. Gelbe Leuchtzeichen zischten aus dem Vorpostengraben und K 1 empor, zuerst deutlich sichtbar, dann allmählich verschwimmend in dem Rauch und Qualm, den der Hagel der feindlichen Geschosse in die Höhe schleuderte. Sie bedeuteten: Hilfe! Sperrfeuer!
Um 10.45 Uhr abends rollte auch auf deutscher Seite das Sperr- und Vernichtungsfeuer aus allen verfügbaren Geschützen los. Die vorher klar erkennbare Höhe 110 verschwand hinter einer Wand von Dampf und Dunst. Durch das Trommeln der gegenseitigen Artillerien tönte hell das scharfe Knallen der Maschinengewehre und das Krachen von Handgranaten. Kein Zweifel mehr – der Engländer griff an!
Die Kompanien der vorderen Linie waren gerade dabei gewesen, ihre Nachtpost-ierungen auszustellen. Da setzte plötzlich das englische Artilleriefeuer ein. Und kaum waren die ersten Granaten im Vorpostengraben, K 1 und bei den Bereitschaften einge-schlagen, da tauchte aus den vordersten englischen Gräben in der ganzen Breite der Regimentsfront eine dichte Schützenlinie, dahinter starke Reserven auf, die im Lauf-schritt auf den deutschen Vorpostengraben zueilten. Im Vorpostengraben standen etwa alle 150 Meter 3 bis 4 Mann. Die schwache Besatzung wehrte sich verzweifelt. Aber sie war zu schwach, um den Angriff aufzuhalten. Nach heldenmütiger Gegenwehr unterlag sie im Nahkampf. Der Feind eilte auf den K 1 zu. Die Teile des I. Bataillons (rechtes Kampfbataillon), die im K 1 lagen, traten zum Gegenstoß an. Im Zwischengelände zwi-schen K 1 und Vorpostengraben prallten die Gegner aufeinander. Der zahlenmäßig weit überlegene Engländer behielt die Oberhand und drang in den Kampfgraben des I. Bataillons ein. Die Verluste waren auf beiden Seiten schwer.
Beim linken Kampfbataillon – III./122 – wurde der Vorpostengraben ebenfalls über-rannt. Der K 1 hatte hier gutes Schußfeld und konnte gehalten werden. Nur am rechten Flügel ging er verloren. Die 12. Kompanie, die ihn schrittweise verteidigte, mußte ihn schließlich räumen, wenn sie der völligen Vernichtung entgehen wollte. Der tapfere Kompanieführer, Leutnant d. R. Späth, fiel hier durch Herzschuß.
Gleichzeitig mit dem Angriff gegen die Front des Regiments waren geschlossene englische Kolonnen, an der Spitze Offiziere, an der nördlichen Regimentsgrenze entlang gestoßen. Drei Minuten nach dem Einsetzen des Feuers tauchten diese Kolonnen schon, von Nord nach Süden vorstoßend, im Hohlweg vor der 2. Kompanie auf. Leutnant d. R. Sauter, der Kompanieführer der 2. Kompanie, und die dort liegenden Minenwerfer-Mannschaften warfen sich dem Feind entgegen. Nach blutigem Nahkampf gelang es, die Straßengabel bei Punkt A zu halten. Das war die rettende Tat dieses Abends. Wäre die starke englische Kolonne hier nicht zurückgeworfen worden, sondern hätte sie ihren Weg in Richtung Albert fortsetzen können, es wäre unabsehbares Unglück geschehen. Die dieses Unheil abgewehrt haben, waren nur eine verschwindend kleine Schar: Leut-nant d. R. Sauter, Sergeant Kübler, Unteroffizier Hommel, Gefreiter Ortwein, Weiß und Dietrich, die Füsiliere Schneck, Rabenstein und Thum (2. Kompanie), das Maschinen-gewehrnest Adam (Vizefeldwebel Beißwenger, Gewehrführer Hanold, Gefreiter Gun-zenhauser der 1. Maschinengewehrkompanie) und ein paar Mannschaften der Minen-werfer-Abteilung.
Wie hier im Hohlweg, so wogte auf der ganzen Regimentsfront der Kampf hin und her.
Das Wesen dieser erbitterten Kämpfe war die Ungewißheit. Es war Nacht. Eigene und englische Maschinengewehre kämmten aus nächster Nähe die Gräben ab. Von rückwärts her eingreifende Stoßtrupps entpuppten sich plötzlich als Engländer. Von der Seite anrückende Abteilungen, die ganze Salven von Handgranaten hinter die Schulterwehren schmetterten, wurden erst in der Nähe am Stahlhelm als deutsche Reserven erkannt. Aus den Wolken von Petroleum- und Nebelminen blitzen plötzlich die Bajonette geschlos-sener englischer Züge. Melder rannten fort in die Nacht hinein – in den Riegel von Granaten, den die Engländer noch immer hinter den K 1 legten. Sie kamen nicht mehr zurück.“


aus: „Das Füsilier-Regiment Kaiser Franz Joseph von Österreich, König von Ungarn (4. württ.) Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1921

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