Mittwoch, 3. Mai 2017

3. Mai 1917


„Am 2. Mai, einem sonnigen, warmen Frühlingstage, lagen I. Bataillon in der Kampf-, III. Bataillon in der Bereitschaftsstellung, in die sie in der Nacht zuvor eingerückt waren, und erfreuten sich einer auffallenden Ruhe im Abschnitt, die sich sowohl auf den Kampf zur Erde, wie in der Luft erstreckte. Ers war die Ruhe vor dem Sturm, der am 3. Mai 5.30 Uhr früh mit einem gewaltigen Feuerüberfall rechts vom Divisionsabschnitt einsetzte und nach wenigen Minuten mit einer aus allen Kalibern zusammengefaßten Stärke auf den eigenen übersprang. Die tagelang erwartete Schlacht war entbrannt und bis weit nach rechts hinüber, in die Gegend von Lens, erhellten die weißen Leucht-kugeln das nächtliche Dunkel, das gerade der Dämmerung zu weichen begann. Auch in unserem Abschnitt stiegen – etwas später, als im Abschnitt c der 124er – dauernd rote Leuchtkugeln hoch, die das eigene Sperrfeuer auslösten und schnell zu großer Heftigkeit steigerten. Nur wenige Minuten dauerte die Artillerievorbereitung des Gegners auf unsere vorderen Gräben, dann ging seine Infanterie zum Angriff vor, bahnte sich durch das Drahtgewirr einen Weg und erschien, teilweise in dichten Linien, vor der vordersten Stellung. Hier stand das I. Bataillon, von rechts nach links in der Reihenfolg seiner Kompagnien, erst seit 24 Stunden in Stellung, frisch und ausgeruht und bereitete den Engländern einen heißen Empfang. Ein erster Ansturm brach unter schwersten Verlusten im Handgranaten- und Maschinengewehrfeuer zusammen, der aber mit zahlreichen neuen Wellen immer wieder versucht wurde und zu den erbittertsten Nahkämpfen auf den Flügeln führte, wobei auch das Bajonett und Messer eine Rolle spielten.
Während das Zentrum des Abschnitts dauernd fest in der Hand des Regiments war, wogte der Kampf zur Rechten wie zur Linken hin und her. Vor Bullecourt tauchten mehrere Tanks auf, die dank der Artilleriewirkung und des Feuers unserer Maschinen-gewehre außer Gefecht gesetzt oder zur Umkehr gezwungen wurden. Vizefeldwebel Rahn, einer der Maschinengewehrzugführer, holte persönlich aus einem zerschossenen Tank dessen Führer mitsamt seinem Brieftaubenkörbchen heraus und brachte ihn trotz eigener Verwundung als Gefangenen zum Regimentsgefechtsstand zurück. So hatten die Engländer wiederum vergeblich auf die Tanks ihre Hoffnung gesetzt und des erwarteten Schutzes entblößt stieß ihre Infanterie am Rande von Bullecourt auf eine unzermürbte Truppe, die bis zum letzten Mann bereit war, diesen entscheidenden Stützpunkt zu halten. Es war die von der 1. M.-G.-Kompagnie wirksam unterstützte 1. Infanterie-Kompagnie unter Führung von Leutnant d. R. Schmieg, die, noch immer verfügend über einen ausgezeichneten Stamm alter Unteroffiziere und Grenadiere, hier in tagelangen Kämpfen keinen Fußbreit Boden preisgab. Ja im rechten Nachbarabschnitt, wo der Gegner im Lauf seiner Angriffe eingedrungen war, holte sie sogar im Verein mit Teilen der 10. und 11. Kompagnie verlorenes Gelände im Gegenstoß zurück, so daß um 12 Uhr mittags der Südrand von Bullecourt völlig frei vom Gegner war. Eine eigentliche Leitung des Gefechtes gab es nicht mehr, es waren Kämpfe von Mann zu Mann, von Gruppe zu Gruppe, die sich hier um Dorfreste, Stolleneingänge und Granattrichter abspielten. Sie zählten zu den schwersten Infanteriekämpfen, die das Regiment je auszufechten hatte, und schwere Blutopfer mußten in jenen Maitagen auf der Höhe von Bullecourt dargebracht werden.
Auf dem linken Flügel waren die Kämpfe nicht minder hart und die Lage war dort kritischer, da der im halben Regimentsabschnitt von 124 bis zur 1. Linie eingedrungene Gegner den linken Kompagnieabschnitt des Grenadierregiments b 4 von Flanke und Rücken angriff und mehr und mehr eindrückte. Trotz verzweifelten Widerstands der hier verteidigenden 4. Kompagnie war ihr Abschnitt gegen 9 Uhr vormittags teilweise verloren und nur mit Aufbietung der letzten Kraft konnte sie sich dem Ausbreiten des Gegners entgegenstemmen. Die 4. Kompagnie litt hier unsagbar und ging ihrer völligen Aufreibung entgegen; 24 Tote, 9 Vermißte und 52 Verwundete, unter diesen den Kompagnieführer Leutnant d. L. Hencke, verlor sie schon an diesem ersten Kampftag. Beim Scheiden aus der Stellung hatte sie allein 98 Mann verloren, was einem Satz von 90 % bei einer Grabenstärke von 110 Köpfen entspricht. Auch in der Mitte des Abschnitts lag dauernd verheerendes Feuer, das u. a. dem Führer der 2. Kompagnie, Leutnant d. R. Walker, ein Bein zerschmetterte. Bei solch hohen Verlusten reichte die Kraft des Kampfbataillons, das damals unter Oberleutnant a. D. Aich stand, bald nicht mehr aus und Unterstützungen mußten herangezogen werden. Als erste Maßregel hatte das Regiment, das über diese Tage für den abkommandierten Kommandeur Oberstleut-nant Kündiger (Ul. R. 19) führte und seit 2. abends seinen neuen Gefechtsstand bezogen hatte, schon 5 Uhr früh das Reservebataillon (II.) aus Villers herangezogen, wo es mit der Anlage einer Ortsbefestigung beschäftigt war. 5. und 6. Kompagnie trafen als erste auf dem Gefechtsfeld ein und wurden in den Gräben beim Gefechtsstand bereitgelegt, welche durch die nach vorn abgerückten Kompagnien des Bereitschaftsbataillons (9. und 10.) frei geworden waren. Letztere waren nach der Artillerieschutzstellung vorge-zogen worden, aus der heraus die dort untergebrachte 11. Kompagnie schon um 6.30 Uhr früh, von Leutnant d. R. Walter musterhaft durchs Sperrfeuer vorgeführt, die vorde-re Linie verstärkt hatte. Mit zwei Zügen lag sie in b 1, mit einem in b 3. Ihr folgte um 10 Uhr die 10. Kompagnie, die gleichfalls da, wo es nottat, das Kampfbataillon unterstütz-te. An ihrer Stelle bezog die 5. Kompagnie die Artillerieschutzstellung, welche durch die Arbeit des Regiments in den letzten 14 Tagen einen guten Ausbau erfahren hatte und jetzt für Reserven und Nachschub von größtem Nutzen wurde.
Auch ein Sturmtrupp der Divisionsabteilung traf ein, der gemeinsam mit der Kampf-truppe bemüht war, von b 4 aus nach links aufzurollen. Aber Anfangserfolge, die sie hatten, konnten wegen schwerer Verluste und mangelnden Handgranatennachschubs nicht gehalten werden. Ebenso scheiterte ein gegen 12 Uhr mittags mit Teilen der 10. Kompagnie nochmals durchgeführter ähnlicher Versuch. Der Gegner, der überraschend schnell Maschinengewehre, Minenwerfer und Gewehrgranaten vorgebracht hatte, hielt sich nicht nur erfolgreich in der etwa 1 km breiten Einbruchsstelle, sondern drückte seinerseits mit immer schärferer Wucht auf ihre Flanken und brachte allmählich die ganze linke Hälfte des Abschnitts b 4 in seine Hände. Auch nach der Tiefe hatte er nochmals Boden gewonnen, stand im Hohlweg nördlich der zweiten Linie von b 4 und c 1 und strebte mit allen Mitteln darnach, die Wegespinne südwestlich Riencourt zu erreichen, von der aus in genau südlicher Richtung der „Cannstatter Graben“ führte. Hier warfen sich ihm zwei Züge der 12. Kompagnie entgegen, die um 2 Uhr mittags aus den Katakomben von Riencourt heraneilten, und es gelang ihnen, den Gegner aus dem Cannstatter Graben wieder hinauszuwerfen. Unmittelbar südlich der Wegespinne aber behauptete er sich und 2 Maschinengewehre, die er dort in Stellung gebracht hatte, waren dauernd sehr lästig. Sie konnten sowohl von links rückwärts in unsere linke Flanke feuern, als auch das Hintergelände und die Anmarschwege bis zur Straße Hendecourt / Riencourt hinauf unter direkten Schuß nehmen, was den an sich schon nicht leichten Trägerdienst bei dem großen Bedarf an Handgranaten und Munition keineswegs erleichterte.
Am Abend des 3. Mais war die Lage demnach so, daß Bullecourt restlos gehalten war, aber der bis zu 300 m tiefe Einbruch auf dem linken Flügel des Grenadierregiments und beim I. R. 124 nicht ausgeglichen werden konnte. Der Gegner saß fest in der Flanke des Regiments und mit bangen Gefühlen sah man dem Fortgang der Kämpfe entgegen, da schon am ersten Kampftag die Hälfte des Regiments beim Kampfbataillon eingesetzt war und die eigenen Kräfte schnell zu schwinden begannen. Als letzte Reserve dieses Tages war abends 8 Uhr noch die 5. Kompagnie dem bedrohten linken Flügel zu Hilfe gesandt worden, wodurch sich für den 4. Mai folgende Kräfteverteilung ergab: Kampfzone 1., 2., 3., 4., 10., 11., 5., Teile 9., sowie zwei Züge 12. Kompagnie (letztere vorübergehend beim I. R. 124 eingesetzt); Artillerieschutzstellung ein Zug 12., 8., Teile 9., Katakomben in Riencourt 6., Wotanstellung 7. Kompagnie.“


aus: „Die Ulmer Grenadiere an der Westfront“, Stuttgart 1920

 – Datum der Skizze leider falsch angegeben –

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