Sonntag, 4. Januar 2015

4. Januar 1915


„Den Wiedereroberungsversuch des Granathofs am 26./27. Dezember 1914 schildert der Pionier Friedr. Frey, der den Sturm unter Leutnant Eberhard in der Gruppe des Gefr. Nagler mitmachte, folgendermaßen:

„Am 26. Dezember nachts ½12 Uhr wurde uns durch Herrn Leutnant Eberhard mitgeteilt, daß wir uns am andern Morgen um 6 Uhr bereit halten müßten zum Sturm auf den Granathof, den die Franzosen am 24. Dezember besetzt hatten. Wir brachten deshalb unsere Sachen in Ordnung und sahen unsere Handganaten, von denen jeder Mann 2 Stück mitbekam, nach. Am andern Morgen um 6 Uhr wurden wir geweckt und rückten ab in unserer Stellung gegenüber dem Granathof. Es war dunkel, aber sternenklar. Unsere Gruppe besand aus 8 Mann und 1 Gefr. als Gruppenführer. Außerdem war bei uns noch Herr Leutnant Eberhard. Als alle ihre Stellungen eingenommen und wir unsere Seitengewehre aufgepflanzt hatten, leitete die Artillerie den Sturm mit schwerem Granatfeuer ein um 7.30 Uhr vormittags. Nachher schossen die schweren Minenwerfer und es war unheimlich, diese schweren Kolosse in die Luft steigen und drüben wieder herabfallen zu sehen. Man konnte ihre Flugbahn genau verfolgen, da man die glimmende Zündschnur sah. Die Wurfminen explodierten mit furchtbarem Getöse und erzeugten einen solchen Luftdruck, daß uns hüben, die wir ca. 60 Meter davon entfernt waren, der Kopf davon benommen wurde. Diese ganze Einleitung dauerte ungefähr 10 Minuten. Endlich kam dann der Befehl: ,Pioniere zum Sturm vorgehen.‘ Ich hatte schon vorher eine Ausfallstaffel aus Sandsäcken aufgebaut und half als erstem Herrn Leutnant Eberhard raus; dann folgten ich, Bühler, Geiwitz, Schauffler und einige freiwillige Infanteristen. Es waren 2 Kompagnien Infanterie zum Sturm angetreten. Wir stürmten sofort los, als erster Herr Leutnant Eberhard, links von ihm ich, rechts Bühler. Nach ungefähr 20 Schritten schrie Herr Leutnant Eberhard auf: ,O, ich bin getroffen!‘ und sank vornüber. Er rief uns noch zu: ,Weiter Kameraden, drauf, drauf!‘ dann hörte ich nichts mehr von ihm. Bühler sprang zu ihm hin und schaffte ihn zurück und kam nachher wieder zu uns und schrie uns zu, daß Herr Leutnant nur leicht verwundet sei, was leider nicht zutraf. Ich war inzwischen mit meinen Kameraden weitergestürmt und wir kamen glücklich drüben vor der feindlichen Stellung an. Hindernisse gab es glücklicherweise nicht, da weder die Franzosen noch wir wegen der nahen Entfernung (60 Meter) solche anbringen konnten. Ich kniete vor einer niederen Mauer zwischen zwei Schießscharten nieder und warf meine Handgranaten. Ich hatte außer den zweien, die mir gehörten, in die Stellung noch 2 Behelfshandgranaten mitgenommen, welche ich an der Streichholzschachtel anzuzünden versuchte. Dies ging nicht, weil die Zündhölzer feucht waren. So versuchte ich es mit meinem Benzinfeuerzeug und da gelang es. Ich warf alle 4 über die Mauer hinweg in den französischen Schützengraben und hörte sie mit lautem Krach explodieren. Nun war rechts von mir in der Mauer eine Bresche und dort nahmen wir fünf (3 Pioniere und 2 Infanteristen) vor dem französischen Schützengraben Deckung und schossen, was aus dem Gewehr herausging. Wir mußten Verstärkung abwarten, da wir zu wenig waren. Auf einmal schrie Bühler, der bereits auf der Deckung lag, ,Ich bin getroffen!‘ Ich kroch zu ihm hin; er hatte einen Schuß im Oberarm. Ich wollte ihn zurückschaffen, aber er sagte, er könne selbst zurückkriechen. Nun war rechts von der Bresche direkt an der Mauer ein Strohhaufen, und da durchzuckte mich blitzartig der Gedanke, da könntest du den Franzmann ausräuchern. Ich mußte mit einem Sprung über die Deckung weg und kam glücklich drüben an. Das Benzinfeuerzeug heraus und angezündet war das Werk eines Augenblicks. Dabei pfiffen die feindlichen Kugeln wie wahnsinnug um meinen Kopf und war ich wie betäubt von dem furchtbaren Geknatter. Aber wunderbarerweise blieb ich verschont, nur einen leichten Streifschuß am linken Oberarm bekam ich ab. Der Strohhaufen kam leider nicht zum Brennen, trotzdem ich’s zweimal versuchte, da derselbe sehr naß war. Jedenfalls hatten ihn die Franzosen mit Wasser begossen. Ich mußte nun  zurück in die Bresche, da ich plötzlich von oben Feuer bekam; als ich in die Höhe sah, stand oben so ein Franzmann und pulverte, was das Zeug hielt. Ich legte auf ihn  an und plötzlich war er verschwunden. Wie ich wieder laden wollte, bekam mein Gewehr plötzlich einen Schlag, es klirrte etwas an meinem Kopf vorbei; wie ich danach sah, hatte mir ein Franzose mein augepflanztes Seitengewehr in der Mitte abgeschossen; die Kugel galt meinem Kopf und ich danke unserem Herrgott, der mich so wunderbar beschützte. Nun kroch ich wieder zu Bühler hinüber, um nach ihm zu sehen. Aber er war nicht mehr da. Ich dachte mir, entweder ist er selbst zurückgekrochen oder haben ihn die Franzosen während des wahnsinnigen Schießens zu sich hinübergezogen. Ich bekam nun von hinten, von Herrn Hauptmann Neiniger, 6 Kugelhandgranaten zugeworfen, die ich natürlich sofort weiterbeförderte, dem 1. Franzmann in seinen Schützengraben. Er war nicht sehr erbaut davon, denn sein Schießen ließ etwas nach. Leider war ich mit Geiwitz nur noch allein an der Bresche, da Bühler und Schauffler verwundet oder gefallen waren und wir von rückwärts keine Verstärkung erhielten. Einige freiwillige Infanteristen hielten wacker bei uns aus. Auf einmal kam der Befehl von rechts: Stopfen, alles langsam zurückgehen, und so blieb uns nicht anderes übrig, als von Granatloch zu Granatloch zurückzuspringen. Die Franzosen schickten uns rasendes Infanteriefeuer nach, aber selber trauten sie sich doch nicht, zu folgen. Als wir wieder ins unserer Stellung waren, erfuhren wir, daß unser lieber Herr Leutnant Eberhard sterben müsse. Und wirklich, nach einer Stunde war er schon tot. Ehre seinem Andenken. Ich selbst war Gott sei dank unverwundet, ausgenommen einen leichten Streifschuß am linken Oberarm, den ich erst nachher bemerkte. Für die Teilnahme an diesem Sturm erhielt ich mit noch mehreren Kameraden das Eiserne Kreuz II. Klasse und trage diese hohe Auszeichnung in dem stolzen Bewußtsein, mein Leben für unser alles geliebtes Vaterland eingesetzt zu haben.ׅ“

Von den Begleitern Freys wurde Bühler vermißt, der Pionier (Fahnenjunker) Schauffler war schwer verwundet und starb. Leutnant d. R. Tochtermann, der mit 2 Gruppen der Kompagnie in den Granathof eingedrungen war, wurde mit 2 Unteroffizieren und 2 Pionieren schwer verwundet. Der Sturm selbst mißlang, wohl weil die Infanterie nicht rechtzeitig einsetzte.“

aus: „Das württembergische Pionier-Bataillon Nr. 13 im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1927

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