Donnerstag, 2. Juni 2016

2. Juni 1916


„Vom 1. Juni 10 Uhr abends bis zum 2. Juni 5 Uhr morgens, schwieg das eigene Artilleriefeuer gegen die vorderen feindlichen Linien im Angriffsabschnitt, um den Patrouillen der Infanterie das Schneiden von Sturmgassen in die eigenen Hindernisse zu ermöglichen.
Am 2. Juni sollte gestürmt werden. Der Korpsbefehl bezeichnete nach der Karte eine „eiserne Linie֧, die unbedingt zu erreichen war und eine „goldene Linie“, die nicht überschritten werden durfte. Zwischen diesen beiden Linien war Spielraum für selb-ständige Entschlüsse der Unterführer gelassen.
10.30 Uhr vormittags begann unsere Artillerie mit Prüfung der Tageseinflüsse und legte von 11 Uhr vormittags ab ihr Wirkungsschießen, die Feuergeschwindigkeit immer mehr steigernd, abwechselnd auf die drei feindlichen Kampflinien und auf das dahinter liegende Aufmarschgelände. Im Verein mit den Geschützen aller Kaliber sandten auch leichte, mittlere und schwere Minenwerfer ihre verderbenbringende Ladung in den Feind.
Die gegnerische Artillerie antwortete nur schwach, beschädigte die Gräben, schoß unsere Fernsprechleitungen zusammen, brachte uns selbst aber nur geringe Verluste bei. Nach übereinstimmenden Aussagen aller Gefangenen hat die englische Artillerie, zum Glück für uns, völlig versagt.
Während der artilleristischen Angriffsvorbereitungen vermittelte der Fernsprecher den Truppen bis in die vordersten Linien die Nachricht vom Sieg unserer Flotte am Skagerrak. Wir wollten sie unseren Feinden nicht vorenthalten, flugs wurde sie auf ein Papier geschrieben und dem Gegner durch eine Mine ohne Zünder in seine Gräben gesandt.
Um 2.30 Uhr nachmittags schwoll unser Feuer zu einem Trommelfeuer von unbe-schreiblicher Heftigkeit an. Furchtbar war das Getöse der durch die Luft sausenden und berstenden Granaten, Schrapnells und Minen. In den Brodem der heißen Tagesluft mischte sich der Dunst der krepierenden Geschosse; schwarzgraue Rauch- und Staub-wolken, aufspritzende Erdsäulen hüllten die feindliche Stellung in undurchdringliches Dunkel.
Auf 3.07 Uhr nachmittags war das Antreten der Infanterie befohlen, das Regiment 125 (III. Bataillon) hatte den Anschluß. Einige Minuten zuvor – die Nervenanspannung war übermenschlich gewesen –, noch ehe die eigene Artillerie ihr Feuer auf die vordersten feindlichen Linien eingestellt hatte, verließen die Vorwellen – Handgranatentrupps mit Drahtscheren – den Graben und durcheilten den etwa 200 m betragenden Zwischenraum zwischen den beiderseitigen Drahthindernissen, ihnen folgten in kurzen Abständen drei weitere Wellen, bestehend aus je einem Zug der vorderen Kompagnien. Als vierte Welle mit etwa 100 m Abstand setzten sich die Reservekompagnien der Bataillone in Bewe-gung, die Maschinengewehre befanden sich zwischen der 2. und 3. Welle.
Von Interesse dürfte noch die Ausrüstung der Sturmtruppen sein. Jeder Mann trug Mütze, Mantel gerollt, Kochgeschirr mit eiserner Portion, 5 Sandsäcke auf dem Mantel festgebunden, Gewehr, Schanzzeug, volle Munition, Handgranaten, Drahtwickel, Brot-beutel, Feldflasche mit Kaffee, zwei Verbandpäckchen. Außerdem hatte jeder Zug der 1. Welle: 20 Drahtscheren, 15 Äxte, 7 Beile, 300 Sandsäcke, jeder Zug der 2. Welle 1250 Sandsäcke, 20 große Spaten, 5 Grabenspiegel, jeder Zug der 3. Welle 8 Stahlschutz-schilde, 15 Säcke mit Handgranaten, 20 Stück großes Schanzzeug, 5000 Sandsäcke, die 4. Welle 40 Stahlschutzschilde, 45 Säcke mit Handgranaten, 60 Stück großes Schanz-zeug, 1500 Sandsäcke.
Der am 2. Juni 3 Uhr nachmittags einsetzende deutsche Angriff kam nach Aussagen von Gefangenen dem Gegner völlig unerwartet. Erst nachdem das Zerstörungsfeuer unserer Artillerie und Minenwerfer mehr als eine Stunde angedauert hatte und in unver-minderter Heftigkeit fortgesetzt wurde, machte man sich auf Feindesseite darauf gefaßt.
Der erste feindliche Graben war an vielen Stellen buchstäblich eingeebnet und der größte Teil der feindlichen Maschinengewehre verschüttet. Günstig war ferner für uns, daß die Kanadier annahmen, wir würden einen Angriff am hellen Tage nicht wagen und daß infolgedessen stärkere Reserven erst um 6 Uhr abends herangezogen werden sollten. Nachdem nun schon um 3.07 Uhr nachmittags unsere Artillerie ihr Sperrfeuer auf die Goldlinie und in das Gelände westlich der Goldlinie verlegt hatte, war das Hindurchführen größerer Massen durch die Sperrfeuerzone ausgeschlossen.
Trotz alledem sollte sich der Kampf für uns noch sehr schwierig gestalten.
Die Sturmwellen des III. Bataillons brausten über die englischen Stellungen hinweg, nahmen dabei zwei feindliche Maschinengewehre mit stürmender Hand und erreichten gegen 3.15 Uhr nachmittags die Goldlinie, zum Teil stießen sie sogar infolge der Geländegestaltung etwas über dieselbe hinaus.
Beim II. Bataillon ging es nicht so rasch. Als die ersten Sturmwellen dieses Bataillons vorbrachen, auferstand dem rechten Flügel gegenüber aus dem Schutt ein kanadisches Maschinengewehr, wurde auf die Deckung oder besser gesagt auf einen Erdhaufen geschoben und eröffnete sofort ein rasendes Feuer. Dieses einzige Maschinengewehr hielt den rechten Flügel einige Zeit auf und brachte namentlich unseren hinteren Sturmwellen schwere Verluste bei. Neben anderen Braven fiel sofort durch Kopfschuß der Führer der 7. Kompagnie. Leutnant d. R. Schroth. Nicht eher verstummte dieser unvermutet aufgetauchte Feuerschlund, bis die Vizefeldwebel Schwarz und Schreiber der 6. Kompagnie mit einigen Leuten der Vorwelle frontal und gegen rechte Flanke des Maschinengewehrs vorgehend nach erbittertem Handgranatenkampf die Bedienungs-mannschaften außer Gefecht setzten. Schwarz wurde dabei schwer verwundet. Die kanadischen Helden fielen neben ihrer Waffe, sie zogen den Tod auf dem Schlachtfeld der Gefangennahme vor.
Bei dieser Kampfepisode zeichnete sich auch noch der Kriegsfreiwillige Hans Schmidt aus Bayreuth besonders aus. Obwohl durch Granatsplitter am rechten Arm verwundet, stürzte er sich, seine Kameraden mit fortreißend, auf das feindliche Maschinengewehr. Erst nachdem er die Erstürmung der 2. und 3. feindlichen Linie als der Kühnsten einer mitgemacht hatte, begab er sich, von starkem Blutverlust entkräftet, zum Verbandplatz. Schmidt, als entschlossener Draufgänger in der Kompagnie bekannt, verdient auch noch deshalb hervorgehoben zu werden, weil er kurz vorm Sturm in schwerem feindlichen Artilleriefeuer eine vorzügliche Patrouille gegen den Feind ausgeführt hatte, um Einblick in die Zerstörungsarbeit unserer Artillerie zu gewinnen.
Ebenso wie die Vizefeldwebel Schwarz und Schreiber wurde auch der Kriegsfreiwillige Schmidt mit dem E. K. I und der württembergischen goldenen Militär-Verdienst-Medaille ausgezeichnet.
Während nach der vorher gegebenen Schilderung auf der rechten Hälfte des II. Bataillons eine kurze Stockung im Angriff eintrat, gelangte die linke Hälfte über Gräben und Unterstände hinwegstürzend 3.20 Uhr nachmittags bis an den Westrand des Waldes östlich vom Acht-Wege-Hof, wobei die 5. Kompagnie Anschluß an das III. Bataillon gewann. Eine am Westrand des Acht-Wege-Hof-Waldes (dem linken Flügel des II. Bataillons gegenüber) aufgestellte Batterie, die unausgesetzt auf die anstürmenden Wellen mit Kartätschen feuerte, wurde erst im Nahkampf Mann gegen Mann durch die 5. Kompagnie und Leutnant d. R. Beck, der mit einem Zug der 9. Kompagnie selbsttätig und entschlossen eingriff, zum Einstellen des Feuers gezwungen. Es ziemt uns hervorzuheben, daß auch hier die Kanadier sich nicht ergaben, sondern sich bis zum letzten Mann mit Revolvern an ihren Geschützen wehrten. Die erbeuteten Geschütze konnten über das Grabengewirr nicht zurückgeschafft werden, wir mußten uns damit begnügen, sie durch in die Rohre gelegte und zum Krepieren gebrachte Handgranaten unbrauchbar zu machen.
Inzwischen war auch der rechte Teil des II. Bataillons auf die Höhe des linken gekommen. Die 7. Kompagnie war gerade im Begriff, den Acht-Wege-Hof-Wald zu durchqueren, da ereignete sich wieder etwas ganz Unvermutetes. In dem Wald befanden sich zahlreiche kanadische Unterstände, die von den vorderen Kompagnien im ungestümen Drang nach vorwärts nicht beachtet oder als für unbesetzt gehalten über-laufen worden waren. Aus diesen quoll de Feind hervor und wehrte sich verzweifelt. Die 5., 6. und 8. Kompagnie erhielten Feuer in den Rücken und auch in die rechte Flanke, denn das Regiment 121, das durch Geländeschwierigkeiten aufgehalten wurde, war nicht mit uns auf gleicher Höhe. Es entspann sich  nun ein Kampfgewirr, das sich aus lauter Einzelkämpfen mit Bajonett und Handgranaten an den verschiedenen Unterständen zusammensetzte. Unter beträchtlichen Verlusten blieben wir die Sieger. Immer aber war der ersehnte Anschluß an das Regiment 121 noch nicht gefunden. Der umsichtige tapfere Führer der 5. Kompagnie, Leutnant d. R. Lang, will den Anschluß persönlich suchen, von der Kugel eines feindlichen Maschinengewehrs, das unsere Front vollständig flankierte, tödlich getroffen, sinkt er zu Boden. An seine Stelle tritt zunächst der Unteroffizier Acker aus Isingen, Oberamt Sulz, der sich durch zahlreiche freiwillige Patrouillen in Rußland und Serbien einen Namen gemacht und heute bereits bei der Wegnahme der feindlichen Batterie besonders hervorgetan hatte.
Der Regimentskommandeur stellte 4.05 Uhr nachmittags die 1. und 2. Kompagnie dem II. Bataillon zur Verfügung, um die entstandenen Verluste auszugleichen, insbesondere aber, um den Anschluß an das Regiment 121 herzustellen und zieht dafür die 10./119 näher heran.
Die schriftlichen und telephonischen Meldungen aus der Kampffront werden durch die Schilderungen der am Regimentsgefechtsstand vorbeikommenden Leichtverwundeten vortrefflich ergänzt. Leutnant Albrecht, dem ein feindliches Geschoß beide Arme durchbohrt und die Brust schwer verletzt hat – die Arme sind ihm zusammengebunden – erzählt in jugendlich glühender Begeisterung, wie es ganz vorn zugegangen ist. Solche Kampfesstimmung ist erhebend. Gefangene Kanadier, zum Teil schwer verwundet, werden vorgeführt. Aus ihren Mienen kann man lesen, aus welch schwerem Erleben sie kommen, aber sie machen durchweg einen guten Eindruck. Von dem blind-fanatischen Haß der Engländer und Franzosen war bei den Kanadiern nichts zu spüren, sie bedienten sich auch in Wort und Schrift nicht der Ausdrücke „Huns“ und „Boches“. Der von ihnen für uns geprägte Spitzname war „Fritz“. So, wie es tapfer-ritterlichen Gegnern zukommt, wurden sie von uns behandelt.
Die Kompagnien des II. Bataillons waren durch die Unterstandskämpfe vollständig durcheinander gekommen und erhielten jetzt neben frontalem auch noch flankierendes Geschützfeuer. Zwei Kompagnieführer waren schon gefallen, die beiden anderen schwer verwundet. Das Regiment 121 stand mit seinem linken Flügel weit hinter unserem rechten, es blieb daher nichts anderes übrig, als den rechten Flügel des II. Bataillons stark zurückzubiegen und einen zwischen der eisernen und goldenen Linie gelegenen englischen Laufgraben zu besetzen: Der Bataillonskommandeur, Major von Schnizer, leitete diese Bewegung persönlich und wurde dabei – 5.30 Uhr nachmittags – verwundet. Hauptmann Albrecht (1. M.-G.-K.) tritt an seine Stelle (vom 9. Juni ab Hauptmann Brandt).
Die neue „Stellung“, sowohl die des III. Bataillons an der Goldlinie, wie die des II. Bataillons wurden sofort trotz schweren feindlichen Artilleriefeuers einigermaßen verteidigungsfähig gemacht, mit Gegenangriffen mußte gerechnet werden.
Die Kräfteverteilung innerhalb des Regimentsabschnitts war gegen 9 Uhr abends folgende:
links III./125
neue Stellung: 12., 10., 9. (4 M.-G.s)
rechts II./125
5., 6., 7., 8., 2. (4 M.-G.s)
durcheinander
in alter englischer 3. Linie: 11., 2 M.-G.s, 1.
vorn arbeitend:
4., 3./125; 10., 11./119; Res.-Pion.-Kompagnie 233 und 263; zwei Rekruten-Kompagnien;
in bisheriger I. Stellung:
9., 12./119, 2 M.-G.s, Armierungs-Kompagnie;
im Lager:
I./119.
Zu Gefangenen wurden gemacht: der General Viktor Williams, Kommandeur der 8. kanadischen Infanterie-Brigade, ein Oberst, ein Major, mehrere Hauptleute und Leutnants und etwa 200 Kanadier.“
Die Beute des 2. Juni bestand aus 4 Geschützen, 1 Minenwerfer, 3 Maschinengewehren, 10 Gewehren, wichtigem Befehls- und Kartenmaterial.

Aus dieser Gliederung gehen auch die neu zugeteilten Kräfte hervor.

aus: „Das Infanterie-Regiment „Kaiser Friedrich, König von Preußen“ (7. Württ.) Nr. 125 im Weltkrieg 1914–1918“ׅ, Stuttgart 1923

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