Freitag, 8. Juli 2016

8. Juli 1916


„Am 7. Juli mittags rückten der Stab des II. Bataillons und die 5. und 8. Kompagnie nach Pozières vor, das unter heftigem Artilleriefeuer lag, jedoch unter allen Umständen gehalten werden mußte. Im Lauf des Abends sollten die 6. und 7. Kompagnie die durch erhebliche Verluste bereits geschwächte 5. und 8. Kompagnie vorne ablösen. Der fast den ganzen Tag unaufhörlich strömende Regen wetteiferte, die Gräben in allen Stel-lungen anzufüllen, zu verwüsten und die Lage recht ungemütlich zu gestalten. Der älteste Kompagnieführer der 6. Kompagnie, Leutnant d. L. Köstlin, ging mit seinem Burschen zur Erkundung nach Pozières voraus und berichtete darüber und über den Verlauf des Tages selbst:
„Unser Weg führte der Straße entlang hinter einer hohen Hagenbuchhecke, die eine gute Deckung beim Vorgehen gewährte. Die Straße selbst stieg bis zu den ersten Häusern schwach an, um dann durch das Dorf hindurch etwa ebenso abzufallen. Die Ortschaft lag also an einem dem Feinde zugekehrten Hang und war demnach von ihm aus gut einzusehen und wirksam zu beschießen. Auf der Ortschaft lag starkes Artilleriefeuer, während ich die Hauptstraße nach dem Ausgang La Boisselle hinunterlief. Singend und pfeifend kamen die Granaten in kurzen Pausen nacheinander angesaust und schlugen da und dort krachend in die schon oft getroffenen, zum Teil noch anscheinend unversehrten, zum Teil schon gänzlich zerstörten Häuser und Scheunen ein. Die Straße lag voll mit Splittern von Dachziegeln, Fensterläden, Türen und anderem Gerümpel, das die Wucht der platzenden Granaten aus den Häusern geschleudert hatte. Außerdem wurden die Schritte immer wieder gehemmt durch die zahlreichen in die Straße gerissenen Granattrichter, welche oft mehr als 6 Meter Durchmesser besaßen und jetzt durch andauernden Regen bis zum Rande mit Wasser gefüllt waren.
Etwa in der Mitte des Dorfes angekommen, an der Stelle, wo rechts der Weg nach Thiepval, links derjenige nach Contalmaison abführt, traf ich mit dem Leutnant Schmidt zusammen, welcher stellvertretend die 6. Kompagnie nachführen sollte und für den verwundeten Leutnant Vöchting jetzt die 5. Kompagnie zu überneh-men hatte. Wir stellten uns in die Toreinfahrt des nächsten Hauses links an der Straße. Er erzählte mir von dem großen bedauerlichen Verlust, den die 6. Kom-pagnie heute nachmittag dadurch erlitten hatte, daß 18 Mann seines Zuges durch eine einzige schwere Granate in ihren Stellungen getötet und verschüttet worden waren. Ein herber Schlag für die Kompagnie, aber die Pflicht rief, wir mußten weiter. Stumm drückten wir uns die Hand, ohne zu ahnen, daß dies das letzte Mal sein sollte.
Ich eilte die Dorfstraße hinunter dem Ortsausgang zu. Dort schlugen eben einige Granaten hintereinander mitten auf der Straße ein, wo ich auch einige Tote liegen sah. Es wäre Wahnsinn gewesen, jetzt gerade dorthin zu gehen. Meinem Instinkt folgend, verließ ich deshalb schnell die Straße, um mich links in den Gärten vorzuarbeiten, was wegen des heftigen Granatfeuers nur sprungweise möglich war, und unter Ausnutzung der Deckungen in Granatlöchern, hinter Mauern und Bäumen. Auf diese Weise gelangten wir in den am südlichen Ortsrand hinter einer dichten Hecke angelegten Graben, der bereits von Kompagnien des Reg. 180 dicht besetzt war. Einen geeigneten Platz für meine Kompagnie suchend, ging ich in diesem Graben nach links bis an die Stelle, wo der Weg nach Contalmaison aus den Gärten von Pozières heraustritt. Von dort ab war der Graben nicht mehr besetzt. Nach dem Eintreffen der Kompagnie, die ich, auf die Hauptstraße zurückgekehrt, erwartet hatte, ließ ich Leutnant Koch mit seinem Zuge in dieses unbesetzte Grabenstück einrücken. Denn ich sagte mir, daß die linke Flanke der 180er bei einem eventuellen Angriff von Contalmaison her bedroht erschien, während dagegen rechts der Straße ein Angriff überhaupt weniger zu befürchten war, solange Ovillers und la Boisselle noch gehalten wurden. Den Zug Bader setzte ich in einer Bereitschaftsstellung am südlichen Ortsrand rechts der großen Straße 200 Meter hinter dem vorderen Graben ein. Den Zug Bunz beließ ich vorderhand zu meiner Verfügung in einem Keller der Ortschaft. Hierdurch war eine gute Tiefengliederung hergestellt; meinen Gefechtsstand wählte ich in der Nähe des zweiten Zuges in einem Stollen hinter einem zerschossenen Haus an der Wegegabel nach Contalmaison. Leutnant Thumm, den Führer der 7. Kompagnie, hatte ich aufgefordert, den Stollen mit mir zu teilen. Todmüde legte ich mich gegen 1 Uhr nachts schlafen mit der Weisung an meine Ordonnanzen, mich um 4 Uhr morgens zu wecken.
Die Nacht verging, ohne daß auf die Gräben ein Infanterieangriff erfolgte, dagegen unter fast fortwährendem heftigem Artilleriefeuer, besonders auf die Ortschaft. Es regnete und war noch stockfinster, als ich meinen Stollen in der Morgenfrühe des 8. Juli verließ, um mit meinem getreuen Häberle wieder in Stellung zu gehen, zunächst zum Zug Bader. Das Artilleriefeuer lag sehr heftig auf der Ortschaft, während wir die Straße gegen Thiepval hinauseilten. Das fast ununterbrochene Aufblitzen von Granaten und Schrapnellen und der gellende Lärm der Einschläge, dessen Echo schauerlich zwischen den Häusern und Scheu-nen des Ortes hallte, begleitete uns auf unserem gefährlichen Gang.
Trotz der starken Beschießung hatte die Kompagnie während der vergangenen Nacht keine Verluste erlitten, aber vor Nässe und Kälte waren die Leute halb erstarrt. Hierzu kam noch, daß ein Essenfassen gestern abend nicht mehr möglich gewesen war; ich ließ daher später den Leuten heißen Kakao auf dem Herd in meinem Stollen zubereiten und ausgeben. Auf den Vorschlag des Leutnant Bader, seinen Zug in den etwa 200 Meter vor dem Dorfrand hinziehenden Graben vorzunehmen, der weniger unter Feuer lag, als die Ortschaft, ließ ich den Zug, die Morgendämmerung benützend, gleich dorthin vorrücken. Der Graben war in einem unbeschreiblichen Zustande, ganz verfallen und die Sohle mit tiefem Schlamm bedeckt, ohne jegliche Unterstände, nur die vordere Brüstung überall mit sogenannten Kaninchenlöchern unterhöhlt. Ein Gang durch diesen Graben war unmöglich. Man blieb buchstäblich im Schlamm stecken. Wir gingen deshalb neben dem Graben die ganze Stellung entlang und hatten das Glück, daß das Artilleriefeuer gerade jetzt ganz aufgehört hatte.
Im Laufe des Morgens klärte das Wetter auf, und wir waren froh, die erstarrten Glieder und die nassen Kleider wärmen und trocknen zu können. Aber nicht lange sollten wir uns am schönen Wetter freuen, denn es brachte uns die feindlichen Flieger, die alsbald in zahlreichen Schwärmen über uns summten. Regungslos mußten alle Leute in ihren flachen Erdlöchern liegen bleiben, um nicht von den oft erstaunlich niedrig fliegenden Apparaten aus gesehen zu werden. Auch die feindlichen Fesselballone waren wieder eng gestaffelt, einer neben dem anderen, hoch gegangen. Jede Batterie mußte wohl ihren eigenen Ballon haben, der ihr Feuer leitete. Schanzarbeiten, so notwendig sie bei dem mangelhaften Zustand unserer Gräben gewesen wären, konnte wir angesichts dieser regen feindlichen Luftaufklärung bei Tage nicht vornehmen. Gegen 3 Uhr nachmittags setzte plötzlich wieder heftiges Artilleriefeuer auf die Ortschaft ein.
In meinen Stollen zurückgekehrt, fand ich den Befehl vor, die 6. und 7. Kompagnie werde durch Teile der Reg. 183 abgelöst und sollten sofort in die R 2-Stellung beim Regimentsgefechtsstand rücken. Gleichzeitig waren auch schon Kompagnien des Reg. 183 in Pozières eingetroffen, und ich hatte damit die Erklärung der plötzlichen Beschießung der Ortschaft. Denn der feindlichen Luftaufklärung war dieses Manöver am hellen Tag natürlich nicht entgangen. An eine sofortige Ablösung, außer mit erheblichen Verlusten, war daher nicht zu denken, und ich beschloß daher, mit den Kameraden vom Reg. 183 zusammen hierzu die Dunkelheit abzuwarten. Die bereits eingetroffenen Kompagnien der Ablöser mußten so lange, so gut es ging, in den Kellern und Stollen der Ortschaft verschwinden.
So war der Tag von Pozières für die Kompagnie verhältnismäßig günstig verlau-fen, doch hatten uns die beiden ersten Schlachttage durch das Artilleriefeuer schon erhebliche Verluste gekostet und waren mit den größten Strapazen für jeden einzelnen Mann verbunden gewesen.“

Am 8. Juli lag während des ganzen Tages heftiges Artilleriefeuer auf der Stellung des Bataillons, wodurch bei der 9. und 11. Kompagnie, welche ohne jegliche Unterstände im Graben lagen, so erhebliche Verluste eintraten, daß erstere nur noch über 50 Gewehre verfügte. Da außerdem von der 9. Kompagnie feindliche Angriffsabsichten gemeldet wurden, erbat das Bataillon vom Regiment und auch von dem mit Teilen im Mametz-wald liegenden III./bayr. Reg. 16 Verstärkung. Gegen Abend und im Lauf der Nacht trafen auch ein Zug der 11. Kompagnie des letzteren Regiments und vier M.-G. der 3. M.-G.-K. des Res.-Inf.-Reg. 122 ein, ferner die 5. Kompagnie unter Leutnant Schmidt mit 100 und Teile der 8. Kompagnie mit 24 Gewehren; letztere Kompagnie hatte auf dem Anmarsch starke Verluste erlitten.“

aus: „Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1922

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