Montag, 7. August 2017

7. August 1917



“Der Lichtbildauftrag der Besatzung Leutnant Hesse und Leutnant Kaubisch ist erledigt. Wohlverstaut stecken die Kassetten mit belichteten Platten in den Seitentaschen des Beobachtersitzes Zufrieden klopft Franz* seinem Piloten Hesse auf die Schulter und winkt Richtung Heimat. In großer Kurve dreht er ab, der Front entgegen.
Achtung! Von halbrechts zwei Flugzeuge! Typ und Hoheitskennzeichen sind noch nicht zu erkennen. Aber sie halten genau auf das deutsche Aufklärungsflugzeug zu. Also doch Franzosen? Ja, zwei Spads nähern sich in einer Mordsfahrt, wollen dem Deutschen den Rückwechsel abschneiden.
Gut, nehmen wir noch einen Luftkampf auf dem Nachhauseweg an. Mit den beiden Brüdern werden wir auch noch fertig. Sind oft noch mehr gewesen, mit denen wir uns herumgebalgt haben.
Durch das Motorengeräusch klingt das scharfe leise Pfeifen von MG-Munition. Der eine Spad hat das Feuer eröffnet. Der Tanz geht los. Kurve und Schießen!
Die beiden Spads greifen scharf und hartnäckig immer wieder an, gar nicht so “laurig„ wie die meisten Franzosen sonst. Kaubitsch, der Beobachter, hat alle Hände voll zu tun, um sich die beiden nur einigermaßen vom Leibe zu halten. In fortgesetzten kurzen Serien rattert sein MG, mal auf den einen, mal auf den anderen. Trotzdem schlagen dauernd Treffer in die Rumplermaschine ein.
Ein feines Klirren von Metall! Ein Treffer, der ein Spannkabel zerschlug. Ist wohl nicht schlimm! Doch da kommt der Rumpler in der Kurve ins Rutschen. Emil* läßt sie ruhig ein paar hundert Meter wegtrudeln.
Die beiden Spads decken den Deutschen zuletzt doch zu stark ein. Scheinen keine heurigen Häschen zu sein. Ein Stückchen stoßen sie der abtrudelnden Rumpler noch nach. Unten liegt jetzt gerade unter den kämpfenden Parteien die Front.
Eine deutsche Flak beeilt sich, dem bedrängten Landsmann mit einer Lage Brisanz-granaten gegen die beiden Spads beizuspringen. Rätsch – Krach! liegen die dunklen Sprengpunkte den beiden Franzmännern vor der Nase. Die drehen ab nach Hause und haben genug von dem Spaß.
Nun wird’s aber Zeit, die Rumpler aus der Trudelei herauszunehmen. Hesse drückt den Steuerknüppel herum, tritt das Seitensteuer gerade. Nichts! Die Maschine richtet sich nicht auf. Kein Druck auf den Steuern! Verflucht, so ist sie nicht zu kriegen! Ganz ausgesprochen hängt sie nach links. Scharf beobachtet Kaubisch seinen Emil über die Schulter. Der arbeitet und hantiert herum wie wild. Alles umsonst.
Anscheinend Steuerkabel nach rechts zerschossen! schreit Hesse
Kaubisch weiß, was es geschlagen hat. Absturz so oder so! Sind schon andere Beobach-ter zwischen die Tragflächen gekrochen und haben durch veränderte Belastung das Gleichgewicht auf der beschädigten Seite wiederhergestellt.
Keinen Augenblick zögert Kaubisch.
Die Handschuhe fliegen in den Beobachtersitz. Der Schal hinterher. Ebenso einer der Pelzstiefel. Der andere sitzt zu fest. Laß ihn! Hält nur auf. Langsam schiebt er sich aus seinem Sitz nach vorn, über die obere Rumpfverschalung greifen die Hände zum Spannturm, krallen sich an.
Der rasende, schneidend kalte Luftzug. drückt den Körper des Beobachters zurück. Mit eiserner Muskelkraft zieht er sich weiter vor. Jetzt das rechte Bein zur unteren Trag-fläche herüber!
Nun klammern sich die Hände an Spannkabel und Streben zwischen der oberen und unteren Fläche fest. Kaum atmen kann Kaubisch, als er sich frei zwischen den beiden Flächen dem vollen Fahrtwind entgegenstemmt.
Und diese scharfe Kälte! Die nackten Finger verklammen immer mehr. Egal!
Die Zähne aufeinandergebissen! Es muß sein!
Hesse spürt schon die Gewichtsverlagerung im Steuer. Die Maschine kommt. Ganz langsam, aber sie kommt.
Genau beobachtet er Franzens Bewegungen. Winkt dem Braven dankbar zu. Der nickt nur kurz, muß seine ganze Kraft zusammenreißen, sich zu halten.
Nein, so geht es nicht mehr! Das linke Bein muß hier am Spannkabel bei der Strebe Halt bekommen. Vorsichtig zieht er das Bein heran. Da rutscht der rechte Fuß auf dem glattlackierten Tragflächenleinen weg. Der Windzug wischt die Beine von der Trag-fläche herunter. Die ganze Last des Haltens liegt auf den Halberstarrten Händen. Sie schaffen’s nicht mehr. Die eine läßt los, um überzugreifen an der Strebe. Griff zu, kann aber nicht mehr zupacken.
Der Fahrtwind spült den Körper des Braven von der Tragfläche herunter, ehe noch sein Griff ihm wieder Halt geben kann. Kaubisch stürzt ins Bodenlose.
Kein Schrei! Lautlos versinkt der todgeweihte schneidige Beobachter.
Hesse hat die Maschine jetzt gefangen, blickt hinüber zu seinem Franz.
Die Augen weiten sich ihm. Wo ist Kaubisch? Leer der Platz zwischen den Tragflächen! Eben noch hockte er zwischen den Spannkabeln.
Ein Blick über den Bordrand.
Da unten hebt sich eine abstürzende kleine, schwarze Menschengestalt gegen ein gelbes Stoppelfeld auf der Erde ab.
Trudelt unaufhaltbar in die Tiefe.
Verloren! Rettungslos verloren!
Um Hesse, seinen „Emil“, hat sich Kaubitsch bewußt geopfert!
Mühsam bringt der Pilot den zerschossenen Kahn gerade noch über die Front, um ihn mit gewaltigem Bruch auf hügelig-zerrissenem Gelände hinsetzen zu können. Heil kriecht Hesse aus den Flugzeugtrümmern hervor, gerettet – durch seinen treuen Franz. Kameradschaftsopfer!
Irgendwo im Gelände liegt der zerschmetterte Körper des Leutnants Kaubisch von der Fliegerabteilung A 282.“

aus: Friedrich Schilling: „Flieger an allen Fronten“ Berlin, 1936


*Emil: Pilot / Franz: Beobachter

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