Sonntag, 10. Juni 2018

10. Juni 1918




„Der große Augenblick war gekommen, die Offensive begann auch für uns.
Schon am 8. Juni – die Truppe ruhte – ritten die Stäbe des Regiments und der Bataillone vor und erkundeten die mitgeteilten Bereitstellungsplätze für den Angriff. Es ergab sich, daß diese Plätze Nacht für Nacht unter schwerstem feindlichem Feuer lagen. Unter solchen Umständen hätte man mit großen Verlusten rechnen müssen, noch ehe man in den eigentlichen Kampf trat. Oberstleutnant Fleischmann stellte daher den Antrag, daß das Regiment erst bei Beginn des Vorgehens dort einzutreffen habe. Das wurde geneh-migt.
R. 120 und seine Begleitbatterie marschierten daher in der Nacht vom 8. auf 9. Juni zunächst nur in die Gegend nördlich und nordöstlich Cuy und warteten hier das weitere ab. 12.50 vorm. begann am 9. Juni das Vorbereitungsschießen der deutschen Artillerie, der Gegner erwiderte nur schwach. 2.30 vorm. wurde vom Regiment der Marsch wieder aufgenommen nach den Bereitstellungsplätzen; es war eine stockdunkle Nacht mit dich-tem Nebel.
Zwei Stunden später erfolgte die elektrische Zündung von 800 deutschen Minen, zu-gleich das allgemeine Angriffssignal. Auch unser Regiment hatte sich auf dieses Zei-chen wieder in Bewegung gesetzt, von den Bereitstellungsplätzen aus. Alles war in fieberhafter Spannung.
Doch nach kurzer Zeit trat schon wieder eine Stockung ein, das vor uns marschierende Grenadierregiment 10 konnte über den sumpfigen Divettegrund nicht hinüber. Die Kompagnien dieses Regiments mußten teils durch Umwege, teils auf andere Art das Hindernis überwinden.
Währenddessen stellte das I./R. 120 einen behelfsmäßigen Übergang her und schob sich über diesen heran gegen Thiescourt, wo es 6.30 vorm. anlangte. Das Dorf selbst lag unter feindlichem Feuer, deshalb blieb das I. Bataillon nördlich davon in der alten franzö-sischen Stellung.
Das II. Bataillon traf den Oberbau der Brücke bei Evricourt zerstört an, die Pfeiler standen noch unverletzt. Ein neuer Oberbau wurde gelegt; vorsichtig überschritten, sobald dies möglich war, auf halbfertigem Steg 2 Kompagnien den Divettegrund.
Für all diese Brückenbauten war keinerlei Material bereitgestellt worden; auch mußten die einstigen Infanteriepioniere aus ihren jetzigen Kompagnien erst zusammengeholt werden. Das alles brauchte viel Zeit. Währenddessen lag der Divettegrund nicht nur stark unter feindlichem Feuer, er war auch so sehr vergast, daß Aufenthalt und Arbeit hier nur mit Maske möglich war.
Um 9.20 vorm. traf, freudig begrüßt, die Nachricht ein, Plémont westlich Thiescourt und Thiescourt selbst samt den südlich vorliegenden Häusern seien genommen, Connectan-court wahrscheinlich durchschritten, an den Divetteübergängen werde noch gearbeitet. Die Brigade habe sofort den stürmenden Bataillonen der 11. Division zu folgen. Die Fahrzeuge sollten nachkommen, sobald die Divettübergänge dies ermöglichten.
Das I./R. 120 ging von Thiescourt aus weiter vor, bis in die vorderste Linie des Kampf-es, um hier links neben Grenadierregiment 10 in das Gefecht einzugreifen. Vom II. Bataillon rückten auf den eben genannten Befehl hin sämtliche Kompagnien über den Divettegrund hinüber, das III. Bataillon blieb noch als Reserve des Regiments in der Gegend von Cuy.
Der deutsche Angriff rechts von uns schritt gut vorwärts, auf dem Lörmont aber, also vor uns, war das Grenadierregiment 10 auf heftigen Widerstand gestoßen.
Um 2 nachm. mußte hier von neuem das Vorbereitungsfeuer der deutschen Artillerie einsetzen, dann gelang es dem Regiment 10 und dem mittlerweile links daneben eingetroffenen I./R. 120 auf dem Nordwesthang des Berges vorwärts zu kommen, bis etwa 150 Meter unterhalb der Kuppe. Hier aber stand man vor einem fast völlig unver-sehrten Drahthindernis und über dieses hinweg raste uns französisches M.-G.- und Gewehrfeuer entgegen. Es gab kein anderes Mittel, als möglichst gedeckt nochmals abzuwarten, bis die Artillerie nochmals Bahn geschossen haben würde, um dann dicht hinter deren Feuerwalze vorzustürmen.
Alles war hiezu vorbereitet, die Artillerie entsprechend verständigt, da traf der Befehl ein, die 204. Division ohne R. 120 habe behufs anderweitiger Verwendung sofort von hier abzurücken, unser Regiment sei der 11. Division unterstellt.
Das II./R. 120 hatte unterdessen bei Evricourt auf dem äußersten rechten deutschen Flügel sich entwickelt. Gegenüber dem sehr starken Gegner war es aber dem Bataillon ebenso wie dem preußischen Regiment 408 links daneben nicht gelungen, erheblich vorwärts zu kommen.
Jetzt, wo die 204. Division samt ihrer Artillerie herausgezogen werden mußte, jetzt verzögerte sich der Wiederbeginn des Angriffs auf den ersten Teil des Lörmonts natur-gemäß.
R. 120 zog zunächst seine 11. und 12. Kompagnien das erste Treffen vor und stellte sie dem I. Bataillon zur Verfügung. Dieses füllte mit den beiden Kompagnien die große Lücke rechts neben sich aus, zwischen den Grenadieren und dem Bataillon selbst.
Der Rest des III. Bataillons rückte als Regimentsreserve an den Nordrand von Thies-court, ebenso ein Zug der Begleitbatterie.
Nach 8 abds. konnte der Angriff wieder aufgenommen werden. Die Artillerie arbeitete aus allen Rohren, doch leider schoß die schwere wiederholt zu kurz und veranlaßte insbesondere beim I. Bataillon starke Verluste.
Von solchen Dingen ist die moralische Wirkung noch schlimmer als die tatsächliche.
8.30 konnte die Infanterie wieder antreten. Einzelne französische M.-G,-Nester leisteten hartnäckigen Widerstand, dazwischen aber brach der deutsche Angriff durch und nahm dann die M.-G.-Nester von der Seite her.
Auch das II. Bataillon bei Evricourt vermochte jetzt nach vorwärts Boden zu gewinnen. Nach einer Stunde war der Lörmont in unserem Besitz, die Bataillone des R. 120 lagen am Süd- und Südosthang des Berges, der Anschluß an die Nebentruppen, rechts Regi-ment 10 und links Regiment 408 war vorhanden.
Erbeutet hatte das Regiment 1 Geschütz, 30 schwere und viele leichte M.-G., 19. M.-W. Die eigenen Verluste betrugen an Toten 1 Offizier und 40 Mann, an Verwundeten 3 Offiziere und 108 Mann.
Gegen den Kellerwald gingen Patrouillen vor. Ein Nachdrängen in größeren Abteilun-gen verbot die Dunkelheit, welche nun rasch sich über dem unübersichtlichen Gelände ausbreitete. Die Truppen biwakierten daher in ihrer Kampfstellung.
Am andern Morgen, am 10. Juni, rückte die Division weiter vor. R. 120 trat aber erst um 120.15 vorm. an und zwar durch die Mulde von Orval. Man erreichte die Straße nach Ribécourt und stieß hier auf den Anfang des Regiments 408. R. 120 mußte halten, um erst dieses durchzulassen. Jetzt schlugen feindliche Granaten auf den von uns eben verlassenen Lörmont und die Orvalmulde ein; die Marschkolonne des Regiments blieb augenscheinlich unbemerkt.
12.10 konnte wieder angetreten werden. Dabei benutzte das III. Bataillon die Straße Orval – Cambronne, das II. marschierte links daneben, das I. links neben diesem; allge-meine Richtung Attèche-Ferme.
Sobald aber die Spitzen der Bataillone die Hochfläche südlich Orval erreichten, empfing sie starkes M.-G.- und Gewehrfeuer aus südlicher Richtung, besonders von der Attèche-Ferme her. Das I. und III. Bataillon traten alsbald ins Gefecht, das II. wurde als Reserve hinter das I. genommen.
Das III. Bataillon erhielt jedoch auch Feuer aus dem Kellerwald, also von halbrechts her. Der 11. Kompagnie mit 2 M.-G. gelang es, über den Wiesengrund in den Wald gegen des Gegners Flanke vorzudringen. Die 12. Kompagnie warf den Feind, der die Gräben östlich der Straße besetzt hielt, zurück und stieß ihm dann in südlicher Richtung nach. Die 9. und 10., M.-W. und Begleitbatterie folgten auf der Straße. So erreichte das Bataillon kämpfend die Höhe, auf welcher die Ferme gelegen ist, und schickte sich an, den Hof selbst zu nehmen.
Das I. Bataillon war unterdessen mit seinen vordersten Teilen aus dem Wald heraus-getreten. Da sah sich die Spitze einem vierfachen Grabensystem gegenüber. Es gelang, ihr sich bis an das davor liegende Drahthindernis heranzuschleichen und dieses zu durchschneiden. Die Spitzenkompagnie folgte. Zwar fiel der Führer, Leutnant Binder, aber durch die Drahtlücke hindurch drang die Kompagnie weiter; die übrigen Kompagnien des I. Bataillons griffen ein und das ganze französische Grabensystem wurde aufgerollt.
Doch die Ferme selbst zeigte sich stark befestigt und besetzt, so daß der Auftrag des I. Bataillons, links an derselben vorbeizustoßen, zu einer taktischen Unmöglichkeit wurde. Hauptmann Gebhardt, der stets bewährte Bataillonsführer, setzte auf eigene Verantwor-tung seine Kompagnien zum links umfassenden Angriff gegen die Ferme an.
Noch aber schlugen in dieser deutsche Granaten ein, mit Leuchtkugelzeichen mußte man erst die deutschen Geschütze zum Schweigen veranlassen. Dann ging der Angriff vorwärts, unaufhaltsam vorwärts. Zur Unterstützung des I. Bataillons waren noch die 11. und 12. Kompagnie eingetroffen; um 2.15 nachm. befand sich die Attèche-Ferme im Besitz der 6 Kompagnien.
2 französische Offiziere und 200 Mann fielen als Gefangene in deutsche Hände, der Rest, etwa 300, entflohen in südliche Richtung.
Das III. Bataillon war mittlerweile vollzählig herangekommen, es folgte gemeinsam mit dem I. dem weichenden Feind. Die Begleitbatterie fuhr im Galopp auf und sandte ihm ihr Feuer nach.
Auch das II. Bataillon, bisher Regimentsreserve hinter dem I., rückte gegen die genom-mene Ferme nach. Da schlugen von rückwärts her deutsche Granaten wieder in diese ein. Vielleicht war das Mißverständnis veranlaßt worden durch den Kanonendonner des eben erwähnten Verfolgungsfeuers. Das II. erlitt Verluste und wich nach Süden aus.
Etwa 1 Kilometer südlich Attèche mußte das Regiment zunächst einmal seine gänzlich durcheinandergekommenen Verbände ordnen. Dann erst konnte wieder angetreten werden, und zwar nunmehr vom II. Bataillon auf Antoval, vom III. auf Ribécourt, das I. folgte dem III. Eine Reihe M.-G.-Nester empfingen die Bataillone mit ihrem Feuer. Doch man nahm sie eines um das andere. Aber langsam nur kam das Regiment auf diese Art vorwärts und die beiden Führer der vorderen Bataillone, Major Schmidt und Haupt-mann Wider, wurden verwundet.
So erreichte das III. Bataillon Ribécourt, mußte aber angesichts des Ortes noch einmal Halt machen, weil deutsches Artilleriefeuer in demselben einschlug. Erst nach Aufhören desselben stieß das Bataillon durch den Ort hindurch bis zur Kanalbrücke. Einige Franzosen, die im Begriff waren, die Brücke zu sprengen, wurden abgeschossen, der Kanal überschritten und die Zündleitungsdrähte durchschnitten.
Weiter ging es, über La Verrue-Ferme nach der Oisebrücke. Auf 100 Meter schon waren die vordersten Schützen herangekommen, da flog mit Donnergetöse die Brücke in die Luft. Auch die andern in der Nähe befindlichen Oiseübergänge waren zerstört.
Leutnant Schmidt von der 11. Kompagnie durchschwamm den Fluß und holte einen am Südufer liegenden Kahn. In diesem setzten ein paar Mann über. Sie fanden das Gelände hier bis auf einige Patrouillen frei vom Feind.
Auf die entsprechende Meldung hin schob das Bataillon eine seiner Kompagnien über die Oise vor, mit den andern besetzte es Ribécourt und die Kanalbrücke. 2 Kompagnien des Gegners, welche – anscheinend abgeschnitten – von Pimprez her auf Ribécourt marschierten, wurden mit Feuer empfangen und ergaben sich. Ähnliches Schicksal hatten Franzosen, welche von Ville und Dreslincourt her abziehen wollten.
Das II. Bataillon kämpfte sich indessen mühsam in Richtung Antoval vor, überwand verschiedene M.-G.-Nester und nahm 2 noch feuernde 15 Zentimeter-Batterien. Von einer dritten entflohen im letzten Augenblick die Bedienungsmannschaften, die Ge-schütze fielen in die Hand des II./R. 120. In Antoval und Cambronne stieß das Bataillon auf starken französischen Widerstand, die deutsche Kraft reichte nicht mehr aus, den-selben zu brechen, der Siegeszug kam vorläufig ins Stocken.
Das I. Bataillon endlich hatte der Regimentskommandeur über das vom III. genommene Ribécourt nachgezogen und dann gegen Bethancourt angesetzt. Aber auch im letzteren Ort leisteten die Franzosen zähen Widerstand. Da traf gegen 9 abends das II./408 bei unserem Regiment ein.
Mit Hilfe dieser noch ziemlich frischen Truppe und kräftig unterstützt durch das Feuer eines Zuges der Begleitbatterie gelang es, Bethancourt zu nehmen. Doch mußte dabei Haus um Haus dem Feind abgerungen werden.
Jetzt war auch Cambronne und Antoval für den Feind unhaltbar, sie fielen in unsere Hand.
Unsere Verluste am 10. Juni waren weniger schwer gewesen als tags zuvor. Sie betrugen an Toten 2 Offiziere und 13 Mann, an Verwundeten 44 Mann mit 2 Offizieren. Reich, überreich aber war unsere Beute. 34 Geschütze, darunter viele schwere, hatte R. 120 genommen, ferner eine Unmenge M.-G., 1 Auto, Munition, Gewehre, Kriegsmaterial aller Art. Mindestens 800 Gefangene, darunter 20 Offiziere, hatte man nach rückwärts abbefördert.“


aus: „Das Württembergische Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 120 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1920

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