Montag, 16. Juli 2018

16. Juli 1918



„Punkt 1.10 Uhr flammen die Mündungen ungezählter Geschütze auf, heulend und zi-schend rauschen die Geschosse über die dichtgefüllten Gräben hinweg, wie blitzschnelle Glühwürmer sieht man einzelne Geschosse am Nachthimmel feindwärts ihre Bahn ziehen; aber keine Überraschung bringen sie leider dem Gegner, der – sei es durch Ver-rat, sei es durch seine glänzend arbeitende Spionage, der gewissenlose Schwätzer und Wichtigtuer in Feld und Heimat nur allzu reichlichen Stoff lieferten – über Stunde, Mittel und Ziele des Angriffs genau unterrichtet war und die Abwehr aufs zweck-mäßigste vorbereitet hatte. Die französische Artillerie antwortet zuerst lebhaft, aber nach kurzer Zeit verstummen die feindlichen Geschütze. Die drüben mögen genug zu tun haben, um sich vor der verderblichen Wirkung der Gasgranaten zu schützen. Macht sie sich doch infolge der ungünstigen Windrichtung selbst für den Angreifer unangenehm genug fühlbar; in dicken Schwaden zieht Gas und Rauch von der französischen Stellung herüber, so daß auch auf deutscher Seite alles zur Gasmaske greifen muß.
Auf die befohlene Sekunde treten die vorderen Regimenter zum Sturm an, kaum eine Viertelstunde später folgt das Grenadierregiment, in Reihen zu einem, an der Spitze das II. Bataillon, dahinter Regimentsstab, I. Bataillon und Minenwerferkompagnie. Schon kurz nach dem Antreten setzt die Gegenwirkung der französischen Artillerie ein, deren in Erwartung des Angriffs weit zurückgezogene Batterien von der deutschen Artillerie-vorbereitung überhaupt nicht gefaßt worden waren. Schon vor Erreichung des Höhen-rückens Luginsland, der sich zwischen Hochberg und Cornillet erstreckt, geraten die Bataillone in heftige Feuerüberfälle mit Gas- und Splittermunition. Die Verluste waren jedoch trotz des anfangs sich verstärkenden feindlichen Artilleriefeuers relativ gering. Unter den beim Vormarsch Gefallenen befand sich der tapfere Führer der 6./119, Leutnant d. R. Giersch. Am 20. Januar hatte er sich noch im Urlaub am friedlichen Fuß-ballkampf der Regimentsmannschaft gegen die 1. Mannschaft der Stuttgarter Kickers auf deren degerlocher Spielplatz mit Begeisterung und Jugendfrische beteiligt.
Dem unerschrockenen Leutnant d. R. Bruder, der schwer verwundet lag, konnte der Regimentskommandeur im Vorbeigehen noch Trost spenden. Mannhaft ertrug er seine Todeswunde, der er kurze Zeit nachher erliegen mußte.
Beim Überschreiten des Höhenrückens zeigt sich die ganze gegen Prosnes und wei-terhin zur Maas sich dehnende Ebene in einem dichten Schleier von Nebel, Rauch und Gas gehüllt, schweres Feuer liegt auf dem Zwischengelände und der 1. französischen Stellung. Trotzdem erleiden die Bataillone beim Abstieg in die Ebene, wohin zunächst das II. Bataillon im Anschluß an Regt. 121 folgt, nur geringe Verluste. Dagegen wird das feindliche Artilleriefeuer den Begleitbatterien des Feldart.-Regt. 29 und der Infan-teriegeschützbatterie zum Verhängnis. Dicht hinter der Infanterie suchen sie über die zahllosen Gräben und Trichter, über Kalkgeröll, Drahtgewirr und Trümmer von Unter-standsbauten dem Angriff zu folgen, unermüdlich greifen Pioniere und Grenadiere hel-fend in die Speichen der Geschütze und Protzen, aber nur Schritt für Schritt geht es vorwärts und bald fordern die schweren französischen Brisanzgranaten ihre Opfer unter der Bedienung und Bespannung.
Allmählich zerstreut die schon in den Morgenstunden heiß brennende Sonne die Nebel-schwaden und ermöglicht vom Hochberg aus, wo Regiments- und Brigadegefechtsstand sich befinden, einen – wenn auch durch das Grabengewirr und hügelige Trichterfeld beeinträchtigten – Überblick über den Stand des Kampfes. Der Brigadestab hatte, kaum auf dem Hochberg angelangt, durch einen Volltreffer schwere Verluste. Der Regiments-stab entging nur wie durch ein Wunder dem gleichen Schicksal. Die Regimenter vor-derer Linie hatten, dicht hinter der vorwärtsschreitenden Feuerwalze in Rauch und Qualm vordringend, den 1. französischen Graben überschritten. Er war leer, wohl schon vor oder gleich zu Beginn unseres Feuers geräumt, kein Toter, keine Waffe war darin zu finden. Auch der 2. Graben war von den Sturmwellen ohne Widerstand überschritten worden, aber dahinter saß der Franzose in zahlreichen Maschinengewehrnestern, um die alsbald ein wütender Kampf entbrannt war. In stundenlangem heißem und aufreibendem Ringen, Schritt für Schritt den zäh verteidigten Boden erkämpfend, hatten die Sturm-regimenter den Angriff hier vorwärts getragen und standen nun in der Gegend der Rö-merstraße, wo der Kampf teils noch in langsamem Fortschreiten war, teils in heftigem Infanteriefeuergefecht zum Stehen zu kommen drohte. Dicht hinter Regt. 121, zum Ein-greifen bereit, stand das II./119; es hatte, über Wald Beilpicke vorgehend, gegen 9 Uhr vormittags die Gräben westlich Wichmann-Wäldchen erreicht. Das I. war dem II. Bataillon gefolgt und bis in die Gegend des Wichmann-Wäldchens vorgerückt, das III. auf Befehl der Division zunächst am Hochberg verblieben. Hier sah man bald in den zusammengeschossenen Gräben blaugraue Schlangen die Höhe sich heraufwinden, ge-fangene Franzosen, große, kräftige Gestalten, ausgezeichnet genährt und gekleidet, von selbstbewußter Haltung. Was sie auf Befragen erzählten, eröffnete für den Fortgang des Angriffs wenig günstige Aussichten: seit Tagen war ihnen die Stunde des Angriffs be-kannt gewesen, die vordersten Gräben waren geräumt, die Artillerie weit zurückgezo-gen, das Sperrfeuer weittragender Batterien in neuen Stellungen übertragen worden, die vom deutschen Wirkungsschießen überhaupt nicht gefaßt werden konnten. Trotzdem war es gelungen, den Angriff im Divisionsabschnitt auf beinahe 5 Kilometer vorzutra-gen. Bei der rechten Nachbardivision war er vor der 2. Stellung ins Stocken geraten, so daß die vorderen Teile der 26. Division im Kampf um die Römerstraßen-Stellung schwer unter flankierendem Feuer von rechts zu leiden hatten. Mehrfache Versuche der 3. G.-Inf.,-Division, auf die Höhe der von den Regimentern 121 und 125 erreichten Linie vorzustoßen, scheiterten im feindlichen Feuer.
Eine vom Regimentskommandeur zur Verbindung mit der rechten Nachbarbrigade ent-sandte Patrouille meldete 5.20 nachmittags: „Rechtes Regiment der 3. G.-Inf.-Division liegt mit seinen vordersten Teilen an der Römerstraße, linker Flügel stark zurückgebo-gen; dieser (Lehr.-Inf.-Regt.) liegt dicht südlich Parallelwald, vor ihm halten sich die Franzosen in der Römerstraßenstellung (also in der Flanke von Inf.-Regt. 121).“
Zur Sicherung der offenen Flanke und zur Verbindung des rechten Flügels der Division mit dem Lehr-Infanterieregiment wurde nun vom Grenadierregiment „Königin Olga“ das halbe II. Bataillon (6. und 7. Kompagnie) und die 2. M.-G.-K. an der bedrohten Stelle eingesetzt.
Die 8. und 5./119 blieben am Wichmann-Wäldchen zur Verfügung des Regimentskom-mandeurs.
Oberst Frhr. v. Gemmingen hatte von 1.30 Uhr nachmittags den Regimentsgefechtsstand in der 2. französischen Stellung nördlich des Wäldchens Beilpicke, das, gänzlich zer-schossen, nicht mehr als Wald zu erkennen war, eingenommen.
Dem Inf.-Regt. 125 waren auf Befehl der Brigade 2 Kompagnien des I./119 (1. und 2.) zur Verfügung gestellt worden.
Von stundenlangem erbittertem Kampf in Sonnenglut, Qualm und Kreidestaub er-schöpft, lagen die Angreifer vor dem stark ausgebauten feindlichen Stellungssystem an der Römerstraße. Ein auf 7 Uhr abends befohlener neuer Angriff der 3. G.-Inf.-Division, 26. Inf.-Division und der links vorgehenden G.-E.-Division kam bei ungenügender Artillerievorbereitung und starker feindlicher Gegenwirkung nicht zur Entwicklung.
Nachdem Teile der Artillerie in der Nacht weiter vorgezogen worden waren, wurde am Vormittag des 16. Juli der Angriff auf Prosnes erneuert. Das II. Bataillon mit der 6. und 7. Kompagnie und 2. M.-G.-K. in vorderster Linie griff 11 Uhr vormittags zusammen mit dem I./121 und der rechts stehenden Garde an. Im heftigsten Artillerie- und Maschi-nengewehrfeuer stießen die Kompagnien bis fast an den Nordrand des Dorfes vor. Aber der Gegner stand hier in wohlvorbereiteten, planmäßig ausgebauten Stellungen unter dem Schutze seiner unversehrten mächtigen Artillerie, während die eigene Artillerie über das Trichtergelände nur zum kleinsten Teile hatte folgen können. Die Anschluß-truppen rechts stießen auf unüberwindlichen Widerstand und wie ein Keil ragte die 6. Kompagnie aus der allgemeinen Linie heraus, notdürftig durch die 7. Kompagnie gegen Flankenangriffe gesichert. Die Lage war auf die Dauer nicht haltbar und zur Vermei-dung weiterer Verluste wurden die beiden Kompagnien nachmittags wieder in die Römerstraßenstellung zurückgenommen.“


aus: „Das Grenadier-Regiment „Königin Olga“ (1. Württ.) Nr. 119 im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1927

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