Sonntag, 1. Juli 2018

1. Juli 1918



„Der Kommandeur des I. Bataillons – Fürst Zeil – setzte seine letzte Reserve, zwei ihm unterstellte Kompanien des Bereitschaftsbataillons (5. und 6. Kompanie) ein, der Kommandeur des II. Bataillons – Hauptmann Franke – seine letzte Kompanie, die 8. Die außerordentlich schwache 7. Kompanie blieb im Bahndamm als Rückhalt zurück. Die vorstoßenden Kompanien mußten das englische Abriegelungsfeuer durchschreiten – ganze Gruppen rissen die feindlichen Granaten hinweg – aber sie erreichten die vorne um ihre Gräben kämpfende Besatzung.
Das hin- und herwogende Nachtgefecht, der Wechsel von Gegenangriff, Ausweichen, Wiedervorstürmen, Wiederverlieren und Wiedernehmen eines Grabenstückes flaute erst ab, als das erste Morgenlicht hinter den Bergen von La Boisselle empordämmerte. Erschöpft schwieg dann auf beiden Seiten die Kampftätigkeit.
Als es hell wurde, lag der Engländer in K 1 des I. (rechten) Bataillons und dem Vor-postengraben des III. (linken) Bataillons.
Der stellvertretende Regimentsführer, Major Reich, befahl daher als das vorerst Not-wendigste das Ordnen der durcheinandergekommenen Verbände. Sollte nicht die ganze Front bei Albert zusammenbrechen, so mußte zunächst die jetzige Linie des Regiments gehalten werden. Dann erst, wenn für alle Fälle geschlossene Kampfeinheiten bereit stünden, sollten Stoßtrupps die verlorenen Gräben aufrollen.
Die einzige Reserve des Regiments war die 7. Kompanie. Diese war aber so schwach, daß sie nur als Sicherheitsbesatzung für den Bahneinschnitt verwendet werden konnte. Die Division stellte daher dem Regiment das III./478 unter Hauptmann Rösler zur Verfügung. Es waren – 65 Mann; die anderen waren grippekrank.
Auch mit dieser „Streitmacht“ war ein planmäßiger Gegenangriff aussichtslos. Es blieb also nichts übrig, als mit Stoßtrupps dem Gegner zu Leibe zu rücken. Und der Unter-nehmungsgeist der kleinen Stoßtrupps bewährte sich glänzend. Um 4 Uhr nachmittags drang Leutnant Bräuchle mit Teilen der 8. und 6. Kompanie von Punkt C aus, jede einzelne Schulterwehr mit Handgranaten erkämpfend, im K 1 nach Norden vor bis zum Punkt B. Sergeant Engst half dabei mit seinem leichten Minenwerfer kräftig mit. Um 9.30 Uhr abends brach Leutnant Hiller mit Mannschaften der 4./122 und des III./478 beim Maschinengewehrnest Adam in den K 1 und drängte den Gegner im Graben nach Punkt B zu. Eingezwängt zwischen die Handgranatensalven der Stoßtrupps des Leutnants Hiller und Bräuchle und bearbeitet von dem Minenfeuer des Sergeant Engst, begann der Feind allmählich zu wanken: um 10.15 Uhr abends rannte die ganze englische Besatzung übers freie Feld zurück. Das deutsche Maschinengewehrfeuer riß blutige Lücken in die flüchtenden Reihen. Eine englische Kompanie wollte die Aus-reißer wieder vorreißen. Als ihr aber von allen Seiten deutsches Feuer entgegenschlug, kehrte sie wieder in den Vorfeldgraben zurück.
Damit war am 1. Juli abends der Kampfgraben wieder in der Hand des Regiments. Nur im Vorpostengraben saß noch der Feind.
Am 3. Juli, bei beginnender Nacht, büßte der Engländer auch diesen Graben vollends ein. Die englische Besatzung erlag dem Ansturm von Teilen des Infanterie-Regiments 479 und den Stoßtrupps des Jäger-Sturmbataillons 3. die dem Regiment unterstellt worden waren. Klar und sicher hatte Major Reich den Gegenangriff angelegt – tapfer führten die Sturmtruppen ihn aus. Was dem Bajonett und den Handgranaten nicht wich, vertrieben die Flammenwerfer.
In der genommenen Stellung sah es fürchterlich aus. An einer Stelle hatten die Eng-länder ihre Toten benützt, um mit ihnen den Graben abzudämmen. Viele Gefallene waren in der Hitze schon in Verwesung übergegangen. Andere waren nur lose mit Erde bedeckt, so daß Köpfe, erstarrte Hände und Füße aus dem Boden hervorragten. Ein fast unerträglicher Leichengeruch verpestete die Luft.
Auch mancher Kamerad wurde unter den Toten vorne wiedergefunden. Im Vorposten-graben der 1. Kompanie lag, das Gewehr noch krampfhaft in der Hand, Sergeant Kappler, einer der Tapfersten des Regiments. Seine Brust war von Bajonettstichen durchbohrt. Das Eiserne Kreuz 1. Klasse glänzte noch an dem blutgetränkten Waffen-rock. Neben ihm lag, im Handgemenge gefallen, fast die ganze Vorfeldbesatzung der 1. Kompanie. Die 3. Kompanie suchte mehrere Nächte lang nach ihrem Kompanieführer, Leutnant d. R. Kern. Er war beim Gegenstoß im Zwischengelände schwer verwundet zusammengebrochen und ist bis auf den heutigen Tag verschollen geblieben.“

aus: „Das Füsilier-Regiment Kaiser Franz Joseph von Österreich, König von Ungarn (4. württ.) Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1921

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