Mittwoch, 18. Juli 2018

18. Juli 1918



„Der Rückmarsch war noch eine recht schwierige Sache. Stockdunkel war die Nacht, es regnete in Strömen. Die beiden Marneübergänge, die Schleuse nördlich Mareuil und die Brücke bei Trissy lagen unter ständigem Feuer. Der Gegner hatte offenbar besondere Überwachungs-Batterien angesetzt, die Tag und Nacht auf die Übergänge zu schießen hatten. Alle Augenblicke lohte dort eine Feuergarbe auf, gefolgt von einem donnerähn-lichen Schlag. Recht verlockende Aussichten für den Gang über die Brücken! Doch, was half’s? Man mußte. Sobald allemal eine „Schwere“ eingeschlagen hatte, rannte wieder ein Trupp über die Brücke – und schon heulte die nächste Granate heran. Am schwierigsten war die Sache natürlich mit den Pferden. Aber auch das wurde geschafft. Gegen 3 Uhr früh traf man, naß bis auf die Haut, in Vandières ein, das mit Truppen und Bagagen vollgepfropft war. An ein Quartier war nicht zu denken. Trotz der naßkalten Nacht mußte biwackiert werden. Unter Zelten und Fahrzeugen, unter Wagenplanen und Kistendeckeln suchte jeder vor Regen und Kälte Schutz so gut es ging. Die Müdigkeit war glücklicherweise so groß, daß man in der unmöglichsten Stellung schlief. Leider störte gegen Morgen die feindliche Artillerie. Unvermittelt flogen einige dicke Brocken in unsere Nähe – als Warnung. Aber was tun? Wo denn hin? Man pennte weiter, bis es gegen Morgen fröstelig wurde. Man stand auf, rekelte sich, rieb die Augen aus und trank einen Schnaps – so vorhanden. Damit war die Toilette beendet. Bald zog die Sonne herauf und weckte die alten Lebensgeister wieder. Vormittags wurden Waffen gereinigt und die Bekleidung  der nötigsten Reinigung unterzogen. Auch Pferde und Tragetiere wurden wieder mal geputzt. Dabei war aber Vorsicht geboten, da man vom feindwär-tigen Flußufer eingesehen war. Außerdem kreisten zahllose Flieger über dem Marnetal. Wollte man nicht Gefahr laufen, noch einmal eine Nacht wie in Arcis le Ponsart zu erleben, so mußte alles geschehen, um nicht erkannt zu werden. Die gegen die Marne-übergänge angesetzten Bombengeschwader kehrten immer wieder. Einigemal warfen sie neben Aufschlagbomben auch solche mit Brennzündern, die wie ein Baldachin aus Rauch und Feuer über den Brücken hingen. Der Überblick, den unser Standpunkt über das Gefechtsfeld bot, zeigte unaufhörlich neue Bilder. Hier war es ein Luftkampf, dort der Einschlag schwarzer Granaten, da ein erstürmter Schützengraben in zertrampeltem Kornfeld. Tote Pferde, aufgedunsen, die Beine von sich gestreckt, lagen umher und verbreiteten süßlichen Leichengeruch. Auch gefallene Franzosen sah man noch da und dort in den Weinbergen und Ährenfeldern, blaß und steif mit gläsernen Augen.
Nachdem Mann und Roß wieder leidlich gesäubert waren, ging es daran, die stark zusammengeschmolzenen Verbände neu zu ordnen. Aus allen 6 Schützenkompagnien, die vor zehn Tagen zum Kampf gezogen waren, konnten gerade noch 2 Kompagnien gebildet werden: Die Kompagnie Heubach aus der bisherigen 1., 2. und 6. Kompagnie und die Kompagnie Schrop aus der 3., 4. und 5. Kompagnie. So hatte die 2. Marne-Schlacht unsere Reihen gelichtet! Zu alledem schied an diesem Abend auch noch die brave Infanteriegeschütz-Batterie aus dem Verbande des Regiments, um nach Coulonges zu rücken. Nur ungern ließen wir diese lieben Waffengefährten und treuen Helfer ziehen, die uns in manch heißer Stunde brüderlich zur Seite gestanden. Unvergessen werden sie in unserer Erinnerung fortleben, die tapferen Kanoniere und Fahrer der I. G. B. 4, voran ihr trefflicher Führer, Leutnant Feninger. Noch hörte man in der Ferne das Rasseln der Geschütze, als die Sonne hinter dem bewaldeten Horizont versank. An der Front aber zuckte Geschützfeuer. Auch wir sollten von diesem „Abendsegen“ nicht verschont bleiben. Eben waren die Kompagnien dabei, sich unter Zelten und Wagen-decken zur Ruhe zu legen, als das Schicksal jäh dazwischen griff. Granaten krepierten – schwarzer Qualm – getroffen lagen einige Kameraden am Boden. Mit hastigem Griff wurden Gewehr und Gepäck erfaßt, Zeltbahn und Decke genommen und gelaufen, nordwärts dem Walde zu. Dort war es ruhiger, dort konnte man die gestörte Nachtruhe fortsetzen. Der Troß wurde an den Nordrand des Trotte-Waldes geschickt.
Während wir so bei Vandières lagen, hatten unsere M. G.-Kompagnien an den Marne-brücken keine leichte Arbeit. Die feindliche Artillerie, die fortgesetzt an Stärke gewann, verfolgte jede Bewegung vor allem an den Brückenstellen mit beobachtetem Feuer. Unter Einsatz ungeheurer Munition versuchte sie den Verkehr über die Marne zu sper-ren, um den südlich liegenden Truppen den Nachschub abzuschneiden.
Auch gegen Vandières hatte sich das feindliche Feuer verstärkt. Auf Anordnung der Brigade wurde deshalb das Regiment an den Nordrand des Trotte-Waldes verlegt. Hier bat der Regiments-Kommandeur angesichts der schweren Verluste des auf ein Drittel zusammengeschmolzenen Regiments das Armee-Oberkommando um Ablösung, um nicht durch erneuten Einsatz die Bataillone völlig aufzureiben. das A. O. K. würdigte diese Verhältnisse. Noch am Nachmittag wurde das Regiment als Divisionsreserve nach dem Wald Garenne de Villers Agron zurückgenommen.“

aus: „Die Geschichte der Württembergischen Gebirgsschützen“ׅ, Stuttgart 1933

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