Montag, 22. Oktober 2018

22. Oktober 1918



„Etwa um 2.30 nachts ging beim Regiment der Befehl ein, daß heute, am 22. Oktober um 7.30 früh, der Angriff festgesetzt wird. Der Feind muß über die Aisne zurückge-worfen werden.
Patrouillen des I. und II. Batls. haben durch ständiges Vorfühlen festgestellt, daß der Feind noch da ist, wo er sich gestern abend eingeschanzt hat. Dauernd liegt eigenes Sperrfeuer auf den Brücken über die Aisne und den Straßen zwischen dem Dorf Vandy und der Stadt Vouziers.
Punkt 7.20 früh setzt unsere Artillerie zu kurzem, energischen Feuerschlag ein; sofort fordert der Franzose durch gelbe Leuchtkugeln Sperrfeuer an, das alsbald kommt. Punkt 7.30 brechen unsere tapferen Männer aus ihren Löchern hervor; sofort knattert wieder aus der rechten Flanke rasendes Maschinengwehrfeuer und bringt dem II. Batl. schwere Verluste bei. Langsam kommt links das I. Batl. vorwärts, sein Kommandeur, Haupt-mann d. R. Schier, ist bei der vordersten Linie, er dringt bis ganz nahe vor den ersten Graben der Brunhildenstellung vor; obwohl am rechten Knie durchschossen, verläßt er sein Batl. nicht, und harrt aus, bis der Blutverlust ihn zwingt, das Kommando an Leut-nant d. R. Kaufmann abzugeben. Nach 9 Uhr ist die Höhe 163, die sich zwischen der Oldershauser- und der Sibyllenhöhe vorwärts erhebt, in der Hand des I. Batls. Unser Artilleriefeuer liegt zu weit vorne, es muß näher herangezogen werden, der Infanterie-angriff geht nicht so schnell vorwärts, wie die Artilleristen wohl annehmen.
Ein feindliches Fliegergeschwader erscheint ohne tätig zu werden. Von der Kuppe 172 südwestlich der Oldershauserhöhe setzt Maschinengewehrfeuer dem II. Batl stark zu; mit Erfolg richtet unsere Begleitbatterie ihr Feuer dorthin, immer noch ist die 9./Feld-art.-Reg. 6, die uns für heute in Aussicht gestellt ist, nicht da. Das Regiment fordert diese Batterie dringend von der Untergruppe an, sie soll sofort über Quatre Champs auf der Straße nach Vandy vorkommen; dort wird sie den Regimentskommandeur finden. Aus dem Gefechtslärm links bei 127 und 475 erkennen wir, daß es auch dort vorwärts geht, aber unser rechter Nachbar greift nicht mit an.
Gegen 11 Uhr kommt der erwartete feindliche Gegenstoß mit endlosen Massen, er richtet sich in der Hauptsache gegen das I. Batl. auf Höhe 163. Hauptmann d. R. Schier, der trotz seiner Verwundung noch hier steht, nimmt seine tapferen Männer – es sind höchstens 80 Mann – geordnet nach de Ausgangsstellung zurück. Dort bricht sich der feindliche Stoß, kein Franzose kommt einen Schritt weiter. Von einem Einsatz der schwachen Reste des bayr. Res.-Reg. 24, die in Aussicht gestellt werden, verspricht sich der Regimentskommandeur keinen Erfolg. Wir müssen, zum Angriff zu schwach, halten was wir haben. Der Regimentskommandeur fordert leichte Maschinengewehre und Bedienungsmannschaften und Draht an, um die Waldränder zu verdrahten. Der uner-müdliche Ordonnanzoffizier, Leutnant d. R. Gottlob Berger, stellt beim Nachbarregi-ment rechts die Lage fest. Allem nach hat dieses Regiment den Angriff nicht mitge-macht, jedenfalls ist ein Erfolg nicht zu verzeichnen.
Unser III. Batl. unter Hauptmann Jörling war auf dem linken Flügel des Schlachtfeldes neben dem III. Batl. 2. bayr. Inf.-Reg. unter Hauptmann Schenk eingesetzt worden. Es hatte am 21. Oktober mehrere Tschecho-Slowaken gefangen genommen und war am 22. Oktober früh eingesetzt worden, von Süden her die Brunhildenstellung am Hang der Sibyllenhöhe rechts herauf aufzurollen. Nach gutem Vordringen von einigen hundert Metern stockte der Angriff in dem unübersichtlichen Gelände. Ein Volltreffer brachte dem in vorderster Linie befindlichen Bataillonsstab empfindliche Verluste bei. Erbittert wird um einen Stollen, dann an der Ban-Mühle am Fournellesbach, wo der Bataillons-arzt Dr. Weinhardt zeitweise den Verbandplatz eingerichtet hat, gekämpft. Wieder und wieder schlagen schwere deutsche Granaten auf diese unsere Stellung nieder; nach rückwärts gesandte Meldungen um Abhilfe bleiben ohne Erfolg.
Gegen 4 Uhr abends setzt feindliches Maschinengwehrfeuer ein; feindliche Leuchtku-geln fallen dicht vor uns nieder, wo die 3. M. G. K. unter Leutnant Frhr. v. Hermann mit Vizefeldwebel Berger und Unteroffizier Gasser aus ihren 6 M. Gs. und einem erbeuteten französischen Maschinengewehr unermüdlich schießt. Jetzt kommen feindliche Maschi-nengewehrgeschosse auch von hinten. Da bleibt dem Hauptmann Jörling, der die Stel-lung bis zum äußersten hielt,  dem aber ein Gegenstoß des Inf.-Reg. 127 keine Entlas-tung gebracht hatte, nichts übrig, als den Rückzugsbefehl zu geben, mit seinem Stab Mann hinter Mann den Unterstand zu verlassen und sich in dem Gestrüpp nach rück-wärts durchzuschlagen. Dem Bataillonsadjutanten Leutnant Gunkel gelingt es; Leutnant Frhr. v. Hermann fällt auf einen Misthaufen und als er wieder aufsteht, sieht er Haupt-mann Jörling, Leutnant Winter, den Regimentstambour Vizefeldwebel Dettling, Vize-feldwebel Berger und Unteroffizier Gasser nicht mehr.
Die Reste des Bataillons, etwa 70 – 80 Mann, sammeln sich mit 3 Maschinengewehren der 3. M. G. K., die ihre Kastenmunition gerettet hatte, bei Hauptmann Schenk, der sie bei Claire-Fontaine unter dem Kommando des Leutnants Gunkel aufbaut. Vergeblich warten dieser Adjutant und das Bataillon auf den Kommandeur – Hauptmann Jörling kommt nicht mehr. Er war mit der Pistole in der Hand in dem Gestrüpp von einem großen Haufen Tschechen umringt worden und fiel in die Hände des Feindes; ebenso der Rest des Stabes.
So verlor das III. Batl. seinen Kommandeur, der es seit Juli 1917 kommandiert und vor Reims, vor Verdun, bei Conchy, an der Arnes und an der Aisne mit größter Auszeich-nung geführt hatte, geliebt und verehrt von jedem Mann und jedem Offizier. Das Batail-lon unter Leutnant Gunkel ist dann von dem III. Batl. Inf.-Reg. 127 unter Hauptmann v. Hartlieb aufgenommen worden und hielt die Verbindung nach links mit dem Käseberg, bis später Hauptmann Sautermeister vom Inf.-Reg. 475 das Kommando übernahm.
Sobald die Verhältnisse es erlauben, wird an der ganzen Front mit Nachdruck gearbeitet. Leider hat der Verlauf des Tages nicht gehalten, was der Morgen versprach, dagegen haben wir viele Helden verloren; es fehlt der Tapferste der Tapferen, Hauptmann Jörling und der heldenmütige Hauptmann Schier. Solche Führer, solche Vorbilder in allen mili-tärischen Tugenden sind nicht mehr ersetzt worden.“

aus: „Die Geschichte des Württembergischen Infanterie-Regiments Nr. 476 im Weltkrieg“, Stuttgart 1921

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