Freitag, 31. Juli 2015

31. Juli 1915


Aus einem Bericht des Leutnants Wollinsky (Zugführer 6./IR 126):
„Auf dem Morgen des 30. Juli war der Sturm festgesetzt. Alles war bis ins kleinste hinein vorbereitet. Die Drahthindernisse vor der Front waren beseitigt, Sappen zur schnellen Verbindung mit dem anzugreifenden feindlichen Graben vorgetrieben, Munitions- und Materiallager angelegt, Verbandzeug und Sanitätsunterstände herge-richtet.
Die Nacht war im Begriff, einem herrlichen Sommertage Platz zu machen. Im Park Vogelgezwitscher; leichter Nebel verwischte die Spuren des Krieges. Hin und wieder ein Flintenschuß, sonst sonntägliche Stille. Es wird 4 Uhr vorüber sein. Da – ein dumpfer Klang, ein heller Streifen am dunklen Himmel, ein ohrenbetäubender Krach, und plötzlich fängt der Himmel an zu flammen, die Erde zu brennen und zu donnern. Artillerie, Minen- und Flammenwerfer speien ihr todbringendes Feuer in die feindlichen Gräben. Dunkle Gestalten lösen sich von den deutschen Gräben. Immer mehr werden es, die Hinteren suchen die Vorderen zu überholen. In allen ist ein Drang nach vorwärts, ran an den Feind. Es gilt, die Überraschung auszunützen.
Schon fangen die feindlichen Maschinengewehre an zu rattern, Schrapnells platzen über den Köpfen der Stürmenden, eine schwere Mine schwirrt über sie hinweg, ein ohrenzerreißender Krach. – aber alles ist schon in ihrem Rücken.
Mit einem Sprung sind die schwachen feindlichen Hindernisse genommen. Jetzt hinein in den Graben. Wir haben da 8. Bataillon der Londoner Rifles-Brigade gegen uns, die zur 1. Kitchener-Armee gehört, lauter junge, kräftige Leute; doch den deutschen Anprall halten sie nicht aus. Im Augenblick ist der erste Graben mit Bajonett und Handgranaten gesäubert. Nur aus den Häusertrümmern heraus ertönt das gleichmäßige Rattern der englischen Maschinengewehre. Lichter und lichter werden unsere Reihen. Bloß jetzt kein Stutzen! Soll der so erfolgreich begonnene Angriff an ein paar englischen Maschinengewehren scheitern?
„Vorwärts, mir nach!“ hört man den Führer rufen. Mit welcher Wut und Erbitterung stürzen sich die jugendfrischen kräftigen Gestalten durch den Geschoßhagel der Maschinengewehre hindurch! Viele stürzen und fallen; doch was übrig bleibt, genügt. Von den englischen Maschinengewehr-Schützen ist keiner davongekommen. Und weiter bahnen sie sich über blutende, zuckende Körper hinweg den Weg. Nur keinen Aufenthalt! Verwundete zu besorgen und verborgene Schlupfwinkel nach Gefangenen auszusuchen, ist Sache der andern, die folgen. Schweißtriefend und mit Blut besudelt kommen die ersten am Ziele an. 4 Maschinengewehre und 5 Minenwerfer haben sie erbeutet. Gefangene wurden in der rasenden Wut des Kampfes nur wenige gemacht.
Gerne wären sie weitergestürmt, dem fliehenden Gegner nach, ehe er seine Reserve-stellung am Zuavenwäldchen erreicht. Kaum konnten die Führer sie zurückhalten. Weiter vor durfte jedoch der Angriff ohne Unterstützung von rechts und links nicht getragen werden.
Also Spaten heraus und sofort angefangen, den Graben zur Verteidigung einzurichten! Der Gegenangriff wird nicht lange auf sich warten lassen.
Dabei nur kein Erschlaffen und kein Ausruhen! Mit fiebernder Eile wird gearbeitet. Aber schon hat die feindliche Artillerie uns gefunden, schon kommen die ersten Granaten, – näher und näher schlagen sie ein, zerfetzen den grünen Wiesenteppich vor und hinter uns und da haut auch schon ein Volltreffer in den Graben. Andere folgen; es gibt Tote, Verwundete, Verschüttete; aber die Arbeit geht weiter.
3 Uhr nachmittags steigert sich das Schießen zum Trommelfeuer. Ein Pfeifen und Sausen, ein Donnern und Krachen in blitzschneller Folge, 40 Minuten lang – Graben-wände stürzen, Verwundete stöhnen; aber fest und aufrecht steht der Posten in seiner Nische, den starren Blick dem Feinde zugewendet, die Nerven zum Zerreißen gespannt.
Und da steigen sie auch schon aus dem Graben, in dichten Massen. Ordentlich gemächlich im Bewußtsein, die da drüben sind jedenfalls erledigt, kommen sie näher. – das bricht den Bann; ein Sprung und unsere Leute sind an der Brustwehr. Und wir schießen, laden, schießen, bis der Lauf zu glühen anfängt. 100 m kommen sie über den Graben hinaus, 100 m haben sie noch bis zu dem unsrigen; da bricht der Sturm zusammen. Nur ganz wenige erreichen ihren Graben wieder.
Von neuem heulen die Granaten. Auf alle Verbindungswege bis zurück zu den Reserven legt sich das Feuer und dauert den ganzen Tag und die ganze Nacht. Um Mitternacht setzt wieder Trommelfeuer ein. der Himmel flammt von dem Mündungsfeuer der schweren Geschütze, leuchtende Geschoßbahnen zerschneiden den nächtlichen Himmel, blitzartig, taghell beleuchten die Flammen der platzenden Granaten und Schrapnells den Graben.
Um 3 Uhr morgens schweigt das Feuer auf einen Schlag. Leuchtkugeln aller Farben schießen in die Höhe und wie aus dem Boden gewachsen tauchen dunkle Gestalten unmittelbar vor dem Graben auf und schleudern ihre Handgranaten gegen die zusam-mengeschmolzene Besatzung. Aber noch ist die Kampfkraft unserer wackeren Schwaben nicht gebrochen; hinüber und herüber fliegen die kleinen Granaten und bald ist die Luft mit dichtem Qualm und Rauch erfüllt, der kaum mehr zu atmen gestattet; aber mit letzter Kraft wird der Feind, der an einer Stelle schon eingedrungen, in das Dunkel zurückgeschleudert. Nach einer halben Stunde ist die Gefahr vorbei. Der Feind findet nicht mehr die Kraft, seinen Angriff zu erneuern.
Aber auch wir waren völlig erschöpft. Seit 30 Stunden hatte niemand ein Auge zugetan. Zu essen und trinken gab’s nichts mehr. Vorgebracht konnte nichts werden. Die Verbindungswege waren eingeebnet und das Sperrfeuer schnitt uns fast vollständig von hinten ab. Wir waren froh, wenn wir die notwendigen Patronen und Handgranaten bekamen. Trotzdem hielten wir noch einmal 30 Stunden in dem bald anschwellenden, bald abschwellenden, aber nie aufhörenden Artilleriefeuer aus. Endlich am Abend des 1. August wurden die Sturmkompagnien vom 30. Juli durch unser III. Bataillon abgelöst.“

Ein englischer Offizier schreibt in der „Morning-Post“ unter der Überschrift „Die Hölle von Hooge“ über die Kämpfe vom 30. Juli bis 1. August:
„Unsere Nerven haben das Schlimmste über sich ergehen lassen müssen, was wir je auszustehen hatten. Wir haben die Kämpfe bei Hooge mitgemacht, über die in den Zeitungen so leicht hinweggeglitten wird, die aber in Wirklichkeit eine mörderische und fürchterliche Schlacht waren. Wer das Schlachtfeld jetzt sieht, dem gerinnt das Blut in den Adern. Von dem Wald, der dort einst stand, ist nichts als der Name geblieben. Ihrer Blätter und Äste beraubt, sanken selbst die nackten Stämme zerschmettert zu Boden. Natürlich fanden eine Menge der Unsern ihren Tod.
Die Deutschen hatten eine unserer Divisionen ganz unverhofft überfallen und unter schweres Feuer genommen. Unsere Jungens ertrugen das, ohne sich vom Platze zu rühren; aber als die Hunnen ihnen flüssiges Feuer herüberschickten, war es ihnen doch zu viel, und sie zogen sich deshalb zurück. Kein Mensch kann solch einen Feuerregen aushalten.
Unsere Division, die im Rufe steht, noch nie zurückgewichen zu sein, wurde in die Richtung der verlorengegangenen Laufgräben dirigiert. Natürlich liefen sofort aufre-gende Gerüchte durch unsere Reihen. Wir waren zwar gänzlich im Dunkeln über die uns zufallende Aufgabe gelassen, konnten uns aber nach vorausgegangenen Erfahrungen  sehr wohl denken, worauf es abgesehen war. Als der General unsere Ahnung mit einer Rede bestätigte, in der er an unser Ehrgefühl appellierte, die berühmten Traditionen der Division hochzuhalten, war jeder bereit, das Seine zu tun. Frohgemut marschierten sie in ihr Verderben. Um Mitternacht setzte unsere Artillerie ein und schien die Hunnen im ganzen Umkreis unter Feuer zu nehmen. Die Hunnen antworteten von allen Richtungen her, und das Krachen der Explosionen und Donnern der Tausende von Kanonen war einfach ohrenbetäubend und nervenzerreißend. Meilenweit sah man nichts als Rauch in den merkwürdigsten Schattierungen Etwa eine Stunde später konzentrierte unsere Artillerie ihr Feuer auf die Hoogestellung. Sandsäcke, Steine, Bretter, Erde, Ziegel, alles bewegliche Gut wirbelte in der Luft herum. Gewehrfeuer, Bomben, Granaten, Lauf-grabenmörser und Maschinengewehre, alles rasselte und knatterte durcheinander und machte ein Höllengetöse. Der fürchterliche Lärm erstickte selbst das britische Hoch, als wir sahen, wie die Hunnen ihre Kanonen aus der vordersten Linie zurückzogen. Unsere Infanterie stürzte über den Hügel vor. Wir machten ein paar Gefangene, eroberten unsere verlorenen Laufgräben zurück und begaben uns sofort an die Befestigungs-arbeiten. Schon in der Nacht darauf machte der Feind den Gegenangriff und ein furchtbares Handgemenge entstand. Wir haben seither einen der zurückgewonnenen Laufgräben wieder aufgegeben, weil er unhaltbar war und unter Kreuzfeuer stand, was aber unsere Stellung nicht beeinträchtigt hat. Eines Tages wird die Geschichte dieses Kampfes geschrieben werden. Dann wird man hören, wie unsere Division sich dabei selbst übertraf. Mein Gott, wie will ich froh sein, dieser Hölle zu entrinnen.“


aus: „Das 8. Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 126 „Großherzog Friedrich von Baden“ im Weltkrieg 1914-1918ׅ, Stuttgart 1929

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