Montag, 20. Juli 2015

20. Juli 1915


„An der großen, von Südwesten nach der Festung Roshan führenden Straße hatte der Feind sich mehrere Schanzen errichtet und mit M.-G. besetzt. Zusammen mit II./125 entfalteten sich 10. und 12. Kompagnie während der Nacht bei Regen und arbeiteten sich bis auf 500 Meter an den Feind heran. Im Zwielicht schlängeln sich die Schützen der 5. und 8. Kompagnie und Stabstruppe II. Bataillon vorwärts und stellen sich mit den Reserven bereit. Schon am 19. Juli mittags wird ein Detachement Frommann, bestehend aus 6. und 7. Kompagnie und einem Zug M.-G. gebildet und auf Meldungen, daß der Feind über Pruschki im Anmarsch sei, dorthin entsandt, um gleichzeitig die rechte Flanke der Angriffstruppen zu decken.
Den Morgen begrüßen die ersten Artillerieschüsse. Nun da es Tag war, sah man das Feld zwischen den Kompagnien und der anzugreifenden Höhe 132 weit sich dehnen. Vorsichtig arbeiteten sich die Schützen vor, dort ein Zug, da eine Gruppe, das noch spärlich stehende Getreide bot wenig Deckung.
Über solch mühsamer Annäherungsarbeit stieg die Sonne höher und höher. Es gelang allen Teilen auf Sturmentfernung heranzukommen. Je mehr das Infanteriefeuer verstummte, um so stärker tobte die feindliche Artillerie. Doch auch unsererseits schlug Treffer auf Treffer in die feindlichen Erdaufwürfe und hüllte sie in eine fahlgelbe Wolke. Jetzt war es Zeit! Um 10 Uhr vormittags kam der Befehl zum Sturm. Gebückt in schärfstem Lauf ging es vorwärts, nur wenig Infanteriefeuer war noch zu spüren; durch die zerschossenen Hindernisse stürzt die Schar der Stürmenden mit brausendem Hurra auf den Feind.
Allen voran eilt der Unteroffizier Weckerle der 5. Kompagnie – er war auf vorgeschobenem Posten – als er seine Kompagnie zum Angriff kommen sah; so stand er mit seinen getreuen Begleitern zunächst allein einer feindlichen Besetzung von 120 Mann, die nachher gefangen wurde, gegenüber. Im stärksten Feuer. 30 Schritt jenseits der Schanze, kriecht er seinem verwundeten Leutnant Eisenbraun zu Hilfe und schafft ihn auf seinem Rücken in die Schanze, begab sich wieder nach vorne und übernahm die Führung des Zuges. Gegen Mittag am Kopf selbst nicht unerheblich verwundet, lehnt er es ab, zurückzugehen und bleibt bis zum andern Morgen auf dem Gefechtsfeld. Das E. K. I belohnte sein ehrenvolles Verhalten. Zum Teil ohne Mantel und Waffenrock, Entsetzen und Angst in den Gesichtern, flohen die Russen ins Innere der Festung. Viele ergeben sich mit erhobenen Händen. Die Schanzen und damit die Hauptlinie hat das Regiment in Besitz; eine Verbindung nach rückwärts über die deckungslose Ebene war jedoch unmöglich. 42 Tote, 145 Verwundete (darunter 7 Offiziere) verloren das II. und III. Bataillon.
Wie meist, so war auch hier der Sturm nur der Anfang eines wütenden Kampfes. Schon kamen in weiter Ferne sichtbar starke russische Schützenlinien heran; unsere wohlgezielten Kugeln schlugen ihnen entgegen. Ein kurz vorher erobertes M.-G. wurde in Stellung gebracht und kräftig in Tätigkeit gesetzt. Überhaupt sparten die Leute ihre Munition dadurch, daß sie aus den zahlreich erbeuteten Gewehren mit russischer Munition schossen. Immer dünner wurden die feindlichen Reihen; der Rest flutet in die Gräben zurück.
Die eroberte Stellung wurde während der Nacht mit Sandsäcken und Hindernissen sorgfältig ausgebaut. Im Morgengrauen waren die feindlichen Gräben leer, die Russen waren über den Narew zurückgegangen.
Roshan, Stadt und Festung waren in unserer Hand, der Übergang über den Fluß, der sich in wenig eingeschnittenem Tal, breit und träge, durch Sandbänke und mehrere Läufe getrennt, zu den Füßen der Stadt dahinzieht, gesichert.“

aus: „Das Infanterie-Regiment „Alt Württemberg“ (3. Württ.) Nr. 121 im Weltkrieg 1914–1918ׅ, Stuttgart 1921



aus: „Das Infanterie-Regiment „Kaiser Friedrich, König von Preußen“ (7. Württ.) Nr. 125 im Weltkrieg 1914–1918“ׅ, Stuttgart 1923

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