„Richard Pregizer.
Geboren 12. März
1888 in Essingen bei Aalen als Sohn des Pfarrers Albert Pregizer, späteren
Dekans in Böblingen. Besuchte das Gymnasium in Heilbronn. Studierte 1906–12,
erst Theologie, dann neuere Philologie und Geschichte, großenteils in Tübingen,
dazwischen in Freiburg und Paris. Trat Herbst 1906 in die Normannia ein.
Doktorierte im Februar 1912. War nach seinem Examen (Herbst 1912) als
Hilfslehrer in Eßlingen, Göppingen und seit Herbst 1913 in Kirchheim tätig.
Wurde während seiner Abwesenheit im Krieg zum Oberreallehrer ernannt.
Zum Militär
eingerückt 1. Mai 1916 (Inf.-Rgt. 246). Ins Feld am 23. August 1916 zum Füs.-Rgt.
122. Geriet am 5. September 1916 in der schweren Katastrophe seines Regiments
bei Halicz in Galizien in russische Gefangenschaft, kam zunächst in das
Gefangenenlager Jerni-jar bei Astrachan an der unteren Wolga, dann kurze Zeit
zum Arbeitsdienst nach Mologa und war seit April 1917 in Sibirien in dem
Gefangenenlager Krasnojarsk am Jenissei. Dort starb er am 19. April 1920 am
Fleckfieber.
Als Richard
Pregizer im Herbst 1912 die Hochschule verließ, war er noch immer der belebende
Mittelpunkt eines großen Freundeskreises. Er genoß jene unbedingte Liebe und
Verehrung, die dem älteren Studenten so gerne von den jüngeren zufließt, wenn
er auch mit dem Blick auf die ernsteren Lebensaufgaben nicht matt und eng
geworden ist. Seine Persönlichkeit war damals ganz entfaltet und auf dem
Höhepunkt ihrer Wirkung, lachend, genießend, begeistert und doch voll Maß, voll
stiller Treue und Freundesgüte. Er verstand seine Pflicht zu tun, ohne daß
jemand es merkte. Man sah nicht, wenn er arbeitete. Der notwendige Alltag lief
geräuschlos hinter der Szene ab. Er war voll reichen Wissens, so als ob das
alles in ihm selbst gewachsen wäre, eine schöne selbst-verständliche Blüte eines
feinen Gemüts, das sich in guten und reifen Gedanken entfaltete. Ohne Hast und
ohne banausische Mühe nahm er das aus der Welt auf, was zu seinem Wesen paßte.
Sein Temperament wiegte sich in jener schönen Mitte eben-mäßiger Freude und
Tätigkeit, die sich nicht in jähem Ehrgeiz stürmisch verzehrt, noch weniger zu
versanden vermag in dem schlaffen Vergnügen am Niederen.
So hat er gerade
in jener Zeit sein Erstlingswerk geschaffen, vielleicht den Torso von dem
kommenden Lebenswerk eines deutschen Historikers, das wir, schmerzlich auf
seine Rückkehr hoffend, in der Stille unserer Phantasie schon künftig unter
seinen Händen vielleicht entstehen sahen. „Die politischen Ideen des Karl
Follen“ nannte er die Abhandlung, die die politische Geschichte der deutschen
Burschenschaft und ein Stück deutscher Einheits- und Freiheitsbewegung in dem Spiegel einer eigenartig düsteren und
fanatischen, am Horizont der Tagesgeschichte wie ein Blitz aufluchtenden und
verlöschenden Persönlichkeit zusammenfaßte. Sein Lehrer, Professor Adalbert
Wahl in Tübingen, der bis zuletzt mit herzlicher Anteilnahme seinen Lebensgang
verfolgte, suchte ihn damals für eine wissenschaftliche Laufbahn zu gewinnen.
In der Tat hat Pregizers Monographie über Karl Follen in ihrem knappen,
schlichten und sachlichen Stil, der anschaulichen Gestaltungskraft und dem
warmen, persönlichen Temperament in der Darstellung, ihrer kritischen
Sicherheit und wesentlichen Gedrängtheit recht wenig von einer Anfängerarbeit
an sich. Sie zeigt die instinktive geistige Sicherheit des Sohnes aus altem
Gelehrtengeschlecht und das künstlerische Erbteil seines Urgroßvaters, des
Liederkomponisten und Mörikefreundes Kauffmann. Die Früchte dieser reichen
geisti-gen Anlage hatten eben bei ihm zu reifen begonnen.
Zuweilen suchen
wir uns in schmerzlichem Erinnern seinen Lebensgang zu Ende zu denken. Es trieb
ihn kein Ehrgeiz nach hohen Zielen. Er konnte, wann die Gelegenheit an ihn
herankam, Großes leisten, fast ohne es selbst zu merken. So hat er mit seinem
starken Vaterlandsgefühl den Kriegsdienst, der seinem zarten und guten Gemüt
innerlich so fremd war, mit einer schönen Gelassenheit ertragen, die mehr sagte
als eine heroische Gebärde und die den ganzen Adel seines Wesens enthielt. So
tief er das Pathos dieser Tage innerlich empfand, so wenig war äußerlich an ihm
zu merken. Er hätte vielleicht, wenn das Schicksal es erlaubt hätte, ein
stilles Gelehrtendasein abseits der großen Welt gewählt, wie es der
schwäbischen Natur so nahe liegt. Denn es war in ihm vor allem eine Neigung zu
stillem, beschaulichem Betrachten und Genießen, zu einem prunklosen aber
ebenmäßigen Aufbauen seines Persönlichkeitskreises. Er hatte sich als Lehrer,
besonders zuletzt in Kirchheim, so eingelebt, daß er sich Besseres nicht
wünschen konnte. Er hatte eine gutherzige, warme Menschenfreundlichkeit, die
niemand verletzte, die nie seine geistige Überlegenheit fühlen ließ und doch
unmerklich die Besten zum Umgang um sich sammelte. Auch in Kirchheim gehörte er
einem kleinen privaten Zirkel an, der das Schöne pflegte und der ihn nach
seinem Tode besonders herzlich betrauert hat. Sein Talent im lebendigen
dichterischen Vortrag, der das Dramatische, Pathetische und sodann auch das
Humoristische bevorzugte, und die Leichtigkeit, mit der er im Familien- und
Freundeskreis kleine gesellige Feiern improvisierte, kam ihm dabei wohl
zustatten.
Auch in der
Gefangenschaft in Sibirien finden wir ihn bald wieder als den treuesten Freund
seiner Kameraden, von allen geliebt und geehrt, auch in der Öde und Ferne
gestaltend und belebend. Er leitete die Unterrichtskurse des großen Gefangenenlagers,
er verwaltete die Bibliothek, er hielt vor allem selbst Vorträge über
Geschichte, die großen Zulauf hatten und von seinen gebildeten Hörern als
glänzend und bedeutend geschildert werden. Dies ist nicht das meiste. Er
behielt den Mut und erhielt ihn den andern. In jahrelangem und immer
hoffnungsloserem Warten, in dem fruchtlosen Dahin-streichen seiner besten jungen
Mannesjahre, in hundert Schwierigkeiten, eine dunkle, bedrohte Zukunft vor
Augen, abgeschnitten von der Heimat und umringt von tödlichen Seuchen war er
heiter und fest. Die Briefe von ihm, die die Heimat erreichten, sind sorglos,
freundlich, selbstverständlich; hinter ihrer Gelassenheit verbirgt sich die
rüh-rendste Liebe und zarteste Schonung für seine Familie.
Als das Frühjahr
1920 und immer noch keine Änderung in der Lage der Gefangenen heranrückte, betrieb
er energisch die selbständige Flucht und Heimkehr. Mit den drei ihm eng
verbundenen Kameraden, mit denen er den Winter durch in der Schulbaracke allein
gewohnt hatte, machte er die Vorbereitungen fertig. Die drei sind inzwischen
heimgekehrt. Er selbst wurde, als schon die ersten Strahlen der Frühlingssonne
zum Aufbruch mahnten, vom Fleckfieber überfallen und liegt, von treuen
Freundeshänden bestattet, auf dem Friedhof von Krasnojarsk in der weiten
asiatischen Ebene.
Das Schicksal
dieses lieben Freundes, des guten und edlen Menschen ist so schwer, daß wir
schweigen müssen, ohne es zu verstehen.“
aus:
„Gedenkbuch der Tübinger Normannia für ihre Gefallenen“, Stuttgart 1921