Sonntag, 31. Juli 2016

31. Juli 1916


„Kaum in den Unterkünften angekommen, kam schon der Befehl, in der nächsten Nacht im Gefechtsstand Bahnhof Guillemont – Südrand Trônes-Wald Teile des Res.-Inf.-Regt. 104 und 133 abzulösen. Die 27. Inf.-Div. unterstand dem XIII. Armee-Korps und trat zur 1. Armee, General Fritz von Below.
Bei der Vorerkundung durch die Adjudanten und je 2 Kompagnieführer  II. Bataillons gerieten 4 Offiziere von 7 – 11 Uhr vormittags im Gefechtsstand des Abschnitts-kommandeurs von Res.-Inf.-Regt. 104 durch einen bei dichtem Nebel erfolgten englischen Vorstoß vorübergehend in Gefangenschaft. Die Engländer waren durchge-brochen und hatten die Eingänge des Stollens besetzt. Ein glänzender Gegenstoß der 3. Kompagnie des bayr. Res.-Inf.-Regts. 22 befreite die Eingeschlossenen und eroberte das verlorene Guillemont zurück. Die erkundenden Offiziere brachten trostlose Nachrichten mit zurück. Eine Stellung war nicht mehr vorhanden, die Truppe lag in Granattrichtern, einzelne Stollen gab es noch. Der Anmarsch führte über offenes Gelände von Combles her. Die englisch-französische Artillerie war überlegen, ihre Unterstützung durch Flieger mustergültig.
In vorderster Linie wurden erstmals eingesetzt rechts 4. und 3. Kompagnie, links 8. und 7., in zweiter Linie lagen 1. und 2./124, 5. und 6./124. Die 4./124 unter ihrem hervorragenden Führer Oberleutnant d. R. Birk hatte bereits bei der Ablösung größere Verluste. Am 1. Tag betrug der Ausfall im Regiment 1 Toter, 46 Verwundete, 1 Vermißter. Der Kompagnieführer der 7./124, Leutnant d. R. Hagner, fiel bei der ersten Beschießung. Der Unteroffizier Hascher von Suppingen zeichnete sich hier besonders aus, als hervorragend pflichtgetreuer, heldenmütiger Kämpfer war er nicht nur seinem Zugführer eine unentbehrliche Stütze, sondern er rettete auch manchem verschütteten Kameraden durch seinen steten Opfermut das Leben. Bald nach erfolgter Ablösung stellte sich heraus, daß links der Anschluß fehlte und eine etwa 400 Meter breite Lücke geschlossen werden mußte. Der Regimentsstab und die Reserven lagen in Combles, sie fanden dort in den tiefen Katakomben völlig schußsichere Unterkunft, für alle reichten die vorhandenen Räume nicht aus, so daß auch die anderen Keller des Ortes belegt werden mußten.
Die Stellung bei Guillemont hatte in jedem der beiden Abschnitte Stellen, die als Anklammerungspunkt besonders geeignet waren. Im rechten Abschnitt lag die Kies-grube, im linken mehrere Hohlwege, sehr tief eingeschnitten, die mit der Front gleich-liefen. Alle diese Punkte erhielten naturgemäß verstärktes Artilleriefeuer, die Kiesgrube war leichter zu treffen, hatte aber dafür erhaltene Stollen, die schmalen Hohlwege waren an sich besser geschützt. Tagsüber war jede freie Bewegung durch die in niedrigster Höhe kreisenden Flieger gelähmt. Erkannte Stolleneingänge wurden planmäßig unter ihrer Feuerleitung zusammengeschossen. Verluste durch Verschüttete oder in den eingeschlossenen Stollen an Gas erkrankte mehrten sich von Tag zu Tag. Das feindliche Artilleriefeuer hielt Tag und Nacht ohne Unterbrechung an.“


aus: „Das Infanterie-Regiment „König Wilhelm I“ (6. Württ.) Nr. 124 im Weltkrieg 1914–1918ׅ, Stuttgart 1921

Samstag, 30. Juli 2016

30. Juli 1916


„ROBERT NEUNER
geboren am 17. April 1883 in Ulm
gefallen am 30. Juli 1916 bei Neuve Chapelle

Neuner war der Sohn des Eisenbahn-Betriebsinspektors Karl Neuner in Ulm. Nach Erledigung der Schuljahre studierte er von 1901 an in Tübingen, Leipzig und München die Rechtswissenschaft und war bei Ausbruch des Krieges Rechtsanwalt in Waiblingen. Am Kriege nahm er teil als Vizefeldwebel im Reserve-Infanterie-Regiment 247. Im Felde, in Belgien und Frankreich, konnte er mehrfach mit dem Bundesbruder Engelmann verkehren, der Feldintendant der 54. Reserve-Division war. Aus einem Heimaturlaub zurückgekehrt, meldete er sich als Freiwilliger für eine Unternehmung, ein größeres Grabenstück, dessen Besitz wichtig war, den Franzosen abzunehmen. Der nächtliche Überfall hatte auch Erfolg, aber ein feindliches Maschinengewehr hatte Neuner ein Bein zerschmettert. Neuner wurde im eigenen Graben notdürftig verbunden. Noch in der Nacht wurde ihm der Fuß am Knöchel abgenommen. Die Verletzung schien zunächst nicht lebensgefährlich. Engelmann konnte ihn am anderen Morgen im Feldlazarett besuchen, sich von ihm erzählen lassen und ihm noch eine Erquickung durch Übersendung von Mineralwasser verschaffen. Als Engelmann ihn am zweiten Tage darauf besuchen wollte, war Neuner in der Nacht vorher an Blutvergiftung verstorben. Wahrscheinlich war der erste Verband im Graben nicht sorgfältig genug gemacht und nicht sofort desinfiziert worden. Auch ein kurz vor dem Tode noch zugezogener chirurgischer Spezialist hatte nicht mehr helfen können. Neuner wurde auf dem Regimentsfriedhof in der Nähe der Reservestellungen bei einer Ortschaft Gondecourt südlich von Lille beerdigt. Am Grabe sprach der Bataillonskommandeur und hob in warmen Worten die Pflichttreue und Zuverlässigkeit Neuners hervor. Engelmann legte namens der Bruderschaft einen Kranz nieder. Engelmann schildert den Eindruck, den er von Neuner aus seinem Verkehr im Felde gewann, als den eines ruhigen selbstbeherrschten Menschen, der sich in die harten Anforderungen, die an ihn gestellt waren, sachlich eingliederte und seine Pflicht als etwas Selbstverständliches erfüllte, schlicht und ohne viel Worte. Auf seinem Krankenlager war keine Klage über sein Schicksal von seinen Lippen gekommen.“


aus: „Die Gefallenen der Burschenschaft Germania zu Tübingen, Gedenkschrift für die im Weltkrieg gefallenen Bundesbrüder 1914–1919“, Stuttgart ohne Jahr

Donnerstag, 28. Juli 2016

28. Juli 1916


„Der 27. verlief noch ruhig.
Am 28. dagegen schwoll das Geschützfeuer an der Front merklich an. Gegen Mittag kam auch von Osten her, aus der Gegend des Dnjester, starker Kanonendonner.
1.30 Uhr nachmittags trifft von der Brigade der Befehl ein, „daß sich alles alarmbereit zu halten habe“. Kurz darauf ein zweiter Befehl:
„Ein Bataillon 122 sofort die vorbereitete Stellung bei Korolowka besetzen! Höchste Eile geboten! Die beiden anderen Bataillone rücken auf ihre Alarmplätze. – 209. Infanterie-Brigade.“
Nach einer Stunde, während der der Gefechtslärm vorne immer heftiger wird, befiehlt die Brigade erneut:
„2.15 Uhr nachmittags. Die Russen haben die österreichische Front zwischen Bortniki und Chozimirz durchbrochen und sind im Vorgehen auf Korolowka.
Füsilier-Regiment 122 greift beiderseits der Straße Korolowka – Bortniki an und stellt die alte Lage wieder her. – 209. Infanterie-Brigade.“
Oberstleutnant von Alberti gibt 15 Minuten später während des Vormarsches nach Korolowka folgenden Regimentsbefehl:
„Das Regiment greift beiderseits der Straße Korolowka – Bortniki an und wirft den Gegner in seine alte Stellung zurück, II. Bataillon rechts, III. links der Straße. Anschluß II. Bataillon. I. folgt hinter dem rechten Flügel. Die Höhe 303 wird vorläufig nicht überschritten.“
Gegen 3 Uhr nachmittags beginnen die Schützen der beiden vorderen Bataillone östlich und westlich Korolowka vorzugehen und die Höhen südlich des Dorfes zu ersteigen. 4.25 Uhr nachmittags erreicht die vorderste dünne Schützenwelle des II. Bataillons den Höhenzug 303. III. Bataillon liegt auf gleicher Höhe, I. in der Schlucht am Südwestrand von Korolowka.
Beim Feind zeigt sich folgendes Bild:
Die Ortschaften Przybylow, Bortniki und Puzniki sowie das Waldstück nordöstlich Przybylow sind stark besetzt. Österreichische Truppen gehen nordwestlich von Przybylow in nördlicher Richtung zurück. Feindliche Artillerie beschießt lebhaft unsere vorgehenden Schützen. Russische Infanterie überschreitet aber den Waldrand nord-östlich Przybylow noch nicht.
Soweit zu erkennen, besteht auf unserer Seite gegen 4.10 Uhr nachmittags folgende Lage:
Östlich und nordwestlich Przybylow weichen die eigenen Linien zurück. Um 4.15 Uhr sind sie bereits auf der Höhe vom Bataillonsstab des II. Bataillons. Das Füsilier-Regiment liegt in großem Bogen um die Höhe 303 herum. In der Gegend von Dwor Melanow stehen Schützen des II./21 aufrecht in den Kornfeldern und feuern auf vorgehende Russen. Südöstlich von Gruszka sieht man einzelne zurückgehende eigene Schützenlinien. Nördlich vom Chocimirz erscheint zahlreiche russische Kavallerie.
Von einem „Wiederherstellen der Lage“ durch den Gegenangriff des Füsilier-Regiments allein konnte keine Rede mehr sein. Die Front war an breiter Stelle restlos durch-brochen. Die 6. Kavallerie-Truppen-Division hatte die Hälfte ihrer Leute mit 26 Offi-zieren, darunter mehrere Regimentskommandeure, verloren. Die 119. Infanterie-Divi-sion bei Jezierzany war ebenfalls im Zurückgehen.
Dem Regiment blieb zunächst keine andere Möglichkeit, als sich auf der Höhe 303 zum hartnäckigsten Widerstand festzusetzen. Die beiden Flügel hingen in der Luft. Das II. Bataillon erhielt bereits von rückwärts Feuer. Zwischen dem linken Regimentsflügel und der 119. Infanterie-Division klaffte eine 4 Kilometer breite Lücke. Eine dort stehende deutsche Artillerieabteilung verlor ihre sämtlichen Geschütze. Die Protzen jagten, von Kosaken attackiert, nach rückwärts und entkamen.
Das Regiment hielt sich trotz dieser äußerst kritischen Lage noch den ganzen Nachmittag auf der Höhe 303, bis es auf höheren Befehl zurückgenommen wurde. Durch dieses Ausharren ist der 119. Infanterie-Division ein geordnetes Zurückgehen in die vorbereitete 2. Stellung ermöglicht worden, und die 6. Kavallerie-Truppen-Division konnte wenigstens wieder eine Abteilung von 600 Schützen sammeln, die unter dem Kommando eines Obersten Graf von Alberti dem Kommandeur des Füsilier-Regiments, Oberstleutnant von Alberti, unterstellt und zunächst als Reserve bei Korolowka belassen wurden.
Dem Regiment waren an Batterien zugeteilt:
2. und 3. / Feldartillerie-Regiment 209 und später
eine österreichische reitende Batterie;
außerdem die Maschinengewehr-Abteilung 3.
Die Batterien gingen südlich Korolowka in Stellung. Die Maschinengewehr-Abteilung 3 wurde dem II. Bataillon zugeteilt und noch am Abend mit je einem Zug bei der 7. und 8. Kompagnie eingesetzt.
Gegen 6 Uhr abends nahm das Artilleriefeuer besonders links bei der 119. Infanterie-Division wieder zu. Diese Division ging immer noch zurück. Auch die rechte Flanke des Füsilier-Regiments wurde jetzt durch starke russische Kräfte bedroht. Bei Einbruch der Dunkelheit mußte sich die Gefahr der Umfassung noch erhöhen.
Da kam um 7.45 Uhr abends der Brigadebefehl, „auf die zweite Stellung dicht nördlich Korolowka zurückzugehen“.
Sobald es völlig dunkel geworden, traten die Bataillone diese Rückwärtsbewegung an. Der Russe merkte nichts. Gegen Mitternacht war folgende Stellung besetzt:“
 

aus: „Das Füsilier-Regiment Kaiser Franz Joseph von Österreich, König von Ungarn (4. württ.) Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1921

Mittwoch, 27. Juli 2016

27. Juli 1916


„27. Juli 1916! – Die Sonne geht zur Neige. Ihre letzten Strahlen vergolden das von Gräben durchzogene, von Büschen und hohem Gras überwucherte flandrische Flach-land. Irgendwo tackt ein Maschinengewehr sein gewohntes Abendlied. Von irgendwoher klingt ein Infanterieschuß; sonst Stille, tiefe Ruhe.
Da! – 10.30 Uhr abends – es zuckt im Osten hinter den deutschen Gräben auf. Rau-schend saust es durch die Luft und wenige Sekunden darauf ein dröhnendes Krachen drüben im englischen Graben. Staub und Rauch verhüllt ihn, Balken, Drahtgewirr, Sandsäcke fliegen in die Luft.
Die Ouverture zum „Ausflug nach London“ hat eingesetzt. Das deutsche Orchester ist wohl besetzt mit Mörsern, schweren und leichten Feldhaubitzen, Feldkanonen und Minenwerfern jeder Art. Im deutschen Graben lebt es auf. Aus den Unterständen drängen sich die Freiwilligen der Sturmtruppen.
Am weitesten rechts, an der vor K 1 vorgeschobenen Feldwache, steht die „Patrouille Ost“ des II. Bataillons unter Leutnant Müh, Ersetzender Offizierstellvertreter Reck. Am Marktplatz stehen die Freiwilligen des I. Bataillons als „Patrouille Mitte“ unter Leutnant Kirschner, Ersetzender Offizierstellvertreter Betz. Hier befinden sich auch der „Führer des Ganzen“, Leutnant Bauer und sein Ersetzender, Leutnant Hermann, mit einem Artillerie- und einem Regimentsfernsprechtrupp. Unmittelbar links davon schließt sich die „Patrouille West“ des III. Bataillons unter Leutnant Welker, Ersetzender Leutnant Klein, an.
Fürwahr! Eine stattliche Zahl, diese 200 Freiwilligen! Fast durchweg sind es Dienst-grade, darunter 8 Offiziere, 6 Offizierstellvertreter und 9 Vizefeldwebel, in der Haupt-sache Offiziers-Aspiranten.
10.45 Uhr abends: Durch die im eigenen Drahthindernis freigelegten Sturmgassen geht es in der genau vorgeschriebenen Ordnung vor.
Das eigene Drahthindernis ist durchschritten.
Langsam, damit die Ordnung gewahrt bleibt, geht es durch das geheimnisvolle Land, das zwischen den beiden vordersten Gräben liegt, in früheren Kämpfen heißumstrittene Schützengräben bieten den Vorgehenden Deckung. Einige hundert Meter müssen zurückgelegt werden, bis man an den Stellen angelangt ist, von wo aus man zum letzten entscheidenden Sprung in die feindliche Stellung ansetzen kann.
Endlich ist man angelangt. Die wenigen englischen Schrapnells haben keine Verluste gebracht. Hundert Meter sind es noch bis zum feindlichen Graben. Man hält. Durch Wink und Zuruf werden die Verbände geordnet.
Noch einige Minuten gilt es zu warten. Über die dicht an den Boden gepreßten Sturmtrupps braust die Wucht des deutschen Feuers. Die Splitter gefährden die eigenen Leute; das muß in Kauf genommen werden. Das Feuer liegt im allgemeinen gut, nur bei „Patrouille Ost“ gehen einige Mörsergeschosse zu kurz.
Da kommt ein Wink vom Führer; rasch pflanzt er sich durch die Reihen fort.
Die Uhr zeigt zwischen 10 Uhr 54 Minuten und 10 Uhr 55 Minuten. In raschen, wilden Sprüngen geht es zum englischen Graben! Alle Nerven sind gespannt. Kaum daß man merkt, daß unsere Artillerie pünktlich 10 Uhr 55 Minuten die vorgesehenen Einbruchstellen frei gegeben hat.
Plötzlich bei der „Mitte“ ein Stocken. Man steht vor einem 6 – 10 Meter tiefen, durch das vorangegangene Artilleriefeuer kaum zerstörten Drahtverhau. Und, während von links durch das dumpfe Krachen der Handgranaten und den hellen Klang von Pistolen- und Gewehrschüssen das Hurra- und „hands up“- (von unseren Leuten „Händ Sepp“ genannt) Rufen der Freiwilligen des III. Bataillons herüberklingt, die unter Leutnant Welker schon in den englischen Graben eingedrungen sind, vergehen bei der „Patrouille Mitte“ bange Sekunden. Plötzlich ein heller Kommandoruf! Leutnant Bauer hat eine Gasse gefunden und steht auf der englischen Brustwehr. Durch den engen Spalt drängen sich die nachfolgenden Mannschaften.
Die ersten Engländer werden überrascht und aus dem Unterstand gezogen. Aber bald hat sich der „Tommy“ gefaßt. Es sind tüchtige, kampferprobte Truppen, die erst vor kurzem aus der Angriffsschlacht an der Somme abgelöst waren und hier eine ruhige Stellung zu finden gehofft hatten.
Die Handgranaten können nicht mehr verwendet werden; zu nahe ist man aufeinander geraten. Messer, Pistole, geschliffener Spaten und Bajonett fechten den blutigen Strauß aus. Im Ringen können Freund und Feind kaum noch unterschieden werden. Die Handgranaten räumen die Unterstände aus. Man wartet kaum noch, ob auf den Ruf „hands upp“ eine Antwort erfolgt. Wo die geballten Ladungen in die englischen Unterschlupfe fliegen, da brechen die leichtgebauten, kaum splittersicheren Unterstände zusammen.
Endlich hat die überraschende Wucht des deutschen Ansturms die zahlenmäßig weit überlegenen Engländer niedergerungen. Ihre blutigen Verluste sind viel größer als die Zahl der eingebrachten Gefangenen, wie es bei dem äußerst erbitterten Nahkampf nicht anders zu erwarten war. Der Führer gibt das Zeichen zum Rückzug.
Der Angriff hatte bei der Patrouille „Mitte“ nicht, wie beabsichtigt, bis zum zweiten englischen Graben durchgeführt werden können, durch den Aufenthalt vor dem englischen Drahthindernis und durch die heftigen Kämpfe an der Einbruchstelle waren die Verbände zu sehr durcheinander gekommen.
Bei „Patrouille West“ war der Vorstoß bis in den zweiten englischen Graben gelungen. Sämtliche eigenen Toten und Verwundeten wurden geborgen und in die Ausgangs-stellung zurückgebracht.
Bei der Rückkehr in den eigenen Graben wurden die beiden Patrouillen „Mitte“ und „West“ von dem inzwischen eingesetzten englischen Sperrfeuer erfaßt. Mancher „Tommy“, der diese Gelegenheit zur Rückkehr in die eigenen Linien benützen zu können meinte, fiel noch unter deutschen Gewehrkolben.
Etwa 11 Uhr 10 Minuten war die größte Zahl der Teilnehmer in die Ausgangsstellung zurückgekehrt.
Bei der Patrouille „Ost“ des II. Bataillons hatte nur die Entschlossenheit und die Umsicht der Führer die zeitweise sehr gefährdete Lage retten können.
Durch zu kurz gehende eigene schwere Granaten war die Patrouille von ihrer Einbruchstelle nach links abgekommen und auf Leute der Patrouille „Mitte“ gestoßen, die bei der Suche nach einer Lücke im englischen Drahthindernis zu weit nach rechts geraten waren. Beide Parteien hatten sich gegenseitig für Engländer gehalten und sich in den dem eigentlichen englischen Graben vorgelagerten verlassenen Gräben gegenseitig mit Handgranaten und Spaten angegriffen, wobei es zu Verlusten kam, ehe Leutnant Müh die Kämpfenden trennen konnte.
Wertvolle Zeit war dadurch verloren gegangen.
Aber der Auftrag wurde trotzdem durchgeführt. Die Leutnants Müh, Cramer und Mink mit den Offizierstellvertretern Stotz und Reck und noch etwa 20 Mann brachen in die feindliche Stellung ein. Hier kam es mit den Engländern, die bereits ihre Unterstände verlassen hatten, zu heftigen Nahkämpfen. Doch auch hier wurde der Widerstand des Feindes restlos gebrochen, Gefangene und Beute eingebracht. Bei der Rückkehr mußte die Patrouille, von dem außerordentlich heftigen englischen Sperrfeuer gefaßt, noch 3 Stunden im Zwischengelände liegen, ehe sie in ihre Ausgangsstellung zurückkehren konnte.
Der „Ausflug nach London“ bildete ein neues Ruhmesblatt in der Geschichte des Regiments. Wohl waren die eigenen Verluste groß: 1 Offizier (Leutnant Klein), 1 Offizier-Stellvertreter (Vizefeldwebel-Off.-Aspirant Spahr der 1. M.-G.-Kompagnie, der sich im Gefecht am 30. Juni ausgezeichnet hatte), 11 Unteroffiziere und Mannschaften waren tot, 3 Offizierstellvertreter (Vizefeldwebel und Off.-Aspirant Reck, Stoß, Betz) und 38 Unteroffiziere und Mannschaften verwundet, 1 (Artillerist-Fernsprecher) vermißt, wahrscheinlich gefallen. Sämtliche Tote und Verwundete wurden geborgen.
Der tapfere Leutnant Mink, im englischen Hindernis schwer verwundet, arbeitete sich angesichts des Feindes am nächsten Tage mühsam und langsam kriechend auf die eigene Stellung zurück und konnte erst nach langen 24 Stunden geborgen werden. Die Engländer hatten wohl auf ihn geschossen, aber nicht den Schneid gehabt, ihn in ihren Graben hereinzuholen.
Leutnant Klein war im englischen Graben gefallen. Seine Leute wollten nicht dulden, daß die Leiche ihres Leutnants in Feindeshand falle. Sie hüllten ihn in eine Zeltbahn und hoben ihn unter höchster Lebensgefahr über die etwa 2 Meter hohe englische Brustwehr und trugen ihn mehrere hundert Meter in die eigene Stellung zurück. Die Engländer sollten ihren Leutnant auch nicht als Leiche haben! Ein ehrendes Zeugnis echt deutscher und schwäbischer Kameradentreue gegen den beliebten Offizier!
An Gefangenen wurden 3 Offiziere (1 verwundet), 29 Unteroffiziere und Mannschaften (1 verwundet) eingebracht. Reiche Beute wurde gemacht: 2 Maschinengewehre, die beide an der Stelle im Graben geholt wurden, wo sie in unserer Stellungskarte verzeichnet waren, 9 Gewehre und zahlreiche sonstige Gegenstände.“


aus: „Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 248 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1924

Dienstag, 26. Juli 2016

26. Juli 1916


„In Kolince und Hryniowce war das Füsilier-Regiment etwa 12 Kilometer hinter der Front der k. u. k. 6. Kavallerie-Truppen-Division, die unter dem Befehl des Generalmajors Schwer von Schwertenegg stand. Gegenüber lagen starke russische Kräfte, die sich täglich zu vermehren schienen. Bei Chocimirz sollten sechs russische Divisionen zusammengezogen sein. Nördlich dieses Ortes lag noch immer die deutsche 119. Infanterie-Division in den alten Stellungen um Jezierzany herum. Sie bildete zusammen mit der k. u. k. 6. Kavallerie-Truppen-Division jetzt die Truppe von Kraewel unter dem Befehl des bisherigen Führers der 105. Division, Generalleutnant von Kraewel.
Zunächst war die 209. Infanterie-Brigade, die aus dem Füsilier-Regiment 122 und dem Infanterie-Regiment 129 bestand, Reserve der k. u. k. österr. 3. Armee.
Die vorderste Linie verlief südlich der Dörfer Bortniki – Puzniki. Eine zweite – unter Umständen als Aufnahmestellung gedachte Linie – war nördlich Korolowka – Gruszka gebaut worden.
In der Nacht vom 25./26. Juli wurde ein vorspringender Frontbogen bei der 6. Kavallerie-Truppen-Division um etwa 3 Kilometer nach Norden zurückgenommen.
Der Feind störte diese Bewegung nicht.“


aus: „Das Füsilier-Regiment Kaiser Franz Joseph von Österreich, König von Ungarn (4. württ.) Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1921

Montag, 25. Juli 2016

25. Juli 1916


„Nördlich der Ancre lauerten die Kanoniere, jede Bewegung des Feindes in direktem Schuß mit wohlgezieltem Feuer zu ersticken. Reihenweise sanken die Engländer im Artilleriefeuer nieder beim Kampf um die hochgelegene Moulin an der Nationalstraße. Hatten die Batterien bisher Schwenkungswinkel von 180º, so betrugen diese nun nicht weniger als 270º. Der Engländer mußte in den Batterien bei Grandcourt, Beaucourt und Moulin ruiné seinen gefährlichsten Gegner erkennen, der ihm schwere Verluste beibrachte. Mit neuer Wut und Kraft, mit schwersten Kalibern, unerschöpflichen Munitionsmengen, mit bester – und leider fast ungestörter – Fliegerbeobachtung wurden die Batterien zerhackt – umsonst, ihr Feuer verstummte nie.
Jedoch gestaltete sich der Ersatz an Material und Munition immer schwieriger. Die unter der straffen Organisation des Munitionsstabes stehenden Kolonnen leisteten Hervor-ragendes, die in der Brigade zusammengefaßte Waffenmeisterwerkstatt bewährte sich vorzüglich im Ersatz der zerschossenen Geschütze, aber schwerer und schwerer drückten auch die Verluste an trefflichen Fahrern und unersetzlichen Pferden. Waren die zerstörten Wege schon kaum mehr fahrbar, so war ein Fahren in dem Chaos der krater-artig durchwühlten Batteriestellungen unmöglich geworden. Was hier an Heldentum, an Opferfreudigkeit von den Kolonnen, nicht weniger von den Feldküchen Tag um Tag, Nacht um Nacht geleistet wurde, soll nie vergessen sein.“


aus: „Das Württembergische Reserve-Feldartillerie-Regiment Nr. 26 im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1929

Sonntag, 24. Juli 2016

24. Juli 1916


Wilhelm Scherz, Metzgermeister hier, ist am 24. Juli 1916 gefallen.

Am 5. März 1915 ist er als ungedienter Landsturmmann eingezogen worden und kam am 15. Juli 1915 ins Feld, wo er zuletzt der 2. Radfahrerkompagnie* des Reserve-Infanterie-Regiments 121 zugeteilt war und in der Küche seine Beschäftigung fand. Im März 1916 noch im Urlaub, durfte man ihn bei der Küche als verhältnismäßig unge-fährdet beurteilen, bis die gewaltigen Stellungskämpfe vom 24. Juni 1916 ab auch für ihn die Gefahr vermehrten. Am 24. Juli 1916 erreichte bei Beaumont ein Granatvoll-treffer die Küchenstation abends 6 Uhr und tötete ihn mit noch drei anderen Kameraden in einem schmerzlosen Augenblick in einem Alter von 30 Jahren.
Tags darauf ist er um den Abend in de neuen Soldatenfriedhof in Miraumont beerdigt worden, wobei der ev. Feldprediger die Schriftstelle röm. 14, 8 zu Grunde legte: „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn, darum wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn“. Ein Offizier legte am Grabe mit ehrenden Worten einen Kranz nieder, das Blumen und ein Holzkreuz schmücken werden.
Erst am 14. Juli ist die Mutter des Gefallenen zu Grabe getragen worden und nun ist auch er ihr rasch in die Ewigkeit nachgefolgt. Wieviel Erdenglück und Erdenhoffnung ist auch mit seinem Tod dahin. Seit Februar 1914 verheiratet mit Emilie, geb. Heller von Geislingen, übernahm er das väterliche Geschäft und sah hoffnungsvoll in die Zukunft. Aber sein Kriegstod hat nun alles anders gewendet. Allein läßt er seine junge Frau mit ihrem eineinhalbjährigen Kind zurück. Und um ihn trauert neben vier Brüdern der alte schwergeprüfte Vater, den Leid um Leid zu Boden drücken will. Krank und verwundet ist der zweitälteste von den fünf Söhnen in Lazarettbehandlung, der dritte steht im Felde an der Somme, der vierte ist vermißt und der fünfte ist schwerverwundet, kriegsun-brauchbar geworden. Vor zweieinhalb Wochen starb die Mutter und Frau und, um das Maß des Leides vollzumachen, ist am 24. Juli der älteste Sohn und Erbe des Geschäfts gefallen. Wie unbegreiflich und unerforschlich ist doch angesichts solchen Jammers Gottes Ratschluß. Und doch, nicht um leere Worte des Trostes zu machen, wagt es der Glaube zu bitten: beuget und demütiget euch unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Selig sind die, die zunächst nur Leid sehen und doch glauben an Gott und ihm ihr ferneres Schicksal anheimstellen. Unsere aufrichtige Teilnahme wendet sich der schmerzerfüllten Familie zu mit der Zusicherung, fürbittend ihrer zu gedenken und mit Rat und Tat ihr beizustehen. Dem Gefallenen aber, der das Lob hat, ein tüchtiger Geschäftsmann, ein guter Gatte und Vater, ein beliebter Kamerad u. ein pflichtgetreuer, dienstbereiter Soldat gewesen zu sein, lasse Gott in der Ewigkeit um Jesu Christi willen aus Gnade das ewige Licht leuchten und die Krone der Ehren nach Kampf und Müh zuteil werden!“

aus: „Kriegs-Chronik der evangelischen Gemeinde Ellwangen 1914–1918.“, Ellwangen 1920


*Wohl die fehlerhafte Interpretation der Abkürzung „R./R.-I.-R. 121“.

Samstag, 23. Juli 2016

23. Juli 1916


„Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß neue feindliche Angriffe bevorstanden. Zwecks besten Zusammenarbeitens beider Waffen wurde ein älterer, erfahrener Offizier der Abteilung als Verbindungsoffizier zu dem Abschnitts-Infanterie-Bataillon nach vorne geschickt: Leutnant d. R. Sapper (Richard), mit je einem Telephonisten der Batterien der Untergruppe. Was dieser kleine Trupp erlebte und leisten mußte, und in welcher Weise Sapper zur Wiedereroberung von Guillemont beigetragen und dadurch vielen Kameraden das Los der Gefangenschaft erspart hat, ist am besten aus nach-folgender Erzählung dieses hochverdienten Offiziers des Regiments zu ersehen:
„Ich melde mich gehorsamst als Artillerie-Verbindungsoffizier zum Bataillon kom-mandiert!“ Etwas atemlos erstattete ich am frühen Morgen des 20. Juli 1916 im Bataillonsgefechtsstand in Guillemont diese Meldung, denn die letzten 500 Meter der Straße, die ich zurückgelegt hatte, waren unter heftigem Artilleriefeuer gelegen. In ununterbrochener Folge hatten die schweren Geschosse des Engländers den Schotter der Straße aufgerissen oder sich dicht links und rechts derselben in den weichen Ackerboden gebohrt und mit ohrenbetäubendem Krachen messerscharfe Stahlsplitter und schwere Erdstücke umhergeschleudert.
Der Gefechtsstand des sächsischen Infanterie-Bataillons, zu dem ich kommandiert war, befand sich am Ostrande des kleinen Dorfes Guillemont in einem sieben Meter unter die Erde getriebenen Stollen mit zwei Ausgängen, etwa 500 Meter hinter der vordersten Linie, die am Westrande des Dorfes verlief.
In dem 1,20 Meter breiten Gang, der die beiden Ausgänge verband, stand ein kleiner Tisch. An ihm saßen beim Licht einer rußenden Kerze der Bataillonsführer und sein Adjudant über ihren Karten und Stellungsplänen. Ein handgroßes Plätzchen an ihm bekam nun auch ich als Arbeitsplatz zugewiesen. Drei Infanteristen und drei Artilleristen bedienten auf dem Boden kauernd ihre Telephonapparate, und auf den Stollentreppen hockten noch ein halbes Dutzend Meldegänger und Gefechts-ordonnanzen; damit war „das Haus“ bis auf den letzten Platz gefüllt. Zum Schlafen war keine Stelle zu finden, an der man sich hätte ausstrecken können. Nur der Kommandeur hatte ein kistenähnliches Bett, eine Annehmlichkeit, die er aber während meines viertägigen Aufenthalts beim Bataillon nur einmal für einige Minuten ausnützen konnte. Am ersten Tage meines Kommandos leg der schwer gasvergiftete Bataillonsarzt in diesem Bett. Er konnte, wie alle Verwundeten und Kranken, erst des Nachts nach rückwärts gebracht werden.
Über Mittag flaute das feindliche Artilleriefeuer etwas ab. Nur die eigensinnige englische „dicke Berta“, ein 38 Zentimeter-Geschütz. warf mit unheimlicher Ausdauer und Pünktlichkeit alle 4–6 Minuten ihre derben Grüße in unser Dorf. Schon seit Tagen, alle 4–6 Minuten, Tag und Nacht.
Alle 4–6 Minuten erzitterte der Boden unter der furchtbaren Wucht der Einschläge dieses Riesengeschosses. Mit höllischem Krachen schoß eine riesenhafte schwarze Staub- und Rauchwolke gegen den Himmel, gefolgt von dem Prasseln und Klirren stürzenden Mauerwerks. In unserem Stollen erlosch das Licht, die Nägel in den Wänden lockerten sich, Mützen, Mäntel, Waffen, alles flog durcheinander. Es war klar, daß auch unser sieben Meter tiefer Stollen der vernichtenden Kraft dieser Granaten nicht hätte widerstehen können. Wir hatten deshalb nach jedem Einschlag, der unsere Deckung noch nicht eingedrückt hatte, das „erleichternde“ Bewußtsein, daß das Schicksal uns nocheinmal eine Frist von mindestens 4–6 Minuten gegönnt hat, ehe wir vielleicht verschüttet, verkohlt oder erstickt, dem Leben den Rücken kehren mußten. Die Versuchung, immer nur diesem Gedanken nachzuhängen, war so groß, daß es aller Willenskraft bedurfte, bei seiner Arbeit zu bleiben und seine Ruhe zu bewahren.
Täglich wurden auch mehrmals durch die besonders nahe einschlagenden 38er unsere Stolleneingänge verschüttet, so daß schnellstens mit Picke und Spaten Luft geschafft werden mußte.
Wieder bebte die Erde. Ein neuer Donnerschlag schmerzte in den Ohren, als gleich darauf zwei Leute die Treppe herunterkeuchten. Bart- und Kopfhaare waren ihnen weggebrannt, der Rock des einen glostete noch. Sie würgten nach Worten, die Angst war ihnen an die Kehle gesprungen. A–a–alles tot! A–alles tot, rang es sich endlich von ihren verzerrten Lippen. Es waren zwei Leute aus unserer Telephonzentrale, die in einem ebenfalls mindestens sieben Meter tiefen Stollen unter einem Haus uns gerade gegenüber untergebracht war. Der Stollen war von dem letzten Schuß durchschlagen worden und 23 Mann lagen unter seinen Trümmern, sieben Meter unter dem Boden, begraben. Die beiden geretteten Leute befanden sich  zur Zeit des Unglücks am Stollen-eingang oben, und es war ihnen aus dem Stollen heraus die Stichflamme des explodierenden Geschosses ins Gesicht geschlagen. Die sofort ausgeschickte Rettungs-mannschaft konnte nur einen Militärstiefel mit dem Rest eines verkohlten Beines bergen. Ein weiteres Vordringen durch den fast gänzlich verschütteten Eingang machte das Vorhandensein von Kohlenoxydgas, an dem auch einer der Rettungsmannschaften erkrankte, unmöglich. Die 23 Mann im Stollen waren verloren.
Unendlich langsam verstrich der Tag. Dumpf vor sich hinstierend lauschte man auf den wieder anschwellenden Gefechtslärm. Aus einer Ecke drang das quälende Röcheln des gasvergifteten Rettungsmannes, vermischt mit dem leisen Wimmern der völlig zusam-mengebrochenen Leute aus der Telephonzentrale. Ab und zu kamen Gefechts-ordonnanzen mit durch Schrecken und Anstrengung unkenntlichen Gesichtern, über-brachten wortlos ihre Meldungen aus vorderster Linie und wurden mit Befehlen wieder hinausgeschickt.
Meine Telephonverbindung zu den Artilleriebeobachtungen waren schon längst nicht mehr aufrechtzuerhalten gewesen. Ich konnte meine drei Telephonisten nur als Meldegänger verwenden. Schon am ersten Tage fielen zwei von ihnen durch Gas-vergiftung aus, und erst nach zwei Tagen bekam ich einen Mann einer preußischen Batterie und den Kriegsfreiwilligen Hofer der 6. Batterie als Ersatz.
Gegen Abend steigerte sich das feindliche Artilleriefeuer aller Kaliber zum Trommel-feuer. Zweifellos wollte der Engländer wieder angreifen, wie er es seit Tagen fast jeden Morgen und Abend an dieser Stelle versucht hatte.
Da keine telephonische Verbindung mehr nach rückwärts bestand, eilte ich mit einer Leuchtpistole und roten und grünen Leuchtkugeln nach dem Stolleneingang hinauf. Dort oben war die Hölle los! Mit betäubendem Krachen schlugen überall die Granaten ein, hüllten die stürzenden Häusermauern in ihre schwarzen Rauchwolken, bohrten sich in die Trümmer und wühlten in den Schutthaufen, Steine und Eisen emporreißend. Mit scharfem Krachen und heller Flamme zersprangen die Schrapnells und klirrend barsten die Dachziegel unter ihrem Bleihagel. Balkenwerk begann zu brennen und über der Feuerglut flatterten zahllose weiße Leuchtkugeln am Himmel, von dem sich die zerschossenen und zerfetzten Häuserruinen in grotesken Silhouetten abhoben. Und da! – jetzt ging’s los! – Scheinwerfer blitzen auf, Maschinengewehr- und Infanteriefeuer knatterte die Gräben entlang. Ich feuerte meine roten Signalpatronen ab, auch aus den Gräben stiegen jetzt überall unter weißen Leuchtkugeln rote hoch, – Sperrfeuer!
Wütend kläfften hinter uns unsere Feldgeschütze auf, hämmerten und klopften Haubitzen und Mörser. Jetzt erst war das Orchester vollständig! Mit wilder Freude lauschte ich über mir auf das Pfeifen, Schleifen und Gurgeln unserer Geschosse, die den Engländern entgegenschlugen. Brav so, ihr Artilleristen, schießt, schießt, was die Rohre schaffen können!
Nach ungefähr einer Stunde ließ das Feuer nach. Die Meldungen von den Kompagnien und benachbarten Bataillonen liefen ein. Der Angriff war wieder überall, teilweise im Nahkampf, abgewiesen worden.
Am nächsten Morgen begleitete ich den Bataillonskommandeur in den Graben. Mühsam kletterten wir über die Trümmer der Häuser und durch die unzähligen Trichter, die die Granaten in die Straße gerissen hatten, oder keuchten unter der Gasmaske durch den Giftnebel der Gasgeschosse, die der Engländer in reichem Maße verwendete. Hin und wieder peitschte eine Reihe Maschinengewehrschüsse die zerstörte Dorfstraße entlang. Mit eigentümlichem Gezwitscher zerschnitten die kleinen Geschosse die Luft und bohrten sich mit hartem Schlag in zersplittertes Holz, oder prallten grell aufsingend von Mauerresten ab.
Dann kam der Graben! – Graben? – zerwühlte, zerrissene Erde. In kleinen, mit dem Handspaten ausgehobenen Löchern kauerten lehmbeschmutzt graue Bündel mit braun gegerbten, faltigen Gesichtern und rußigen Händen. An einigen Stellen lagen Tote in langen Reihen mit Zeltbahnen bedeckt über Deckung. Mit dumpfem Knallen schlugen immer von neuem die feindlichen Infanteriegeschosse in ihre verstümmelten Glied-maßen.
Ein furchtbar schreiender Mann wurde unter den Trümmern eines verschütteten Unterstandes hervorgezogen; ein anderer saß in einer Dreckpfütze und sang. Seine Haare klebten in filzigen Strähnen an der Stirn; der Wahnsinn stand in seinen weit aufgerissenen Augen. Als wir vorübergingen, erzählte er uns geschwätzig, er habe den Teufel gesehen, gestern und alle Tage, es sei sehr lustig gewesen ֪ ha, ha! – er habe mit ihm getanzt – und er lachte und schnalzte mit der Zunge.
Ein junger Mensch trat auf mich zu. Er zitterte am ganzen Leib und stammelte immer wieder die eine Frage: „Wann werden wir abgelöst?“
Zu Tode erschöpft hatten diese braven Leute seit 14 Tagen in vorderster Linie im furchtbarsten Feuer ausgehalten, ohne Ablösung, ohne genügende Verpflegung, und wehrten täglich die wütenden Durchbruchsversuche des Engländers ab.
Gegen Abend zerriß wieder das wütende Dröhnen und Krachen des Trommelfeuers die Luft; wieder wurde die Erde und die Trümmerstätte des Dorfes von Tausenden von Geschossen durchwühlt; wieder schritt der Engländer zum Angriff. Auch diesmal wurde er abgeschlagen. Aber sein Feuer setzte nicht aus. Die ganze Nacht lief unter der Wucht der Einschläge ein Beben durch die Erde. Von den Kompagnien kamen verzweifelte Hilferufe. Die wenigen ihnen noch gebliebenen Unterstände und Stollen wurden nacheinander durch das rasende Feuer zerhämmert. Unser Unterstand füllte sich mit Schwerverwundeten. Stöhnen, Weinen und Schreien erfüllte immer lauter und furcht-barer den kleinen Raum. Es waren meist Essenholer, die ihren Kameraden von den weiter hinten haltenden Feldküchen die warme Suppe und Brot in den Graben bringen sollten. Jeder von uns hatte alle Hände voll zu tun, den teilweise fürchterlich Verletzten den ersten Notverband anzulegen.
Sonntag, den 23. Juni, morgens 5 Uhr, war wieder heftiges Infanteriefeuer durch den Höllenlärm der Artillerieschlacht zu hören. Nach einer Stunde jedoch plötzlich fast vollständige Ruhe ein. Meldungen von vorne waren noch nicht eingetroffen. In der Annahme, daß der Angriff wieder abgeschlagen, nützte alles die seltene Ruhe, um endlich einmal wieder ein wenig zu schlafen. Ich vermochte aber trotz der großen Müdigkeit kein Auge zu schließen. Die seltsame Stille beunruhigte mich. Kein Schuß fiel mehr in unsere Nähe, selbst die „dicke Berta“ schwieg sich aus.
Plötzlich hörte ich einige Infanterieschüsse. Sie mußten ganz in der Nähe unseres Stollens abgefeuert worden sein. Das war unheimlich. Ich eilte nach oben. Da sah ich zwei Infanteristen in schnellstem Lauf durch die Trümmer hetzen. Die wollten offensichtlich zu uns. Und dann krachten wieder ganz nahe zwei Schüsse. Mit gräßlichem Aufschrei warf der eine der beiden Meldegänger die Hände hoch und stürzte vornüber aufs Gesicht. Der andere rannte an mir vorüber die Stollentreppe hinunter mit dem Ruf: „Herr Major, die Engländer sind da!“
Das war kein sanfter Weckruf für die erschöpften Schläfer dort unten; es trat ein Moment wortlosen Erstarrens ein, dann rannte alles mit seiner Waffe nach oben. Doch ehe wir wußten, wo wir den Feind zu suchen hatten, krachte eine Handgranatensalve zwischen uns und setzte lebhaftes Schützenfeuer auf uns ein. Und schon nach wenigen Sekunden waren zwei Mann gefallen, der Major, der Adjudant und fünf Ordonnanzen verwundet. Wir Übriggebliebenen trugen darauf die Verletzten wieder in den Stollen und legten ihnen Notverbände an. Viel Mühe hatten wir mit dem Unterbinden eines Mannes, dessen Schlagader am Oberarm verletzt war. In dickem Strahl spritzte ihm das Blut aus der Wunde und rieselte wie ein kleiner Wasserfall die Stufen der Stollentreppe hinunter.
Plötzlich leuchtete ein Feuerblitz im Stollen auf und ein heftiger Doppelknall erschreckte uns. Die Stollentüren zersplitterten. – Handgranaten! – Der Engländer warf durch die beiden Stolleneingänge Handgranaten, die in dem dichten Knäuel verzwei-felter Menschen weitere Verwundungen herbeiführten. Eine der Handgranaten brachte hundert Leuchtkugeln, die im Stollen lagerten, zur Explosion, und der kleine, dunkle Raum füllte sich dadurch mit zähem, beizendem Rauch, der das Atmen beinahe zur Unmöglichkeit machte. – Es kamen fürchterliche Stunden für uns. Die Hand-granatenwerferei nahm ihren Fortgang. Meldungen von außen gingen natürlich keine ein. Die Hoffnung auf Entsatz schwand von Stunde zu Stunde mehr. Beklemmende Stille herrschte draußen. Die anfängliche Erregtheit wich langsam einer völligen Apathie. Die irrenden Gedanken begannen sich auf den einen festzulegen: man macht sich mit dem Gedanken des Todes, bestenfalls mit dem einer Gefangennahme vertraut.
Wehmütiges Lächeln spielte um manchen herb geschlossenen Mund. Sie mochten an die Vergangenheit denken, an ihre Lieben, an das Märchen von Frieden und Glück.
Verschiedene Meldegänger hatten schon versucht, mit Berichten über unsere bedrohte Lage ins Freie zu kommen. Es war ihnen nicht gelungen. Einer brach gleich am Stolleneingang durch einen Hieb auf den Kopf ohne Laut zusammen. Ein anderer wurde wenige Schritte davor erschossen.
Nach sechsstündigem, qualvollen Zuwarten erbot ich mich selbst, nocheinmal zu versuchen, eine Meldung zu unseren Reserven durchzubringen. Der Kommandeur, der aus seiner durch einen Bauchschuß verursachten Bewußtlosigkeit erwacht war, diktierte mir den Bericht. Mein einziger Telephonist, der mir noch unverwundet geblieben war, der Kriegsfreiwillige Hofer, wollte mich durchaus begleiten. Ich gab ihm meine Meldetasche zu tragen, steckte die Meldung aber selbst zu mir. Es war wahrscheinlich, daß unmittelbar vor oder über den Stolleneingängen die Engländer lagen. Zunächst also galt es, möglichst rasch aus dem Bereich ihrer Nahkampfwaffen zu kommen, noch ehe sie die Zeit gefunden hatten, dieselben gegen uns in Anwendung zu bringen. Was dann weiter zu tun war, mußte der Lage angepaßt werden und unserem Glück überlassen bleiben. Ich unterrichtete Hofer demgemäß: Wir mußten versuchen, ganz lautlos den halbverschütteten Stolleneingang hinauszusteigen, dann wollte ich mit größtmöglicher Schnelligkeit hinaus ins Freie eilen, Hofer sollte dann in einigem Abstand folgen.
Mit entsicherten Revolvern gelangten wir auch unbehelligt bis zur letzten Treppenstufe. Zu unseren Füßen, den Ausgang halb versperrend, lag hier mit zertrümmertem Schädel, blutüberströmt, der eine unserer Ordonnanzen, die schon versucht hatten, mit Mel-dungen aus dem eingeschlossenen Stollen zu gelangen; kaum fünf Meter davon, das Gesicht im Schmutz vergraben, der andere von ihnen. Das war kein ermunternder Anblick, und es trat der Moment ein, in dem ich erst „den inneren Schweinehund zu überwinden hatte“, wie Richthofen sich ausdrückte. Aber nur nicht denken, nur nicht denken und durch!
Unter Aufbringung aller meiner Kräfte jagte ich aus dem Stollen und wandte mich dann unter der Deckung einer zerschossenen Böschung nach rechts. Doch schon nach den ersten Sprüngen krachten hinter mir zwei Handgranaten und setzte Infanteriefeuer ein. Ich sah keinen der Gegner, jedoch konnten die Schützen nicht weit entfernt sein, denn die Abschüsse hörten sich hell und scharf an, wie wenn man eine kleine Kinderpistole dicht bei meinem Ohr abfeuern würde. Sand- und Steinsplitter spritzten mir von den einschlagenden Geschossen ins Gesicht. Ich fühlte, wie kalter Schweiß meinen Körper bedeckte. Um ein wenig Atem zu schöpfen, sprang ich in einen mit Wasser gefüllten Stollen in Deckung. Zehn Minuten lang stand ich bis an die Brust in dem stinkenden Wasser. Nicht weit von mir stöhnte ein Mensch, von Zeit zu Zeit stieß er röchelnde Rufe aus. Sehen konnte ich ihn nicht. Meine Lage war nicht sehr aussichtsreich. Das feindliche Artilleriefeuer hatte plötzlich wieder eingesetzt; es lag hauptsächlich auf den Reservegräben, meinem Ziele. Unter unaufhörlichem Dröhnen und Krachen schossen die Rauchwolken der Einschläge in die Höhe, vom tiefsten Schwarz bis zum hellen giftigen Gelb. Ein Zurück war aber gänzlich ausgeschlossen; ich mußte unter allen Umständen versuchen, trotz des heftigen Artilleriefeuers die Reserven zu erreichen.
Vorsichtig schaute ich aus meinem Wasserloch und rief mehrere Male nach Hofer, ohne Antwort zu bekommen. Plötzlich ein heftiger Knall dicht neben mir, wieder Hand-granaten. Die Engländer mußten mich gesehen haben oder hatten sie mich rufen hören? Jedenfalls durfte ich keinen Augenblick länger an meinem „freundlichen“ Zufluchtsort bleiben. Ich kletterte vorsichtig aus meinem Versteck und kroch, die Pistole in der Hand, auf dem Bauch weiter. Bald jedoch schlugen rings um mich Infanteriegeschosse ein. Da packte mich sinnlose Wut; ich fluchte und schimpfte wie ein ungezogenes Kind und warf alle Vorsicht beiseite. Ich sprang auf und hetzte, immer im Zickzack, über freies Feld. Ich lief und lief. Es ist kaum glaublich, wie ein Mensch in der Todesangst laufen kann. Ich kam in ein Haferfeld, die Halme schlangen sich um meine Beine, ich stolperte, pfeifend ging der Atem. Und endlich stürzte ich in einen Granattrichter, fiel platt auf das Gesicht, der Mund war voller Erde, und hier blieb ich liegen, wie lange, vermag ich nicht zu sagen. Langsam beruhigte ich mich wieder. Ja, eine gewisse Fröhlichkeit und Zuversicht bemächtigte sich meiner nach einiger Zeit. Mit fachmännischem Interesse verfolgte ich die Lage des feindlichen Artilleriefeuers und wunderte mich, daß ich bei der vorzüglichen Höhe und Weite der Schrapnellsprengpunkte nicht schon einige heiße Bleikügelchen in meinem Körper sitzen hatte. Mit vollständiger Ruhe kroch ich dann durch das Haferfeld gedeckt weiter, um mich erst kurz vor unseren Reservegräben aufzurichten, und in raschen Sprüngen durch das massierte feindliche Abriegelungsfeuer den Graben zu erreichen.
Das feindliche Feuer hatte hier in der kurzen Zeit schon furchtbar gehaust. Der halbverschüttete Graben lag voller Toter. Der Bataillonskommandeur und drei seiner Kompagnieführer waren in der letzten Stunde gefallen. Die angstvollen Schreie Verstümmelter und das entsetzliche Röcheln Sterbender begleiteten mich auf der mühsamen Suche nach dem einzigen überlebenden Kompagnieführer, jetzt stellver-tretenden Führer des Bataillons.
In einem kleinen, kaum splittersicheren Unterständchen, das wie durch ein Wunder bisher vom feindlichen Feuer verschont geblieben war, fand ich diesen. Ich übergab ihm meine Meldung und teilte ihm meine persönlichen Beobachtungen über die vermutliche Stellung des Feindes mit. Darauf wurden zwei Kompagnien zum Gegenstoß angesetzt. Nach kurzem Kampfe gelang es diesen, die in Guillemont eingedrungenen Engländer zurückzuwerfen und 140 Gefangene einzubringen.
Hofer, meinen zurückgebliebenen Telephonisten, fand man später, kam zehn Meter von unserem Stollen in Guillemont entfernt, mit schwerer Kopfverletzung tot in einem Granattrichter liegend. Meine Meldetasche hielt er in seinen verkrampften Händen. Ich eilte, nachdem die zwei Kompagnien der Reserve den Graben zum Gegenstoß verlassen hatten, zu den Batterien, um über die Lage Bericht zu erstatten.“


aus: „Das Württembergische Feld-Artillerie-Regiment Nr. 116 im Weltkrieg“, Stuttgart 1921

Freitag, 22. Juli 2016

22. Juli 1916


„Bei Hermies – Inchy lag Ende Juli das Rekrutendepot der 26. R. D., das in der Somme-schlacht auch im Kampf eine bedeutsame Rolle gespielt hatte. Weiterausbildung des eingetroffenen Nachersatzes und Auffrischung der abgekämpften Truppen war seine Aufgabe. Zur Ehre der Ersatzbataillone in der Heimat muß gesagt werden, daß damals der Ersatz noch verhältnismäßig gut ausgebildet war und die jungen Rekruten immerhin ein wertvolles Material darstellten, um die großen Lücken an der Front zu schließen.“


aus: „Die 26. (Württembergische) Reserve-Division im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1939

Mittwoch, 20. Juli 2016

20. Juli 1916


„Am 1. Juli morgens gegen 8 Uhr erfolgte nach unerhörtem Trommelfeuer der Angriff der englischen Infanterie auf den ganzen Divisionsabschnitt von Beaumont-Nord bis Ovillers-Süd. Tage aufreibendster, blutigster Kämpfe kamen, in denen die Regimenter der 26. Res.-Division in todesmutiger Abwehr dem Feind schwere Verluste beibrachten. Aber auch die eigenen Verluste waren furchtbar: bis zum 12. Juli wurden auf den beiden Hauptverbandsplätzen 4454 Verwundete versorgt, dazu noch 338 Engländer. 3 Ärzte wurden verwundet, 1 Arzt vermißt (z. T. von nichtwürttembergischen Truppenteilen); die Res.-Sanitätskompagnie 26 hatte 5 Tote, 9 Verwundete unter ihren Krankenträgern, die bayerische Sanitätskompagnie 10 ebensoviel. Die Schwierigkeit der Bergung der Verwundeten bei dem bis dahin in Stärke, Ausdehnung und Beharrlichkeit unerhörten Artilleriefeuer aller Kaliber ist schon oben hervorgehoben worden. Am 3. Juli erfolgte ein zweiter Infanterieangriff und anschließend ein solcher Verwundetenanfall, daß die Räumung der Truppenverbandplätze trotz äußerster Kraftanstrengung der Krankenträger nicht mehr bewältigt werden konnte. In der Sanitätsmulde bei Miraumont wurden Zelte aufgeschlagen zur vorläufigen Lagerung der Verwundeten. Die Räumung der Sanitäts-unterstände von Thiepval und Ovillers wurde durch wolkenbruchartige Regengüsse am 4. Juli, welche die Laufgräben völlig ungangbar machten, aufgehalten. Unter Einsatz der Rekrutenkompagnie Inf.-Regt. 180 konnten die Unterstände am 5. und 6. Juli von allen Verwundeten geräumt werden.“


aus: „Das Sanitätswesen im Weltkrieg 1914–18“, Stuttgart 1924

Dienstag, 19. Juli 2016

19. Juli 1916


„Waren die Verhältnisse im Fort, wie wir gesehen haben, wenig erquicklich, so herrschten bei den unglücklichen Verwundeten, die wohl unter dem Zwang des Artil-leriefeuers statt nach dem Fort oder der Méraucourt-Ferme nach dem „Steinbruch“ gebracht worden waren, geradezu grauenhafte Zustände, und es dreht sich einem das Herz im Leibe um, wenn man liest, was Assistenzarzt Dr. Schröder in seinem Bericht darüber schreibt:
„Bei meiner Ankunft lagen in dem Verbandsraum, einer bombensicheren Kase-matte von 50 qm Bodenfläche und 4 m Höhe, schon 30 Schwerverwundete. Der halbverschüttete Eingang konnte nur kriechend passiert werden, die Luftzufuhr war sehr mangelhaft. Es herrschte daher stets eine äußerst schlechte Luft bei 30–40 Grad Hitze. Etwas frische Luft wurde durch Schwenken einer Zeltbahn vom Eingang her zugeführt.
Der Angriff begann, und bald war der Raum mit etwa 50 Schwerverwundeten belegt und ich mußte die weiterhin Ankommenden im Steinbruch selbst im Freien unterbringen, wobei es nicht zu vermeiden war, daß sie bei den häufigen Feuer-überfällen durch Stein- oder Granatsplitter von neuem verwundet wurden.
Am 12. Juli wurden die Zustände unhaltbar. Im Steinbruch waren alle Wege durch Verwundete belegt, die Kasematte bot ein fürchterliches Bild. Als einziges Getränk waren in der Nacht fünf Flaschen Mineralwasser vom Fort geschickt worden, die Granattrichter in der Nähe waren unter Lebensgefahr ausgeschöpft worden, der letzte Rest Kaffee, den die Gesunden gern hergaben, war getrunken. Der Durst wurde furchtbar unter den Verwundeten; dabei wurde die Luft in der Kasematte immer schlechter, die Hitze immer größer, trotzdem der Eingang freigelegt worden war und die Pioniere einen Luftschacht in den Felsen getrieben hatten. Die Lichter begannen zu erlöschen, Schwerverletzte erhoben sich und tasteten an den feuchten Wänden entlang, um die Tropfen abzulecken; ein Mann trank in einem unbewach-ten Augenblick seinen eigenen Urin.
Dieser Tag stellte an die Sanitätsmannschaften die höchsten Anforderungen. Selbst ohne Wasser, mußten sie in dem überhitzten Raum den Verwundeten Tag und Nacht die größte Aufmerksamkeit schenken, um Leute, die der Durst an den Rand des Wahnsinns gebracht hatte, zu verhindern, selbst Hand an sich zu legen. Am Abend endlich kam der ersehnte Kaffeetransport. Mit 80 Flachen konnte man den größten Durst der Kranken stillen. Auch der Abtransport ging jetzt glatt vonstatten. Am 15. wurde das gänzlich erschöpfte Sanitätspersonal durch Mannschaften der Sanitäts-Kompagnie 50 abgelöst.“
Ein Lichtblick in diesem Bild voll Schrecken und Grauen war die auch sonst vor Verdun beobachtete Tatsache, daß die Verwundetentransporte unter der Roten Kreuz-Flagge auch von den Franzosen respektiert wurden.“


aus: „Das 8. Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 126 „Großherzog Friedrich von Baden“ im Weltkrieg 1914-1918ׅ, Stuttgart 1929

Montag, 18. Juli 2016

18. Juli 1916


Pionier Josef Bollmann.
Landw.-Pion.-Ersatzbat. Nr. 13,
gestorben 18. Juli 1916.
Der zuletzt Sägerstraße 12 hier wohnende Schreiner Josef Bollmann ist am 16. Mai 1875 in Grundsheim O.-A. Ehingen geboren als Sohn des Landwirts Richard Bollmann und der Maria, gebor. Braunger. Sein Handwerk lernte er in Biberach, arbeitete alsdann bei Schreinermeister Eggstein hier, zuletzt als Modellschreiner in hiesiger Maschinen-fabrik. Von 1895/97 genügte er seiner Militärdienstpflicht beim Pion.-Bat. 13 in Ulm. Im Oktober 1899 verheiratete er sich mit Wilhelmine Fähnle von hier. Am 2. November 1915 zog er ins Feld, kämpfte heldenmütig in Flandern und Frankreich, zuletzt in den Vogesen, wurde lungenkrank und lag zur Heilung im Sanatorium in Schirmeck. Von dort kam er zu 14-tägigem Urlaub in die Heimat, von da wieder nach Ulm zum Garnison-dienst. Schon hatte er Befehl zum Abrücken nach Sedan, da erkrankte er aufs neue schwer. Ein Telegramm rief seine Frau an sein Krankenlager. Sie traf ihn im Delirium des Fiebers an; noch am selben Abend machte ein Blutsturz seinem Leben ein Ende. Nach Weingarten überführt, wurde Josef Bollmann unter großer Anteilnahme der Einwohnerschaft auf dem Friedhof daselbst mit militärischen Ehren bestattet. Mit der Witwe beklagen 5 unversorgte Kinder den allzufrühen Tod des treubesorgten Vaters.“


aus: „Schwäbische Helden Weingarten (in Wttbg.) im Weltkrieg“, Stuttgart 1920

Sonntag, 17. Juli 2016

17. Juli 1916


„Außer derartigen kleinen Sonderaufträgen erhielt die Abteilung eines Tages einen besonders heiklen Auftrag: Eine äußerst lästige Artilleriemulde, sowie eine Ortschaft mit Gas zu verseuchen. Um nun die Schußweite voll ausnutzen zu können, mußte eine Stellung dicht hinter der vordersten Linie erkundet werden, was auch nicht allzu schwer war, denn man brauchte sich für diese Nacht ja nur ins freie Kornfeld zu stellen. Jede Batterie sollte 1600 Schuß verfeuern. In der vorhergehenden Nacht wurde die gesamte Munition vorgebracht und unter Aufsicht von Unteroffizieren der Batterien in dem Kornfeld niedergelegt. Unteroffizier Erich Maier erwarb sich beim Vorführen der Kolonne durch das unter schwerem Feuer liegende Combles hervorragende Verdienste; aber auch jeder einzelne Mann der Kolonne tat sein Bestes; war es doch tatsächlich keine Kleinigkeit, mit 24 Wagen dieses gefährlichen Inhalts wenige hundert Meter hinter dem vordersten Graben aufzufahren und Munition abzuladen. Ein einzelner Mann kann gegebenenfalls in irgend einem Granatloch Deckung suchen; bei dieser großen Anzahl von Fahrern und Bedienungsmannschaften aber eine Unmöglichkeit.“


aus: „Das Württembergische Feld-Artillerie-Regiment Nr. 116 im Weltkrieg“, Stuttgart 1921

Samstag, 16. Juli 2016

16. Juli 1916


„Nördlich des Ancrebachs war der ganze englische Ansturm blutig zusammenge-brochen, nur im Süden der Einbruch in die deutsche Stellung gelungen; die ganze Wucht der feindlichen Massen warf sich dorthin. Englische Batterien wurden südwärts eingesetzt; das feindliche Artilleriefeuer verebbte allmählich und schwoll nur des Abends und zu einzelnen kurzen Feuerwirbeln an. Drei Kompagnien des Inf.-Reg. 186 lösten für wenige Tage abgekämpfte Teile der 119er im vordersten Graben ab. Handgranatentrupps eilten nach Thiepval den dort eingesetzten Bayern zu Hilfe, überfielen in der Frühe des 7. Juli das von den Engländern noch besetzte „Meisennest“ und hoben es aus. Bei Beaumont aber begann eine rege Bautätigkeit. Die Gräben wurden aufgeräumt, Hindernisse gezogen, zerschossene Unterstände hergerichtet und gestützt, schwache verstärkt und neue miniert. Pioniere trieben tiefe Minenstollen hinter dem Trichter und von der Schluchtspitze aus vor, um die Stellung gegen die unterirdischen Angriffe des Feindes zu schützen. Es entstand ein Wettminieren und nicht ohne Sorge lauschten die Verteidiger während der Horchpausen dem fernen, unermüd-lichen Klopfen der feindlichen Mineure, die sich aufs neue heranarbeiteten. Auch über der Erde schoben sich die Engländer näher her. Sie hatten erkannt, daß 300–400 Meter Sturmentfernung zu weit ist und legten ihre Gräben vor, zogen den Hohlweg, den Schauplatz zahlreicher Patrouillenkämpfe, in ihre Stellung ein, schnitten an der Straße nach Auchonvillers die zurückspringende Ecke ab, umstrickten die ֘„Schlucht“ mit einem Maschenwerk neuer Gräben in geringer Entfernung, stiegen vor Hamel von ihrer Höhe in die Mulde hernieder, trieben Sappen vor, verbanden die Sappenköpfe mit einander und erklommen die Geländewelle, auf der das I. Batl. lag. Wohl versuchten Artillerie, Infanterie und Maschinengewehre die Vorverlegung der englischen Stellung mit allen Mitteln zu verhindern. Patrouillen überwachten die nächtliche Schanzarbeit des Gegners, meldeten und veranlaßten heftige Feuerüberfälle. Aber der Gegner war tapfer und zäh. Nichts konnte sie in ihrem Vorhaben aufhalten.“


aus: „Das Württembergische Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 119 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1920

Freitag, 15. Juli 2016

15. Juli 1916


Leutnant der Res. Walter Schlette.
2. Landw.-Div., Landw.-Inf..-Regt., Msch.-Gew.-Komp.,
gefallen 15. Juli 1916.
Walter Schlette ist geboren zu Balingen am 22. September 1891 als Sohn des K. Oberförsters Karl Friedrich Schlette, nachmaligen, am 8. Juni 1916 verstorbenen Forst-meisters und seiner Ehefrau Anna, geborene Heigelin aus Ellwangen. Er besuchte die Volks- und Lateinschule in Balingen und nach Übersiedlung seiner Eltern anhier, 1902, des Gymnasium in Ravensburg. Im Jahre 1909 legte er die Abiturientenprüfung ab, trat dann als Einjährig-Freiwilliger beim Infanterie-Regiment 124, 1. Kompagnie, ein. Nach vollendetem Dienstjahr als Unteroffizier entlassen, widmete er sich in Tübingen dem Studium der Forstwirtschaft und sah so, von Kindheit auf mit der Natur, mit Wald und Jagd vertraut, seinen höchsten Wunsch erfüllt. Liebe und Freude am Studium, großer Fleiß und treue Gewissenhaftigkeit bei demselben hätten ihm schon nach 4 Jahren die Ablegung seines ersten Staats-Examens ermöglicht. Nahe am Ziele wurde ihm sein Vorhaben vereitelt durch den Ausbruch des Krieges.
Am 3. August 1914 rief ihn der Mobilmachungsbefehl zum Landwehr-Infanterie-regiment 122 nach Ulm. Nach kurzem Dienst zog er am 14. August 1914 als Vizefeld-webel und Offizier-Stellvertreter ins Feld, zunächst an die lothringische Grenze Märsche und Gefechte, schwere und freudige Tage teilte er mit dem Regiment. Am 3. November 1914 wurde er zum Leutnant befördert und für seine Tapferkeit und Unerschrockenheit mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse, auch mit der Silbernen Verdienstmedaille ausge-zeichnet. Im Januar 1916 bezog das Regiment Stellung westlich der Maas. Walter Schlette war inzwischen zur Maschinengewehr-Kompagnie desselben übergetreten. Im Mai 1916 erhielt er einen 3-wöchigen Urlaub zu dem Zwecke, seine Forstdienstprüfung abzulegen, was ihm auch mit gutem Erfolg gelang. Während dieser Zeit erkrankte und verstarb sein Vater. Leiderfüllt reißt er sich los von der trauernden Mutter, von den Geschwistern und zieht zum zweitenmal hinaus in den Kampf fürs Vaterland. Am Abend des 15. Juli 1916, als stellvertretender Kompagnie-Führer auf einem dienstlichen Gang (Nachsehen der Maschinen-Gewehre), geriet er in einen feindlichen Feuerüberfall; inmitten zweier Begleiter traf ihn das tödliche Artilleriegeschoß. Wahrscheinlich tötete ihn der Luftdruck einer krepierenden Granate; seine beiden Kameraden blieben unver-sehrt. Zwei Tage darauf, am 17. Juli, wurde er auf dem Friedhof im Emont-Wald mit allen militär. Ehren beerdigt. Ein schöner Grabstein, den das Regiment ihm setzen ließ, gibt Zeugnis von dem Ansehen, das er bei seinen Vorgesetzten und Kameraden genos-sen. ( … )
Der Bataillons-Kommandeur schreibt an die Mutter:
Ich habe Ihren Sohn gern gehabt und hoch geschätzt. Eine vollkommen lautere, reine und vornehme Gesinnung, eine ruhige Klarheit und Entschlossenheit, eine erhebende, frische Fröhlichkeit haben ihn in seltenem Maße ausgezeichnet. Offiziere und Mannschaften haben ihn gleich sehr geliebt und verehrt.“


aus: „Schwäbische Helden Weingarten (in Wttbg.) im Weltkrieg“, Stuttgart 1920


„Der Gegner gab von Zeit zu Zeit auch gut geleitetes Einzelfeuer schwerer Kaliber auf einzelne Unterstände in vorderer Linie ab. Am 10. Juni erzielte er einen Volltreffer auf Fuchsbau 6 in Stellung O (Sappe), wobei 1 Unteroffizier und 5 Mann der 4. Kompagnie im Fuchsbau verschüttet und getötet wurden; 3 weitere Tote wurden, soweit sie gebor-gen werden konnten, auf dem Friedhof beim Eckhof begraben. Am 13. Juni wurde in T ein Fuchsbau zertrümmert und dabei 4 Pioniere und 1 Mann der 2. Kompagnie getötet. Und noch am 15. Juli, als uns das gegnerische Artilleriefeuer wenig mehr belästigt hat, fiel Leutnant Schlette, M.-G.-Komp. (früher 8. Komp.) nachts beim Gang durch den Graben am Waldrand Q einem vereinzelten Artillerieschuß zum Opfer. Auch sein Tod wurde allgemein bedauert, denn er war ein aufrechter Mann, ein schneidiger Soldat und ein trefflicher Kamerad.“

aus: „Das Württembergische Landw.-Inf.-Regiment Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1923

Donnerstag, 14. Juli 2016

14. Juli 1916


„In den kommenden Wochen hatte man verschiedentlich den Eindruck, als ob die Engländer den Angriff [vom 1. Juli 1916] wiederholen wollten. Das Artilleriefeuer steigerte sich zeitweise zum Trommelfeuer, künstlicher Rauch und Nebel wurde erzeugt, Maschinengewehrfeuer und unser Sperrfeuer setzten ein, aber Angriff erfolgte keiner. Der Engländer war nur bestrebt, uns durch fortgesetzte Beunruhigung, Störung der rückwärtigen Verbindung und unserer Arbeit mürbe zu machen. Bei dem ruhigen, fast schwerfälligen Charakter der Württemberger gelang ihm dies aber nicht. Im Gegenteil, je länger das Theater dauerte, um so ruhiger und sicherer wurde man, denn man wußte ja, daß alles nur „Bluff“ ist.
Später tobte die Schlacht an der Somme links von uns in unverminderter Heftigkeit weiter. Fast ununterbrochen rollte der Kanonendonner, man sah auch die schweren Einschläge auf der Höhe bei Thiepval, die Schrapnellwolken am Himmel, die Fesselballone bis zu 40 Stück scheinbar auf einem Haufen, weil wir die Front entlang sehen konnten, und der Himmel war dauernd von Fliegern belebt. Schaurig schön war bei Nacht das Feuerwerk der bunten Leuchtkugeln, das Aufblitzen des Abschusses der Kanonen aller Kaliber und die Kometenschweife der brennenden Zünder, an denen man die Geschoßbahn verfolgen konnte, vereint mit dem Feuerschein der platzenden Geschosse.
Sobald wieder ein Großkampftag war, bekam auch das Regiment seinen Anteil an Artillerie- und Minenfeuer ab, oder die vor dem Regiment stehende Artillerie schoß über uns hinweg in Richtung Courcelette und die Artillerie der Division machte kehrt und griff in den Kampf mit ein. So wurde das Regiment zwar nicht angegriffen, aber doch dauernd in Mitleidenschaft gezogen. Befehle von oben wie: „Erhöhte Gefechts-bereitschaft, oder mit einem feindlichen Angriff ist bestimmt zu rechnen!“ trugen auch nicht zur Beruhigung bei.“

aus: „Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 121 im Weltkrieg 1914–1918“ Stuttgart, 1922