„Am
13. Dezember, im Morgengrauen, stand das Bataillon in Münsingen zum Ab-marsch
nach Rumänien bereit. Den weiten Weg dorthin hat es buchstäblich zu Fuß
angetreten, denn es marschierte zunächst im Schneetreiben 24 km zu Station
Schelk-lingen, wo es verladen wurde. Das war ein herber Anfang. Es war ein
Glück, daß am Abend zuvor das Friedensangebot des Deutschen Kaisers an die
Feindmächte bekannt geworden war. So keimte in manchem Herzen im Winter eine
leise Hoffnung auf, das Ende des Kriegs könnte nahe sein. Es kam anders, und
auch von den Ausmarschierten des 3. Landsturm-Bataillons Ludwigsburg, die am
Tor des Münsinger Lagers von ihren Angehörigen Abschied nahmen, sind nicht alle
wieder heimgekehrt.
Von
Schelklingen nach Rumänien ist es ein weiter Weg. Das Bataillon rechnete mit
einer fünftägigen Fahrt, als es am 13. Dezember abfuhr. Daß es das Neujahrsfest
1917 noch auf der Bahn feiern werde, hätte keiner gedacht. Daran waren die
ungarischen Bahnen schuld.
Über
Ulm – München – Rosenheim ging die Fahrt bei Nacht und in fahrplanmäßigem Tempo
durch das tief verschneite Oberbayern dem fremden Land entgegen. Als die
deutschen Grenzpfähle zurückblieben, begann die berühmte k. u. k.
österreichisch-ungarische Gemütlichkeit. Je weiter der Transport nach Osten
kam, desto schlimmer wurde es. Erst als die Ludwigsburger Landstürmer in der
Neujahrsnacht an der rumä-nischen Grenze wieder in die Obhut deutscher
Eisenbahner gekommen waren, kam auch wieder Ordnung und Tempo in den
Fahrbetrieb. Die Fahrt mit allem Drum und Dran glich, je tiefer das Bataillon
hinter Wien in die Länder der einstigen Donaumonarchie hineinrollte, immer mehr
einem Roman, aber einem schlechten. Mit den Fahrtzeiten stimmte es nicht, noch
weniger mit der Verpflegung. Hören wir beispielsweise aus dem Bericht des
Leutnants Schneider, wie es dem Transport in Marchegg, an der
österrei-chisch-ungarischen Grenzstation ging:
„Es
war ½5 Uhr morgens, als wir diesen Ort erreichten. Von der Bahnhofkommandantur
ließ sich kein Mensch blicken. Ich suchte die Herrschaften, fand eine
Militärküche, darin einen verschlafenen Koch, der eben begann, seine Kessel zu
heizen; der führte mich zur Kommandantur. Alles lag im tiefsten Morgenschlaf.
Auf meinen nicht allzu freundlichen Morgengruß kroch ein Unteroffizier aus den
Federn. Ich verlangte den Offizier vom Dienst und hörte, daß der Herr
Rittmeister in der Stadt wohne und nicht vor 8 Uhr auf den Bahnhof komme. Mein
Begehren, ihn zu holen, begegnete verständ-nislosem Entsetzen. Der Unteroffizier
versprach, für die Verpflegung zu sorgen. Wir müßten eben ein bißchen warten,
der Transport sei nicht angemeldet. Wir warteten also eine Stunde und noch eine
halbe – da brachte der Unteroffizier den Befehl, daß wir erst in Galanta
verpflegt würden und nun abfahren könnten! In urschwäbischen Kosenamen machten
unsere Leute ihren Gefühlen Luft. Es war ihnen nicht zu verdenken. Mit
zweistündiger Verspätung fuhren wir hungrig und mit einem wenig Vertrauen
erwek-kenden ungarischen Zugpersonal weiter über Preßburg.“
In
Galanta, einem großen Rangierbahnhof zwischen Preßburg und Budapest, war „zu so
früher Stunde“ – es war inzwischen 9 Uhr vormittags geworden – der diensttuende
Oberleutnant noch nicht zu sprechen. Von dort aus wurde es immer östlicher.
Diebstähle an Material und Lebensmitteln mehrten sich. Heizschläuche waren da,
aber nicht genügend Dampf. Mit der Verpflegung haperte es bedenklich. Einzig
die ungarische Station Parkanny-Nana, wo man mit fünfstündiger Verspätung
ankam, brachte einen Lichtblick. Hier gab es Schweinerippchen mit Gemüse und
Kaffee. Das beruhigte manches grollende Schwabenherz.
Zwischen
Gran und Waitzen für der Transport dicht am Nordufer der Donau hin. In einer
Breite von 800 m wälzt sich der gewaltige Strom am steilabfallenden Bergufer
des Pilitscher Gebirges hin und wendete sich bei Waitzen stark nach Süden. Über
Budapest ging die Fahrt in südöstlicher Richtung weiter nach Czegled. Hier
hörte die zweigleisige Bahn auf; das gab zu denken. Deutsche Eisenbahner bauten
an ungezählten Stellen Ausweichgeleise für die vielen Militärtransporte. Die
Stockungen wurden jetzt, während der Transport durch die ungarische Tiefebene
fuhr, immer häufiger. Über Kecskemet wurde am Mittag des 16. Dezember Szegedin
erreicht. Hier teilte ein k. u. k. Ober-leutnant mit gewichtiger Miene mit, der
Transport müsse auf höheren Befehl „auswag-goniert“ werden und auf unbestimmte
Zeit in der Stadt Quartiere beziehen. Das war am Samstag. Der Sonntag wurde zur
Besichtigung dieser interessanten und weitläufigen Stadt benützt, die am
Zusammenfluß von Theis und Maros, durch riesige Dämme gegen Hochwasser
geschützt, in der Tiefebene liegt. Am Montag mittag war das Bataillon wieder
fahrbereit Richtung Temesvar. In dem verlassenen Zug war inzwischen gestohlen
worden, was nicht niet- und nagelfest war. Selbst die Heizschläuche hatten sich
auf die Wanderschaft gemacht. Auf der Kommandantur zuckte man die Achseln;
solche Diebereien gehörten in jener Gegend zum Alltäglichen. In Temesvar gab es
neuen, mehrtägigen Aufenthalt; erst am 26. ging es weiter. Dort hatte das
Bataillon seinen ersten Toten, den Landsturmmann Miller von Untereisenbach, der
an einem Herzschlag starb. In Temesvar feierte es auch Weihnachten. Langsam und
mit endlosen Aufent-halten erfolgte die Weiterfahrt über Arad – Tövis –
Schäßburg. Am 1. Januar 1917, nachmittags 4 Uhr, wurde Kronstadt erreicht, wo
deutsche Eisenbahner den Zug über-nahmen. Fast ohne Aufenthalt gelangte der
Transport über den tief verschneiten Predealpaß weiter auf rumänischen Boden
und nach Sinaja, der einstigen Sommer-residenz der rumänischen Könige. Hier war
die Bahnfahrt zu Ende, nach 21 Tagen.
Fast
mit einem Schlag sah sich das Bataillon in eine herrliche Winterlandschaft
versetzt, aber auch mitten ins Kriegsgebiet. Aus den Riesenfenstern des
Palasthotels sowie anderer schöner Bauten des ehemals eleganten Luftkurorts
Sinaja schauten Dragoner-pferde heraus, während andere Räume von Mannschaften
dicht belegt waren. In der Ortschaft selbst herrschte eine große Zerstörung;
kaum ein Fenster, kaum ein Ofen war noch heil, so daß die nachrückenden Truppen
in ihren Notquartieren fürchterlich unter der Kälte zu leiden hatten. Die
Ludwigsburger bekamen das sofort aus erster Hand zu spüren. Zunächst wurde in
Sinaja Ortsunterkunft bezogen. Nachher mußte, da allein auf der Bahnstrecke bis
Ploesti mehr als zwanzig Brücken und Tunnels zerstört waren, die Walachei zu
Fuß auf schlechten, nicht ungefährlichen Gebirgswegen durch das wildromantische
Tal der Prahova erreicht werden. Noch lagen unzählige Pferdeleichen auf der
Strecke, noch rauchten die Petroleumfelder bei Campina und bei Baikoi weithin
blutrot durch die Nacht, während tagsüber die Rußwolken das Atmen erschwerten.
Der Marsch hatte bei sonnig klarem Frostwetter begonnen; in der Ebene schlug
das Wetter um, der Regen strömte und die Straßen waren aufgeweicht, der Schmutz
unbeschreib-lich. So wurde von Sinaja aus in viertägigem Marsch über Comarink –
Campina – Baikoi am 6. Januar Ploesti erreicht. Hier erhielt das Bataillon von
der Etappenin-spektion 15 weiteren Marschbefehl nach der weiter östlich
gelegenen Stadt Buzau, die in viertägigem Marsch erreicht werden sollte. Aber
die Straße von Ploesti nach Buzau war grundlos, für Wagen kaum und für
Kraftwagen gar nicht zu gebrauchen. Glückli-cherweise bot sich die Möglichkeit,
400 Mann des Bataillons, die durch den vorausge-gangenen Marsch nach Ploesti am
meisten gelitten hatten, in kleinen Abteilungen mit der Bahn weiterzubefördern.
Der Rest trat zusammen mit den Baggagen am 7. Januar bei wildem Schneetreiben
den Weitermarsch nach Buzau an. Das Gepäck wurde auf den landesüblichen
Ochsenwagen mitgeführt. Niemand war unglücklich, als am zweiten Marschtag
bekannt wurde: Von Mizil ab – halbwegs nach Buzau – gibt es Bahnfahrt für alle!
So wurde am 10. vollends Buzau erreicht und damit das Gebiet, in dem die Hauptarbeit
des Bataillons in den folgenden zwei Kriegsjahren zu leisten war.
Das
Bataillon sah sich der Etappenkommandantur 271 in Buzau unterstellt und wurde
von ihr alsbald aufgeteilt und restlos verwendet. Die 2. Kompagnie unter
Hauptmann Link übernahm zunächst die dortige Ortskommandantur, die 3. unter
Oberleutnant Ammer die Militärpolizei, die 1. unter Rittmeister Graf v.
Knyphausen wurde im Außenbezirk verwendet. Der 4. Kompagnie unter Oberleutnant
Keller fiel eine Aufga-be zu, die wahrhaft dornenvoll wurde: Bewachung des durch
Cholera und später durch das unheimliche Fleckfieber verseuchten
Kriegs-Gefangenenlagers in Buzau.“
aus: „Landsturm
vor! Der mobile württembergische Landsturm im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart,
1929