„Unsere Stellung lag in einem Gelände, über welches 1914 schon die
Kriegsfurie hinweggebraust war und in dem im Sommer 1915 verheerende
Grabenkämpfe gewütet hatten. Dadurch war die sonst so liebliche flandrische
Gegend mit ihren schönen park-umgebenen Schlössern, idyllischen Waldstücken,
wohlgepflegten pappelbestandenen Straßen in eine Wüstenei verwandelt worden.
Aus den menschlichen Wohn- und Arbeitsstätten wurden Trümmerhaufen, deren
Überreste zur Ausbesserung der grund-losen Wege dienten. Die Wälder wurden zu
einem gräßlichen Gewirr faulenden Holzes. Die Chaussee nach Ypern war nur noch
von Stümpfen eingefaßt. War durch Zufall ein oder der andere Baum stehen
geblieben, so wies er tausend Wunden von Gewehr- und Schrapnellkugeln auf und
streckte seine kahlen, zerzausten Äste klagend und anklagend in die modrige
Todesluft. Um das Niederdrückende dieses Landschaftsbildes noch zu erhöhen,
ragte hie und da ein Holzkreuz aus dem feuchten Boden – schief und morsch. Es
war kaum noch zu erkennen, ob ein Deutscher oder Engländer hier seine letzte
Ruhe-stätte gefunden hatte. Die Kreuze mehrten sich und wuchsen zu ganzen
Friedhöfen an, die zum Teil unter Wasser standen. Sonst nichts als Gräben, alte
zerfallene, ver-schmutzte, verschlammte und neue, mühsam sauber gehalten. Und
über dem Ganzen ruhte ein trüber Winterblust. So sah unser neues Kampffeld aus.
Die Stellung selbst war sachgemäß und mit Fleiß ausgebaut, ein Gewirr von
Gräben, in dem wir uns alle erst nach und nach zurechtfanden. Die Stellung
bestand in der Hauptsache aus einer vorderen Linie, hinter welcher in der Mitte
durch eine umfang-reiche feindliche Sprengung noch eine Trichterstellung
entstanden war und aus zwei weiteren Kampf- bezw. Wohnlinien weiter rückwärts,
etwa 300 bezw. 1000 m hinter der vorderen Linie. An Verbindungswegen fehlte es
nicht. Zwischen den beiden rückwär-tigen Linien lag die Ruine des „Weißen
Schlosses“.
Die großen Sprengtrichter (in der Trichterstellung) redeten eine
eindrückliche Sprache, welche Zerstörungen eine einzige Ladung hervorrufen
kann. Mehrere Kompagnien waren hier in wenigen Sekunden in die Luft geflogen.
Wir mußten unsere ganze Auf-merksamkeit darauf richten, uns vor gleichen
Schicksalen zu bewahren. Daß noch immer miniert wurde, konnte festgestellt
werden.
Die Besetzung der Stellung war so geregelt, daß in dreitägigem Wechsel ein Bataillon
die vordere Linie als Kampfbataillon und ein Bataillon die 2. Stellung als
Bereit-schaftsbataillon zu besetzen hatte. Ein Bataillon verblieb in Reserve –
Ruhebataillon – im Lager. Nach und nach bildeten sich folgende Bezeichnungen
heraus, die sich als praktisch erwiesen: „K.-T.-K.“ für den
Kampftruppenkommandeur, „B.-T.-K.“ für den Kommandeur der Bereitschaften und
„Abschnittskommandeur“ für den Kommandeur des Regimentsabschnitts.
Die M.-G.-K. schlug ihr Quartier westlich Gheluwe auf, 8 Maschinengewehre
waren nach besonderem Ablösungsplan auf die Stellung verteilt, der Anfangs März
eine Abän-derung erfuhr, als das Regiment auf Grund einer kriegsministeriellen
Verfügung noch eine zweite M.-G.-K. aufstellen konnte.
Unsere Gegner waren Engländer. Sie lagen uns in der Mitte etwa auf 50 m
gegenüber, auf den Flügeln betrug die Entfernung zwischen den beiderseitigen
Gräben bis zu 200 m. Die Engländer waren in jeder Beziehung sehr aufmerksam und
tätig. Unser ganzes Grabensystem wurde häufig zu den verschiedensten Tages- und
Nachtzeiten mit Feuer belegt, bald hier, bald dort erfolgte ein Feuerüberfall,
schwere Kaliber und Minen zerstörten die Befestigungs- und Wohnanlagen der
Kampflinien, die Verbindungs- und Annäherungsgräben. Scharfschützen nahmen
tagsüber jedes sich ihnen bietende Ziel aufs Korn, Gewehrgranaten machten sich
unangenehm fühlbar, Maschinengewehre streuten die vorderen Grabenkämme ab,
erbitterte Handgranatenkämpfe während der Nacht in den vorderen Linien waren
nicht selten. Ins Hintergelände bis ins Lager verirrte sich nur ganz vereinzelt
eine Granate.
Die feindlichen Flieger waren ebenso häufige, wie ungern gesehene Gäste.
Der Abwurf von Bomben erfolgte selten, viel Schaden wurde dadurch nicht
angerichtet, aber die Flieger dienten der feindlichen Artillerie als
vorzügliche Beobachter und lösten bei günstigem Wetter wohlgezieltes
Artilleriefeuer aus.
Die Mannschaft unterzog sich mit dem ihr eigenen Pflichtgefühl willig und
unermüdlich im Interesse des großen Ganzen den neuen dornenvollen Aufgaben des
Krieges gegen den unsichtbaren Gegner. Große Begeisterung war nicht zu
erwarten. Das Bewußtsein, trotz täglich eintretender Verluste am nächsten Tage
genau so weit zu sein wie am vorhergehenden, „knabberte“ an den Nerven.“
aus:
„Das Infanterie-Regiment „Kaiser Friedrich, König von Preußen“ (7. Württ.) Nr.
125 im Weltkrieg 1914–1918“ׅ,
Stuttgart 1923