„Wir
fügen hier eine Schilderung des Kriegsfreiwilligen Ludwig Hörauf ein, der den
Marsch der Kompagnie nach Col. San Martino wie folgt beschrieb:
„In
Miane hatten wir uns auf einem Heuboden ein ganz annehmbares Lager für die
Nacht zurecht gemacht. Morgen sollte es also an den Feind gehen – an die Piave,
oder wie das Ding sonst heißen mochte! Während ich mich auf meinem Lager
ausstreckte, hörte ich noch so halb ein Gespräch meiner Nachbarn, die sich über
die Breite dieses Flusses unterhielten. Ich schlief darüber ein, ermattet von
den Anstrengungen der end-losen Märsche.
Mir
kam es so vor, als hätte ich kaum die Augen geschlossen, als morgens der Weckruf
ertönte. Antreten! Flugs wurden beim Schein einer Kerze die Mäntel gerollt und
die Decken im Tornister verstaut. Wir suchten unsere paar Habseligkeiten
zusammen und dann ging’s hinaus auf die Dorfstraße. Noch war es dunkle Nacht!
Drinnen
im Dorf stellten sich die Züge auf. Kaffee gab es und Brot. Wir hatten lange
keins mehr gegessen und uns wohl oder übel mit der Polenta der Italiener
abgefunden.
Endlich
kam der Marschbefehl! Die Spitze setzte sich in Bewegung, die Verbindungs-leute
folgten – dann die einzelnen Züge in Reihen zu zweien links und rechts der
Straße. Merkwürdig kam mir diese Marschweise vor. Ich hatte dabei immer das
Gefühl, als ob es nur zu einer harmlosen Felddienstübung ginge. War man doch
vom Grabenkrieg seit Jahr und Tag eine ganz andere Taktik gewöhnt.
Das
Dorf hatten wir bald hinter uns. Hohe Maisfelder tauchten auf, eine aus Steinen
errichtete Straßenbarriere mußte überstiegen werden. Nirgendwo rührte sich was.
Schweigend marschierten die Leute dahin, den Karabiner um den Hals gehängt, die
Hände in den Taschen. Ab und zu langte einer nach der mit Wein gefüllten
Feldflasche, um einen Schluck daraus zu tun. Und dann entstand zur Abwechslung
wieder mal eine kleine Stockung.
Nach
etwa einer Stunde erreichten wir eine Straße, die von hohen Bäumen begrenzt
war; sie zog am Fuße eines Berges hin. Von der weiteren Umgebung konnten wir
nicht viel sehen, denn es war immer noch ziemlich dunkel.
Da
blitzen auf einmal Schüsse vor uns auf und ein paar Kugeln pfiffen über die
Straße hin. Mein Vordermann meinte: da vorn sei’s nicht ganz sauber und ich
meinte es auch. Wir waren Verbindungsleute zwischen der Spitze und der
Kompagnie.
Nun
kam der Kompagnieführer, Oberleutnant Nagel, an uns vorbei. Er rief meinen
Namen uns als ich mich meldete, eröffnete er mir, daß ich als Gefechtsordonnanz
zu ihm bestimmt sei. Ein Radfahrer mußte mir sein Rad aushändigen und außerdem
durfte ich meinen Tornister abgeben, was mir eine ganz besondere Freude war.
In
dieser Zeit war die Kolonne wieder in Gang gekommen. Es muß wohl nur eine
Patrouille gewesen sein, die uns da auf der Straße einige Schüsse
entgegensandte. Ich begab mich nach vorne und marschierte, mein Rad schiebend,
neben dem Kompagnie-führer vor der Spitze. Bereits fing es an, Tag zu werden,
und siehe da, jetzt zeigten sich die Umrisse eines Dörfleins. Col. San Martino!
An
den ersten Häusern machten wir halt. Karabinerkolben schlugen an die verschlos-senen
Türen. Wir riefen und schimpften, aber niemand öffnete. Schließlich hatten wir
auch gar keine Zeit, uns lange aufzuhalten. Die Spitze marschierte weiter!
Oberleutnant
Nagel sagte zu mir, ich solle einmal vorfahren und sehen, ob ich nicht einen
Zivilisten finde. Vielleicht hoffte er, auf diese Weise etwas über den Gegner
zu erfahren. Ich setzte mich also aufs Rad und fuhr los. Das Dorf bestand aus
vereinzelten, von Gärten umgebenen Gehöften – es zog sich sehr in die Länge.
Kein Mensch war zu sehen und ich dachte mir wohl, daß auch die übrigen Häuser
verschlossen sein würden. In dem guten Glauben, mit der Zeit schon jemand zu
begegnen, fuhr ich immer weiter.
An
einer Straßenbiegung stieg ich ab, um mich zu orientieren und ein wenig
Ausschau zu halten. Ich sah eine Brücke vor mir und als ich auf sie zuging,
gewahrte ich, daß jemand die Straße herunterkam. Wie ich bald erkannte: ein
italienischer Soldat. Da ich an einer Hecke stand, konnte er mich nicht
bemerken. Ich ließ ihn ganz nahe herankom-men. Plötzlich blieb er wie
versteinert stehen. Es wäre mir ein Leichtes gewesen, ihn auf die Entfernung
niederzuschießen, denn ich hatte meinen Karabiner bereits schußfertig in
Händen, während er sein Gewehr noch umhängen hatte. Ich wollte ihn aber
gefangen nehmen und rief ihm deshalb zu, zu mir herzukommen. Er rührte sich
nicht von der Stelle. Wie ich nun auf ihn zuging, machte er plötzlich kehrt und
sprang in rasendem Lauf der Brücke zu. Ich knallte, da im Morgengrauen ein
genaues Zielen nicht möglich war, aufs Geratewohl hinter ihm drein. Er fiel,
raffte sich jedoch gleich wieder auf und verschwand hinter dem schützenden Ufer
des Baches. Auch die Spitze der Kompagnie, die inzwischen aufgerückt war, hatte
einige Schüsse auf den Flüchtling abgegeben.
Jetzt
wurde es lebendig! Vom Bach her krachte es auf uns los, so daß wir es vorzogen,
im Straßengraben volle Deckung zu nehmen. Das Feuer wurde immer stärker.
Oberleutnant
Nagel war sofort zur Stelle. Er gab Befehle und gleich darauf brachen die
Stoßtrupps in die Gärten ein, schwärmten aus und gingen gegen den Feind vor.
Die Spitzengruppe mit Leutnant Böhmig arbeitete sich im Straßengraben an die
Brücke heran, in deren Umgebung besonders heftig geschossen wurde. Auch
Handgranaten wurden von dort aus geworfen.
Ich
begab mich zum Kompagnieführer. der auf der Straße stand. Er hatte mich kaum
erblickt, als er schon wieder einen Auftrag für mich wußte. Diesmal eine
Meldung an die Infanterie-Geschütz-Batterie, die da irgendwo im Dorf stehen
sollte. Ich holte mein Rad, das noch unversehrt auf der Straße lag und stieg
auf. Kugeln klatschten gegen die Mauern der Häuser und es war mir, als ob die
Italiener nun alle auf mich schießen würden. Doch schlug ich ein scharfes Tempo
an und war bald um die Ecke.
Im
Dorfe stand die Kompagnie Busse, deren Leute ungeduldig auf den Befehl zum
Eingreifen warteten. Von allen Seiten rief man mir zu, was denn eigentlich los
sei vorne. Ich hatte aber gar keine Zeit um, all die Fragen zu beantworten.
Nachdem mein Auftrag erledigt war, fuhr ich wieder nach vorne. Das Gefecht ging
seinem Ende entgegen; man hörte nur noch vereinzelt Schüsse fallen. Ein
Verwundeter wurde vorübergetragen: Max Klett, der zur Spitzengruppe gehörte und
beim Vorgehen auf die Brücke einen schweren Unterleibschuß erhalten hatte. Am
Nachmittag ist er im Pfarrhaus in San Martino ge-storben.
Oberleutnant
Nagel traf ich vorne auf der Brücke; er verhörte gerade einen gefangenen
italienischen Sergeanten, der etwas Deutsch konnte. Es war jetzt vollends Tag
gewor-den. Vor uns: Hecken und hohe Maisfelder – ein ungünstiges Gelände. Die Kompagnie
sammelte sich allmählich wieder; von allen Seiten kamen die Gruppen herbei,
Gefan-gene mit sich führend.“
Der
Gegner wich in Richtung Vidor aus. 53 Gefangene blieben in unserer Hand und
beim weiteren Vorgehen ergaben sich noch etliche versprengte Italiener.
Das
Bataillon marschierte jetzt nach Valdobbiadene, wo Leutnant Schiefer mit seinen
Radfahrern wieder zur Kompagnie stieß. Von hier aus fuhr die Patrouille, der
sich auch einige mit Fahrrädern versehende Ordonnanzen angeschlossen hatten,
zur Erledigung ihres Auftrages zunächst nach San Vito; sie pirschte sich von
dort zu Fuß an die Piavebrücke heran, die vollkommen intakt war, da der Gegner
seinen Rückzug über den Fluß noch nicht beendet hatte.
Gegen
11.30 Uhr vormittags gelangte unsere Kompagnie an den Westausgang von San Vito,
an dem auf Befehl des Bataillons gehalten wurde. Ein toter Bersagliere lag an
der Straße; er hatte einen Kopfschuß. Hier also war die Patrouille Schiefer auf
den Feind gestoßen. Während des Anmarsches hatte man eine Schießerei gehört,
die aber rasch abflaute. Wo waren die Radfahrer? Hatten sie die Brücke
erreicht?
Die
Zustände, wie wir sie zu jener Stunde an der Piave antrafen, schildert uns Paul
Körner in seinem Tagebuch:
„Als
wir von San Vito aus durch Hecken und Gärten weiter vorgingen, wurde auf einmal
die Piave sichtbar – der Fluß, von dem seit Tagen die Rede war, von dem man
annahm, daß an ihm die Entscheidung fallen würde. Es war ein unvergeßlicher
Anblick. Ein tiefes Tal – die vielverzweigte Wasserfläche der Piave – hüben und
drüben Berge mit Weingärten an den unteren Hängen – Torrenten, Straßen,
Weinbergwege. Und, was uns gerade in Erstaunen setzte: der Feind in
geschlossenen Kolonnen auf dem jensei-tigen Ufer. Infanterie, Artillerie und
Troß. Ahnungslos bewegte er sich auf der Straße. Es handelte sich um Teile der
italienischen Heeresgruppe, die von Feltre durchs Piavetal südwärts
marschierten. Lokomotiven rasten auf der Bahnlinie Feltre – Treviso laut
pfeifend dahin, ein Zug fuhr vorüber. Auf Befehl des Majors von Breuning wurden
sofort Maschinengewehre und Geschütze vorgezogen. Die Batterie ging in
Stellung, Maschinengewehre ratterten los, Karabiner knallten und bald
erdröhnten die ersten Abschüsse der Geschütze. Beim Feind Verwirrung und
Bestürzung. Er konnte auf der unmittelbar an den Bergen sich hinziehenden
Straße nicht ausweichen und war so dem Feuer preisgegeben…..“
Währenddessen
hatten sich auf Anordnung von Oberleutnant Nagel der 2. Zug mit Leutnant Noller
und Leutnant Hagenmayer mit drei leichten Maschinengewehren an die Piavebrücke
begeben, die Leutnant Schiefer mit seiner Patrouille bereits angegriffen hatte.
Vor dem Brückenhaus diesseits des Flusses befand sich eine starke
Straßenbar-rikade, von der aus günstig postierte feindliche Maschinengewehre auf
die Unseren ein heftiges Feuer eröffneten. Auf der Brücke selber gewahrte man
italienische Soldaten, die in fieberhafter Eile die Sprengung vorbereiteten.
Wie nun die Barrikade erstürmt wurde, flog die Brücke unter ungeheuren
Detonationen in die Luft. Drei der großen Brückenbogen waren durch die
Sprengung zerstört.
Nun
fing die feindliche Artillerie zu schießen an; erst aus kleineren und später
aus mittleren Kalibern. Auf das Dorf San Vito und die Straße zur Brücke konzentrierte
sich ihr Feuer, so daß das Bataillon ziemliche Verluste erlitt. Deutlich waren
auf dem Berg Tomba die gegnerischen Stellungen zu erkennen.
Von
unserer Kompagnie sind an der Piavebrücke verwundet worden: Gefreiter Alber,
die Grenadiere Kuhn, Hallwachs, Bodmer und Stoll.
Leider
ist der verwundete Hermann Bodmer zwei Tage später in der als Verbandsstätte
eingerichteten Kirche von Valdobbiadene durch einen Granatvolltreffer gefallen.
Er war, als das Lazarett beschossen wurde, noch einige Male in die Kirche
zurückgegangen, um Schwerverwundete zu bergen. So hat er den Tod gefunden als
ein echter Soldat, als ein Mann, der sich ohne Besinnen für die Rettung der
hilflos daliegenden schwerverwun-deten Kameraden einsetzte. Wir können stolz auf
ihn sein. Er wurde laut Paul Körners Tagebuch am 13. November im Beisein der
11. Korporalschaft auf dem Klosterfriedhof in Valdobbiadene beerdigt.
Nach
Sprengung der Piavebrücke rückt eine Patrouille unter Führung von Unteroffizier
Nedele gegen Segusino vor, um den östlich der Piave zurückgebliebenen
italienischen Sicherungs-Abteilungen den Rückzug abzuschneiden. Der 2. Zug
besetzte die Höhe 442 und einige Gruppen übernahmen die Sicherung der Brücke.
Der Rest der Kompagnie verblieb in San Vito. Schuß auf Schuß jagte die
gegnerische Artillerie in die Ortschaft und schon zeigte das Dorf, das am
Mittag noch einen so friedlichen Eindruck gemacht hatte, ein höchst
unerquickliches Bild. Zertrümmerte Fenster, die Straßen besät mit Dachziegeln!
Frauen und Kinder suchten das Nötigste in Haus und Hof zusammen, um dann zu
fliehen, irgendwohin. Viele der Einwohner sind den Granaten zum Opfer gefallen.
Es war überall ein Weinen und Weheklagen und die Leute konnten sich umso
weniger mit diesem Schicksal abfinden, als doch die italienischen Truppen und
ihre Verbündeten es waren, die das Dorf zugrunde richteten.
Gegen
Abend traf von Major von Breuning der Befehl ein, die einige Kilometer weiter
nördlich an der Piave gelegenen Ortschaften Segusino und Vas zu besetzen. Über
den Vormarsch dorthin, den wir bei Beginn der Dunkelheit antraten, berichtet
Oberleutnant Nagel:
„Die
am Brückenhaus mit Drahthindernissen versperrte Straße von San Vito nach
Segusino bildete die einzige Möglichkeit, zu diesen Ortschaften zu gelangen.
Das Brückenhaus am Anfang der zerschossen Brücke und der dortige Straßenteil
lagen Unter fortgesetztem feindlichen Artilleriefeuer. Ein Umgehen dieser
gefährdeten Stelle war aber nicht möglich, da die Straße links durch die Piave
und rechts durch einen steilen Hang begrenzt war. Der Marsch mußte also
unbedingt durchs Artilleriefeuer hindurch erfolgen.
An
Hand der Uhr stellte ich eine gewisse Regelmäßigkeit im Abschuß der feindlichen
Artillerie fest. Die Salven folgten mit Unterbrechungen von etwa je zwei
Minuten. Es galt also, in dieser Zeit die Feuerzone zu überwinden.
Nach
einer dieser Salven ließ ich die Spitzengruppe im Laufschritt antreten. Meine
Berechnung hatte aber nicht gestimmt, denn als ich gerade mit Hörauf und Dais
sowie der vordersten Gruppe die windige Stelle passierte, wurde die feindliche
Artillerie ihrer Gewohnheit untreu. Hätten wir das Aufblitzen der Abschüsse
nicht sofort erkannt und uns rechtzeitig zu Boden geworfen, so hätte es uns, da
wir mehrere Volltreffer bekamen, schlecht ergehen können. So waren wir nur mit
Steinen und Schmutz überschüttet worden. Ein Glück, daß die geschlossene
Kompagnie erst auf etwa 60 Meter Entfernung nachfolgte. Am Eingang der
Ortschaft Segusino bot sich uns eine weitere Überraschung dadurch, daß wir
plötzlich angeschossen wurden. Wir machten sowohl hier wie auch in Vas
Gefangene.“
In
beiden Dörfern gab es reiche Vorräte an Lebensmitteln. Es wurden starke Wachen
an der Piave ausgestellt und nur einem kleinen Teil der Kompagnie war es
vergönnt, ins Quartier zu kommen und einige Stunden zu schlafen.“
aus:
„Württembergische Sturmkompagnie im großen Krieg“ׅ, Stuttgart 1930