„Am
21. ging der Marsch zur 206. Inf.-Division, hinter der wir bereitgestellt
werden sollten, weiter. Der Regimentsstab kam nach Andevanne. Auf allen Straßen
in Richtung Buzancy sah man die Kolonnen der Division marschieren, ein
strahlend schöner Tag war es, eine herrliche Gegend, und überall ertönten
Marschlieder. Der ganze Krieg hatte sofort ein ganz anderes Gesicht, wenn
einmal marschiert werden konnte. Eine ganz andere Stimmung kam dann auf, als in
dem ewigen Stellungskrieg, der einem nach-gerade zum Halse heraushing. Aber
gleich auf dem Marsche ereigneten sich einige merkwürdige Unfälle. Ein
Unteroffizier des Regimentsstabes stürzte mit dem Pferd und wird schwer
verletzt. Offizierstellvertreter Huber, Verpflegungsoffizier der I. Abteilung,
ein außerordentlich tüchtiger und aufrechter Mann, früher im Frieden mein
Wacht-meister bei der 6./13, stirbt infolge eines Sturzes vom Wagen, dessen
Pferde durchgin-gen, wobei noch ein Mann verletzt wurde.
Der
Anfang war nicht gut. Aber es kam bald noch schlimmer.
Als
wir Andevanne erreichten, ertönte in Richtung auf die Front eine mächtige
Detonation. Was war das? Fliegerbombe konnte es nicht sein, dafür war die
Detonation zu stark. Ein Schuß auch nicht, man hatte sein Herankommen nicht
gehört, Die boden-ständigen Truppen der 28. Inf.-Division wußten Bescheid. Es
war ein neues, torpedo-artiges Geschoß von 34 cm Kaliber, mit dem der Gegner
nach Romagne schoß, wo der Bahnhof und Munitionsdepots sich befanden. Wir
hörten diese Einschläge mehrmals in jeder Stunde, das Kommen der Geschosse war
nicht zu hören, auch in der Nähe von Romagne nicht.
Die
Stimmung war überall, wohin man kam, nervös, wie sie nach ungünstig
verlaufen-den Kampfhandlungen zu sein pflegte. Allmählich erfuhr man einiges aus
den Kämpfen. Der Gegner hatte am 20. beiderseits der Maas angegriffen, mit
starker Artillerie-vorbereitung. Der „Tote Mann“ war verloren gegangen. Vor und
hatte der Gegner nach Niedertrommelung der Infanteriebesatzung unsere
vordersten Gräben genommen, welch bisher die 29. Inf.-Division gehalten hatte.
Teile der 206. Inf.-Division waren in die Schlacht geworfen worden, und unsere
Division sollte als weitere Verstärkung einge-setzt werden, da man eine
Fortsetzung der Angriffe befürchtete. Von der Front hörten wir den dauernden
Artilleriekampf, dazwischen die Einschläge in Romagne.
Schon
in der Nacht vom 22. auf 23. August sollten die 1., 2., 9./Res. 54 die 7,. 9.,
6./265 der 206. Inf.-Division ablösen. Den Einsatz sollte die abzulösende
Division leiten. Der Regimentsstab war mal wieder ausgeschaltet, was sich nach
unseren Erfahrungen nie bewährte. Fremde Stäbe und Truppen hatten naturgemäß
nie dasselbe Interesse wie eigene. Ihnen war das Herauskommen wichtiger, als
der Einsatz unserer Batterien. Die drei Batterien sollten neue, unausgebaute
Stellungen östlich Montfaucon beziehen. Der Befehl zum Einsatz erreichte die
Batterien etwa um 3 Uhr nachmittags. Um 4 Uhr sol-lten die Batterieführer am
Straßenkreuz Montfaucon sein, um in ihre neuen Stellungen eingewiesen zu
werden. Aber sie warteten stundenlang vergebens auf einen ortskun-digen Führer.
Was tun? Leutnant Ottenheimer ritt zum Artilleriekommandeur der 206.
Inf.-Division zurück. Die Batterien wollten keine Stellung beziehen, die nicht
genau erkundet war. Inzwischen hatten die beiden andern Batterieführer den für
die „Ein-weisung“ bestimmten Offizier gefunden, der merkwürdigerweise erklärte,
er sei heute selber zum erstenmal in dieser Gegend, aber der ihn begleitende
Vizewachtmeister wisse ausgezeichnet Bescheid. Jetzt hatte der Vizewachtmeister
das Wort. Und was sagte er? Hier ungefähr – und dabei beschrieb er mit dem Arm
einen weiten Halbkreis – sollen die Batterien in Stellung gehen, dann tauchte
er mit seinem Begleiter in der Dämmerung unter.
Die
zweite Batterie war infolge eines falsch überbrachten Befehls schon am
Nachmittag vorgezogen worden. Sie stand angespannt an einem Steilhang im
Schutze dichter Büsche und Bäume. Deshalb war sie zuerst zur Stelle. Leutnant
Cantner wollte die Batterie am jenseitigen Waldrand in Stellung bringen, aber
es war schlechterdings unmöglich, um die mit Granattrichtern besäte und noch
immer unter Feuer liegende Ostecke des Waldes von Montfaucon herumzukommen. Es
blieb nur ein schmaler Raum zur Aufstellung der Geschütze übrig. Vor der
Batterie führte eine ziemlich tief einge-schnittene Feldeisenbahn vorbei. Rechts
gähnte ein großer Steinbruch und nur nach links hatte die Batterie ein wenig
Bewegungsfreiheit.
Das
Einrichten der Geschütze dauerte ziemlich lange. Die über den Köpfen
hinsur-renden Flieger gestatteten die Benützung von Taschenlampen immer nur für
Augen-blicke.
Eben
bog auch die Batterie Bosler in ihre „Stellung“ ein. Deutlich drangen die
Kom-mandos zum Abprotzen zur 2. Batterie herüber. Fast gleichzeitig schlugen die
feind-lichen Granaten in die 9, Batterie.
Der
Batterieführer, Leutnant d. R. Bosler, und der soeben zur Batterie kommandierte
Leutnant d. R. Klemm fielen, 4 Mann waren tot bzw. starben an ihrer Verwundung:
Gefreiter Laichinger aus Eberbach, F. Emmendorfer von Wolfratshausen, Georg
Mahler von Asch, gest. im Res.-Laz. 18 in Dun, Jakob Möst von Talheim. Die
Leutnants d. R. Stählin und Wurster, 1 Vizewachtmeister, 1 Unteroffizier und 9
Mann waren schwer, 5 weitere leicht verwundet.
Die
Batterie mußte sofort wieder herausgezogen werden, da kein Offizier mehr
vorhan-den war und eine Neueinteilung erforderlich wurde. Als Batterieführer
wurde Leutnant Niemann vom Regimentsstab zur 9. Batterie versetzt; an dessen
Stelle trat Leutnant d. R. Klotz von der 1. Batterie zum Regimentsstab.
Bei
der 2. Batterie waren die Bespannungen unversehrt geblieben, aber die
Geschützbe-dienungen, die dem feindlichen Feuer ohne jede Deckung preisgegeben
waren, erlitten ebenfalls starke Verluste. Der 42jährige Kriegsfreiwillige
Unteroffizier Hofmann aus Ludwigsburg, der Sanitätsgefreite Zumsteeg, der
Kanonier Roth und Gefreiter Olpp fielen, 2 Unteroffiziere und 5 Mann waren zum
Teil schwer verwundet.
Die
1. Batterie war gerade im Anmarsch. Sie suchte sich dem Feuer, das auf dem Weg
Montfaucon – Septsarges lag, so gut es ging zu entziehen. In starkem Tempo fuhr
sie hinter der 9. Batterie vorbei. Der inzwischen selbst verwundete
Batterieführer, Leutnant d. R. Ottenheimer, ließ die Batterie am Waldrand
abprotzen und schickte Protzen und Pferde schnell zurück, um größeres Unheil zu
vermeiden. Die Geschütze wurden links neben der 2. Batterie in Stellung
gebracht. Der Batterieführer mußte nun die Stellung verlassen und sich in
Lazarettbehandlung begeben. Außer ihm waren 6 Unteroffiziere und Mannschaften
verwundet.
In
der Nacht vom 23. auf 24. wurden 4. und 3. Batterie eingesetzt, was sich
nunmehr ohne Verluste vollzog, da die Führer Zeit gehabt hatten, sich vorher zu
orientieren. Auch der Einsatz der übrigen Batterien geschah ohne Verluste.“
aus: „Das
Württembergische Reserve-Feldartillerie-Regiment Nr. 54 im Weltkrieg 1914-1918“,
Stuttgart 1929