„In der Nacht vom 14.–15. Mai löste das I. Batl. (Kommandeur
Major Wintterlin) das III./173 an der „Fleckstraße“ und in der „Kiesgrube“
südöstlich Nauroy ab und rückte in der nächsten Nacht, abgelöst durch unser II.
Batl. vor auf den Cornilletberg zur Ablösung des II./173. In der folgenden
Nacht vom 16.–17. Mai wurde das II. Batl. (Kommandeur Hauptmann Graf von
Rambaldi) an der Fleckstraße und Kiesgrube durch das III. Batl. (Kommandeur
Hauptmann Winter) abgelöst und rückte ebenfalls vor auf den Cornilletberg zur
Ablösung des I./173. Die Bataillone rückten kompagnieweise vor, das Gelände lag
während der Nächte unter starkem Feuer, die Ablösung war erst bei Tagesanbruch
vollzogen, sie hatte trotz des feindlichen Feuers nicht viel Verluste gekostet,
weil viele Granaten tief in den durch Regen aufgeweichten Boden eindrangen.
Der Regimentskommandeur, Major Diez, traf am 17. Mai, 8 Uhr
vormittags, auf dem Regimentsgefechtsstand in der Kiesgrube ein und übernahm
das Kommando über den Abschnitt, der mit Xb bezeichnet war. Als
Regimentsreserve lagen an der Kiesgrube die 10. Komp. (Oberleutnant d. R.
Huber) und die 8. Komp. (Leutnant d. R. Heinzelmann).
Schon vor 1 Uhr früh des 15. Mai ab war stündlich mit einem
feindlichen Angriff zu rechnen und das ganze Regiment in erhöhter Bereitschaft
gewesen. Am 17. Mai mit Tagesanbruch war also das ganze Regiment in die
Stellung eingesetzt; in vorderster Linie lagen 4 Kompagnien, rechts das II.,
links das I. Batl. Von einer eigentlichen Stellung konnte nicht die Rede sein,
es war Granattrichter an Granattrichter, die ab und zu miteinander verbunden
waren. Eine normale Besetzung war nicht möglich. Tagsüber lagen auf der
Berghöhe von jeder Kompagnie nur ein Offizier und drei Gruppen in den
Granatlöchern, der Rest lag in einem nahen Tunnel am halben Nordhang des
Berges. Hauptmann d. R. Deuschle, der Führer der 6. Komp., bezeichnet die
sogenannte „Stellung“ als ein immer und immer wieder umgewühltes Trichterfeld,
das auch nirgends gegen die kleinstkalibrige Granate Deckung bot. Er sagt: „Die
Stellung war nicht sehr lang, aber äußerst unangenehm mit mehreren
vorspringenden Ecken, die vom Gegner flankiert wurden. Die Franzosen, kräftige
Kolonialtruppen, lagen uns auf dem rechten Flügel etwa 100 Meter, in der Mitte
etwa 50 Meter, auf dem linken Flügel etwa 25 Meter gegenüber.“
Der Tunnel war ein altes Kreidebergwerk der Franzosen und bestand
aus drei Stollen, die bis 17 Meter Deckung über sich hatten. Die lange Dauer
des Stellungskrieges hatte das Beziehen, ja den Neubau solcher Anlagen, die man
als „Stollenkasernenׅ“ bezeichnete, begünstigt. Die Führer hatten dort ihre
Gruppen und Züge, in Kasernen sogar ihre Kompagnien beieinander und fest in der
Hand. Die starken Deckungen schienen jeder feindlichen Beschießung zu trotzen.
Gewiß boten diese tiefen Bergwerke und Stollen eine gute und
zweckmäßige Unterkunft in ruhigen Zeiten und wenn der Feind nur mittleres und
leichtes Kaliber auf sie legte. Viele haben auch schweren und schwersten
Kalibern getrotzt. Aber sie hatten auch ihre Gefahren; diese lagen in den
Eingängen und den notwendigen Luftschächten, die man als ihre Lebensadern
bezeichnen muß. Wurde ein Luftschacht von einer schweren Granate getroffen, die
Eingänge verschüttet oder mit Gas belegt, dann war das Schicksal der
Tunnelbesatzung sehr gefährdet und mancher Tunnel ist ein Grab für viele
geworden. Auch der Cornillet.
Das Tunnelsystem war etwa nach nachstehender Skizze angelegt.
Der Gang B (etwa 120 Meter) war 20 Meter
länger als die beiden Seitengänge A und C (100 Meter). Luftzufuhr erhielt der
Tunnel durch die beiden Schächte und durch eine aus Rohren gebaute
Ventilationsanlage. Die Deckung am Mittelschacht betrug einwandfrei gemessen 17
Meter, am Eingang B etwa 10 Meter. Die Gänge waren etwa 2 Meter breit und 2
Meter hoch. Ein Lebensmitteldepot war bei Übernahme durch das Regiment noch
reichlich ausgestattet, dagegen fehlte es vollständig an Getränken. Das
vorhergehende Regiment hatte den eisernen Bestand verbraucht und nicht wieder
aufgefüllt. Auch die Beleuchtungsfrage erwies sich als sehr schwierig, da die
Luft natürlich nur wenig Sauerstoff enthielt. Der Eingang C war beim letzten
Großangriff der Franzosen eingeschossen worden und noch nicht ganz
wiederhergestellt, einige 20 Leichen (kohlenoxydvergiftet) lagen noch in diesem
Gang. Die Eingänge A und B waren gut, die Deckung aber durch die dauernde
schwere Beschießung schon recht mitgenommen. An den Eingängen war ein
furchtbarer Schmutz, da die Tunnelbesatzung gezwungen war, hier ihre
Bedürfnisse zu verrichten.
Ein im Juli 1917 in unseren Besitz gelangter französischer Bericht
beschreibt den Cornillet folgendermaßen: „Drohend liegt unserer Stellung
gegenüber der Hügel Cornillet, in dem die Deutschen unter dem Namen „Der Tunnel
von Cornillet“ eine bekannte und gefürchtete Stellung eingebaut haben. Der Berg
gleicht einem riesenhaften Lindwurm, träge dahingestreckt, doch jede Minute
bereit, sich aufzurecken in fürchterlichem Zorn, um Feuer, Tod und Verderben
denen entgegen zu schleudern, die es wagen würden, ihm zu nahe zu kommen.
Unnahbar, uneinnehmbar scheint die tief eingebaute Stellung, geschützt und
gedeckt durch die haushoch übereinander lagernden Kreideschichten, die den
Hügel bilden. Im Innern des Hügels fließ das Leben durch drei breite, geräumige
Hauptadern mit vielen Stollen und Gängen. Durch geschickt eingebaute
Luftschächte tritt die Außenluft in diese unterirdische Welt. So lag er vor uns
am 17. Mai, unsere Führer kannten seine Stärke, sie wußten, wie gefährlich und
todbringend in der Schlacht diese Stellung für unsere angreifenden Truppen war.
Das Ungeheuer mußte um jeden Preis unschädlich gemacht werden.“
Ein später aufgefangener französischer Funkspruch aus Lyon sagt:
„Der Cornillet beherrscht in der Champagne die Ebene zwischen der Befestigung
von Moronvillers und den Höhen von Berru. Er stellte hinsichtlich der
Verteidigung eine Befestigung ersten Ranges dar.“ In diesem Tunnel also
befanden sich die zwei Bataillons-kommandeure, Major Wintterlin, welcher
Kommandant des Cornilletberges war, und Hauptmann Graf von Rambaldi, und diejenigen
Teile der Kompagnien, die nicht in den Trichtern lagen. Hauptmann d. L.
Deuschle, der am 17. Mai mit Tagesanbruch mit seiner 6. Komp. den Tunnel bezog,
sagt: „Offiziere und Mannschaften lagen längs der Stollenwände. Im Tunnel
befanden sich der Bataillonsgefechtsstand für zwei Bataillons-stäbe, daneben ein
Luft- und Lichtschacht, ein Sanitätsraum, ein Munitionsdepot, ein
Lebensmitteldepot, ein Unterstandsraum für Hauptmann Süß und mich und zwei
Funkerstationen. Ein weiterer Luft- und Lichtschacht, der zugleich
Artillerie-Beobach-tungsposten war, befand sich in Stollen 3. Im Tunnel mußten
wir zuerst großes Misten ansetzen, denn alle Gänge lagen voll Schutt, alten
Waffen, Lumpen. Von Läusen und Flöhen wimmelte es.“
Die Kompagnien waren beim I. und II. Batl. mit 90 Mann in die
Stellung gerückt, gemäß Regimentsbefehl; sie wurden aber am ersten Abend schon
auf 60 Mann herabgesetzt auf Anregen des Majors Wintterlin, weil er mit
Beziehen des Tunnels die Gefahr dieser Kaserne sofort erkannt hatte und weil er
die Aufstellung starker Reserven außerhalb des Gefechtsbereichs für dringend
geboten hielt.
Aber brauchbare Gräben 1. und 2. Linie zur Verteidigung und
Unterbringung gab es nicht, bei der augenblicklichen Lage konnten solche nicht
geschaffen werden. Der Feind hätte jederzeit mit Hilfe seiner überlegenen
Flieger solche Versuche durch seine schwere Artillerie im Keime erstickt, so
war die ganze Stellungsbesatzung mit Ausnahme der schwachen Kräfte in den
Granattrichtern, da andere Unterkunftsmöglichkeiten für die Reserven nicht
vorhanden waren, zur Unterkunft auf den Tunnel angewiesen. Und von dem
Schicksal des Tunnels hing auch das Schicksal der Stellung, der Besatzung ab.
Major Wintterlin und der Tunnelkommandant, Hauptmann Süß, Führer
der 2. Komp., waren sich wohl bewußt, daß der Zustrom von frischer Luft durch
die zwei Schächte und das Offenhalten der drei Tunneleingänge das
Allerwichtigste war für das Leben der Besatzung. Sie haben angeordnet, daß die
3 Luftventilatoren, mit denen die stickige Luft aus der Tiefe nach oben und
frische Luft von oben nach unten gepumpt wurde, ununterbrochen zu arbeiten
hatten. Es wurde eine ständige Kommission unter Leitung der Ingenieuroffiziere
Oberleutnant d. R. Frick und Leutnant d. R. Mayer eingesetzt, die
ununterbrochen den Tunnel abzugehen und auf seinen Zustand zu prüfen hatten.
Hauptmann Süß hatte veranlaßt, daß, wenn Feuer auf dem Stollen oder in seiner
Nähe lag, durch auf dem Boden aufgestellte Kerzen das Eindringen von
Kohlenoxydgas festgestellt werden sollte, daß dann die Wettertüren so weit als
möglich geschlossen werden sollten. Diese Türen waren beim Beziehen des Tunnels
noch nicht vorhanden, sind aber sofort in Arbeit genommen worden und mußten
inzwischen durch Abdäm-mungen ersetzt werden. Das Kohlenoxydgas ist geruchlos
und daher viel gefährlicher als das Kampfgas, dessen süßlichen Geruch jeder
sofort riecht, worauf er seinen unzertrennlichen Begleiter, die Gasmaske,
aufzusetzen hat. Ständige Gasposten standen an den drei Eingängen, sie hatten
mit dem ersten Bemerken von Kampfgas die nassen Falltücher herunter zu lassen.
Ein Rettungstrupp in Stärke von 1 Offizier, 2 Unteroffi-zieren und 20 Mann war
ständig alarmbereit. Diese Leute durften zu keinem anderen Dienst herangezogen
werden. Jede unnötige Bewegung im Tunnel hatte zu unterbleiben.
Die Besatzung im Tunnel hat alle diese Anordnungen befolgt; sie
fand sich bald in der Kaserne zurecht und mit den Verhältnissen ab.
Eine schwere Aufgabe fiel den Trägertrupps zu, d. h. denjenigen
Abteilungen, die der Besatzung des Berges Wasser, Verpflegung und Munition
vorzubringen hatten. Das Regiment hat mit der Leitung des Nachschubs den
Leutnant d. R. Lempp beauftragt und von jeder Kompagnie 1 Offizier und 60 Mann
als Trägertrupp ausgeschieden, weil die außerordentlich schwierigen
Verhältnisse eine solche Stärke forderten.
Die große Bagage lag in St. Loup (25 Kilometer nördlich des
Berges), die Gefechts-bagage in Heutrégiville-Vendétré (etwa 12 Kilometer vom
Berg). Die Verpflegungs-offiziere der Bataillone holten Mineralwasser in Tagnon
und Juniville, die Ergänzungen der eisernen Portionen in Le Chatelet. Die
Trägertrupps lagen im Kaiserlager nördlich Selles im Suippestal 15 Kilometer
vom Berge. Eine nähere Unterbringung war wegen der dauernden Beschießung des
Hintergeländes nicht möglich. Die Feldküchen fuhren bis zum sogenannten
Rheinlager. Von hier waren es noch etwa 6 Kilometer bis zur Stellung. Aber was
für Kilometer! Schon bis zur Kiesgrube hatten die infolge ihrer Traglasten
ziemlich unbeholfenen Träger – je 2 Mann trugen einen Kessel mit 25 Litern,
andere in Zeltbahnen Brot, Konserven, Mineralwasser, Munition und Minen für
unsere leichten Minenwerfer – einige Verluste. In der Kiesgrube, die um die
Dämmerung ein beliebtes Ziel der feindlichen Artillerie war, wurde eine Ruhe- und
Sammelpause für das letzte und schwerste Stück gemacht. Die Strecke von der
Kiesgrube bis zum Tunnel-eingang lag unter dauerndem Sperrfeuer des Gegners, vor
dem Tunneleingang selbst verstärkte es sich während der Nacht und hie und da
auch am Tage zu einem fast undurchdringlichen Feuerriegel, durch den man
hindurch mußte, wollte man in den Tunnel. das Regiment hatte in den Nächten vom
16. / 20. regelmäßig je 20 – 25 Mann Verluste an toten und verwundeten Trägern,
die meistens am Regimentsverbandplatz Kiesgrube vom Regimentsarzt, Stabsarzt
Dr. Schefold, verbunden wurden, der während dieser Nächte keine Stunde zur Ruhe
kam. Daß das Vorführen der Träger in diesem Feuer nur besonders energischen
Offizieren gelang, dürfte ohne weiteres klar sein; zwei Drittel der vortragenden
Leute kamen nicht an, da teils die Träger verwundet waren oder fielen, teils
die Lasten beim Ausweichen vor dem feindlichen Feuer weggeworfen wurden. Aus
allen diesen Gründen war ein reiches Bemessen der Trägertrupps, die auch nicht
jeden Tag den 30 Kilometer langen anstrengenden Hin- und Rückmarsch leisten
konnten, durchaus begründet. Das Reservebataillon (das III. an der Fleckstraße)
wurde zum Trägerdienst ebenfalls herangezogen, doch war es mit dem Ausbau der
eigenen Unterkunft so sehr in Anspruch genommen, daß eine wesentliche
Entlastung der Träger-trupps nicht erfolgen konnte.
Am zweiten Tag bekamen wir für die Träger russische Beutepferde,
sogenannte Panjes, mit Tragsätteln. Es waren schöne, lebhafte, ausdauernde und
äußerst genügsame Tiere, sie haben auch im Fernfeuer ruhig und zuverlässig
ausgehalten, man konnte sie wenigstens bis zum Rheinlager gebrauchen, aber
weiter vor gingen sie nicht. Die Lösung der Aufgabe der Trägertrupps bedurfte
der Aufbietung der Energie aller mit dem Nachschub beschäftigten Offiziere,
vornehmlich der Verpflegungsoffiziere. Dabei hat mancher tapfere Mann sein
Leben gelassen.
Die Tunnel- und Bergbesatzung litt in diesen Tagen sehr stark
unter den ungünstigen Verpflegungsverhältnissen. Das Essen kam, wenn überhaupt,
sehr spät in beinahe ungenießbarem Zustand und ungenügender Menge vor. Die
Bergbesatzung war beson-ders übel daran, da bei Tage sich niemand auf dem
vorderen Bergrücken sehen lassen konnte und nachts ein Auffinden der
Verteidigungsnester infolge des sich durch die dauernde Beschießung stets
ändernden Charakters des Kreidetrichtermeers so schwierig war, daß die von
orientierten Offizieren geführte Ablösung meist erst nach stunden-langem
Herumirren ihre Stellung fand. Noch schwieriger war es mit dem Trinkbaren. Vom
Vorregiment war ja der ganze eiserne Bestand an Getränken verbraucht worden.
Man mußte also nicht nur den täglichen Bedarf an Getränken, der bei der
muffigen Tunnelluft ein sehr großer war, nach vorne bringen, sondern auch den
eisernen Bestand wieder auffüllen. Es ist unter großen Verlusten an Trägern
gelungen, von einigen 1000 Flaschen Selterswasser einige hundert in den Tunnel
zu schaffen.
Alle Mühe wurde aber reichlich belohnt durch die dankbare Freude
der Kameraden im Berg. Waren die Trägertrupps im Tunnel angekommen, so mußten
sie ohne lange an den Eingängen sich aufzuhalten, auf dem kürzesten Weg zu den
Kompagnien in den Tunnel hinabsteigen, die zu diesem Zwecke Führer in der Nähe
der Eingänge bereitstellten. Jedes Geschrei, jede Unruhe war zu vermeiden.
Hier sei auch des Einsatzes unserer Minenwerfer gedacht. Die Lage,
die Leutnant d. R. Kalbfell als Stellungserkunder am Cornilletberg antraf, war
eine denkbar trübe. Unsere Vorgänger hatten in der Nähe der Tunneleingänge 6
leichte Minenwerfer in Stellung gebracht, aber sie waren, als wir ankamen, in
Grund und Boden geschossen. Wir haben dann 5 Minenwerfer in Tätigkeit gebracht,
deren Munition unter unendlicher Mühe während der Nächte vorgebracht werden
mußte. Mit dem I. Batl. wurden auch sine Minenwerferabteilungen unter Führer
von Leutnant d. R. Diemer im Tunnel unter-gebracht. Die beiden andern
Minenwerferabteilungen waren in Reserve und mußten Verpflegung und Munition
ihren Kameraden vorbringen. Die Aufgabe wurde restlos gelöst. Major Wintterlin
hat den Minenwerfern nach kurzem Einschießen weitere Tätigkeit untersagt, er
glaubte, daß bei ruhigem Verhalten auf unserer Seite das schwere feindliche
Feuer nachlassen würde. Diese Annahme erwies sich als irrtümlich, der Gegner
bereitete einen großen neuen Schlag vor und ließ, als er losschlug, unsere
Minenwerfer nicht mehr zu Wort kommen, da der Gipfel des Berges mit rasendem
Feuer überschüttet wurde. Alle Minenwerfer wurden verschüttet, Leutnant d. R.
Diemer wurde gaskrank. Sein Meldegänger, der Musketier Diemer der
Minenwerferabteilung des I. Batl., sei hier besonders erwähnt, er hat, obwohl
stark unter den giftigen Gasen leidend, Meldungen über den Stand der Dinge
vorne, von Hauptmann Süß, in schwerster Lage zum Regimentsstab gebracht.
Der ganze Cornilletberg lag unter fortgesetztem starkem Feuer des
Gegners. Von den Waldungen sah man nichts mehr. Alles war eine Wüste im weißen
Boden der Champagne. Der Berg beherrschte die ganze Gegend vom Berrublock bis
zur Befestigung von Moronvillers und gestattete einen Einblick nach vorwärts
und rückwärts weit hinein. Sein Besitz erschien den Franzosen so wertvoll wie
uns, 2 feindliche Angriffe an 17. und 30. April waren vergeblich gewesen.
Nachdem wir einige kleinere, aber recht kräftige feindliche Erkundungsvorstöße
abgeschlagen hatten, belegte der Feind die Tunneleingänge und die Kiesgrube mit
zunehmendem Feuer. Die Lage wurde täglich ernster, stündlich mußte mit dem
Großangriff gerechnet werden.
Dabei schien der höheren Führung die Stärke der Besatzung des
Berges zu schwach. Aber ihre Verstärkung
wäre bei dem Mangel brauchbarer Gräben und Unterstände in der vorderen Linie
dem feindlichen Vernichtungsfeuer preisgegeben gewesen und wäre für ihre
Aufgabe ausgefallen. Wohl hätte der Tunnel Raum geboten, aber solange nicht
mehr als drei Ausgänge vorhanden waren, aus denen nach dem Aufstieg aus der
Tiefe die Mannschaft rasch zum Gefecht eingesetzt werden konnte, war ihre
Wirksamkeit in Frage gestellt und bei mehr Menschen die Gefahr für sie erhöht.
Die Division ordnete daher an, daß drei Eingänge neu gebaut werden sollten,
neue Stollen neben dem Tunnel zur Aufnahme abgesonderter Abteilungen und ein
Verbindungsgraben nach hinten sollten gebaut werden. Aber der ganze Nordhang
des Berges war vom feindlichen Artilleriefeuer derart durchpflügt und
erschüttert, daß Grabarbeiten bis tief unter die Oberfläche keinen Halt
gefunden hätten. Bevor etwas hier geschehen konnte, hatte der Feind
angegriffen.
Es sei hier einiges über die Nachrichtenverbindungen innerhalb des
Regiments und nach hinten gesagt:
Sie waren schlecht und ungünstig. Nach vorne zum Tunnel war man
lediglich auf Meldegänger und Meldehunde angewiesen, eine Telephonverbindung
war undurch-führbar. Eine Lichtverbindung ließ sich weder direkt noch indirekt
herstellen; der Tunnelkommandant hatte eine Lichtverbindung mit der
Divisionsblinkstelle „Mond“, sie hat sicher gearbeitet, bis sie am 20. Mai
zertrümmert wurde, und einen Erdtelephon-apparat, der nie funktionierte, und
Brieftauben. Sehr häufig erhielt das Regiment die Meldungen vom Tunnel über
„Mond“, wohin vom Regimentsgefechtsstand Telephon-verbindung zeitweise aufrecht
erhalten werden konnte. Zur Brigade ging eine Läuferkette, die durch
starkbeschossene Schluchten laufen mußte und infolgedessen meistens einige
Stunden brauchte.
Nachdem der Feind am 17. Mai das Gelände zwischen dem Berg und der
Kiesgrube unter Störungsfeuer gehalten hatte und am Nachmittag die
Fliegertätigkeit hüben und drüben lebhaft gewesen war, nahm das Feuer in der
nächsten Nacht so zu, daß die Trägertrupps nur mit größten Schwierigkeiten
verkehren konnten. Am 18. Mai mit Tagesanbruch erreichte das Feuer seinen
Höhepunkt, schweres Kaliber lag auf dem Tunnel und der Kiesgrube. Das eigene
Feuer hatte eine gute Wirkung; jedenfalls kam ein erwarteter feindlicher
Angriff nicht zur Entwicklung. Die Tunnelbesatzung, das III. Batl. an der
Fleckstraße und die 8. und 10. Komp. in der Kiesgrube waren alarmiert. Das starke feindliche Feuer hielt den ganzen
Tag an.; schwere Kaliber bis zu 28 Zentimeter und schwere Minen lagen auf dem
Berg. Ein Blockhaus auf dem linken Flügel der Stellung des II. Batl. wurde
zusammengeschossen. Tief flogen die feindlichen Flieger über unserer in Rauch
und Staub gehüllten Stellung und lenkten die schweren feindlichen Geschosse auf
die Tunneleingänge mit dem Erfolg, daß Eingang 2 und 3 teilweise verschüttet
wurden. Der Feind wußte, daß sie die Lebensadern waren für die Besatzung. Nach
mehrstündiger Arbeit gelang es uns, sie wieder frei zu machen. Unsere eigenen
Kampfflieger vermochten den Franzosen nur wenig Abbruch zu tun, denn sie
blieben auch in der Nacht zum 19. tätig. Es war wieder eine schlimme Nacht,
wieder hatten die Trägertrupps starke Ausfälle. Gegen Morgen des 19. flaute das
feindliche Feuer etwas ab, gewann aber am Nachmittag die Heftigkeit und Schwere
von gestern wieder, die feindliche Fliegertätigkeit war wieder sehr rege. Und
noch einmal hielt unsere Artillerie durch Vernichtungsfeuer einen feindlichen
Angriff ab.
So hatten diese Tage und Nächte körperlich und seelisch große
Anforderungen an das Regiment gestellt. In der Nacht zum 20. Mai nahm das Feuer
eine außerordentliche Heftigkeit an. Schwerste Kaliber, Gasgranaten,
Feuerüberfälle auf Berg und Hintergelände tobten, bis mit dem Morgen ein
leichtes Abflauen zu erkennen war. Aber die Ruhe dieses schönen Sonntagmorgens
war kurz und trügerisch.
Die Stimmung der Truppe war gut und zuversichtlich, Offizier und
Mann teilten die Gefahren des Großkampfes in treuer Kameradschaft miteinander.
Die Verbindung zwischen dem Berge und dem Regimentsgefechtsstand in der
Kiesgrube blieb durch Läufer und Hunde erhalten. Pünktlich und pflichtgetreu
brachten die tapferen Menschen und wackeren Hunde selbst im schwersten
Artilleriefeuer ihre Meldungen. An diesem Vormittag ist der eine der beiden Hunde
verwundet und gebrauchsunfähig geworden, der andere ist mit seiner letzten
Meldung bis zum Stolleneingang gelaufen und dann wieder umgekehrt – sein
Gegenführer war verschüttet. Was war geschehen?
Um 7.30 morgens begann die schwere Beschießung des Berges, die den
ganzen Tag ununterbrochen anhielt, bis um 3.30 Uhr nachmittags der Feind zum
Angriff antrat. Er brachte ihn in den Besitz des Cornillets, denn die schwache
Besatzung in den Granattrichtern war aufgerieben, die Besatzung im Tunnel war
durch Volltreffer und Kohlenoxydgas vernichtet.
Lassen wir wieder den französischen Bericht, der uns später in die
Hände fiel, sprechen:
„Die französische Artillerievorbereitung verwüstete die ganzen
feindlichen Verteidi-gung-einrichtungen. keine Maschinengewehrstellung konnte
sich halten. Das auf den Tunnel gerichtete Feuer war von größter Heftigkeit.
Hauptsächlich in der Nacht vom 19. / 20. Mai richteten die Franzosen eine große
Anzahl Spezialgranaten gegen die Tunneleingänge. Die Deutschen waren
größtenteils Opfer der Gasvergiftung. Eine schwere Granate drang, nachdem am
20. Mai früh die Beschießung des Tunnels mit schweren Granaten begonnen hatte,
durch einen Kamin und verwüstete den Kreuzweg und das Zimmer, in dem sich 2
Bataillonskommandeure befanden. Ein Teil der Garnison war erstickt, die
Eingänge zur Hälfte verstopft. Der Eingang war in Trümmern, die beiden andern
waren überfüllt mit Leichen. Die
deutschen Reserven im Tunnel waren verloren, ehe sie eine Gegenhandlung unternehmen
konnten; einige zusammengeraffte Abteilungen wurden zurückgeschlagen.“
Und doch hatte der tatkräftige und umsichtige Kommandant des
Cornilletberges, Major Wintterlin, wie wir gesehen haben, alle
menschenmöglichen Maßnahmen zur Sicherung und Rettung der Besatzung und gegen
einen feindlichen Angriff getroffen.
Noch um 8 Uhr meldete er dem Regiment, der Verpflegungsnachschub
gehe gut vor sich, aber er bitte dringend um Fliegerschutz zur Abwehr der
feindlichen Flieger. Diese lenkten das feindliche Feuer mit so bewundernswerter
Geschicklichkeit und Treffsicherheit auf die Tunneleingänge und die
Lichtschächte, daß kurz nach 8 Uhr eine schwere Granate, 38 Zentimeter-Kaliber,
unmittelbar neben dem ersten Lichtschacht den Tunnel durchschlug. Um 9 Uhr
meldeten Verwundete und Gaskranke dem Regiments-kommandeur, daß eine zweite
schwere Granate den anderen Lichtschacht durchschlagen und viele Mannschaften,
auch Major Wintterlin und Hauptmann Graf von Rambaldi, verschüttet habe. Diese
Offiziere waren nach dem ersten Einsturz mit ihren Kameraden, unter denen sich
die Bergwerksingenieure befanden, an dem Eingang zur Quergalerie zu Stollen A
versammelt. Gerade vor diesem Stollen erfolgte der zweite Einsturz, der
sämtliche dort befindlichen Offiziere – etwa 15 an der Zahl – begrub. Man hat
nie wieder von ihnen gehört.
Das Kommando im Tunnel übernahm Hauptmann Süß, der nicht bei Major
Wintterlin gewesen war. Er ließ alsbald mit Aufräumungsarbeiten beginnen, die
mit Hilfe von 60 Pionieren, die inzwischen im Tunnel eingetroffen waren,
energisch betrieben wurden. er meldete um 10 Uhr und gegen Mittag, daß er die
kopflose Mannschaft soweit möglich wieder in die Hand bekommen habe, und daß
der Stollen C, in dem Kohlenoxydgas festgestellt war, abgedämmt sei. Immer noch
schieße die französische Artillerie immer mit 2 Geschützen zugleich auf
einzelne Punkte des Tunnels, Flieger geben durch Sturzflüge ihre Lage an, er
bitte nochmals um Fliegerschutz.
Das Regiment hatte mit Beginn der schweren Beschießung für das
III. Batl. an der Fleckstraße Gefechtsbereitschaft angeordnet und um 9.30
befohlen, daß die Regiments-reserve (nämlich die 8. Komp. unter Leutnant d. R.
Heinzelmann und die 10. Komp. unter Oberleutnant d. R. Huber) sofort mit 2
Maschinengewehren nach dem Granatbusch (einem Gehölz am Nordosthang des Berges)
vorrücken und sich zu einem Gegenangriff in Richtung Tunnel bereitstellen
sollen, falls derselbe angegriffen wird, 8. Komp. rechts, 10. Komp. links,
Führung Oberleutnant Huber. Dann hat das Regiment alles, was hinter der Front
sich befand. vor auf das Gefechtsfeld gezogen, die Trägerkommandos, die drei noch
in Selles befindlichen Maschinengewehre, nicht eingesetzte Minenwerfer,
Infanteriepatronenwagen.
In Anbetracht der schweren Durchschläge in dem Tunnel und der
Giftgase darin befahl das Regiment um Mittag, daß die Infanterie aus dem Tunnel
herauszuziehen und in die Trichter und in dem Westriegel (einem vom Cornillet
in nordwestlicher Richtung nach dem Habichtswald sich hinziehenden Graben) zu
verteilen sei – unter dem freien Himmel im Feuer liegen erschien immer noch
leichter zu tragen als der Aufenthalt in der Hölle des Tunnels; nur die an den
Rettungsarbeiten Beschäftigten sollten im Tunnel bleiben. Dort nahm sich
Oberarzt Dr. Nagel der Verwundeten und Verschütteten mit allen Kräften an.
Gegen 3 Uhr meldete Hauptmann Süß, das das Gas, namentlich das Kohlenoxydgas
zunehme, er bitte wiederholt um Fliegerschutz und um einen Offizier des
Regimentsstabes. Der Kommandeur entsandte den Hauptmann d. L. Wild, Führer der
12. Komp., nach dem Tunnel, die Kompagnie sollte mit Einbruch der Dämmerung
folgen. Aber Hauptmann Wild wurde unterwegs verwundet, er kam nicht mehr vor,
dagegen der Regimentsarzt, Stabsarzt Dr. Schefold. Gegen 5 Uhr meldete
Hauptmann Süß aus dem Tunnel durch einen Meldehund, daß alle drei Eingänge
verschüttet, die Lage gefahrdrohend sei. Der Befehl des Regiments, den Tunnel
zu räumen und die Nachricht, daß die 12. Komp. im Anmarsch sei, hat Hauptmann
Süß nicht mehr erreicht. Wie oben erwähnt, konnte der letzte Meldehund nicht
mehr durch den Tunneleingang eindringen; von Hauptmann Süß und dem Rest der
Besatzung hat man nichts mehr gehört oder gesehen.
Etwa um 5 Uhr hatte sich der Regimentskommandeur mit seinem Stabe
an die Fleckstraße begeben und dem Kommandeur des III. Batl., Hauptmann Winter,
befohlen, mit der 11. und 12. Komp. und allen noch verfügbaren
Maschinengewehren zum Gegenstoß anzutreten, zum mindesten einen Vorstoß des
Feindes zu verhindern. Der M. G. O., Hauptmann Leicht, wollte persönlich zwei
Maschinengewehre in Stellung bringen, er wurde verwundet und ist nach wenigen
Tagen gestorben. Um diese Zeit ging die Meldung von Oberleutnant Huber (10.
Komp.) ein, daß der Feind den Cornillet in Kolonnen überschreite. Man hörte
Infanterie- und Maschinengewehrfeuer aus Richtung halblinks vorwärts, es rührte
von der 8. und 10. Komp. her, die zum Gegenstoß angetreten waren. Der
Regimentskommandeur befahl persönlich den an der Fleckstraße sich sammelnden
Trupps Versprengter: „Alles Front Galgenberg! Richtung Cornillet antreten!
Marsch!“ und sandte den Ordonnanzoffizier, Leutnant Boelsen, zur Brigade, um
sie über die Lage aufzuklären und zu melden, daß der Gefechtswert des Regiments
stark gelitten habe und mit der Tunnelbesatzung nicht mehr zu rechnen sei.
Daraufhin wurde dem Regiment die 1. und 3. Komp./475 unterstellt, die der
Kommandeur an den Nordhang des Galgenberges befahl.
Sehen wir uns den Gegenstoß der 8. und 10. Komp. an. Ihr Aufbau
hatte sich in lichten Wellen bis 11 Uhr
vormittags vollzogen, beide Kompagnien hatten ohne irgendwo angelehnt zu sein,
je einen Zug mit dem Kompagnieführer in vorderster Linie, einen 2. Zug rechts
bezw. links überragend. Beide Kompagnien konnten sich anfangs ziemlich
unbehelligt zu je 2 – 3 Mann in den zahlreichen Granattrichtern einnisten, aber
ihr Aufbau blieb dem Gegner nicht verborgen; sie waren bis etwa 4.30
nachmittags dem gewaltigsten Feuer aus allen Kalibern, auch Gas ausgesetzt.
Leutnant d. R. Heinzelmann, Führer der 8. Komp., sagt über diese Stunden in
einem Briefe:
„Wenn auch die Verluste bis dahin erträglich waren, so waren dies
doch meine herbsten Stunden im ganzen Kriege. In meinem Granatloch
zusammengekauert mit meinem Hornisten Bertsch und dem Gefreiten Rutenfranz aus
Eßlingen, im nächsten Granatloch zur Linken der Führer der 10. Komp.,
Oberleutnant Huber, so warteten wir geduldig, bis die Reihe an uns kam.
Abgeschlossen hatte jeder mit sich und mit der Welt. Hin und wieder ein
Rückblick aus dem Granatloch, ob die Kompagnie noch da – es war eine harte
Feuertaufe für unsere Rekruten – gab uns die Überzeugung, daß nur Verwundete
und Gaskranke den befreienden Gang nach hinten im schwersten Artilleriefeuer
unternahmen. Mein tapferer Leutnant Gall war schon am Morgen schwer verwundet
worden, er ist am nächsten Tag gestorben. Viele Verwundete fallen aus. Immer
mehr steigerte sich das Feuer, sehnlichst wurde der Angriff der Franzosen
erwartet. Endlich nach 4 Uhr erscholl der Ruf unserer Beobachter: „Sie kommen,“
Und tatsächlich schoben sich über den Cornilletrücken Schützenlinien,
Reihenkolonnen und dicke Haufen, die behende den Berg herunterkletterten. Nun
raus aus dem Loch und in Entfernung von 600 Meter geschossen aus dem Gewehr,
was raus kam. Maschinengewehre fallen ein und haben bald keine Munition mehr. Auch
bei uns Infanteristen heißt es haushalten. Immer Ermahnungen: Kühl Blut, sicher
zielen, langsam feuern, jede Kugel mindestens ein Franzose. Mein Lauf war
beinahe glühend. Bei den Franzosen blieben beträchtliche Verluste liegen, die
Trupps zerstreuten sich. Teile näherten sich dem Tunnel; wie aber die Besatzung
nicht herauskam, war uns klar, daß sie durch Gasvergiftung nicht mehr
kampffähig und vielleicht schon hiedurch erledigt war. Einzelne der Besatzung,
Angehörige der 7. Komp. mit Leutnant d. R. Weitbrecht, entkamen mit knapper Not
und zogen sich auf uns zurück. Teile des Gegners schickten sich an, die
Tunneleingänge mit Flammenwerfern auszuräuchern.
Nun war es Zeit zum Gegenstoß, zum Angreifen! Ein harter
Entschluß, den wir zwei Kompagnieführer selbständig zu fassen hatten, aber
durch einen Blick waren wir uns rasch einig, denn wir dachten nur an unsere
Kameraden im Tunnel und an den Besitz des Berges. Wir sprangen über die
Granatlöcher hinweg im dichtesten Hagel vor, doch war es unmöglich, die
Feuerwand, die der Gegner zwischen sich und uns legte, mit einem Anlauf zu
überwinden. Deshalb kurze Atempause und alsdann schrittweise weiter. So setzten
wir dreimal an und kamen etwa 400 Meter vorwärts. Wir waren unterdessen nur
noch rund 15 Köpfe von beiden Kompagnien zusammen, von der 10. Komp.
Oberleutnant Huber und einige Mann; von der 8. Komp. ich, mein Hornist Bertsch
und Gefreiter Rutenfranz, dieser auch verwundet. Es war uns klar, mit diesen
paar Mann nicht mehr gegen die Franzosen anstürmen zu können, und so galt es
wenigstens ihren Ansturm aufzuhalten. 40 Meter vor uns kamen sie zum Stehen,
sie vermuteten offenbar stärkere Kräfte hinter uns. Nun aber fiel wieder
Vernichtungsfeuer auf uns, in dem wir uns schließlich unsichtbar, in
Rauchwolken links, rechts, zu allen Seiten platzender Granaten gehüllt, langsam
zurückzogen, bis wir auf weiter hinten bereitgestellte eigene Truppen stießen, die
uns ziemlich erschöpft aufnahmen.“
Es war zwischen 6 und 7 Uhr abends, als der Kommandeur des III.
Batls., Hauptmann Winter, meldete, daß er mit 4 Maschinengewehren auf dem
Galgenberg entwickelt sei, daß er aber ohne Unterstützung keinen Gegenstoß nach
dem Cornillet, der in Händen des Feindes sei, ausführen könne. Mit Sehnsucht
erwartete das Regiment, das nördlich des Galgenberges nur noch eine schwache
Sicherheitsbesatzung hatte, auf das Eintreffen der 1. und 3. Komp./475, auf das
Eintreffen des II./127 unter Hauptmann von Hartlieb, das von rechts und des
I./247, das von links kommen sollte. Diese Truppenteile waren im Anmarsch
gemeldet, aber zu sehen war noch nichts. Das III. Batl. hatte auf seinem
Anmarsch auf der Fleckstraße, wo es entschieden zu weit hinter der vordersten
Linie aufgestellt gewesen war, beim Vorgehen durch den Feuerriegel, mit dem der
Feind den Cornillet absperrte, schon fast die Hälfte seines Bestandes
eingebüßt. Bis zum Einbruch der Dunkelheit war es bis 200 Meter südlich der
Ruinen des Dorfes Nauroy herangearbeitet. Der Regimentskommandeur sandte aus
seinem Gefechtsstand, der in einem Granattrichter auf dem Galgenberg war, die
nach 10 Uhr abends eintreffenden Trägertrupps vor zum III. Batl. zur
Verstärkung. Der unmittelbar nachher eintreffende Führer des Minenwerfertrupps,
Leutnant d. R. Elwert, erhielt den Befehl, mit allem, was er von seinen Leuten
zusammenraffen konnte, links des III. Batls. zu verlängern und vorwärts der
Kiesgrube Anschluß mit dem Nebenregiment zu suchen.
Gegen 11 Uhr nachts traf die 1. und 3./475 auf dem Gefechtsfeld
ein. Die 1. Komp. wurde dem III. Batl. unterstellt und hatte eine Lücke auf dem
linken Flügel auszufüllen. Die 3. Komp. wurde am Galgenberg als Regimentsreserve
zurückbehalten, die 11. Komp. (Leutnant d. R. Heim) wurde auf dem rechten
Flügel des III. Batls. eingesetzt. Auch die Trägertrupps, die etwa um
Mitternacht unter Führung von Leutnant d. R. Federlin auf dem Gefechtsfeld
eintrafen, wurden zur Verstärkung eingeschoben.
Um Mitternacht meldete Leutnant d. R. Elwert dem Regiment, das
I./247 liege links von uns in der Nähe der Kiesgrube, worauf der
Regimentskommandeur diesen Offizier zu dem Bataillon entsandte mit dem Befehl,
sofort zum Gegenstoß anzutreten. Aber dieser Befehl ist nicht an das Bataillon
gekommen, Leutnant Elwert ist unterwegs gefallen. Ein Meldegänger brachte
gleichlautenden Befehl zu unserem III. Batl. Das Regiment wollte durch einen
gemeinsamen Gegenstoß der beiden Bataillone in der hellen, klaren Mainacht den
Feind wieder hinauswerfen, es rechnete dabei auf die Unterstützung des im
Anmarsch gemeldeten II./127, das rechts neben dem III. Batl. eingreifen sollte.
Dieses Bataillon ist selbständig zum Gegenstoß angetreten und hat sich in eine
Lücke zwischen unserem rechten Flügel und dem Reg. 475 geworfen, wo es in die
dortigen Kämpfe verwickelt wurde.
Gegen 5 Uhr morgens traf das I./Res.-Inf.-Reg. 13 an der
Fleckstraße ein, Leutnant Boelsen hat es unter unendlichen Schwierigkeiten auf
das Gefechtsfeld vorgeführt. Zwei Kompagnien blieben dort, die beiden andern an
der sogenannten alten Artilleriestellung bereitgestellt.
Um 9 Uhr vormittags fand sich der Kommandeur des Res.-Inf.-Reg.
13, Oberstleutnant von Winterfeld, bei Major Diez ein, um das Kommando über den
Abschnitt zu übernehmen, ihm wurde das III. Batl. bei Nauroy unterstellt. Der
Regimentsstab begab sich über den Brigadegefechtsstand in das Lager nördlich
Selles und stellte die Reste des I. und II. Batls. zu einem kombinierten
Bataillon zusammen. Führer wurde Hauptmann d. L. Pfitzer, der eben beim
Regiment eingetroffen war, er ist 2 Tage später gefallen. Darauf übernahm
Oberleutnant d. R. Hofmeister das Bataillon, das noch am Abend des 21. in eine
Reservestellung südlich des Rheinlagers abzurücken hatte.
Und die Besatzung des Cornillettunnels? Der 20. Mai 1917 hat
gezeigt, welch große Gefahren die Unterbringung einer starken Besatzung in
einer Stollenkaserne, und sei sie auch noch so gut eingedeckt, noch so zweckmäßig
gebaut und eingerichtet, mit nur wenigen Eingängen in sich birgt. Die aus
hygienischen Gründen notwendigen Luftschächte waren wie die Eingänge die
schwachen Stellen des Tunnels, das hat der Franzose gewußt. Er fürchtete die
aus dem Stollen zum Kampf hervorbrechende Besatzung, darum wollte er sie
vernichten, ehe si ein das Gefecht eintrat. Darum legte er stunden- und
tagelang Feuer aus schwersten Kalibern auf den Tunnel und leitete durch seine
ausgezeichnet geschulten und sehr gewandten Flieger sein schweres Feuer auf die
Luftschächte und Eingänge. Und der Franzose hat sein Ziel erreicht. Seine Granaten
durchschlugen den Tunnel an den schwachen Stellen, Kohlenoxydgas drang ein in
den Berg, die Eingänge wurden durch Volltreffer verschüttet, Kampfgas kam dazu
da wo noch eine Öffnung war, und fast die ganze Besatzung, unter den ersten die
Bataillonskommandeure, haben im Tunnel ihr Leben gelassen ohne mit den
Franzosen handgemein geworden zu sein.
Als der Feind in den Tunnel, der ihm nun mühelos zufiel, eindrang,
fand er nur Tote und Sterbende. Noch einmal lassen wir den wiederholt genannten
französischen Bericht erzählen, wie es im Tunnel aussah, als der Franzose dort
hineinkam. Es heißt:
„Am 20. Mai bedeckten unsere schweren Geschütze den Hügel förmlich
mit Stahl und Eisen. Sie blendeten den mächtigen Gegner, indem sie die
Ausgucklöcher und Beobachtungsschächte zerstörten. Schwere Granaten drangen bis
in die tiefsten Stollen, zerstörten die Hauptausgänge und bald hatten Feuer und
Eisen sowie die Giftgase der Sprengstoffe ihr Todeswerk vollbracht. In dem Riesenleib
schien alles Leben erloschen.
Zwei zuerst eindringende Ärzte stellten fest, daß zwei Ausgänge
verschüttet, der dritte zur Not noch gangbar ist. Der Hauptgang ist etwa 3
Meter breit und 2½ Meter hoch, sorgfältig ausgebaut, durch Holzbalken
verschalt. In der Mitte eine Feldbahn und
an der Decke die Röhre, die Luft zuführt. Auf den ersten 30 Meter wenig
Leichen, dann ein Haufen über- und durcheinander liegender Körper; etwas weiter
in einer Nische eine große Funkenstation, daneben liegen 4 Tote, das Gesicht
dem Erdboden zugekehrt. Ein fünfter auf einem Stuhle sitzend, den Kopf noch mit
der Maske bedeckt, in den leblosen Händen den Sprechapparat, gibt kein
Lebenszeichen mehr. Einige Meter weiter bei der Kreuzung des Hauptganges mit
einem Querstollen ist der Weg vollständig versperrt durch die Trümmer des
eingefallenen Deckengewölbes. Dort hat der Tunnel den Gnadenstoß erhalten durch
ein Geschoß schweren Kalibers, das auf den Luftschacht fiel, den Unterstand, wo
sich die 2 Bataillonskommandeure befanden, zermalmte, und dann den
Erstickungstod bis in die tiefsten Winkel der Stellung sandte.
Die Leichen, welche in diesem Gang gefunden werden, tragen alle
dieselben Todeszeichen: großes Gesichtsödem, Ruptur der Blutgefäße, verursacht
durch die Explosion. Diese Leute haben nicht gelitten.
Der Eingang zur mittleren Galerie ist durch einen Haufen von
Leichen vollständig versperrt. Es sind die Deutschen, welche vor dem
Erstickungstode fliehen wollten und am Ausgang des Tunnels von unseren Granaten
zerrissen wurden, sie liegen – es sind fast alles junge Männer – in etwa 5
Schichten übereinander; wohl 100 Feldgraue in vollständiger Ausrüstung, die
Gasmasken auf dem Gesicht, die Beutel mit Handgranaten wohl versorgt, die
Feldflaschen gefüllt. Einige haben das Seitengewehr aufgepflanzt, einige
Erstickte sind aufrecht geblieben, ein grausiger Anblick.
Auf einer Bahre liegt ein Offizier, die beiden Beine sind im
Gipsverband, er wurde hierher getragen, um dann rückwärts befördert zu werden.“
Aller Wahrscheinlichkeit nach ist dies der Kommandeur des II.
Batls., Hauptmann Graf von Rambaldi. Nach der ersten Verschüttung war er nach
unzähligen Schwierigkeiten nach Stunden ausgegraben worden. Oberarzt Dr. Nagel
hat sich des Verschütteten angenommen und ihn nach rückwärts schaffen lassen.
„Etwas weiter zwei Maschinengewehre, auf dem einen liegt ein
Deutscher hingestreckt, die Arme hängen leblos herunter. Patronen,
Munitionskisten liegen am Boden.
Im Unterstand des Tunnelkommandanten, der durch einen Schild
bezeichnet ist, keinerlei Unordnung. An der Wand hängt die Litewka und das
Eiserne Kreuz I. Klasse glänzt auf dem feldgrauen Stoff. In einer Ledertasche
einige Papiere, auf dem Tisch Papier, Karten, ein Feldstecher. Ein umgeworfener
Stuhl zeugt davon, daß der Kommandant eiligst floh, nur mit dem Revolver
bewaffnet, ohne sich erst Zeit zu nehmen, den Rock anzuziehen. Seine Leiche
liegt wahrscheinlich unter einem Trümmerhaufen in der Nähe. So nahe an der
Einschlagstelle unserer Granate wird er wohl als einer der ersten dem
Erstickungstod anheimgefallen sein.
Die Munitions- und Vorratskammer enthält eine Unmenge
Handgranaten, Konserven-büchsen und Sodawasserflaschen. Rechts ist ein anderer
Stollen, darüber die Inschrift: „Verbandplatz“. Hier sieht es übel aus. Auf den
Matratzen, am Boden, auf den Bahren liegen Soldaten regungslos. Dabei eine
große Anzahl Krankenträger, die rote Kreuzbinde am Arm, am Boden. Hier hat der
Erstickungstod sein Werk vollbracht.
Im Haupttunnel ist ein mächtiger Ventilator mit Handbetrieb und
etwas weiter ein senkrechter Luftschacht. Hierher waren einige Deutsche
geflohen in der Hoffnung, frische Luft für ihre brennend heißen Lungen zu
finden. Aber die Giftgase der auf die Stellung einschlagenden Geschosse waren
durch den Luftschacht eingedrungen und haben den Unglücklichen den Tod
gebracht. Die Luft ist noch verpestet, man muß zurück. Der Haupteingang endet
in einer Sackgasse. Auch er ist versperrt durch einen Haufen von Leichen und
Trümmern. Man muß den Tunnel verlassen, wie man hereingekommen ist, indem man
den Leichenhaufen, der bis zur Decke reicht, erklettert. Über ׅdie leblosen
Körper kommt man endlich ins Freie an das helle Sonnenlicht. Das Geheimnis des
Tunnels ist gelöst.“
Dem Feind zur Ehre sei betont, daß er sich seines Sieges nicht
laut oder überhebend gerühmt hat. Nicht im Kampf Mann gegen Mann hat er den Cornillet
erobert, sondern wir erlagen der Überlegenheit der feindlichen Kampfmittel.
Nun mögen noch die Zahlen sprechen:
Die Kompagnien waren beim Beziehen der Stellung etwa 80 – 100 Mann
stark. Die Gefechtsstärke des Regiments betrug 64 Offiziere, 2419 Mann und 28
M. G. Die Verluste in diesen Tagen infolge Tod, Verwundung, Krankheit,
Gasvergiftung und an Vermißten betrugen 39 Offiziere, 1064 Mann.“
aus: „Die
Geschichte des Württembergischen Infanterie-Regiments Nr. 476 im Weltkrieg“,
Stuttgart 1921