„Am 14. Juni 1915
lief beim Regiment eine Fliegerphotographie ein, aus der deutlich ersichtbar
war, daß der Gegner südlich der Straße Menin-Ypern zwischen Hooge und 3. Borne
und östlich und westlich entlang des Weges vom Eierwäldchen zur 3. Borne drei
Grabenstränge mit je vier unmittelbar hintereinander parallel laufenden Gräben,
sogenannte „Wabengräben“ angelegt hatte. Schätzungsweise konnten sechs
Bataillone darin bereitgestellt werden, zum wellenweisen Vorgehen in kurzen
Abständen.
Das Regiment
erkannte sofort, daß ein Angriff bevorstehe und veranlaßte die Artillerie, ihre
Feuertätigkeit zu erhöhen. Die Munitionsbestände und Handgranaten wurden
vermehrt. Im Hauptkampfgraben wurden die Überbankfeueranlagen vervollständigt.
Die Schützen der Maschinengewehr-Züge prüften Gewehre und Munition nach. Die
eigene Artillerie wurde bis in alle Einzelheiten hinein genau instruiert und
über alle Beobachtungsergebnisse auf dem Laufenden gehalten.
Der Kampfabschnitt
des Regiments vom Eierwäldchen bis zum Bellewaardebeekgrund lag seit acht Tagen
unter schwerem Feuer, zwei- bis dreimal täglich hieb der Feind mit eiserner Faust
auf unsere Gräben. Es schien aber alles erst die Ouvertüre zu sein. Unsere
vorgetriebenen Patrouillen brachten keinerlei Anhaltspunkte zurück, die auf
einen baldigen, bzw. kurz bevorstehenden Angriff schließen ließen.
Am 14. abends
gingen an alle Führer und Unterführer die seither gemachten Wahrnehmungen
hinaus, mit dem Hinweis, daß in den nächsten zwei bis drei Tagen mit einem
feindlichen Angriff gerechnet werden müßte.
Die vordere Linie
war besetzt vom III. Bataillon unter Hauptmann Kölle. 10., 11. und 12.
Kompagnie in der Kampfstellung. 9. Kompagnie als Reserve am Storchschnabel.
In Bereitschaft
lag das I. Bataillon, Führer Hauptmann Keiper-Knorr, das II. Bataillon unter Hauptmann
Baumanns Führung als Reserve im Hannebeekgrund und im Polygonwald.
In der Nacht vom
15./16. Juni 1915 fragte das Regiment um 12 Uhr und 2 Uhr vormittags
telephonisch beim Führer des Kampfbataillons nach dem Verhalten des Gegners an
und mahnte nochmals zur Wachsamkeit. Es veranlaßte die Pioniere, die
feindlichen Gräben mit Minen zu beschießen. Die drei Kompagnie-Führer der
vorderen Linie meldeten daraufhin, daß ihre Kompagnien kampfbereit seien, Handgranaten
waren bereitgelegt und die im Werfen derselben besonders tüchtigen Leute auf
den ganzen Abschnitt verteilt. Die Maschinengewehr-Bedienungen standen
feuerbereit hinter ihren Gewehren.
Um 2 Uhr traf beim
Regiment die Meldung ein, daß der Feind sich auffallend ruhig verhalte.
Um 3 Uhr kam vom
Beobachtungsoffizier, gleichzeitig vom Führer der 11. Kompagnie die Nachricht:
„Feind hat seine Sturmgassen geöffnet. Bewegung und Lärm ist in den feindlichen
Gräben deutlich erkenn- und vernehmbar; eigentümlicherweise schweigt die
gegnerische Artillerie völlig.“ Der Regimentsadjudant gab diese Wahrnehmung
sofort an die Artillerie weiter und erwirkte, daß sowohl schwere als auch
leichte Artillerie die feindlichen Infanterie-Stellungen sofort mit Feuer
belegten. Dieses eigene Feuer ließ jedoch bald wieder nach.
Für das ganze
Regiment war höchste Alarmbereitschaft angeordnet. Gegen 3.10 Uhr vormittags
begann der Gegner mit der Beschießung des vorderen Grabens und der Laufgräben
mit leichten Granaten und Schrapnells. Langsam steigerte sich das Feuer. Nach
25 Minuten kamen Granaten schwersten Kalibers hinzu, die den Graben und die Brustwehr beschädigten. Unter
den Erdfontänen und den einstürzenden Grabenwänden wurden zahlreiche Leute
verschüttet. Bäume stürzten in den Graben. Das M.G. am linken Flügel wurde
völlig verschüttet.
Feldwebel-Leutnant
Gastel, der im Graben anwesend war, gab an:
„Nachdem die
schweren Granaten auf den Graben kamen, war er in kurzer Zeit, etwa nach
fünfzehn Minuten, völlig verschüttet. Sandsäcke und Schießscharten flogen bis
zu 50 Meter hinter den Graben; ich sah, daß das M.G. am linken Flügel völlig
zugeschüttet und nicht mehr zu sehen war. Infolge der Verheerungen durch die
schweren Granaten – es mögen bis 3.30 Uhr vormittags, abgesehen von den
zahllosen leichten und Schrapnells, zirka fünfzig Stück auf Brustwehr und
Graben gekommen sein – war mit Sicherheit anzunehmen, daß die beiden M.G. in
der Mitte ebenso begraben worden seien. Der Rauch von den Granaten war so
dicht, daß auf 10 Meter nichts mehr zu erkennen war, die wenigen Leute, die
noch schießen konnten, feuerten in die Wolken hinein. Die Atmungsorgane litten
weniger, umsomehr aber die Augen unter der Einwirkung der Gase, die die
Granaten entwickelten; die Augen tränten unter brennendem Schmerz, daß man sie
kaum noch öffnen konnte. Gegen 3.30 Uhr vormittags verstummte das feindliche
Artilleriefeuer, aber im selben Augenblick feuerten zahlreiche Maschinengewehre
gegen unsere Stellung. Die Mannschaften der Grabenbesatzung schossen, ohne einen
Gegner zu erkennen, in die dichte Rauchwolke hinein. Nach zirka sieben Minuten
begann der Gegner aufs neue mit der Beschießung unserer Stellung, das schwere
Granatfeuer etwas rückwärts auf die Laufgräben und den Ausweichgraben
verlegend. Aus südlicher Richtung von Hooge her kam heftiges Infanterie- und
Maschinengewehrfeuer, daraufhin schickte ich eine Patrouille nach dem vorderen
Graben von Regiment 132, vermutend, daß diese Besatzungsmannschaft auf uns
schießt. Die Patrouille kam nach zirka einer Stunde gegen 5.30 Uhr vormittags
zurück und meldete mir, Regiment 132 hält den Waldrand. Auf diese Meldung und
die Gefahr hin, abgeschnitten zu werden, ging ich mit meinem Zug in Höhe
Bellewaarde-Ferme zurück, wo bereits Kompagnien des Bereitschaftsbataillons in
Stellung lagen; dort wurde mir auch die Meldung meiner Patrouille bestätigt,
daß Regiment 132 den Waldrand südwestlich Etang de Bellewaarde halte.“
Vom rechten Flügel
des Regiments und von der Mitte kam keine Meldung. Bis heute vernahm man keine
Kunde darüber, was dort vorging. Nach dem Bericht des Feldwebel-Leutnant Gastel
mußte man annehmen, daß der Graben völlig eingeebnet und die Besatzung
verschüttet wurde.
Der englische
Angriff kam aus dem Eierwäldchen und ging über unseren eingeebneten rechten
Flügel weg. Von hinten konnte infolge der mächtigen Rauchschwaden der
berstenden Geschosse vom Angriff nichts gesehen werden. Es steht aber fest, daß
am Eierwäldchen im Handgemenge erbittert gekämpft wurde, bis der die
Beschießung überlebende Teil unserer Grabenbesatzung durch die gegnerische
Übermacht erdrückt wurde.
Hauptmann Kölle
besetzte in der Zwischenzeit mit seiner Bataillons-Reserve (9./246) die
Aufnahmestellung im Storchschnabel. Mit den drei vorderen Kompagnien war keine
Verbindung mehr vorhanden. Telephondrähte waren abgerissen, Melder kamen durch
das Feuer nicht durch, es kehrte keiner von ihnen wieder zurück. Die
gesteigerte Unklarheit und Ungewißheit zwang ihn zu dem Entschluß, das Gelände
zwischen der vorderen Linie und dem Storchschnabel preiszugeben. Den nach links
verlorenen Anschluß an Regiment 132 wollte er durch Anschluß an den See
ersetzen. Nach rechts war Anschluß notdürftig vorhanden.
4.30 Uhr
vormittags erhielt das Bereitschafts-Bataillon den Befehl, mit zwei Kompagnien
nach vorne zu stoßen und die zurückgedrängten Teile des III./246 vorzureißen.
Es stellte sich nun heraus, daß Hauptmann Kölle bereits Befehl zum Rückzug
erteilt hatte. Auf Befehl des Regiments übernahm nun Hauptmann Baumann den
Befehl über die vordere Linie.
zwischen 7 und 8
Uhr vormittags kam das Gefecht zum Stehen. Die vordere Linie (Teile des II. und
III. Bataillons) hielt den Storchschnabel besetzt. Der Gegner hielt diesen
Stellungsteil unter heftigem Feuer. Vor der Storchschnabelstellung lagen die
dichten Schützenwellen des Gegners fest und wurden von unserem Infanteriefeuer
heftig erfaßt. Er erlitt sehr große Verluste. Auf Veranlassung des Regiments
schoß die eigene Artillerie nun auch dorthin, was mit sichtlichem Erfolg
geschah.
Wie der Gegner bis
an die Storchschnabelstellung gelangte, entzieht sich wiederum jeder Kenntnis.
Von der vorderen Grabenbesatzung kam nur der linke Flügelzug Gastel zurück. Von
der übrigen Besatzung kam weder Führer noch Mann zurück. Alle Offiziere fielen.
Die kümmerlichen Reste von den Mannschaften, die zurückkehrten, waren fast alle
verwundet während der Beschießung nach hinten gekommen, den eigentlichen
Infanterieangriff machten sie im Kampfgraben nicht mehr mit.
Der Gegner schien
an drei Stellen der Front eingebrochen zu sein, gegenüber dem Südrand des
Eierwäldchens, an der Nordecke des T-Wäldchens und am Bellewaardebeek entlang.
Die das heftige Artilleriefeuer überlebende Grabenbesatzung wurde in der Flanke
und im Rücken gefaßt. Sie war jeder Bewegungsfreiheit beraubt, die Gewehre waren
von Granaten zerschlagen, die Munition verschüttet und so fiel ein kleiner Teil
in Gefangenschaft.
Während der
Artillerievorbereitung schienen die vorderen Sturmwellen des Gegners bereits
nahe an unserer vorderen Linie gelegen zu haben. Ihr weiteres Vorgehen muß sehr
langsam vor sich gegangen sein, denn sie erschienen vor der
Storchschnabelstellung erst später.
Auch die englische
Artillerie war anscheinend über den Fortgang des Kampfes im Unklaren. Sie schoß
längere Zeit auf unbesetzte deutsche Gräben zweiter Linie. Sie schädigte dabei
ihre eigene Infanterie und hielt deren Vorgehen auf.
Um 9 Uhr
vormittags ergriff das Regiment wiederum die Initiative und stieß bis an den
Ostrand der Bellewaarde-Ferme vor. Eine Kompagnie des Reserve-Bataillons zog
sich am Etang de Bellewaarde entlang. Die erreichte Linie zog sich schon über
Eclusette, dem nach Norden ziehenden Feldweg entlang an den Ostrand der
Bellewaarde-Ferme. Nach Regiment 248 hin bestand Verbindung, von Regiment 132
links war nichts zu sehen.
11.20 Uhr befahl
die Division: Die erreichte Linie ist unter allen Umständen zu halten und das
Gelände nach vorwärts zu erkunden. Vorerst nicht weiter vorgehen und unter
keinen Umständen, wenn mit Regiment 132 kein Anschluß.
Dem Regiment lag
aber an dem Besitz der Höhe 44 vor der Bellewaarde-Ferme. In Eile wurde ein
Angriffsbefehl ausgearbeitet. 11.40 Uhr vormittags traf vorne der schriftliche
Angriffsbefehl ein, dem sogar Skizzen beigegeben waren.
12.15 Uhr war der
246er wieder Herr der Bellewaarde-Ferme und hatte den Engländer über die Höhe
hinabgeworfen. Auch der linke Flügel kam vor und als Regiment 132 ebenfalls
wieder Gelände gewann, konnte der Anschluß nach links wieder hergestellt
werden. Bei diesem Vorgehen wurde der Gegner unter konzentrisches Feuer
genommen und erlitt schwere Verluste.
Die Kompagnien
waren nun aber vollständig vermischt. Um geordnete Befehlsverhält-nisse
herbeizuführen, teilte das Regiment die Front in drei Abschnitte ein, Abschnitt
rechts (nördlich der Ferme) unter Hauptmann Baumann, Abschnitt Mitte Hauptmann
Kölle, Abschnitt links Hauptmann Keiper-Knorr. Jeder Abschnittskommandeur
schied sofort eine Reserve aus.
Kaum war die neue
Linie organisiert, als ein erneuter Angriff der Engländer einsetzte, der aber
um ½4 Uhr nachmittags restlos abgeschlagen war. Auch bei diesem Angriff holte
sich der Tommy blutige Köpfe. Beim Abschlagen dieses Vorstoßes waren die neu
eingesetzten Maschinengewehre der Reserve lebhaft beteiligt. Bis 4 Uhr
nachmittags war vom Regiment alles eingesetzt. In der Hand des
Regiments-Kommandeurs befanden sich als Reserve nur noch zwei Kompagnien des
II. Bataillons. Auf Ersuchen wurden dem Regiment zwei Kompagnien des
Jäger-Bataillons 26 zur Verfügung gestellt. Die Meldungen, welche aus der
Kampflinie kamen, widersprachen sich und ergaben keine Übersicht über die Lage
und die erreichte Linie. General von Roschmann ging daher persönlich in
Stellung wo er sich mit den Bataillonsführern über den weiteren Verlauf des
Gegenangriffs besprach. Im Storchschnabel feuerte er die Mannschaften, die dort
in der Schützenlinie lagen, an und leitete eine Zeitlang persönlich das
Gefecht. Er achtete nicht der einschlagenden Artilleriegeschosse, Leutnant
Pfister, Adjudant III./246, wurde, neben ihm stehend, verwundet, ebenso
Gefechtsordonnanzen. Das persönliche Erscheinen des Generals in der
Gefechtslinie, mitten im Gewühl des Kampfes, rief einen ganz unbeschreiblichen
Eindruck bei den Mannschaften hervor. Mit seinen weit sichtbaren roten Spiegeln
am Uniformkragen stand er als Mittelpunkt des Regiments im Feuer.
Gegen Abend gelang
es auch dem rechten Flügel an beiden Seiten des Roschmannweges Boden zu
gewinnen und über die Bellewaarde-Ferme hinauszukommen. Hie kämpfte der Rest
des III. Bataillons, sowie die 8. Kompagnie, Leutnant Hoffmann; die 6.
Kompagnie Hauptmann Seeger. Bei diesem Vorgehen erbeutete ein Zug der 6.
Kompagnie, geführt von Feldwebel-Leutnant Gastel (12. Kompagnie), ein englisches Maschinengewehr und machte dreißig
unverwundete Gefangene.
8.30 Uhr
nachmittags erfolgte nach starker Artillerie-Vorbereitung nochmals ein Vorstoß
gegen die englische Stellung aus dem Raume Storchschnabelwäldchen bis Etang de
Bellewaarde. Regiment 248 unterstützte diesen Angriff und stieß zwischen
Bellewaarde-Ferme und Eierwäldchen vor, nach Südwesten. Auch Regiment 132
sollte sich daran beteiligen, ebenso Jäger 26. Da die Zeit der Vorbereitung
jedoch zu kurz war, konnte der Angriff nicht mehr recht zur Geltung kommen.
Mit Rücksicht auf
die hereinbrechende Dunkelheit und die gegenteiligen Wünsche der
Anschlußregimenter mußte ein weiteres Vorgehen aufgegeben werden.“
aus: „Das
Württembergische Reserve-Infanterie.-Regiment Nr. 246“, Stuttgart 1931