„9.
August 6.30 Uhr in der Frühe greift der Engländer das III. Bataillon
überraschend an, wird aber zurückgewiesen. Feindliche Kampfflieger bekämpfen
mit Bomben und Maschinengewehrfeuer das Bataillon und lassen es den ganzen Tag
nicht zur ruhe kommen. Es soll als Brigadereserve nördlich des Tailles-Waldes
gesammelt werden; es kommt aber nicht zur Ausführung dieses Planes. Mittags zeigt
sich ein feindlicher Kampfwagen, der ziemlich schnell wieder verschwindet.
Den
ganzen Tag kann man die Vorbereitungen zu einem englischen Angriff deutlich
beobachten. Frech marschieren englische Kolonnen geschlossen von hinten vor,
rattern Panzerwagen nach vorn. In aller Seelenruhe stellt der Engländer seine
Angriffstruppen und seine gefürchteten Tanks bereit, unbehelligt, von niemand
gestört. Es ist zum Verzweifeln. Wo bleibt nur unsere Artillerie? Die der 27.
I. D. ist zerschlagen und unsere hat andere Sorgen. Sie muß ihre Munition für
die Abwehr des feindlichen An-griffs sparen.
Ab
5 Uhr nachmittags beginnt der Engländer mit seiner genau zu erkennenden
Aufstellung. In einem Abstand von 100 Meter halten vor der Front des III.
Bataillons 8 englische Tanks. Die Engländer entwickeln sich in mehreren lichten
Wellen am Hang, dahinter ist weitere Infanterie in Reihen und sogar in Kolonnen
aufgestellt. Eine feindliche Stoßbatterie ist deutlich zu erkennen. Die ganze
Leuchtmunition wird ver-schossen, um Sperr- und Vernichtungsfeuer anzufordern.
Umsonst! Unsere Artillerie schweigt!
Ein
Teil des I. Bataillons will eben mit 247ern die erschöpften 123er südlich
Morlan-court ablösen, als der Engländer sein Feuer zum Trommelfeuer steigert. Um
6 Uhr abends treten die Tommies zum Angriff an, ihre Tanks sollen ihnen freie
Bahn schaffen.
Das
III. Bataillon muß sich verraten und verlassen vorkommen. In ohnmächtiger Wut
sieht es die feindlichen Angriffsvorbereitungen, und niemand hilft ihm, das
schon den ganzen Tag unter feindlichem Maschinengewehrfeuer, das aus der linken
Flanke kommt, sehr zu leiden hat. Furchtbar werden die Kompagnien durch Durst gequält.
Sie sind am vorhergehenden Tage so plötzlich alarmiert worden, haben so schnell
in den Kampf eingreifen müssen, daß sie ihre Feldflaschen nicht mehr haben
füllen können. So haben sie seither nichts bekommen. Die Sonne brennt
unbarmherzig vom Himmel, der Staub, der Rauch und der Pulverdampf trocknen
vollends ganz die lechzende Kehle aus. Und trotzdem verlieren die Leute den Mut
nicht, trotzdem wanken und weichen sie nicht. In vorbildlicher Feuerdisziplin
nehmen sie den um 6 Uhr angreifenden Gegner unter wohl gezieltes Feuer. Zweimal
branden die englischen Massen gegen die feldgraue Mauer und zweimal brechen sie
kraftlos zusammen.
Um
7 Uhr abends dringen Engländer links von der 10. Kompagnie ein. Was sage ich:
Kompagnie? Das war einmal! Aber auch der kärgliche Überrest denkt nicht daran,
zu verzweifeln, denkt nicht daran, der Übermacht zu weichen. Die paar Mann
schwenken gegen den Gegner in der Flanke ein und nehmen ihn unter Feuer. Das
kennen sie nicht anders und werden es auch nie anders machen.
Neue
Tanks und neue Infanteriemassen tauchen in der rechten Flanke auf. Auch jetzt
weichen die braven Kompagnien nicht, sie lassen nicht mutlos die Waffen sinken.
Sie wehren sich vielmehr mit allen Kräften, schmelzen aber unter dem
feindlichen Feuer wie Butter in der heißen Sonne zusammen. Keine Verpflegung,
nichts zum Trinken – Durst ist viel schlimmer als Hunger –, und jetzt wird auch
noch die Munition knapp! Die letzten Patronen werden etwa 500 Meter westlich
des Tailleswaldes verschossen. Jeder einzelne Mann leistet Unglaubliches im
Kampfe gegen die englischen Massen, im Kampfe gegen die für die Infanterie so
gut wie unverwundbaren Tanks. Schließlich werden es der Gegner zu viele, die
letzte Patrone ist verschossen, – und dann ist es um das Bataillon geschehen.
Nach vier langen Kriegsjahren hat es noch Einzigartiges geleistet. Nun liegt es
waidwund am Boden, ehrenvoll geht es unter, es kann vor der Geschichte
bestehen.
11
Offiziere, 1 Offizierstellvertreter und 226 Unteroffiziere und Mannschaften hat
es am 8. und 9. August verloren. Der Bataillonskommandeur – Hauptmann Beckh – ist
tödlich verwundet und stirbt in der vordersten Linie in den Trümmern seines
Bataillons. Der Tod läßt ihn der Gefangenschaft entgehen.
Nur
einigen wenigen Leuten gelingt es, sich noch durchzuschlagen, gelingt es, im letzten
Augenblick aus der geschlossenen Zange zu entweichen. Den Kampf geben sie aber
noch nicht auf, es kommt ihnen gar nicht in den Sinn, nun das Weite zu suchen
und auf die eigene Rettung bedacht zu sein. Auf der Höhe des Tailleswaldes
nehmen sie wieder Stellung und verwehren mit den Trümmern von vier anderen
württembergischen Regimentern dem Gegner noch einmal ein weiteres Vordringen.
Das
I. Bataillon, dessen 2. und 3. Kompagnie bei R. I. R. 247 eingesetzt sind, hat
ebenfalls schwere Verluste erlitten.“
aus: „Ehrenbuch des württembergischen
Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 248“, Stuttgart 1932