Eduard Lorch wurde am 15. Oktober 1915 zum Ersatz-Bataillon des Landwehr-Infanterie-Regiments 123 eingezogen und kam am 12. Februar 1916 über das Feld-Rekruten-Depot der 7. (Württembergi-schen) Landwehr-Division ins Feld zum Landwehr-Infanterie-Regiment 126. Er kämpfte zunächst im Oberelsaß und in Lothringen, wurde im Mai 1917 mit der 7. Landwehr-Division an den Stochod verlegt und nahm ab Februar 1918 an der Besetzung der Ukraine teil. Eduard Lorch gehörte zu den letzten deutschen Besatzungstruppen, die am 14. März 1919 auf den Dampfern „Sadko“ und „Anatoli Molt-schanoff“ Odessa verließen.
Die Regimentsgeschichte schreibt über diesen Abschnitt der Rückreise:
„Am
16. März, 7 – 10 Uhr vormittags ging die Fahrt durch den Bosporus. Alles stand
auf Deck, dicht gedrängt, Kopf an Kopf, und freute sich der Schönheit von Land
und Meer. Bei Konstantinopel wurde Anker geworfen, doch an Land durfte niemand.
Zwei weitere deutsche Truppenschiffe lagen da; auch aus Nikolajew war der
Abtransport fast gleichzeitig mit dem unsrigen erfolgt. Wiederholt mußten all
diese Dampfer den Anker-platz wechseln. Das machte die Angst vor den Taten, auf
welche die bösen Deutschen vielleicht sannen.
So
blieb es bis zum 23. März. Dann signalisierte das französische Flaggschiff, daß
der Dampfer „Anatoli Moltschanoff“ in See zu gehen habe, Ziel Saloniki. „Sadko“
und der aus Nikolajew gekommene „Stambul“ blieben noch einige Tage vor
Konstantinopel liegen.
Man
war guter Dinge an Bord. Die Wartezeit vor Konstantinopel war ja zu Ende und
niemand zweifelte, daß es weiter gehe und immer weiter, der lieben deutschen
Heimat zu. Zu diesem Gefühl kam der Anblick der herrlichen Gegend; man fuhr
durch die Dardanellen, später am Olymp vorbei, am 25. März in den Hafen von
Saloniki.
Es
däuchte uns nicht unwahrscheinlich, daß wir hier ebenso wie vor Konstantinopel
ein paar Tage liegen müßten. Das ließ sich aber schließlich verschmerzen; nach
den Mona-ten in Odessa kam es darauf nicht mehr an. Und Hauptmann Bernard hatte
den Geleit-brief des französischen Generals Borius in der Tasche. Der letztere,
ferner General d‘ Anselme und dessen Stabschef Oberst Lejay hatten doch
wiederholt versichert, wir kämen heim ohne längeren Aufenthalt, als vielleicht
nötig sei um die Schiffe abzuwar-ten, die aus Hamburg kommen und uns abholen
sollten.
Das
Essen wurde an Bord ausgegeben wie alle Tage. Ein zweiter Dampfer mit deut-schen
Truppen langte an, wir sahen zu, wie er festlegte. Da ging plötzlich von Mund
zu Mund die Nachricht, unser Transportführer, Hauptmann Bernard, ist verhaftet
worden. So gaben die Franzosen allerdings auf recht einfache und bequeme Art
die Antwort, als Bernard auf seinen Geleitsbrief pochte.
Angeblicher
Grund der Verhaftung war die Art, wie der deutsche Hauptmann sein Recht geltend
machen wollte. Aber selbst angenommen, ohne es zuzugeben, daß hier eine
Ungehörigkeit vorgelegen habe, so unterstand Bernard ja gar nicht französischer
Straf-gewalt. Und ein Gefangensetzen der sämtlichen deutschen Transporte wäre
selbst durch Mord und Totschlag von seiten Bernards nicht gerechtfertigt
gewesen. Übrigens war für unsere Gefangensetzung alles schon vorher
vorbereitet. Bewachungsmannschaft, Unter-bringung und dergleichen, wie es
sogleich erzählt werden soll.
„Eiligst
alles packen, es wird sofort ausgeladen“, lautete ein Befehl. Drüben an Land
marschierte gleichzeitig ein Bataillon Senegalneger auf und bildete eine zehn
Schritt breite Gasse, in welche die Deutschen schwer bepackt hinein mußten. Rechts
und links starrten die aufgepflanzten Seitengewehre in die Luft, hinter den
schwarzen Franzosen hielt ein Trupp berittener Gendarmen.
Mit
Mühe nur konnte die Erlaubnis ausgewirkt werden, daß zum Schutz des an Bord
zurückbleibenden Verpflegungsvorrats und dergleichen eine ganz kleine deutsche
Wa-che belassen werden durfte, Aber in dem Augenblick, als die Masse des deutschen
Transportes das Schiff verlassen hatte, stürzten sich Scharen von französischen
Plün-derern hinauf, die deutsche Wache war hiegegen ebenso machtlos wie die
französischen Offiziere. Das Gesindel stahl und raubte alles.
In
mehreren Kolonnen nacheinander erreichten die Deutschen zwischen ihrer
schwarzen Bewachung ein Barackenlager. Es war stockfinstere Nacht, als die
letzten eintrafen. Unterwegs war die Behandlung derart, daß auch die
zuschauende griechische Zivilbevölkerung sich entrüstet darüber äußerte.
Betrunkene weiße Franzosen mit Rote-Kreuz-Schwestern am Arm kühlten ihr Mütchen
an den wehrlosen Deutschen. Boche Bolschewist, hörte man überall den Zuruf. Als
die anständigsten und menschlichsten erwiesen sich noch die Senegalesen,
wenigstens so lange sie sich nicht unter franzö-sischen Augen wußten.
Die
Unterkunft in den Holzbaracken war sehr schlecht. Abendessen oder Frühstück am
andern Morgen gab es nicht. Dagegen kam um 9 Uhr vormittags der Befehl: „Alles
sich fertig machen zum Marsch in ein anderes Lager“. Optimisten fragten, warum
denn das alles wegen der paar Tage, die wir ja doch nur hier bleiben. Wir haben
ja das Verspre-chen der französischen Generale für die rasche Heimreise!
Wir
erreichten das neue Lager, eine Zeltstadt nahe am Meer, Mikra geheißen. Das war
am 26. März. An diesem Tag begann die Leidenszeit, über welche klassische
Bildung und Galgenhumor den Kalauer Omikra verbrachen.
Bald
langte hier eine neue deutsche Kolonne an. Hinter der schwarzen Spitze kam der
Regimentskommandeur L. 121 und Transportführer, Oberst Freiherr von Schellerer
und seine Offiziere, schwer beladen mit Packtaschen, Decken und Tornistern.
Lebensalter und Rang war ja den Franzosen ebenso gleichgültig wie Versprechen
und Geleitbrief.
In
Mikra wurden Offiziere und Mannschaften nach wenigen Tagen getrennt. Nur ein
paar der ersteren blieben im Mannschaftslager. Unsere Feinde befolgten überall
den Grundsatz, mit den Offizieren etwaigen Aufstandsgelüsten das Rückgrat und
die fach-männische Führung zu nehmen.
Als
es sich bei unserer Ankunft im Lager darum handelte, zwei schwerkranke Leute
irgendwo entsprechend unterzubringen – einer starb schon zwei Tage darauf – da
sagte der französische Kommandant gleichgültig: „Vorerst kann da nichts
geschehen“. Dann wendete er sich zu seinem Adjudanten und fügte hinzu: „Zwei
weniger oder mehr, was tut das!“
Der
Bruder dieses Kommandanten war angeblich in deutscher Gefangenschaft
verhun-gert. Dabei war es doch tatsächlich bei uns so, daß die Gefangenen aus
lauter Rücksicht zumeist besser genährt wurden, als das eigene deutsche Volk.
Man
teilte die Deutschen ein in Gruppen zu 100 Köpfen. Sogenanntes
Aufsichtspersonal der Gruppen untersuchte das Gepäck und stahl dabei in
schamloser Weise. Einige Hun-de, die sich noch in unserem Besitz befanden, wurden
abgeführt und als Zielscheibe für die Schießübungen der Schwarzen benutzt.
Je
25 Mann wurden jetzt in ein Zelt zusammengepreßt. Hier ging es so eng her, daß
die armen Kerle nur auf der Seite liegend Platz zum Schlafen fanden.
Österreicher,
Bulgaren und Deutsche der verschiedensten Verbände teilten sich in das
Mikra-Lager. Betten oder auch nur Stroh gab es nicht. Tagsüber brannte die
Sonne glühend heiß auf die Zeltleinwand und über Nacht trat empfindliche Kühle
ein. Diese Hölle, dazu mit ganz ungenügender Nahrung, fast ohne jede sanitäre
Einrichtung, mit völlig ungenügender Latrine, währte mehrere Tage lang.
Dann
besserten sich die Verhältnisse allmählich einigermaßen. Die Lagergrenzen
wur-den erweitert, die Zahl der Zelte vermehrt, mit der Zeit entstanden sogar
Sportplätze. Die Drahtzäune um das Lager herum hatten längst eine namhafte
Anzahl von Durch-gängen, dennoch pendelten die schwarzen Schildwachen sinnlos an
den noch dazwi-schen bestehenden Drahtstücken entlang.
Am
6. und 7. Mai überschwemmte ein Wolkenbruch ganz Mikra. Es gab kein trockenes
Fleckchen mehr, wo man sich hinlegen konnte.
Auch
die Verpflegung – anfangs litt man ja Hunger – besserte sich. Allerdings
spielte Pferdefleisch dabei eine bedeutende Rolle, aber das törichte Vorurteil
hiegegen haben wir ja in Deutschland seit den Segnungen des Friedens überwinden
lernen. Schandbare Preise forderte aber die französische Kantine für ihre
Waren. Die Kantine hatten unsere Gefängnishalter wohlweislich in eigener Hand
behalten, denn sie brachte ihnen Geld ein. Die Feldküchen zur deutschen
Beköstigung ließen sie uns selbst bedienen.
Die
französischen Lagerkommandanten wechselten wiederholt und mit ihnen die Art der
Behandlung. Ein Kommandant liebte es, die Deutschen, die ihm unter die Finger
kamen, zu boxen. Ein anderer verlieh seinen Worten mit der Reitpeitsche
Nachdruck. Das viel benutzte Arrestlokal bestand aus einem Drahtkäfig, 1.20
Meter hoch, 5 Meter lang und 2 Meter breit. Hier hockten die aus geringstem
Anlaß Bestraften wochenlang, Tag und Nacht, ohne irgend einen Schutz gegen
Kälte, Sonne und Regen. Vor unserer Ankunft soll ein noch scheußlicheres
Arrestlokal bestanden haben.
Wir
sahen bald ein, daß unseres Bleibens hier nun doch ein langes sein würde. Es
galt also, sich damit abzufinden, dem Stumpfsinn zu steuern und durch Tätigkeit
sich fähig zu halten, auch später in der Heimat wieder zu wirken und zu
schaffen. Da entwickelte sich der Sport jeglicher Art. Fußballvereine
entstanden, es wurde gerungen, gelaufen und geturnt. See- und Flußbäder mit
Wettschwimmen und Tauchen kamen in Mode, desgleichen Schlamm- und Sonnenbäder.
Die Kapelle eines Regiments befand sich mit in Gefangenschaft; sie ließ
regelmäßig ihre Weisen hören und bald entwickelten sich Gesangvereine mit
vorzüglichen Leistungen. Es gab Vokal-, Instrumental- und gemisch-te Konzerte.“
aus: „Das
Württemberg. Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 126 im Weltkrieg 1914–1918“,
Stuttgart 1921
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