Freitag, 6. Februar 2015

6. Februar 1915


„Wir hatten oft kleine Scheiben gemacht und über die Brustwehr gehalten, damit der „Knäller“ ein Ziel hatte, und erschoß auch darauf. Recht gut schoß er, es war deshalb nicht ratsam, seinen Kopf hinauszustrecken, jedenfalls nicht länger an derselben Stelle. Auch bei uns wurde der „Knäller“ eingeführt. Es wurden nämlich Fernrohrbüchsen ausgegeben und besonders gute Schützen gingen damit regelrecht auf Anstand, aber nicht auf einen guten Sechserbock, sondern auf Franzosen. Das ist roh, wird mancher Leser sagen. Aber es war doch Krieg und der ganze Krieg ist roh und unerbittlich hart und macht auch die Soldaten so. Wer es nicht ist, der ist der Dumme, das verspürt jetzt der Deutsche am eigenen Leib. Auch damals standen Frontsoldaten auf dem Standpunkt: „Tu‘ ich ihm nichts, so tut er mir nichts.“ Sie haben aber mit der Zeit umgelernt und eingesehen, daß man dem Gegner schaden muß, wo man nur immer kann. Es hat aber lange gedauert, bis Offizier und Soldat im Schützengraben zu dieser Überzeugung kamen. Deshalb waren die Nahkampfmittel, wie Minenwerfer oder sein behelfsmäßiger Vorfahre der Erdmörser, die Handgranatenwurfmaschine und Gewehrgranaten gar nicht beliebt. Dazu kommt noch, daß durch Unvorsichtigkeit und falsche Behandlung der Waffen sehr viel Unglücksfälle vorkamen. Die Leute, die behaupteten, daß wir durch unsere Gewehrgranaten mehr Verluste hatten, als der Gegner, werden nicht ganz unrecht haben. Sie wurden deshalb bald wieder abgeschafft. Auch der Erdmörser verschwand mit der Zeit, während der Sommeschlacht wurden die letzten verwendet. Schön war es aber, doch, wenn die 25 Kilo schweren Geschosse, die mehr An einen Marmeladeneimer erinnerten, als ein Geschoß oder eine Mine, fast senkrecht in die Höhe fliegen, dann – sich mehrmals überschlagend – auf die feindliche Stellung mit hörbarem Aufschlag herunterfielen und schließlich mit einem fürchterlichen Krach losgingen – oder auch nicht. Denn auch das kam häufig vor. Manchen „Knäller“ und manches Maschinengewehr hat man durch den Erdmörser zum Schweigen gebracht, aber auch manchen Schützengrabengast zur schleunigen Beendigung seines Besuchs veranlaßt. Denn meistens antwortete der Franzose mit seiner Artillerie, und für diese hatten die Schützengrabengäste kein Verständnis. Es war dies das sicherste Mittel, um unliebsame Besuche loszuwerden. Während die Einheimischen genau wußten, wo die Artillerie hinschoß und beurteilen konnten, ob sie in Gefahr sind oder nicht, konnte der Fremde dies natürlich nicht. Er war sogar meistens so sehr von seiner Wichtigkeit eingenommen, daß er glaubte, die Artillerie hätte es ganz bestimmt auf ihn abgesehen, und wenn auch die ersten Schüsse weit daneben gingen, so mußten sicher die nächsten treffen. Es waren aber nicht alle so. Viele waren auch so naiv, zu glauben, im Schützengraben sei man in Abrahams Schoß, weil sie bisher immer zu eine ruhigen Tageszeit in Stellung waren, wo weit und breit kein Schuß fiel.

Besonders an nebligen Morgen war dies der Fall. Wir und die Franzosen benutzten die Gelegenheit, um irgend eine Arbeit außerhalb des Grabens zu erledigen, die man sonst nur bei Nacht machen konnte, und niemand schoß, um den Gegner nicht zu reizen. Auch die Artillerie schoß nicht, weil sie keine Beobachtung hatte. Der Nebel war aber oft heimtückisch, ein Windstoß – und er war weg. Wehe dem, der da nicht schnell genug in den Graben kam. Mancher hat seine Sorglosigkeit mit dem Leben bezahlt. So war links vom Granatloch eine gefährliche Stelle, an der mehrere Leute gefallen sind, bis man dahinter kam, daß man sich dort außerhalb des Grabens vom Himmel abhob und auch bei Nebel oder verhältnismäßig dunkler Nacht vom Gegner gesehen wurde.

Der Franzose war überhaupt außerordentlich aufmerksam. Er war immer darauf bedacht, uns zu schaden, wo er nur konnte und erkannte immer sehr bald, wo wir eine schwache Stelle boten. Da war z. B. ein eingebauter Schutzschild nicht genügend verdeckt oder die Sonne schien durch die Schießscharte. Stand nun jemand dahinter, so wurde die Schießscharte beschattet. Der drüben auf der Lauer liegende „Knäller“ hatte das sofort erkannt und schoß herüber. In der Mulde am linken Flügel des Regiments sind nacheinander zwei Leute auf diese Weise durch Kopfschuß gefallen. Ebenso aufmerksam war die Artillerie. Wenn abends die Essenholer zu früh weggingen und deshalb beim Verlassen der Laufgräben noch erkannt werden konnten, so sandte er ihnen gleich einige Schrapnells nach.“

aus: „Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 121 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1922

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