„Waren die Verhältnisse im Fort, wie wir gesehen haben, wenig erquicklich,
so herrschten bei den unglücklichen Verwundeten, die wohl unter dem Zwang des
Artil-leriefeuers statt nach dem Fort oder der Méraucourt-Ferme nach dem „Steinbruch“
gebracht worden waren, geradezu grauenhafte Zustände, und es dreht sich einem
das Herz im Leibe um, wenn man liest, was Assistenzarzt Dr. Schröder in seinem
Bericht darüber schreibt:
„Bei meiner Ankunft lagen in dem Verbandsraum, einer bombensicheren
Kase-matte von 50 qm Bodenfläche und 4 m Höhe, schon 30 Schwerverwundete. Der
halbverschüttete Eingang konnte nur kriechend passiert werden, die Luftzufuhr
war sehr mangelhaft. Es herrschte daher stets eine äußerst schlechte Luft bei
30–40 Grad Hitze. Etwas frische Luft wurde durch Schwenken einer Zeltbahn vom
Eingang her zugeführt.
Der Angriff begann, und bald war der Raum mit etwa 50 Schwerverwundeten
belegt und ich mußte die weiterhin Ankommenden im Steinbruch selbst im Freien
unterbringen, wobei es nicht zu vermeiden war, daß sie bei den häufigen
Feuer-überfällen durch Stein- oder Granatsplitter von neuem verwundet wurden.
Am 12. Juli wurden die Zustände unhaltbar. Im Steinbruch waren alle Wege
durch Verwundete belegt, die Kasematte bot ein fürchterliches Bild. Als
einziges Getränk waren in der Nacht fünf Flaschen Mineralwasser vom Fort
geschickt worden, die Granattrichter in der Nähe waren unter Lebensgefahr
ausgeschöpft worden, der letzte Rest Kaffee, den die Gesunden gern hergaben,
war getrunken. Der Durst wurde furchtbar unter den Verwundeten; dabei wurde die
Luft in der Kasematte immer schlechter, die Hitze immer größer, trotzdem der
Eingang freigelegt worden war und die Pioniere einen Luftschacht in den Felsen
getrieben hatten. Die Lichter begannen zu erlöschen, Schwerverletzte erhoben
sich und tasteten an den feuchten Wänden entlang, um die Tropfen abzulecken;
ein Mann trank in einem unbewach-ten Augenblick seinen eigenen Urin.
Dieser Tag stellte an die Sanitätsmannschaften die höchsten Anforderungen. Selbst
ohne Wasser, mußten sie in dem überhitzten Raum den Verwundeten Tag und Nacht
die größte Aufmerksamkeit schenken, um Leute, die der Durst an den Rand des
Wahnsinns gebracht hatte, zu verhindern, selbst Hand an sich zu legen. Am Abend
endlich kam der ersehnte Kaffeetransport. Mit 80 Flachen konnte man den größten
Durst der Kranken stillen. Auch der Abtransport ging jetzt glatt vonstatten. Am
15. wurde das gänzlich erschöpfte Sanitätspersonal durch Mannschaften der Sanitäts-Kompagnie
50 abgelöst.“
Ein Lichtblick in diesem Bild voll Schrecken und Grauen war die auch sonst
vor Verdun beobachtete Tatsache, daß die Verwundetentransporte unter der Roten
Kreuz-Flagge auch von den Franzosen respektiert wurden.“
aus:
„Das 8. Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 126 „Großherzog Friedrich von
Baden“ im Weltkrieg 1914-1918ׅ, Stuttgart 1929
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