„Am 7. Juli mittags rückten der Stab des II. Bataillons und die 5. und 8.
Kompagnie nach Pozières vor, das unter heftigem Artilleriefeuer lag, jedoch
unter allen Umständen gehalten werden mußte. Im Lauf des Abends sollten die 6.
und 7. Kompagnie die durch erhebliche Verluste bereits geschwächte 5. und 8.
Kompagnie vorne ablösen. Der fast den ganzen Tag unaufhörlich strömende Regen wetteiferte, die Gräben in
allen Stel-lungen anzufüllen, zu verwüsten und die Lage recht ungemütlich zu
gestalten. Der älteste Kompagnieführer der 6. Kompagnie, Leutnant d. L.
Köstlin, ging mit seinem Burschen zur Erkundung nach Pozières voraus und
berichtete darüber und über den Verlauf des Tages selbst:
„Unser Weg führte der Straße entlang hinter einer hohen Hagenbuchhecke, die
eine gute Deckung beim Vorgehen gewährte. Die Straße selbst stieg bis zu den
ersten Häusern schwach an, um dann durch das Dorf hindurch etwa ebenso
abzufallen. Die Ortschaft lag also an einem dem Feinde zugekehrten Hang und war
demnach von ihm aus gut einzusehen und wirksam zu beschießen. Auf der Ortschaft
lag starkes Artilleriefeuer, während ich die Hauptstraße nach dem Ausgang La
Boisselle hinunterlief. Singend und pfeifend kamen die Granaten in kurzen
Pausen nacheinander angesaust und schlugen da und dort krachend in die schon
oft getroffenen, zum Teil noch anscheinend unversehrten, zum Teil schon
gänzlich zerstörten Häuser und Scheunen ein. Die Straße lag voll mit Splittern von
Dachziegeln, Fensterläden, Türen und anderem Gerümpel, das die Wucht der platzenden
Granaten aus den Häusern geschleudert hatte. Außerdem wurden die Schritte immer
wieder gehemmt durch die zahlreichen in die Straße gerissenen Granattrichter,
welche oft mehr als 6 Meter Durchmesser besaßen und jetzt durch andauernden
Regen bis zum Rande mit Wasser gefüllt waren.
Etwa in der Mitte des Dorfes angekommen, an der Stelle, wo rechts der Weg
nach Thiepval, links derjenige nach Contalmaison abführt, traf ich mit dem
Leutnant Schmidt zusammen, welcher stellvertretend die 6. Kompagnie nachführen
sollte und für den verwundeten Leutnant Vöchting jetzt die 5. Kompagnie zu
überneh-men hatte. Wir stellten uns in die Toreinfahrt des nächsten Hauses links
an der Straße. Er erzählte mir von dem großen bedauerlichen Verlust, den die 6.
Kom-pagnie heute nachmittag dadurch erlitten hatte, daß 18 Mann seines Zuges
durch eine einzige schwere Granate in ihren Stellungen getötet und verschüttet
worden waren. Ein herber Schlag für die Kompagnie, aber die Pflicht rief, wir
mußten weiter. Stumm drückten wir uns die Hand, ohne zu ahnen, daß dies das
letzte Mal sein sollte.
Ich eilte die Dorfstraße hinunter dem Ortsausgang zu. Dort schlugen eben
einige Granaten hintereinander mitten auf der Straße ein, wo ich auch einige
Tote liegen sah. Es wäre Wahnsinn gewesen, jetzt gerade dorthin zu gehen.
Meinem Instinkt folgend, verließ ich deshalb schnell die Straße, um mich links
in den Gärten vorzuarbeiten, was wegen des heftigen Granatfeuers nur
sprungweise möglich war, und unter Ausnutzung der Deckungen in Granatlöchern, hinter
Mauern und Bäumen. Auf diese Weise gelangten wir in den am südlichen Ortsrand
hinter einer dichten Hecke angelegten Graben, der bereits von Kompagnien des
Reg. 180 dicht besetzt war. Einen geeigneten Platz für meine Kompagnie suchend,
ging ich in diesem Graben nach links bis an die Stelle, wo der Weg nach
Contalmaison aus den Gärten von Pozières heraustritt. Von dort ab war der
Graben nicht mehr besetzt. Nach dem Eintreffen der Kompagnie, die ich, auf die
Hauptstraße zurückgekehrt, erwartet hatte, ließ ich Leutnant Koch mit seinem
Zuge in dieses unbesetzte Grabenstück einrücken. Denn ich sagte mir, daß die
linke Flanke der 180er bei einem eventuellen Angriff von Contalmaison her
bedroht erschien, während dagegen rechts der Straße ein Angriff überhaupt weniger
zu befürchten war, solange Ovillers und la Boisselle noch gehalten wurden. Den
Zug Bader setzte ich in einer Bereitschaftsstellung am südlichen Ortsrand
rechts der großen Straße 200 Meter hinter dem vorderen Graben ein. Den Zug Bunz
beließ ich vorderhand zu meiner Verfügung in einem Keller der Ortschaft.
Hierdurch war eine gute Tiefengliederung hergestellt; meinen Gefechtsstand
wählte ich in der Nähe des zweiten Zuges in einem Stollen hinter einem
zerschossenen Haus an der Wegegabel nach Contalmaison. Leutnant Thumm, den
Führer der 7. Kompagnie, hatte ich aufgefordert, den Stollen mit mir zu teilen.
Todmüde legte ich mich gegen 1 Uhr nachts schlafen mit der Weisung an meine
Ordonnanzen, mich um 4 Uhr morgens zu wecken.
Die Nacht verging, ohne daß auf die Gräben ein Infanterieangriff erfolgte,
dagegen unter fast fortwährendem heftigem Artilleriefeuer, besonders auf die
Ortschaft. Es regnete und war noch stockfinster, als ich meinen Stollen in der
Morgenfrühe des 8. Juli verließ, um mit meinem getreuen Häberle wieder in
Stellung zu gehen, zunächst zum Zug Bader. Das Artilleriefeuer lag sehr heftig
auf der Ortschaft, während wir die Straße gegen Thiepval hinauseilten. Das fast
ununterbrochene Aufblitzen von Granaten und Schrapnellen und der gellende Lärm
der Einschläge, dessen Echo schauerlich zwischen den Häusern und Scheu-nen des
Ortes hallte, begleitete uns auf unserem gefährlichen Gang.
Trotz der starken Beschießung hatte die Kompagnie während der vergangenen
Nacht keine Verluste erlitten, aber vor Nässe und Kälte waren die Leute halb
erstarrt. Hierzu kam noch, daß ein Essenfassen gestern abend nicht mehr möglich
gewesen war; ich ließ daher später den Leuten heißen Kakao auf dem Herd in
meinem Stollen zubereiten und ausgeben. Auf den Vorschlag des Leutnant Bader,
seinen Zug in den etwa 200 Meter vor dem Dorfrand hinziehenden Graben
vorzunehmen, der weniger unter Feuer lag, als die Ortschaft, ließ ich den Zug,
die Morgendämmerung benützend, gleich dorthin vorrücken. Der Graben war in
einem unbeschreiblichen Zustande, ganz verfallen und die Sohle mit tiefem
Schlamm bedeckt, ohne jegliche Unterstände, nur die vordere Brüstung überall
mit sogenannten Kaninchenlöchern unterhöhlt. Ein Gang durch diesen Graben war
unmöglich. Man blieb buchstäblich im Schlamm stecken. Wir gingen deshalb neben
dem Graben die ganze Stellung entlang und hatten das Glück, daß das
Artilleriefeuer gerade jetzt ganz aufgehört hatte.
Im Laufe des Morgens klärte das Wetter auf, und wir waren froh, die
erstarrten Glieder und die nassen Kleider wärmen und trocknen zu können. Aber
nicht lange sollten wir uns am schönen Wetter freuen, denn es brachte uns die
feindlichen Flieger, die alsbald in zahlreichen Schwärmen über uns summten.
Regungslos mußten alle Leute in ihren flachen Erdlöchern liegen bleiben, um
nicht von den oft erstaunlich niedrig fliegenden Apparaten aus gesehen zu
werden. Auch die feindlichen Fesselballone waren wieder eng gestaffelt, einer
neben dem anderen, hoch gegangen. Jede Batterie mußte wohl ihren eigenen Ballon
haben, der ihr Feuer leitete. Schanzarbeiten, so notwendig sie bei dem
mangelhaften Zustand unserer Gräben gewesen wären, konnte wir angesichts dieser
regen feindlichen Luftaufklärung bei Tage nicht vornehmen. Gegen 3 Uhr
nachmittags setzte plötzlich wieder heftiges Artilleriefeuer auf die Ortschaft
ein.
In meinen Stollen zurückgekehrt, fand ich den Befehl vor, die 6. und 7.
Kompagnie werde durch Teile der Reg. 183 abgelöst und sollten sofort in die R
2-Stellung beim Regimentsgefechtsstand rücken. Gleichzeitig waren auch schon
Kompagnien des Reg. 183 in Pozières eingetroffen, und ich hatte damit die
Erklärung der plötzlichen Beschießung der Ortschaft. Denn der feindlichen
Luftaufklärung war dieses Manöver am hellen Tag natürlich nicht entgangen. An
eine sofortige Ablösung, außer mit erheblichen Verlusten, war daher nicht zu
denken, und ich beschloß daher, mit den Kameraden vom Reg. 183 zusammen hierzu
die Dunkelheit abzuwarten. Die bereits eingetroffenen Kompagnien der Ablöser
mußten so lange, so gut es ging, in den Kellern und Stollen der Ortschaft
verschwinden.
So war der Tag von Pozières für die Kompagnie verhältnismäßig günstig
verlau-fen, doch hatten uns die beiden ersten Schlachttage durch das
Artilleriefeuer schon erhebliche Verluste gekostet und waren mit den größten
Strapazen für jeden einzelnen Mann verbunden gewesen.“
Am 8. Juli lag während des ganzen Tages heftiges Artilleriefeuer auf der
Stellung des Bataillons, wodurch bei der 9. und 11. Kompagnie, welche ohne
jegliche Unterstände im Graben lagen, so erhebliche Verluste eintraten, daß
erstere nur noch über 50 Gewehre verfügte. Da außerdem von der 9. Kompagnie
feindliche Angriffsabsichten gemeldet wurden, erbat das Bataillon vom Regiment
und auch von dem mit Teilen im Mametz-wald liegenden III./bayr. Reg. 16
Verstärkung. Gegen Abend und im Lauf der Nacht trafen auch ein Zug der 11.
Kompagnie des letzteren Regiments und vier M.-G. der 3. M.-G.-K. des
Res.-Inf.-Reg. 122 ein, ferner die 5. Kompagnie unter Leutnant Schmidt mit 100
und Teile der 8. Kompagnie mit 24 Gewehren; letztere Kompagnie hatte auf dem
Anmarsch starke Verluste erlitten.“
aus:
„Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“,
Stuttgart 1922
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