Donnerstag, 6. November 2014

6. November 1914


„Am 6. November konnte die Artillerievorbereitung des Angriffs starken Nebels wegen erst etwa 11 Uhr vormittags beginnen. Feldartillerie und eine schwere Batterie des II./Fußart.-Regts. 10 nahm die vor der Front des Regiments liegenden feindlichen Stellungen unter Feuer, andere Batterien beschossen die Waldblöße nördlich und nordöstlich Camp. Schwere Geschütze des II. bayer. Armeekorps hielten den großen Wald nördlich vom Kanalknie zwischen Eisenbahn und Straße nach Verbranden–Molen kräftig unter Streufeuer, und eine Mörserbatterie der Division sandte auf ausdrücklichen Befehl des Generalkommandos unausgesetzt ihre ehernen Grüße nach Ypern selbst hinüber.

Gegen 2 Uhr nachmittags trat unsere Infanterie, welche mit begreiflicher Ungeduld die Vorverlegung des eigenen Artilleriefeuers erwartet hatte, aus ihren Schützengräben an.

Das III. Bataillon stieß mit 10., 12., 11. Kompagnie in vorderster Linie, mit 9. hinter der 10. folgend, gegen Camp vor.

Das I. schloß sich mit 1. und 3. Kompagnie in vorderster Linie an, die 4. Kompagnie folgte hinter der Mitte, die 2. deckte, an der Eisenbahn entlang gehend, die linke Flanke des Regiments.

In raschem Anlauf überrannten unsere Schützen südlich von Camp gelegene, schwächer besetzte Vorstellungen der Franzosen. Wer sich nicht gutwillig ergab, wurde mit dem Bajonett zusammengestochen oder mit dem Gewehrkolben niedergeschlagen. Der Unteroffizier Kohler und die Reservisten Roll und Stolz der 3. Kompagnie machten dabei 2 Offiziere und 15 Franzosen zu Gefangene, die sich bei einem größeren Unterstand verzweifelt wehrten.

Dann aber verlangsamte sich unwillkürlich das prachtvolle Vorstürmen der „Achter“ auf die weit zerstreuten Häuser und Gehöfte von Camp. Viele mit Drähten durchzogene Hecken und Drahtzäune hemmten hier den Sturmanlauf. Dahinter lagen stets nur wenige französische Schützen eingegraben. Sobald sich unsere Schützenlinien durch diese Hindernisse durchgearbeitet hatten, prasselte ihnen von andern, fast rechtwinklig zu unserer Angriffsfront liegenden Schützen vernichtendes Feuer in die Flanke, eine verdammte Taktik, die bald klaffende Lücken in unsere Reihen riß!

Trotz des rasenden feindlichen Infanteriefeuers aus der Front und zahlreicher über den Schützenlinien platzenden Schrapnells, die unsere Reserven zum Ausschwärmen und Einschieben veranlaßten, ging der Infanterieangriff unaufhaltsam vorwärts. Gegen 4 Uhr abends waren die französischen Stellungen beiderseits von Camp in unseren Händen.

Die tapferen Musketiere, welche dem auf Klein-Zillebeke weichenden Gegner dicht auf den Fersen blieben, ahnten noch nicht, welch schwerer Verlust unser Regiment betroffen hatte. Oberst v. Schimpf war gefallen! Etwa 3 Uhr nachmittags hatte der Regimentsstab, zusammen mit dem Stabe des I. Bataillons kaum 200 m hinter der Schützenlinie dem Angriff folgend, einen geräumten französischen Schützengraben südlich vom Camp erreicht, wo heftiges Strichfeuer beide Stäbe zwang, vorübergehend Deckung zu suchen. Wenige Minuten später, als die Schützen des I. Bataillons mit lautem Hurra im Wald südwestlich Camp verschwanden, ging es weiter. Oberst v. Schimpf gab, nach rückwärts gewendet, einem Melder Befehl, das hinter unserem Regiment folgende halbe III./132 näher heranzuholen, da sank er mit leisem Klagelaut blutüberströmt zusammen. Ein  Infanteriegeschoß hatte ihm den Schädel durchbohrt. Der Gefreite Gfrörer und einige andere Melder des Bataillonsstabs brachten den Bewußtlosen nach dem Truppenverbandplatz in Schloß Hollebeke zurück, wo er gegen 7 Uhr abends verschieden ist. Auf dem Garnisonfriedhof zu Straßburg im Elsaß hat der Unvergeßliche später seine letzte Ruhe gefunden. Ehre seinem Andenken!

Nicht nur von den Offizieren, die Zeugen seines Heldentodes sein mußten, sondern vom ganzen Regiment ist dieser ritterliche Führer aufrichtig betrauert worden, der seinen „Achtern“ in jeder Hinsicht als Soldat wie als Mensch ein leuchtendes Vorbild war und sich ihres unbegrenzten Vertrauens hat erfreuen dürfen.

Aber zum Trauern blieb in jener bitteren Stunde keine Zeit! Major Wald übernahm unter Beibehalt der Führung seines Bataillons den Befehl über das Regiment. In kühnem Draufgehen waren die Bataillone inzwischen, vermischt mit Teilen der 82. Inf.-Brigade und des Inf.-Regts. 132, bis auf Höhe von Klein-Zillebeke vorgedrungen, wo eilends herangeführte Reserven den deutschen Sturmlauf zu hemmen sich vergeblich bemühten. 5 Uhr abends waren die französischen Regimenter 90 und 268 über den Haufen geworfen, im ganzen 730 Mann, dabei 12 Offiziere, von denen einer dem Kommandeur unseres I. Bataillons mit den Worten: „Volià, cela me suffit de la guerre“ Revolver und Degen entgegengehalten hatte, zu Gefangenen gemacht, von Teilen der 11. und 12. Kompagnie, die in der Hitze des Gefechts bis an den linken Flügel des Regiments geraten waren, am Bahndamm auch zwei Maschinengewehre erbeutet.

Mit welchen Opfern aber hatte das Regiment diese Erfolge erkauft! Die Verluste allein an Offizieren betrugen 13. Außer Oberst v. Schimpf waren gefallen: Leutnant Frhr. v. Schellerer, Kompagnieführer der 12. Kompagnie; die Leutnants d. R. Wunder und Wölfflen, Kompagnieführer der 1. bzw. 11. Kompagnie (ersterer erst drei Tage zuvor nach Wiedergenesung von früherer Verwundung mit dem Ersatztransport aus der Heimat eingetroffen!) ferner der Offizierstellvertreter Ritter der 9. Kompagnie. Verwundet waren: Hauptmann Jürgensen (9.); Leutnant Stepp, Kompagnieführer der 2. Kompagnie; Fähnrich May (9.); Leutnant d. R. Mathies vom Feldart.-Regt. 80, kommandiert zur 11. Kompagnie; Leutnant d. L. a. D. Zech (4.), sowie die Offizierstellvertreter Trommer (2.), Herrel (3.), Bauer (12.).

Die Verluste an Unteroffizieren und Mannschaften genauer anzugeben, ist nicht mehr möglich. So viel steht indessen fest, daß sie schrecklich gewesen sind.

Aber trotz des Ausfalls an Unterführern stürmte der so gut wie führerlos gewordene Schützenhaufen des I. und III. Bataillons von Klein-Zillebeke aus durch die anschließenden Waldstücke hindurch beinahe bis zur Höhe 60 und zu den ersten Häusern von Zwarteleen weiter. Der tapfere Gefreite Marion von der 3. Kompagnie, der nach Verwundung seines Zugführers den Zug übernommen und seinen Kameraden ein hervorragendes Beispiel an Mut und Schneid gegeben hatte, erwarb sich das Eiserne Kreuz. Vor Zwarteleen kam der Angriff endgültig zum Stehen.

Ein paar Gruppen des III. Bataillons sind zwar in dem allgemeinen Durcheinander zusammen mit dem fliehenden Feind noch fast 1,5 km weiter bis an die ersten Häuser von Zillebeke durchgestoßen, dort aber in englisches Maschinengewehrflankenfeuer geraten, das sie nötigte, sich im Handgemenge nach rückwärts auf Zwarteleen durchzuschlagen, wo sie, freilich stark gelichtet, aufgenommen werden konnten.

Es gelang am Abend des 6. November nicht, die Höhe 60 und das Dörfchen Zwarteleen in Besitz zu nehmen. Der dort stark verschanzte Feind leistete hartnäckigen Widerstand, den zu brechen die Stoßkraft unserer zu Tode erschöpften Infanterie nicht mehr ausreichte. Dazu kam noch, daß gegnerische Artillerie mit für uns furchtbarer Wirkung die erreichte Linie ständig unter Feuer hielt, und die 82. Inf.-Brigade in den Wäldern nordöstlich von Klein-Zillebeke noch erheblich weiter zurückgeblieben war.“


aus: „Das 8. Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 126 „Großherzog Friedrich von Baden“ im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1929

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