Mittwoch, 2. März 2016

2. März 1916




Am 2. März morgens 4 Uhr setzte das Feuer erneut ein und steigerte sich bis 5.30 Uhr früh zur Höchstleistung. Mit einem Schlag verstummte es 5.45 Uhr im linken Regi-mentsabschnitt und wurde auf dessen Flügel verlegt, also rechts auf die 5. Kompagnie, links – überm Kanal drüben – auf den sächsischen Abschnitt. Dort blieb es über Mor-gengrauen hinaus liegen und, da ein leichter Morgennebel über dem Kampffeld war, der verdichtet durch den Pulverdampf die Sicht ausschloß, war schwer festzustellen, was sich im Abschnitt ereignete. Es blieb deshalb ziemlich lange unbeobachtet, daß der Gegner in die am 14. Februar deutscherseits genommene Stellung eingedrungen war, und erst gegen 8 Uhr früh erfuhr der Führer des Kampfbataillons, Hauptmann von Mauch, durch zurückkommende Verwundete und einzelne Meldungen das Wichtigste von der Lage.
Darnach hatte der Gegner sich in den Besitz des Bastionstrichters und seiner ganzen ihm kürzlich abgenommenen Stellung gesetzt und war teilweise bis über unsere ehemalige vordere Linie hinaus vorgedrungen, wo sich vereinzelt haltende Leute mit ihm herum-schlugen. Ein Teil der Besatzung hatte versucht, nach rechts, wo das Feuer schwächer war, auszuweichen, ein anderer war in dem vorausgegangenen schweren Minen- und Artilleriefeuer verwundet oder getötet worden. Die 7. und 8. Kompagnie, vor deren Front der erste Ansturm zum Scheitern gebracht war, wurden vom englischen Angriff teils in der Front, teils von der linken Flanke voll erfaßt und waren verloren. Unter den Vermißten befanden sich auch beide Kompagnieführer, Leutnant d. R. Lutz und Leutnant d. R. Schölkopf (Kuno), die verwundet in Gefangenschaft fielen. An einzelnen Stellen kam es zu kurzen Nahkämpfen, die bei der völligen Dunkelheit und der mehr-fachen Übermacht des Gegners, der seinen Angriff aufs sorgfältigste vorbereitet hatte, zu dessen Gunsten ausfallen mußten. Sein mit Massen geführter Stoß traf auf eine durch 36stündiges Feuer geschwächte Truppe, der bei dem überraschenden Erscheinen des Angreifers keine Möglichkeit blieb, einen nachhaltigen Widerstand zu leisten. Nur Trümmer schlugen sich durch, verfolgt von dem Maschinengewehrfeuer der sich rasch einbauenden Engländer.
Ähnlich wie der 7. und 8. erging es auch der 12. Kompagnie, die in und hinter dem Bastionstrichter saß und dort eben die 6. Kompagnie abgelöst hatte, als der Gegner angriff. Von dieser war der größte Teil schon auf dem Rückmarsch, nur die alte Trich-terbesatzung hielt sich noch im Minenstollen auf, als gerade das schwere Feuer einsetzte. Hier stauten sich daher Teile beider Kompagnien, die aber völlig geschützt das Feuer abwarten konnten. Auch die neue Trichterbesatzung, ein Zug der 12. Kom-pagnie unter Leutnant d. R. Lehr und 2 M.G.-Bedienungen, fand in den im nördlichen Teil befindlichen Wohnstollen Deckung, wurde aber von den auf den Trichterrändern erscheinenden Engländern durch Handgranaten und Gewehrfeuer in ihnen festgehalten und  nach heftiger Gegenwehr überwunden. Dieser Besatzung war jeder Rückweg durch den Minenstollen dadurch abgeschnitten worden, daß der Ausgang in den Trichter durch einen starken englischen Sturmtrupp zu Beginn des Angriffs mit einer Sprengladung abgequetscht wurde. Damit war es auch dem im Stollen befindlichen Kompagnieführer der 6. Kompagnie, der über je einen Halbzug seiner eigenen und der 12. Kompagnie, sowie einige Pioniere (im ganzen 60 Mann) verfügte, nicht möglich, der Trichter-besatzung zu Hilfe zu eilen. Auch am rückwärtigen Ausgang des Stollens zeigten sich Engländer, die aber glücklicherweise bald wieder verschwanden, so daß der Stollen-besatzung ein längeres Abgeschnittensein erspart blieb. Hauptmann d. R. Bader über-nahm als Ältester hier den Befehl und organisierte in entschlossener Weise den Wider-stand, ließ nach beiden Seiten abdämmen und sandte durch seine Ordonnanz, den Gefreiten Haux, Meldung über seine Anordnungen und Beobachtungen an den K.T.K*. Haux machte im Laufe des Tages trotz stark angeschwollener Füße in schwerstem Feuer dreimal diesen Weg und hat so ganz wesentlich zur Klärung der verworrenen Lage beigetragen. Sehr verdienstvoll waren auch die Patrouillen der Grenadiere Schneider und Störtz, die als erste um 9 Uhr vormittags einwandfrei feststellten, daß sowohl die vordere Linie der 7. und 8. Kompagnie völlig verloren, wie die ganze Reservestellung im linken Regimentsabschnitt verlassen und daher unbesetzt sei.
Wie bereits erwähnt, waren die rückwärtigen Befehlsstellen über diese Vorgänge in der Front zunächst im unklaren. Auch von den Bereitschaftskompagnien war nichts von dem gegnerischen Angriff bemerkt worden und noch um 7 Uhr gingen beruhigende Meldungen beim K.T.K. von ihnen ein. Um die Lage selbst aufzuklären, begab sich dieser 7.30 Uhr früh nach der vorderen Linie, wobei er unterwegs von einem Ver-wundeten der 8. Kompagnie von dem gegnerischen Einbruch hörte. Aber erst Meldun-gen der 5. und 6. Kompagnie gaben ein einwandfreies Bild der Verhältnisse und alsbald wurden auch Gegenmaßnahmen eingeleitet. Zunächst handelte es sich darum, ein etwaiges weiteres Vordringen des Gegners zu verhindern, an dessen freiwilligem Zu-rückgehen aus seinen vorgeschobenen Postierungen man jedoch bald ersah, daß dieses nicht in seiner Absicht lag. In unserer ehemaligen zweiten Linie bauten sich daher zur Abriegelung vom Bereitschaftsbataillon auf: 2. Kompagnie in Richtung auf den rechten Flügel der verlorenen Stellung, durch den Heuselweg vorgehend, 3. Kompagnie vom T-Weg nach links, 1. Kompagnie im Anschluß an 3. bis an den Kanal. Gleichzeitig wurden die Reservetruppen aus Kortewilde vorgezogen, von denen die 10. Kompagnie in der Fasanerie, 9. und 11. in der Kanalbereitschaft, 4. im Kastanienwäldchen in Bereit-schaft gingen, während die Arbeitskompagnie am Baulager sich verfügbar hielt.
Der Aufbau der neuen vorderen Linie gelang trotz starker Gegenwirkung des Feindes insoweit, als sich ein gruppenweises Festhalten an einstigen Grabenstücken, welche die tagelange Beschießung überstanden hatten, ermöglichen ließ. Geschlossene Bewegun-gen waren aber nahezu unmöglich; die Annäherungswege waren völlig zerschossen und für die Truppe bedeutete ein Vorwärtskommen nur noch ein Durchwinden durch Sand-sack- und Balkenreste, ein Hindernissteigen über Wassertümpel, ein Durchstampfen zähen Sandbreis. Unter solchen Umständen scheiterten nicht nur Versuche einzelner beherzter Grenadiere oder schneidiger Gruppen, dem Gegner Gelände zu entreißen, sondern auch ein um 1 Uhr mittags angesetzter planmäßiger Gegenstoß. 5. Kompagnie sollte von ihrem linken Flügel aus die verlorene Stellung nach links aufrolle, während 2., 1. und 3., unterstützt von zwei Zügen der 9. Kompagnie, in frontalem Angriff den Gegner zurückwerfen sollten. Aber allen Bemühungen, den Angriff in Fluß zu bringen, setzte der Gegner ein solch vernichtendes Feuer entgegen, daß die Verluste des Regi-ments, die bis dahin schon sehr schwer waren, durch diesen mißlungenen Mittagsangriff noch bedeutend vermehrt wurden. Nur etwa 100 m konnten dem Gegner auf seinem linken Flügel durch die 2. Kompagnie wieder abgenommen werden. Erst im Laufe des Mittags gelang es einzelnen Gruppen der 1. und 3. Kompagnie durch den Heyweg die vordere Linie des 14. Februars zu erreichen und sich in der hereinbrechenden Dunkel-heit darin festzusetzen. Vom Gegner wurde in diesen Gräben nichts mehr angetroffen; nur in einem nach Westen vorspringenden Stellungsteil, der eine Helmform bildete, hielt er sich noch und konnte nicht daraus vertrieben werden.
Nach Einbruch der Dunkelheit war auch ein Zug der Arbeitskompagnie bis zum Bastionsstollen vorgedrungen und hatte Verbindung mit den dort noch immer ausharrenden Teilen der 6. und 12. Kompagnie hergestellt. Mit diesen zusammen wurde allmählich durch gegenseitiges Handreichen wieder eine durchlaufende Besetzung erreicht und so der großen Gefahr eines Durchbruchs begegnet. Damit drängte sich der Gedanke auf, ob es nicht möglich wäre, in überraschendem Nachtangriff das ganze verlorene Gelände wieder zu holen und ein am späten Abend eingehender Divisions-befehl sprach sich auch dahingehend aus. Demzufolge wurden 3 Sturmkolonnen ange-setzt und war 4. und 10./123, sowie die zur Verfügung gestellte 8./120 von rechts herein, 11. und 12./123 vom Kanal aus links herein und Hauptmann Freiherr v. Perfall mit Teilen I.R. 120 in direktem Angriff gegen die Bastion. Auch Teile I.R. 124 und 127 wurden dem Regiment zur Unterstützung zugewiesen. Aber trotz aller Bemühungen blieb diesem Nachtangriff jeder Erfolg versagt. Das Wasser hatte sich infolge erneuten Regens und Schneefalls nur noch mehr gestaut und teilweise bis an die Hüfte im Eiswasser stehend, harrten die Angriffstruppen des Zeitpunkts zum Vorstoß. Als es schließlich soweit war, hielt der in seiner ihm vertrauten Stellung festsitzende Gegner mit M.G.-Feuer jedes Vorwärtskommen unserer Leute nieder und weitere schwere Verluste waren das Ergebnis dieses nächtlichen Angriffsversuchs. Fähnrich Closter-meyer mit seinem Zug der 10. Kompagnie versuchte es trotz allem, einen Erfolg zu erringen, aber wenige Schritte nach Verlassen des Grabens sank auch er in die Brust geschossen hintenüber. So mußte man sich mit dem Erreichten begnügen und erschöpft und frierend beschränkten sich die Kompagnien darauf, einzelne Stellen zu schaffen, wo sie Posten einrichten konnten, während der Artilleriekampf in der ganzen Nacht nicht mehr zur Ruhe kam.“



aus: „Die Ulmer Grenadiere an der Westfront“, Stuttgart 1920
Bild: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand M 708

*K.T.K.: Kampftruppen-Kommandeur

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