Am 2. März morgens 4 Uhr setzte das Feuer erneut ein
und steigerte sich bis 5.30 Uhr früh zur Höchstleistung. Mit einem Schlag
verstummte es 5.45 Uhr im linken Regi-mentsabschnitt und wurde auf dessen
Flügel verlegt, also rechts auf die 5. Kompagnie, links – überm Kanal drüben –
auf den sächsischen Abschnitt. Dort blieb es über Mor-gengrauen hinaus liegen
und, da ein leichter Morgennebel über dem Kampffeld war, der verdichtet durch
den Pulverdampf die Sicht ausschloß, war schwer festzustellen, was sich im Abschnitt
ereignete. Es blieb deshalb ziemlich lange unbeobachtet, daß der Gegner in die
am 14. Februar deutscherseits genommene Stellung eingedrungen war, und erst
gegen 8 Uhr früh erfuhr der Führer des Kampfbataillons, Hauptmann von Mauch,
durch zurückkommende Verwundete und einzelne Meldungen das Wichtigste von der
Lage.
Darnach hatte der Gegner sich in den Besitz des Bastionstrichters und
seiner ganzen ihm kürzlich abgenommenen Stellung gesetzt und war teilweise bis
über unsere ehemalige vordere Linie hinaus vorgedrungen, wo sich vereinzelt
haltende Leute mit ihm herum-schlugen. Ein Teil der Besatzung hatte versucht,
nach rechts, wo das Feuer schwächer war, auszuweichen, ein anderer war in dem
vorausgegangenen schweren Minen- und Artilleriefeuer verwundet oder getötet
worden. Die 7. und 8. Kompagnie, vor deren Front der erste Ansturm zum
Scheitern gebracht war, wurden vom englischen Angriff teils in der Front, teils
von der linken Flanke voll erfaßt und waren verloren. Unter den Vermißten
befanden sich auch beide Kompagnieführer, Leutnant d. R. Lutz und Leutnant d.
R. Schölkopf (Kuno), die verwundet in Gefangenschaft fielen. An einzelnen
Stellen kam es zu kurzen Nahkämpfen, die bei der völligen Dunkelheit und der
mehr-fachen Übermacht des Gegners, der seinen Angriff aufs sorgfältigste
vorbereitet hatte, zu dessen Gunsten ausfallen mußten. Sein mit Massen
geführter Stoß traf auf eine durch 36stündiges Feuer geschwächte Truppe, der
bei dem überraschenden Erscheinen des Angreifers keine Möglichkeit blieb, einen
nachhaltigen Widerstand zu leisten. Nur Trümmer schlugen sich durch, verfolgt
von dem Maschinengewehrfeuer der sich rasch einbauenden Engländer.
Ähnlich wie der 7. und 8. erging es auch der 12. Kompagnie, die in und
hinter dem Bastionstrichter saß und dort eben die 6. Kompagnie abgelöst hatte,
als der Gegner angriff. Von dieser war der größte Teil schon auf dem
Rückmarsch, nur die alte Trich-terbesatzung hielt sich noch im Minenstollen auf,
als gerade das schwere Feuer einsetzte. Hier stauten sich daher Teile beider
Kompagnien, die aber völlig geschützt das Feuer abwarten konnten. Auch die neue
Trichterbesatzung, ein Zug der 12. Kom-pagnie unter Leutnant d. R. Lehr und 2
M.G.-Bedienungen, fand in den im nördlichen Teil befindlichen Wohnstollen
Deckung, wurde aber von den auf den Trichterrändern erscheinenden Engländern
durch Handgranaten und Gewehrfeuer in ihnen festgehalten und nach heftiger Gegenwehr überwunden. Dieser
Besatzung war jeder Rückweg durch den Minenstollen dadurch abgeschnitten
worden, daß der Ausgang in den Trichter durch einen starken englischen
Sturmtrupp zu Beginn des Angriffs mit einer Sprengladung abgequetscht wurde.
Damit war es auch dem im Stollen befindlichen Kompagnieführer der 6. Kompagnie,
der über je einen Halbzug seiner eigenen und der 12. Kompagnie, sowie einige
Pioniere (im ganzen 60 Mann) verfügte, nicht möglich, der Trichter-besatzung zu
Hilfe zu eilen. Auch am rückwärtigen Ausgang des Stollens zeigten sich
Engländer, die aber glücklicherweise bald wieder verschwanden, so daß der
Stollen-besatzung ein längeres Abgeschnittensein erspart blieb. Hauptmann d. R.
Bader über-nahm als Ältester hier den Befehl und organisierte in entschlossener
Weise den Wider-stand, ließ nach beiden Seiten abdämmen und sandte durch seine
Ordonnanz, den Gefreiten Haux, Meldung über seine Anordnungen und Beobachtungen
an den K.T.K*. Haux machte im Laufe des Tages trotz stark angeschwollener Füße
in schwerstem Feuer dreimal diesen Weg und hat so ganz wesentlich zur Klärung
der verworrenen Lage beigetragen. Sehr verdienstvoll waren auch die Patrouillen
der Grenadiere Schneider und Störtz, die als erste um 9 Uhr vormittags
einwandfrei feststellten, daß sowohl die vordere Linie der 7. und 8. Kompagnie
völlig verloren, wie die ganze Reservestellung im linken Regimentsabschnitt
verlassen und daher unbesetzt sei.
Wie bereits erwähnt, waren die rückwärtigen Befehlsstellen über diese
Vorgänge in der Front zunächst im unklaren. Auch von den
Bereitschaftskompagnien war nichts von dem gegnerischen Angriff bemerkt worden und
noch um 7 Uhr gingen beruhigende Meldungen beim K.T.K. von ihnen ein. Um die
Lage selbst aufzuklären, begab sich dieser 7.30 Uhr früh nach der vorderen
Linie, wobei er unterwegs von einem Ver-wundeten der 8. Kompagnie von dem
gegnerischen Einbruch hörte. Aber erst Meldun-gen der 5. und 6. Kompagnie gaben
ein einwandfreies Bild der Verhältnisse und alsbald wurden auch Gegenmaßnahmen
eingeleitet. Zunächst handelte es sich darum, ein etwaiges weiteres Vordringen
des Gegners zu verhindern, an dessen freiwilligem Zu-rückgehen aus seinen
vorgeschobenen Postierungen man jedoch bald ersah, daß dieses nicht in seiner
Absicht lag. In unserer ehemaligen zweiten Linie bauten sich daher zur
Abriegelung vom Bereitschaftsbataillon auf: 2. Kompagnie in Richtung auf den rechten
Flügel der verlorenen Stellung, durch den Heuselweg vorgehend, 3. Kompagnie vom
T-Weg nach links, 1. Kompagnie im Anschluß an 3. bis an den Kanal. Gleichzeitig
wurden die Reservetruppen aus Kortewilde vorgezogen, von denen die 10.
Kompagnie in der Fasanerie, 9. und 11. in der Kanalbereitschaft, 4. im
Kastanienwäldchen in Bereit-schaft gingen, während die Arbeitskompagnie am
Baulager sich verfügbar hielt.
Der Aufbau der neuen vorderen Linie gelang trotz starker Gegenwirkung des
Feindes insoweit, als sich ein gruppenweises Festhalten an einstigen
Grabenstücken, welche die tagelange Beschießung überstanden hatten, ermöglichen
ließ. Geschlossene Bewegun-gen waren aber nahezu unmöglich; die Annäherungswege
waren völlig zerschossen und für die Truppe bedeutete ein Vorwärtskommen nur
noch ein Durchwinden durch Sand-sack- und Balkenreste, ein Hindernissteigen über
Wassertümpel, ein Durchstampfen zähen Sandbreis. Unter solchen Umständen
scheiterten nicht nur Versuche einzelner beherzter Grenadiere oder schneidiger
Gruppen, dem Gegner Gelände zu entreißen, sondern auch ein um 1 Uhr mittags
angesetzter planmäßiger Gegenstoß. 5. Kompagnie sollte von ihrem linken Flügel
aus die verlorene Stellung nach links aufrolle, während 2., 1. und 3.,
unterstützt von zwei Zügen der 9. Kompagnie, in frontalem Angriff den Gegner
zurückwerfen sollten. Aber allen Bemühungen, den Angriff in Fluß zu bringen,
setzte der Gegner ein solch vernichtendes Feuer entgegen, daß die Verluste des
Regi-ments, die bis dahin schon sehr schwer waren, durch diesen mißlungenen
Mittagsangriff noch bedeutend vermehrt wurden. Nur etwa 100 m konnten dem
Gegner auf seinem linken Flügel durch die 2. Kompagnie wieder abgenommen
werden. Erst im Laufe des Mittags gelang es einzelnen Gruppen der 1. und 3.
Kompagnie durch den Heyweg die vordere Linie des 14. Februars zu erreichen und
sich in der hereinbrechenden Dunkel-heit
darin festzusetzen. Vom Gegner wurde in diesen Gräben nichts mehr angetroffen;
nur in einem nach Westen vorspringenden Stellungsteil, der eine Helmform
bildete, hielt er sich noch und konnte nicht daraus vertrieben werden.
Nach Einbruch der Dunkelheit war auch ein Zug der Arbeitskompagnie bis zum
Bastionsstollen vorgedrungen und hatte Verbindung mit den dort noch immer
ausharrenden Teilen der 6. und 12. Kompagnie hergestellt. Mit diesen zusammen
wurde allmählich durch gegenseitiges Handreichen wieder eine durchlaufende
Besetzung erreicht und so der großen Gefahr eines Durchbruchs begegnet. Damit
drängte sich der Gedanke auf, ob es nicht möglich wäre, in überraschendem
Nachtangriff das ganze verlorene Gelände wieder zu holen und ein am späten
Abend eingehender Divisions-befehl sprach sich auch dahingehend aus. Demzufolge
wurden 3 Sturmkolonnen ange-setzt und war 4. und 10./123, sowie die zur
Verfügung gestellte 8./120 von rechts herein, 11. und 12./123 vom Kanal aus
links herein und Hauptmann Freiherr v. Perfall mit Teilen I.R. 120 in direktem
Angriff gegen die Bastion. Auch Teile I.R. 124 und 127 wurden dem Regiment zur
Unterstützung zugewiesen. Aber trotz aller Bemühungen blieb diesem Nachtangriff
jeder Erfolg versagt. Das Wasser hatte sich infolge erneuten Regens und
Schneefalls nur noch mehr gestaut und teilweise bis an die Hüfte im Eiswasser
stehend, harrten die Angriffstruppen des Zeitpunkts zum Vorstoß. Als es
schließlich soweit war, hielt der in seiner ihm vertrauten Stellung
festsitzende Gegner mit M.G.-Feuer jedes Vorwärtskommen unserer Leute nieder
und weitere schwere Verluste waren das Ergebnis dieses nächtlichen
Angriffsversuchs. Fähnrich Closter-meyer mit seinem Zug der 10. Kompagnie
versuchte es trotz allem, einen Erfolg zu erringen, aber wenige Schritte nach
Verlassen des Grabens sank auch er in die Brust geschossen hintenüber. So mußte
man sich mit dem Erreichten begnügen und erschöpft und frierend beschränkten
sich die Kompagnien darauf, einzelne Stellen zu schaffen, wo sie Posten
einrichten konnten, während der Artilleriekampf in der ganzen Nacht nicht mehr
zur Ruhe kam.“
aus: „Die
Ulmer Grenadiere an der Westfront“, Stuttgart 1920
Bild: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand M 708
Bild: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand M 708
*K.T.K.: Kampftruppen-Kommandeur
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