Sonntag, 7. Juni 2015

7. Juni 1915


„Der Monat Mai verlief in der Hauptsache ruhig, bis in den letzten Tagen die feindliche Artillerietätigkeit, namentlich bei der rechten Nachbardivision, der 52. Inf.-Division, auffallend sich steigerte. Durch sorgfältiges nächtliches Anschneiden war auf dem rechten Flügel der Division eine Verstärkung der feindlichen Artillerie festzustellen, auch drang starkes Wagengerassel aus der Gegend von Auchonvillers an das Ohr der aufmerksamen nächtlichen Artilleriebeobachter. Und in der Luft, unter azurblauem Himmel, summte und brummte es, aber nicht von harmlosen Fliegen, sondern von feindlichen Fliegern, die ein starkes Interesse gerade für den rechten Divisionsabschnitt zeigten. Waren diese Erscheinungen schon etwas auffällig, do wurde das verdächtige Bild nunmehr durch die Fernbeobachtung auf dem linken Flügel der Division vervollständigt. dort hielt Hauptmann Jäckh, der Kommandeur der III. Abteilung, ein erprobter Artillerist, scharfe Wacht auf der Mühle von Pozières. Weit reichte der Blick ins feindliche Land, tief drang das Auge in das Tal der Somme, selbst die Spitze des Kirchturms von Amiens war bei schönem Wetter zu sehen. Da meldeten anfangs Juni die spähenden Artilleristen wiederholte Bewegungen von Süd nach Nord auf den Höhen nördlich von Albert. Nun stand es fest, daß der Feind gegen den rechten Flügel der Division, bzw. die rechte Nachbardivision etwas im Schilde führe. Die Infanterie wollte nicht so recht dran glauben, es war ja so schön ruhig an der Front. Und die preußischen Kameraden der rechten Nachbardivision meinten, daß eben der Feind überflüssige Munition „verballere“. –
In aller Stille und Heimlichkeit wurden nun die artilleristischen Vorbereitungen getroffen, um für den als bevorstehend erkannten Angriff gewappnet zu sein. An der Moulin ruiné wurden die Verstärkungsstellungen für 2 Haubitzbatterien mit Sorgfalt ausgebaut, peinlich abgedeckt gegen Fliegersicht; nicht einmal Geleise verrieten das Anfahren, das auf dem zu den Stellungen führenden Feldweg bei der Moulin ruiné erfolgte. Die deckenden Äste von harmlosen Weidenbäumen verbargen die geradezu kunstvoll angelegten, selbst in der Nähe kaum zu erkennenden Bauten. Schon in den Tagen vom 2. bis 4. Juni 1915 wurden die 7. und 9./26, beides leichte Feldhaubitz-batterien, vom nicht gefährdet erscheinenden linken Flügel weggezogen, gingen an der Moulin in Stellung und schossen sich ein.  Hinter der Höhe 143 wurde ein weiterer Zug Feldartillerie, der Zug Mühlen, eingerichtet. Östlich der leichten Feldhaubitzen fand eine zur Verstärkung eingetroffene 10 cm-Batterie, die Batterie Nickel, ihre Stellung. Nun konnten sie kommen, die Artilleristen waren vorbereitet.
Und sie kamen! Während in den ersten Junitagen das Feuer von wechselnder Stärke war, an einigen Tagen sogar ganz abflaute, nahm es am 6. Juni derart zu, daß die Gräben der 52. Inf.-Division beiderseits der Toutvent-Ferme schwer litten und die Hindernisse nahezu weggefegt wurden. In der Dämmerung des nebeligen 7. Juni steigerte sich das feindliche Feuer zum Trommelfeuer, um bald darauf wesentlich abzuflauen.
Was war geschehen? Dichter Nebel hinderte jede Sicht, bis gegen 9 Uhr vormittags die steigende Sonne die Lage erhellte. Nun aber an die Geschütze! Keine Sekunde war zu verlieren. Hart nördlich der Straße Serre–Mailly war der Feind bei der Nachbardivision in Kilometerbreite in die Stellung eingedrungen, die Toutvent-Ferme genommen. der Nahkampf war abgebrochen, aber in und hinter der feindlichen Stellung wimmelte es von Verstärkungen wie im Ameisenhaufen. Munitions- und Schanzzeugträger drängten zur Front, das Gewonnene zu halten und auszubauen. Da bellten die Geschütze nördlich der Ancre allzumal heiser auf wie gereizte Hunde. Die Gruppe Bornemann in Grandcourt legte halb flankierend einen Feuerriegel mit den 3 Batterien der I. Abteilung und dem Zug Mühlen vor die zurückgebogene Linie unserer Nachbarn, und die 2 leichten Feldhaubitzbatterien an der Moulin unter Hauptmann Graf v. Preysing hoben die Maskierungskulissen von den Rohren und jagten Schuß auf Schuß in die feindliche Stellung. In Puisieux lenkte hoch oben vom Baum Hauptmann Nickel das Feuer seiner 10 cm auf die feindlichen Kolonnen hinter der Front. Und aus dem Ancre-Tal ertönt der tiefe Baß der 15 cm-Batterie Köhler: Ein dickes Pflaster um das andere wird in die Signy-Ferme und Zuckerfabrik gesetzt. Auch die feindliche Artillerie wird bedacht, wobei in der Mitte die II. Abteilung unter Major Stump und selbst die linke Flügelhaubitzbatterie bei Pozières gegen das lästige Artillerienest bei Mesnil wirksam in den Kampf eingreifen. Das gut geleitete Feuer lähmt den Elan der schwer leidenden französischen Infanterie, die nunmehr ihre Artillerie um Hilfe angeht. Da legt sich auf all unsere Batterien ein schweres, mit Fliegerbeobachtung gut geleitetes Feuer. Schrapnellkugeln pfeifen wie Hagelschauer um die Ohren der hemdärmelig mit schweißbedeckten Gesichtern die glühend heißen Rohre bedienenden Kanoniere. Jagte doch die I. Batterie allein 1350 Schuß in den Feind! Was macht’s, wenn des Feindes Geschosse ringsum krachend bersten, die Splitter der Granaten klirrend auf Lafetten und Rohre fallen! Sie haben nicht Zeit, darauf zu achten, die braven Kanoniere, immer neue Geschosse liefern die bombensicheren unerschöpflichen Munitionskammern, es gilt den braven 180ern vom Bataillon Scupin zu helfen, die um die Mittagsstunde frei über das Feld vorgehend dem Feind den mühsam errungenen Boden streitig machen. Gegen Abend läßt das Feuer nach. Mutig fahren in der Dämmerung die leichten Kolonnen durch das lebhafte Streufeuer bis zu den harrenden Batterien; die Munition ist ergänzt; nun sind sie wieder gewappnet für den kommenden Tag. Auch die Gulaschkanone findet ihren Weg, von den wackeren Kanonieren freudig begrüßt. Doch können die Braven kaum der Ruhe pflegen nach dem heißen Tag; die ganze Nacht rollt das Feuer der Geschütze, den Feind zu stören.“



aus: „Das Württembergische Reserve-Feldartillerie-Regiment Nr. 26 im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1929

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