Dienstag, 29. Dezember 2015

29. Dezember 1915



„Am 19. Dezember war endlich der Wind günstig.
Anfangs scheint man sich nicht recht klar darüber gewesen zu sein, was nach dem Abblasen erfolgen sollte. Es scheint, daß zuerst der Plan bestand, Wieltje zu nehmen und die Stellung vorzuverlegen. Dadurch wäre aber unsere Stellung wesentlich ver-schlechtert worden, da wir aus gut ausgebauten Gräben in schlechte, von beherrschender Höhe in die tiefer liegenden Regionen gekommen wären.
Es wurde dann befohlen, vor dem Abblasen müßten alle Kompagnien bis auf zwei die Stellung verlassen und sich in der Gegend der Regimentsreserve versammeln, damit bei zu erwartender Beschießung die Verluste im eigenen Graben möglichst gering seien. Das Ruhebataillon sollte alarmiert werden. Diese Anordnungen waren auch nicht recht verständlich. Sie erweckten den Eindruck, die letzten Überbleibsel eines ursprünglich andern Plans zu sein, nämlich mit den dann versammelten zehn Kompagnien Wieltje anzugreifen. Es sollte aber nur durch Patrouillen festgestellt werden, ob der Gegner Verluste habe.
Kurz nach Mitternacht wurde das Zeichen 777, das Deckwort für das Unternehmen, nach vorn telephoniert und u 16.15 Uhr das Zeichen zum Abblasen gleichzeitig mit dem Befehl zur Räumung des Grabens gegeben. Infolgedessen entstand ein schlimmes Durcheinander. Überstürzt begaben sich die Kompagnien nach hinten, während die zwei vorderen sich nach den Seiten verschoben. Manche Gasflaschen waren eingerostet und gingen nicht los, andere waren undicht. Infolgedessen gab es zahlreiche Gaserkran-kungen, die ohne den Räumungsbefehl nicht vorgekommen wären.
Uns gegenüber unterhielt der Gegner mit dem Beginn des Abblasens ein heftiges Infanterie- und Maschinengewehrfeuer, das solange dauerte, als das Gas den feindlichen Graben bestrich. Dann begann unsere Artillerie die feindlichen Gräben zu beschießen, und dieser Beschuß dauerte mit Unterbrechungen 50 Stunden lang, bis zum Morgen des 21. Dezember. Der Gegner antwortete mit schweren und mittleren Granaten auf den Graben. Dadurch wurde besonders Abschnitt A fürchterlich zusammengeschossen. Die 4. Kompagnie, die da aushalten mußte, verlor ein Drittel ihres Bestandes. Die Beton-häuser wurden eingedrückt und der Graben größtenteils eingeebnet.
Wie es mit den Verlusten des Gegners aussah, konnte nicht festgestellt werden. Die Patrouillen erhielten lebhaftes Feuer. Der Pionieroffizier, Leutnant Klüver, der dennoch vorging, fiel.
Die Unternehmung hatte ein Nachspiel. Die Armeeleitung war unangenehm berührt durch die starken Verluste, die eingetreten waren, und hätte dem Regiment gern die Schuld davon aufgebürdet. Es gab eine hochnotpeinliche Untersuchung mit dem Ergeb-nis, daß das Regiment keine Schuld traf.
Von da ab steigerte sich aber der Beschuß des Grabens mit Granaten aller Kaliber, und die Verluste waren dementsprechend.“


aus: „Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 247 im Weltkrieg 1914–1918“ Stuttgart, 1924
Bild: http://www.europeana1914-1918.eu/de/contributions/1401

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