„Der
29. Juni wurde für den Sturm bestimmt. Solange die Sturmtruppen in
verschie-denen Bereitschaftslagern und in der Hagenstellung lagen und die letzten
Vorberei-tungen trafen, setzte am Abend des 28. Juni ein mehrstündiges heftiges
Artillerie- und Minen-Vorbereitungsfeuer ein. Während aber drüben am
Entenschnabel der Angriff der Nachbardivision alsbald dem Vorbereitungsfeuer
folgte, blieb in Stuttgart IV und der vom Regiment als Sturmausgangsstellung
mitübernommenen Stellung „Quelle A 1“ alles ruhig. Die während des Feuers fast
ganz zurückgezogene 2. Kompagnie besetzte die ganzen Stellungen nach Aufhören
des Artilleriefeuers wieder und arbeitete eifrig daran, den 1. Graben, der von
dem eigenen Feuer auf die nahe gegenüberliegende feindliche Stellung stark mitgenommen
war, einigermaßen wieder gangbar zu machen, bis die Sturmtruppen kamen. Diese
trafen im Laufe der Nacht in den ihnen angewie-senen Stellen ein, zuerst die
fünf Stoßtrupps A – E, zusammengesetzt aus meist jünge-ren Leuten des I. und
III. Bataillons, sowie einigen Pionieren der 1. württ. L.-Pi.* Dann kamen die
drei „Sturmzüge“ jeder Sturmkompagnie, 6., 7. und 8. Kompagnie. Diese
Kompagnien hatten außerdem je noch einen besonderen vierten Zug als Trägerzug
gebildet. Die drei Trägerzüge wurden zunächst im Höhenlager untergebracht
zusammen mit der 5. Kompagnie, die als Schanzkompagnie den Auftrag hatte, nach
dem Sturm gleich die Verbindungsgräben nach den neu gewonnenen Stellungsteilen
auszuheben.
Nach
11 Uhr nachts wurden unter dem Schutz des Getöses lebhaften eigenen Artillerie-
und Minenfeuers sieben Gassen in die eigenen Hindernisse gesprengt. Dann
stellten Patrouillen der Stoßtrupps fest, daß die feindlichen Hindernisse meist
ausreichend zerstört und daß die feindlichen Gräben einschließlich des
vordersten noch besetzt waren.
Um
½ 7 Uhr am Morgen des 29. Juni stellten sich die Sturmtruppen an den
Sturmaus-gangsstellengenau in der Ordnung bereit, die am Übungswerk eingelernt
war. Um ¾ 7 Uhr setzte schlagartig ein kurzes Vorbereitungsfeuer ein; nach 5
Minuten wurde es vorverlegt und der Sturm brach los, voraus die Stoßtrupps,
dann die Kompagnien in mehreren Wellen. Schneidig sprangen die Leute aus dem
Graben, über die Reste der Hindernisse und über die Trichter. Am leichtesten
kam der rechte Flügel, Stoßtrupp A und B und 6. Kompagnie voran; ohne
wesentlichen Widerstand wurde nicht nur der feindliche 2. Graben, der hier das
Ziel bildete, erreicht, sondern in Frischem drauflos-stürmen ein etwa 80 m
weiter entfernter Graben genommen und besetzt; allerdings merkte man gar nicht
gleich, daß man weiter vorgekommen war, als befohlen; denn die vordersten
Gräben waren so zusammengeschossen, daß man sie kaum als solche erkannte. So
meldete schon 6.58 Uhr der Kompagnieführer der 6. Kompagnie, Ober-leutnant
Laepple, aus der neu gewonnenen Linie, daß das Ziel erreicht sei. Auch bei der
mittleren Kompagnie, der 7. unter Hauptmann Müller, gab es nur geringen
Widerstand. Das Hindernis, das hier an einzelnen Stellen nicht ausreichend
zerstört war, wurde teils umgangen, teils von dem Stoßtrupp D durchschnitten
trotz Gegenwehr mit Handgra-naten aus dem 2. französischen Graben. Dann fanden
die Sturmtruppen keinen weiteren Widerstand mehr und gelangten gleichfalls über
die befohlene Linie hinaus bis zu einem quer in west-östlicher Richtung sich
hinziehenden Sträßchen. Die Stoßtrupps C und D stießen noch ein gutes Stück
über dieses Sträßchen vor, ohne Unterstände oder Feinde zu finden; sie
meldeten, daß der Gegner sich durch die Mulde zurückziehe, die man von der neu
erreichten Stellung übersehen konnte. Kurz nach der 6. meldete so auch die 7.
Kompagnie, daß das Ziel erreicht sei. Schwieriger ging es am linken Flügel beim
Stoßtrupp E und der 8. Kompagnie unter Leutnant Dr. Reichert. Hier leisteten
die französischen Posten mit Gewehr und Handgranate erbitterten Widerstand. Ein
Mann eines Doppelpostens wurde durch Unteroffizier Lorbeer (2. Komp.) durch
Pistolenschuß getötet, sein Nebenmann gefangen genommen; ein anderer Posten von
drei Mann wurde durch Vizefeldwebel Gawatz (8. Komp.) mit seinen Leuten
umgangen und durch Handgranaten erledigt. Der Kompagnieführer selbst, der in
einem Graben mit einigen Leuten voreilte, traf auf zwei Unterstände, deren
Besatzung, 1 Offizier und 21 Mann, sich gefangen gab. Dagegen versuchte ein
anderer französischer Offizier mit einer Gruppe einen Gegenstoß von Osten her;
er wurde im Handgranatenkampf abgewehrt. Erst wesentlich später als die anderen
Kompagnien konnte so die 8. Kompagnie den Erfolg ihres Vorstoßes melden, der
übrigens wie bei diesen die vorgeschriebene Linie gleichfalls wesentlich
überschritten hatte. Die Kompagnie ging aber auf diese Linie zurück und ebenso
im wesentlichen die 7. Kompagnie. Erst jetzt, als man die Verbin-dung aufnahm
und den Anschluß an die alte Linie herstellen wollte, entdeckte man bei der 6.
Kompagnie, daß man viel weiter vorgekommen war, als vorgesehen. Da aber die neu
erreichte Linie einen sehr guten Einblick in die Mulde gewährte, so erhielt die
Kompagnie den Befehl, die tatsächlich erreichte Linie zu halten und auszubauen.
Sie bekam dazu, weil der raum wesentlich größer war, als ursprünglich in
Aussicht genom-men, auch Teile der 2. Kompagnie zur Verfügung gestellt.
Die
Verluste beim Sturm waren sehr gering gewesen; 2 Offiziere und etwa 80 Mann vom
(Jäger) Reg. 255 waren gefangen; feindliche Gegenwirkung machte sich zunächst
nicht bemerkbar; so war die Stimmung allgemein eine gehobene und mit Feuereifer
ging man an den Ausbau und die Einrichtung der neuen Linie, das Abdämmen der
zum Feind führenden Verbindungsgräben, die Herstellung eines leichten
Drahthindernisses und eines durchlaufenden Grabens. Die Trägerzüge der
Sturmkompagnien brachten uner-müdlich Material vor; die 5. Kompagnie begann mit
der Herstellung neuer Verbin-dungsgräben. Ihr Führer, Leutnant Schempp I, war
schon beim Vormarsch verwundet worden; er leitete aber noch drei Stunden lang
die Arbeiten, bis er einen Schwächeanfall erlitt. Seine Verwundung war gefährlicher,
als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Die ersten schweren Schläge brachte
das eigene Riegelfeuer. Die Linie, die jetzt ausge-baut wurde, lag bei der 6.
Kompagnie noch in dem Bereich, der für das Riegelfeuer vorgesehen war; wohl
wurde sofort auf die Meldung der Infanterie hin eine Vorver-legung des Feuers
angeordnet. Aber dieser Befehl erreichte infolge der Zerstörung der Fernsprechverbindung
vor allem nicht alle leichten Minenwerfer. So schlugen einige Minen gerade in
den neuen vordersten Graben und ihnen fielen im Bereich der 6. und 7. Kompagnie
je eine Maschinengewehrbedienung der 2. M.-G.-K. zum Opfer, bei der 6.
Kompagnie außerdem auch noch einige Leute der Kompagnie selbst, die neben dem
Maschinengewehr standen. Unter ihnen war auch der treffliche Vizefeldwebel
Held, der kühne Patrouillenführer und unermüdliche Stellungsbauer, der wegen
seines Humors und seines gesunden Menschenverstandes bei Vorgesetzten und
Untergebenen gleich beliebt war. Eben erst hatten ihn die Kameraden noch auf
dem Rande des neugewon-nenen Grabens stehen sehen, wie er jauchzend seinem
Nachbarzugführer zugewunken hatte; nun lag er tot inmitten eines Haufens toter
Kameraden.“
aus:
„Das Württembergische Landw.-Infanterie-Regiment Nr. 125 im Weltkrieg 1914-1918“,
Stuttgart 1926
*Württembergische Landwehr-Pionier-Kompagnie Nr. 1
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