„Vor
dem Marsch in die Flandernschlacht wurde noch ein stimmungsvoller
Feldgottes-dienst in Hooglede abgehalten. Die feindliche Artillerie grollte
dumpf von der nahen Front herüber. „Der Feind will in unser Haus eindringen, er
will da Tor einschlagen, wir hören eben die dröhnenden Schläge, die er führt.
Schon splittern die Bohlen, das Tor will nachgeben. Es gilt jetzt, sich mit der
ganzen Kraft dagegenstemmen, damit der Feind nicht eindringen kann,“ sagte der
Feldgeistliche. Das II. Batl. wurde zuerst eingesetzt. Zersplitterte Bäume,
tiefe Granatlöcher, die wir auf dem Vormarsch antrafen, zeigten, daß wir im
Bereich des feindlichen Feuers waren. Immer näher kamen wir der Schlacht, die
vor uns tobte, wir hatten ein Gefühl, als ob wir in einen Höllenrachen marschierten.
Allmählich war es Nacht geworden, vor uns glänzte das schönste Feuer-werk. Auf
allen Seiten blitzte es unaufhörlich, es war das Mündungsfeuer der feindli-chen
Kanonen. Einige weit entfernte Leuchtfeuer hüllten alles in rötliches Licht.
Von Zeit zu Zeit stiegen farbige Leuchtkugeln auf, das Ganze war wie bei einer
Herbstfeier, aber das unaufhörliche Krachen und Splittern der Granaten brachte
uns zum Bewußt-sein, daß wir keiner fröhlichen Herbstfeier, sondern einer
blutigen Schlacht entgegen-gingen. Der 1. Zug der 5. Komp., bei dem ich war, kam
in Vorfeldstellung. Sie war so nah am Feind, daß sie nur nachts bezogen werden
konnte. Beim Schein zweier engli-scher Leuchtfeuer einige hundert Meter
halbrechts und halblinks von uns und beim Aufflammen der Leuchtkugeln konnten
wir unsere nähere Umgebung betrachten. Rings-um eine schreckliche Öde, in der
Hölle kann es nicht trostloser aussehen. Granattrichter neben Granattrichter,
fast alle bis an den Rand mit Wasser gefüllt, der ganze Boden zerfetzt. Man
konnte nicht mehr unterscheiden, war hier früher Wiese oder Acker, hatte ein
schön angelegter Garten das Herz erfreut oder war der Boden noch nie
angepflanzt gewesen, so viele Löcher hatten die Granaten gerissen. Mühsam
hatten wir uns zwi-schen den Granatlöchern hindurchwinden müssen, um in die
Vorfeldstellung zu gelan-gen. Da kauerten wir jetzt in schlammigen Löchern und
starrten zum Feind hinüber, das Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett schußbereit.
Wo war er wohl? Nichts war von ihm zu sehen. Nur drüben, nicht gar weit
entfernt, flammte unaufhörlich das Mündungsfeuer der englischen Geschütze.
Zerschossene Bäume hundert Meter rechts von uns, bewe-gungsunfähig gemachte
Tanks, ein abgeschossenes Flugzeug mit steil in die Höhe gerecktem Schwanz
zeigten den Verlauf einer Straße und waren Zeugen von schweren Kämpfen
vorangegangener Tage. Ununterbrochen
rauschten hoch über unseren Köpfen die schweren Granaten hinüber und herüber.
Granaten leichteren Kalibers schlugen in unserer Nähe ein und überschütteten
uns mit Sand und Schlamm. Dazwischen waren Gasgranaten gemengt, die mit kaum
hörbarem Knall platzten und einen widerlich süßlichen Geruch verbreiteten. Wo
war der Feind? Das mußte festgestellt werden. Eine Patrouille machte sich auf
den Weg und unterzog auch die zerschossenen Tanks einer genauen Besichtigung.
Die Besatzung lag tot umher. In dem einen Tank war ein noch brauchbares
Maschinengewehr. Es wurde herausgeholt und leistete bei den späteren Kämpfen
gegen die Engländer gute Dienste. Aber auch die Engländer entfalteten eine rege
Patrouillentätigkeit. Vor den Leuchtfeuern sah man von Zeit zu Zeit starke
eng-lische Patrouillen vorüberhuschen, kenntlich an den flachen Stahlhelmen. Die
engli-schen Gräben hatten sich angefüllt, ein Angriff stand bevor. Gelbe
Leuchtkugeln stiegen bei uns hoch, die Artillerie zu Vernichtungsfeuer
auffordernd. Ein Höllenkonzert ging los, auch der Engländer antwortete mit
Sperr- und Vernichtungsfeuer. Das Platzen der einzelnen Granaten war nicht mehr
zu unterscheiden, es war ein unaufhörliches Don-nern, Brausen, Zischen, Fauchen.
Hochauf flogen Steine, Sand, Holztrümmer. Dichter Qualm hüllte alles ein. Der
beißende Gestank der explodierenden Granaten erschwerte das Atmen. Leuchtkugeln
aller Farben stiegen bei uns und beim Engländer in die Höhe und bildeten im
Verein mit dem Mündungsfeuer der Kanonen und den platzenden Granaten ein
prächtiges Feuerwerk, dessen Glanz aber allmählich im aufgewirbelten Staub und
Dunst verschwand. Nach einer halben Stunde verebbte allmählich das
Höllenkonzert langsam und hielt sich dann auf seiner gewohnten Stärke. Als der
Morgen dämmerte, gingen wir von der Vorfeldstellung etwa hundert Meter zurück.
Unterstände waren keine vorhanden, jeder mußte sehen, wie er sich in einem
halbwegs trockenen Granatloch möglichst schnell einrichtete. Kaum war es hell,
so kamen schon die feindlichen Flieger. Wie Augen eines Ungeheuers schauten die
rot-weiß-blauen Ringe der Tragflächen auf uns herab. Das Tak-Tak-Tak ihres
Maschinengewehrs verkündete, daß wir entdeckt waren. Bald hagelte es dann auch
Granaten. Rechts, links, vorne, hinten spritzten Sand, Erde, Schlamm, Steine,
Balken, Wellblech in die Höhe. Wie eine Schaukel schwankte der Boden unter den
schweren Einschlägen. Einige der Kameraden wurden in Stücke zerrissen, andere
verloren Füße oder Arme, manche wurden verschüt-tet. Nachdem die Engländer
glaubten, uns durch ihr heftiges Granatfeuer vernichtet oder zum Verlassen der
notdürftig hergerichteten Deckung gezwungen zu haben, suchten sie uns durch
rasendes Schrapnellfeuer vollends den Garaus zu machen. Mit betäubendem Gekrach
platzten die Geschosse, wie Schloßen so dicht prasselten die Bleikugeln auf den
Boden. Wir waren froh, als der Tag vorbei war und wir wieder unsere
Vorfeld-stellung beziehen konnten. Dort waren wir zwar näher am Feind, aber die
feindlichen Granaten gingen über uns weg, die Engländer vermuteten uns nicht so
weit vorne.
Drei
Tage und vier Nächte mußten wir in dieser Hölle aushalten, dann löste uns das
I. Batl. ab. Hungrig und durstig zogen die Überlebenden rückwärts, vergeblich
suchten sie den brennenden Durst mit dem ekelhaften Wasser der Granatlöcher zu
löschen. Die Ablösung war infolge des schwierigen Geländes und der
stockfinsteren Regennacht so spät gekommen, daß wir bei Tag zurückmarschieren
mußten. Da konnten wir die Schrecken des Schlachtfeldes schauen. Hier hatte
eine Granate in eine marschierende M. G.-Abteilung eingeschlagen. Zertrümmert
lag das M. G., rings herum die zerschmet-terten Schützen. Dort waren zwei
Krankenträger mitsamt dem Verwundeten, den sie zurücktragen wollten, vom Tod
ereilt worden. Ein Stück entfernt lagen Essenträger, die vollen Eimer noch auf
dem Rücken. Ringsum Tod und Vernichtung!“
aus: „Das Württembergische
Infanterie-Regiment Nr. 413 im Weltkrieg 1916-1918“, Stuttgart 1936
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