Donnerstag, 24. August 2017

24. August 1917


„Vor dem Marsch in die Flandernschlacht wurde noch ein stimmungsvoller Feldgottes-dienst in Hooglede abgehalten. Die feindliche Artillerie grollte dumpf von der nahen Front herüber. „Der Feind will in unser Haus eindringen, er will da Tor einschlagen, wir hören eben die dröhnenden Schläge, die er führt. Schon splittern die Bohlen, das Tor will nachgeben. Es gilt jetzt, sich mit der ganzen Kraft dagegenstemmen, damit der Feind nicht eindringen kann,“ sagte der Feldgeistliche. Das II. Batl. wurde zuerst eingesetzt. Zersplitterte Bäume, tiefe Granatlöcher, die wir auf dem Vormarsch antrafen, zeigten, daß wir im Bereich des feindlichen Feuers waren. Immer näher kamen wir der Schlacht, die vor uns tobte, wir hatten ein Gefühl, als ob wir in einen Höllenrachen marschierten. Allmählich war es Nacht geworden, vor uns glänzte das schönste Feuer-werk. Auf allen Seiten blitzte es unaufhörlich, es war das Mündungsfeuer der feindli-chen Kanonen. Einige weit entfernte Leuchtfeuer hüllten alles in rötliches Licht. Von Zeit zu Zeit stiegen farbige Leuchtkugeln auf, das Ganze war wie bei einer Herbstfeier, aber das unaufhörliche Krachen und Splittern der Granaten brachte uns zum Bewußt-sein, daß wir keiner fröhlichen Herbstfeier, sondern einer blutigen Schlacht entgegen-gingen. Der 1. Zug der 5. Komp., bei dem ich war, kam in Vorfeldstellung. Sie war so nah am Feind, daß sie nur nachts bezogen werden konnte. Beim Schein zweier engli-scher Leuchtfeuer einige hundert Meter halbrechts und halblinks von uns und beim Aufflammen der Leuchtkugeln konnten wir unsere nähere Umgebung betrachten. Rings-um eine schreckliche Öde, in der Hölle kann es nicht trostloser aussehen. Granattrichter neben Granattrichter, fast alle bis an den Rand mit Wasser gefüllt, der ganze Boden zerfetzt. Man konnte nicht mehr unterscheiden, war hier früher Wiese oder Acker, hatte ein schön angelegter Garten das Herz erfreut oder war der Boden noch nie angepflanzt gewesen, so viele Löcher hatten die Granaten gerissen. Mühsam hatten wir uns zwi-schen den Granatlöchern hindurchwinden müssen, um in die Vorfeldstellung zu gelan-gen. Da kauerten wir jetzt in schlammigen Löchern und starrten zum Feind hinüber, das Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett schußbereit. Wo war er wohl? Nichts war von ihm zu sehen. Nur drüben, nicht gar weit entfernt, flammte unaufhörlich das Mündungsfeuer der englischen Geschütze. Zerschossene Bäume hundert Meter rechts von uns, bewe-gungsunfähig gemachte Tanks, ein abgeschossenes Flugzeug mit steil in die Höhe gerecktem Schwanz zeigten den Verlauf einer Straße und waren Zeugen von schweren Kämpfen vorangegangener Tage. Ununterbrochen rauschten hoch über unseren Köpfen die schweren Granaten hinüber und herüber. Granaten leichteren Kalibers schlugen in unserer Nähe ein und überschütteten uns mit Sand und Schlamm. Dazwischen waren Gasgranaten gemengt, die mit kaum hörbarem Knall platzten und einen widerlich süßlichen Geruch verbreiteten. Wo war der Feind? Das mußte festgestellt werden. Eine Patrouille machte sich auf den Weg und unterzog auch die zerschossenen Tanks einer genauen Besichtigung. Die Besatzung lag tot umher. In dem einen Tank war ein noch brauchbares Maschinengewehr. Es wurde herausgeholt und leistete bei den späteren Kämpfen gegen die Engländer gute Dienste. Aber auch die Engländer entfalteten eine rege Patrouillentätigkeit. Vor den Leuchtfeuern sah man von Zeit zu Zeit starke eng-lische Patrouillen vorüberhuschen, kenntlich an den flachen Stahlhelmen. Die engli-schen Gräben hatten sich angefüllt, ein Angriff stand bevor. Gelbe Leuchtkugeln stiegen bei uns hoch, die Artillerie zu Vernichtungsfeuer auffordernd. Ein Höllenkonzert ging los, auch der Engländer antwortete mit Sperr- und Vernichtungsfeuer. Das Platzen der einzelnen Granaten war nicht mehr zu unterscheiden, es war ein unaufhörliches Don-nern, Brausen, Zischen, Fauchen. Hochauf flogen Steine, Sand, Holztrümmer. Dichter Qualm hüllte alles ein. Der beißende Gestank der explodierenden Granaten erschwerte das Atmen. Leuchtkugeln aller Farben stiegen bei uns und beim Engländer in die Höhe und bildeten im Verein mit dem Mündungsfeuer der Kanonen und den platzenden Granaten ein prächtiges Feuerwerk, dessen Glanz aber allmählich im aufgewirbelten Staub und Dunst verschwand. Nach einer halben Stunde verebbte allmählich das Höllenkonzert langsam und hielt sich dann auf seiner gewohnten Stärke. Als der Morgen dämmerte, gingen wir von der Vorfeldstellung etwa hundert Meter zurück. Unterstände waren keine vorhanden, jeder mußte sehen, wie er sich in einem halbwegs trockenen Granatloch möglichst schnell einrichtete. Kaum war es hell, so kamen schon die feindlichen Flieger. Wie Augen eines Ungeheuers schauten die rot-weiß-blauen Ringe der Tragflächen auf uns herab. Das Tak-Tak-Tak ihres Maschinengewehrs verkündete, daß wir entdeckt waren. Bald hagelte es dann auch Granaten. Rechts, links, vorne, hinten spritzten Sand, Erde, Schlamm, Steine, Balken, Wellblech in die Höhe. Wie eine Schaukel schwankte der Boden unter den schweren Einschlägen. Einige der Kameraden wurden in Stücke zerrissen, andere verloren Füße oder Arme, manche wurden verschüt-tet. Nachdem die Engländer glaubten, uns durch ihr heftiges Granatfeuer vernichtet oder zum Verlassen der notdürftig hergerichteten Deckung gezwungen zu haben, suchten sie uns durch rasendes Schrapnellfeuer vollends den Garaus zu machen. Mit betäubendem Gekrach platzten die Geschosse, wie Schloßen so dicht prasselten die Bleikugeln auf den Boden. Wir waren froh, als der Tag vorbei war und wir wieder unsere Vorfeld-stellung beziehen konnten. Dort waren wir zwar näher am Feind, aber die feindlichen Granaten gingen über uns weg, die Engländer vermuteten uns nicht so weit vorne.
Drei Tage und vier Nächte mußten wir in dieser Hölle aushalten, dann löste uns das I. Batl. ab. Hungrig und durstig zogen die Überlebenden rückwärts, vergeblich suchten sie den brennenden Durst mit dem ekelhaften Wasser der Granatlöcher zu löschen. Die Ablösung war infolge des schwierigen Geländes und der stockfinsteren Regennacht so spät gekommen, daß wir bei Tag zurückmarschieren mußten. Da konnten wir die Schrecken des Schlachtfeldes schauen. Hier hatte eine Granate in eine marschierende M. G.-Abteilung eingeschlagen. Zertrümmert lag das M. G., rings herum die zerschmet-terten Schützen. Dort waren zwei Krankenträger mitsamt dem Verwundeten, den sie zurücktragen wollten, vom Tod ereilt worden. Ein Stück entfernt lagen Essenträger, die vollen Eimer noch auf dem Rücken. Ringsum Tod und Vernichtung!“



aus: „Das Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 413 im Weltkrieg 1916-1918“, Stuttgart 1936

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