„Am
7. Oktober kam glücklich der Ablösungsbefehl. Das badische
Feldartillerie-Regiment 30 sollte am 9. und 10. unsere Batterien zugweise
ablösen. Und nicht nur die Ablösung wartete unser, sondern sogar eine kurze
Ruhezeit in der Etappe. Das konnten wir ja gut brauchen. Wir sahen uns in
Gedanken schon in Martincourt, Inor und wie diese Dörfer zwischen Stenay und
Mouzon alle heißen, ein gemütliches Leben in ordentlichen Unterkünften führen.
Und wenn wir genau darüber nachdachten, so war’s auch höchste Zeit. War denn
das Regiment in den nunmehr 38 Kriegsmonaten schon ein einziges Mal richtig in
Ruhe gewesen? Nein; jedesmal kam man nur für einige Tage zurück und immer lebte
man dabei in der Ungewißheit, ob’s nicht am anderen Morgen schon wieder nach
vorne ging.
Unter
solchen Gedanken und Hoffnungen kam der 9. Oktober heran und mit ihm die
Ablösung. Mit Tagesanbruch kehrten die ersten Züge in die Protzenlager zurück
und freuten sich, wieder einen Abschnitt glücklich überstanden zu haben. Ganz
glatt ging die Ablösung nicht von statten. Vor allem die 9. Batterie und die
Batterien der II. Abteilung, die verhältnismäßig nahe am Feind gestanden waren,
mußten zum Abschied noch einige gründliche Feuerüberfälle über sich ergehen
lassen; doch ging auch das ohne größere Verluste vorüber.
Die
1. Batterie hatte Unglück. Aus irgend einem Versehen standen am 10. Oktober 6
Uhr vormittags die Protzen der zwei letzten Geschütze in der Stellung, obwohl
durch Regimentsbefehl angeordnet war, daß die ablösende Batterie unsere Geschütze
abholen sollte. Bei ihrem Anblick waren wir erst maßlos erstaunt und hatten ein
merkwürdiges Gefühl, als ob dies nicht zu einem guten Ende führen könnte. Na,
nun waren die Protzen schon da, die Geschütze wurden aus den Ständen gezogen,
aufgeprotzt und vollends bepackt. Nun wäre es höchste Zeit für die ablösende
Batterie gewesen, aber sie kam und kam nicht. Mittlerweile war es glockenheller
Tag, die Kanoniere stehen fix und fertig da bei ihren Geschützen unter dem
Schutz einer mächtigen Buche. Immer noch keine Spur von der Ablösung! Da – mit
einem Mal ein fürchterlicher Krach! Ein entsetzliches Bild bietet sich unsern
Augen. Fast die ganze Bedienung und Bespannung liegt blutend in dem knietiefen
Schmutz. Kein einziger war im ersten Augenblick mehr zu erkennen. Eine schwere
Granate war im höchsten Gipfel der Buche hängengeblieben und streute ihre
verderbenbringenden Splitter nach unten. Wie durch ein Wunder blieben einige
ganz heil. Nach und nach bargen wir die Toten und brachten die Verwundeten zum
Arzt. Von den 20 Leuten der Bedienung waren 5 gefallen, 8 zum Teil sehr schwer
verletzt. Unvergeßlich bleibt uns allen, die wir Zeugen dieses Unglücks waren,
der Tod unseres Richtkanoniers vom 4. Geschütz, des Gefreiten Gehrig. Mit einer
klaffenden Kopf-wunde wurde er bei vollem Bewußtsein in den Unterstand getragen.
Seine letzten Gedanken waren bei seinem Weib und den 5 unmündigen Kindern, die
er hinterließ, und deren er immer wieder bis zum letzten Atemzug gedachte.
Unteroffizier Landvater, die Gefreiten Henne und Schäfer und ein Fahrer waren
ihren Wunden sofort erlegen. Es war ein trauriger Abschluß. Noch am frühen
Morgen waren wir zusammengestanden und hatten uns ausgemalt, wie schön es jetzt
in Ruhe sein müßte.
Nun
galt es noch eine tüchtige Arbeit zu leisten. 7 unserer Pferde lagen tot am
Boden, 2 weitere mußten wir noch erschießen. Jetzt waren wir froh, daß die
ablösende Batterie noch nicht ankam. Sie hätte unmöglich in die Stellung
einfahren können. Mit den wenigen Leuten, die noch heil geblieben waren, wurden
die Pferde in stundenlanger harter Arbeit beiseite geschafft. Wie glücklich
waren wir, als wir diesen schaurigen Ort verlassen durften!“
aus: „Das Württ. Feld-Artillerie-Regiment
Nr. 238 früher Württ. Ersatz-Feld-Artillerie-Regiment Nr. 65 im Weltkrieg
1914–1918“ Stuttgart, 1921
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