„Am
22. Oktober morgens legte sich vormittags 5 Uhr 30 das Trommelfeuer, das nach
einer halben Stunde wieder abflaute, auf den Abschnitt der 121er. Die eigene
Artillerie antwortete mit wuchtigem Vernichtungsfeuer. Plötzlich um 6 Uhr 30
setzte schlagartig ein Feuersturm von unerhörter Kraft ein, der den
aufgeweichten Boden in rasender Wut zerwühlte. Starker Nebel lag über dem
Kampffeld. Die ganze Front der Division forderte erneut Vernichtungsfeuer. Bald
gingen im rechten Abschnitt rote Leuchtkugeln hoch, die leuchtende Bahnen durch
den Nebel brachen. Auch der eigene Abschnitt und der der 180er schickte seine
Sperrfeuerzeichen in den dunstigen Himmel und gegen 7 Uhr war der Feuersturm
der Artillerie vor der ganzen Front entfesselt. Da warf der Gegner sein
Geschützfeuer ins Hintergelände, um die die Kampffront abzuriegeln und trat zum
Sturm an. Nach Norden, gegen das „Weiße Haus“, nach Nordosten, der Allee
entlang, gegen die Mitte der 8. Komp. und die Bahnlinie Boesinghe – Staden
entlang gingen die Hauptstöße. Beim „Weißen Haus“, das dem Gegner am nächsten
lag und wo er früher angriff, gelang es ihm, in die Stellung des Res.-Reg. 121
einzudringen, so daß der rechte Flügel der 8. Komp. der 119er in der Luft hing.
Der Zug, der dort lag, hatte schon durch Kurzschüsse der eigenen Artillerie
erheblich gelitten und war erschüttert. Dem umfassenden Angriff vermochte er
nicht mehr stand zu halten. Fast alle bei der 8. Komp. eingesetzten
Maschinengewehre waren vernichtet, verschüttet oder gebrauchs-unfähig. Wohl
wehrte sich der Rest der wackeren Kompagnie, aber die Übermacht drängte sie
immer mehr zurück. Erst am Unterstand des Kompagnieführers, Leutnant d. Res.
Siegle, kam die Bewegung zum Stehen. Zwei Maschinengewehre sicherten die
Flanke. Zäh an ihrem Trichterposten klebende Trichterbesatzungen fielen im
Nahkampf. Schon wurde auch der rechte Flügelzug der 7. Komp. in den Rückzug
gerissen. Da gelang es dem Führer, Leutnant d. Res. Dürr, die Weichenden zum
Halten zu bringen und der Kompagnieführer, Leutnant d. Res. Großmann, bog nun
seinen Flügel so zurück, daß die Gefahr der Flankenumfassung zunächst gemindert
wurde. Die Engländer setzten sich unterdessen im Trichtergelände fest und zogen
Reserven heran.
Auch
das Regiment hatte seine Reserven bereit gestellt. Verwundete brachten die
wildesten Gerüchte zurück. Die Lage schien sehr gefährlich. Hauptmann d. Res.
Künlen rückte mit der 1. und 2. Komp. ans „Rote Haus“ vor, um den
durchstoßenden Gegner aufzuhalten. Sie durcheilten die Feuerzone und fanden am
„Roten Haus“ die 4. Komp. Von hinten rückte die 3., sowie die 9. und 10. Komp.
in die Plätze der vorgezogenen Teile ein. Die Res.-Kompagnie (5. Komp.) konnte
infolge der unsinnigen Meldungen Verwundeter kein klares Bild der Lage erkennen
und schickte Patrouillen in die Kampflinie. Leutnant d. R. Schmidt brachte
gegen 3/4 8 Uhr Klarheit über die Lage. Die Reste der 8. Komp. hatten einen
Stoßtrupp unter Vizefeldwebel Preßmar mit einem leichten Maschinengewehr zum
Gegenstoß bereit gestellt. Ihm wurde eine Gruppe der 5. Komp. als Verstärkung
zugewiesen. Leutnant Schmidt aber ging mit seinem Stoßtrupp vor, warf sich, die
Lage richtig beurteilend, in die Lücke zwischen der 7. und 8. Komp. und trat
mit dem Trupp Preßmar zum Gegenstoß an. Schneidig draufgehend warfen sie den
Gegner, der noch keine Zeit zum Einrichten in dem eroberten Gelände hatte und
von dem raschen Angriff überrascht wurde, von Trichter zu Trichter, bis er
zuletzt den Rückzug antrat. Nun griff auch die ganze 7. Komp. unter Leutnant
Großmann an und trieb die Engländer in ihre Ausgangsstellung zurück, wobei sie
das deutsche Sperrfeuer noch einmal durchschreiten mußten und schwere Verluste
erlitten. Um 8.45 war der ganze Abschnitt vom Feinde gesäubert. Leutnant
Schmidt aber faßte den Entschluß, auch die beim Nachbarregiment eingedrungenen
Engländer zu vertreiben und das „Weiße Haus“ zu stürmen, um den Anschluß an das
Res.-Reg. 121 zu nehmen. Allein er erhielt bald Feuer aus einem rückwärts
liegenden Engländernest, mußte sich zurück-ziehen und wurde schwer verwundet.
Unter großen Anstrengungen konnte er unter dem Schutz der Roten Kreuzflagge,
die vom Gegner geachtet wurde, geborgen werden.
Die
6. Komp. war nicht angegriffen worden, aber ihr linker Flügelzug nahm den
nördlich der Bahnlinie gegen Inf.-Reg. 180 vorgehenden Angreifer unter wirksames
Feuer und fügte ihm schwere Verluste zu. Einen zweiten Angriff ereilte das
gleiche Schicksal und die dem Stoß der 5., 7. und 8. Komp. ausweichenden
Engländer gerieten in das Flankenfeuer der 6. Komp. Leider fiel dabei ihr
tapferer Führer, Leutnant d. R. Fluck, der, das feindliche Feuer verachtend,
während des Kampfes seine Leute ermuntert hatte. 25 Gefangene der 35.
englischen Division, 9 Lewisgewehre und 50 Karabiner wurden vom II. Batl. als
Beute eingebracht, aber seine Verluste waren sehr schwer und es fehlte an
Handgranaten und Munition. Unterdessen hatte das Res-Reg. 121 versucht, das
„Weiße Haus“ an der Roggestraße zurückzuerobern. Der Gegenstoß mißglückte und
die Lage für das Res.-Reg. 119 war noch immer gefährlich. Da befahl die
Division dem Regiment seine Reserven, die 9. und 10. Komp. zum Angriff längs
der Straße auf das „Weiße Haus“ anzusetzen und die 11. und 12. Komp.
vorzuziehen. Allein es fehlte den Kompagnien an Nahkampfmitteln und als sie
kurz nach Mittag eintrafen und verteilt wurden, hielt ein Gegenbefehl sie noch
einmal zurück. Erst um 1 Uhr kam der Angriff in Fluß. Der Nebel hatte sich
unterdessen verteilt, das Wetter war klar geworden. Das Artilleriefeuer hatte
fast ganz aufgehört, eine Kampfpause ließ die Besatzungen aufatmen. Als sich aber
gegen 3 Uhr die feindlichen Gräben füllten, entfesselten deutsche Lichtzeichen
aufs neue das Vernichtungsfeuer der Artillerie. Deutsche Infanterieflieger
jagten brausend heran und griffen die englischen Graben-besatzungen mit Bomben
und Maschinengewehren an. Nach 5 Uhr brach auf der ganzen Front stärkstes
feindliches Trommelfeuer los; der Angriff auf das „Weiße Haus“ war in vollem
Gange. Während die 9. und 10. Komp. der 119er zu beiden Seiten der Straße
angriffen, stießen 121er aus nordöstlicher Richtung her. In heißem Ringen
wurden die Engländer geworfen. Um 7 Uhr war das „Weiße Haus“ wieder deutsch und
der ganze Angriff unter blutigen feindlichen Verlusten zum Scheitern gebracht. Die
vollständig erschöpften Kompagnien wurden abgelöst und durch andere, die
weniger gelitten hatten, ersetzt; aber das Regiment hatte über die Hälfte
seines Bestandes verloren, darunter 2 tote, 5 schwerverwundete und 2
leichtverwundete Offiziere.“
aus: „Das Württembergische
Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 119 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1920
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