„Bois de
la Grurie heißt der Teil des Waldes, in dem die 54. Infanterie-Brigade ihre
Stellungen hatte. Der 29. Januar war als Tag des Sturmes bestimmt, die ganze
27. Infanterie-Division sollte nach langer Zeit zum erstenmal wieder
gleichzeitig zum Angriff vorgehen. Frost und kaltes Wetter herrschte am Morgen
des Sturmtages. Ohne Artillerievorbereitung stürzten beim Regiment 7.30 Uhr
vormittags zwei Angriffsgruppen, je zwei Kompagnien stark (5., 7., 9. 11.) aus
den Schützengräben und Sappenspitzen auf die vorderste feindliche Linie vor.
Dieser eine Augenblick mußte entscheiden, ob die Überraschung gelungen war oder
nicht. Zum Glück war dies der Fall. Der Gegner war vollkommen überrascht. Er
hatte sich durch die verhältnismäßige Ruhe der letzten Zeit einlullen lassen
und glaubte sich durch seine Hindernisse hinreichend gegen jede Überraschung
gesichert. Die Besatzung des vordersten Grabens war rasch unschädlich gemacht,
wer nicht im Nahkampf gefallen war, geriet als Gefangener in die Hände der
unmittelbar dahinter folgenden zweiten Welle der Sturmtruppen. Was aber nach
rückwärts ausgebrochen war, erlitt schwere Verluste durch das Verfolgungsfeuer.
Sofort
drängten nun alle Sturmkolonnen des Regiments dem Gegner nach, um auch die
zweite Linie wegzunehmen. Der Angriff erfolgte auch hier ganz unerwartet.
Wahrscheinlich hatte die Besatzung das Feuer vorne für eine der gebräuchlichen
Schießereien seitens der Posten gehalten. Ein französischer
Bataillons-Kommandeur z. B. wurde beim Morgenfrühstück abgefaßt. Der auf den Lärm
herausstürzende Bursche wurde niedergemacht, darauf der Kommandeur selbst von
dem Unteroffizier Betzler der 9. Kompagnie mit den durch eine einladende
Handbewegung begleiteten Worten: „Kommet Sie nur, jetzt geht’s nach Berlin“ in
Empfang genommen.
Innerhalb
einer einzigen Stunde hatten die in der Mitte beim Regiment vorgehenden
Kompagnien diese beiden Stellungen sowie eine dahinterliegende dritte genommen
und waren am Angriffsziel, dem Nordhang der Dieussonschlucht angelangt. Dort
grub man sich ein. Die rechts und links befindlichen Teile hingen zunächst noch
zurück. Eine Zeitlang entstand nun eine schwierige Lage dadurch, daß sowohl das
östlich angrenzende Infanterie-Regiment Nr. 120 als das am Waldrand vorgehende
Füsilier-Regiment Nr. 38 nicht gleichen Schritt hatten halten können.
Als das
Infanterie-Regiment Nr. 120 bei Fortsetzung seines Angriffs nun stark nach
vorwärts drückte, kniffen die vor seiner Front befindlichen Franzosen aus und
wollten sich zu ihren noch vor der Front des Infanterie-Regiments Nr. 127
vermuteten Kameraden durchschlagen, Nun waren diese aber schon längst in die
Gefangenschaft gewandert und das Regiment Nr. 127 weit vorgedrungen. So
gerieten sie, ohne es zu ahnen, hinter den Rücken der Stürmenden. Ein Teil der
Franzosen lief hinter der ganzen Front des Regiments entlang und wurde vom
Füsilier-Regiment Nr. 38 gefangen. Der größte Teil, ungefähr 170 Mann unter der
Führung von 2 Offizieren, erkannte plötzlich die Lage und eröffnete das Feuer
aus dem Rücken gegen die Sturmkolonnen. In diesem gefährlichen Augenblick
zwischen zwei Gegnern rafften Leutnant Weber, Leutnant d. R. Reißer und Wild
etwa 60 Mann und einen Maschinengewehrzug zusammen, machten kehrt und warfen
sich dem Gegner entgegen. Etwa 50 Franzosen fielen auf nächste Entfernung,
worauf sich der Rest ergab, nachdem seine Offiziere verwundet waren.
Kurz nach
10 Uhr vormittags war das Regiment mit allen Teilen vorne angelangt. Die eigene
Artillerie beschoß seit 8 Uhr morgens die rückwärtigen Verbindungen des
Gegners, um das Herankommen von Unterstützungen zu erschweren. Auch die
feindliche Artillerie hatte aber unterdessen zu feuern begonnen und schweres
Feuer auf den linken Flügel des Regiments und in dessen Rücken gelegt.
Inzwischen
war auch das Regiment Nr. 120 auf gleiche Höhe gekommen. Um 2 Uhr nachmittags
wurde das Dieussontal von ihm überschritten, der linke Flügel des Regiments
schloß sich dem Vorgehen an. Auch dieser Angriff war von Erfolg gekrönt. Leider
hatte der rechte Flügel das Tal nicht überschreiten können, weil das an ihn
anschließende Füsilier-Regiment Nr. 38 nicht auf gleiche Höhe beim Angriff
gekommen war und der eigene rechte Flügel bei weiterem Vordringen in der Luft
gehangen hätte. Dies war sehr bedauerlich. Wäre es dem Regiment unter anderen
Umständen gelungen, schon jetzt auf den Südhang der Schlucht zu kommen, so
wären ihm, wie wir sehen werden, in der Folge viel Mühe und manches Opfer
erspart geblieben.
Wie
gewohnt, versuchte der Gegner auch heute mit seinen Reserven bei Tag und Nacht
verschiedene durch Artilleriefeuer eingeleitete Gegenangriffe, die aber nicht
gelangen. Was unsere zähen Schwaben einmal hatten, das ließen sie nicht so bald
mehr los.
Die genommenen
feindlichen Stellungen waren sehr gut ausgebaut und lediglich dem
überraschenden, ununterbrochenen Draufgehen war es zu danken, daß dieser
bedeutende Erfolg errungen wurde. Wie wenig der Feind an einen so weit
reichenden Erfolg dachte, bewiesen zahlreiche Munitions-, Patronen- und
Handgranatenlager. Auch ein großes Hüttenlager fand man vor. Eine ganze Auswahl
von neuen Schnürstiefeln und Wickelgamaschen diente manchem unserer Leute, um
sich „neu einzukleiden“. Ein ausgedehnter Friedhof zeigte, daß der Gegner in
den letzten Monaten durch das deutsche Feuer bedeutende Verluste gehabt hatte.
Neben
einer Menge von Kriegsmaterial fielen 1 Bataillonskommandeur, 7 Offiziere, 1
Arzt, 244 Mannschaften des Infanterie-Regiments Nr. 155 sowie 4 Maschinengewehre,
4 Minenwerfer und 1 Bronzemörser in die Hände des Regiments. Die blutigen
Verluste des Gegners überstiegen an dieser Stelle einige Hunderte. Das Regiment
selbst hatte den Erfolg des Tages mit 53 Toten (darunter Leutnant d. R. Zeller)
und 107 Verwundeten bezahlen müssen.“
aus: „Das neunte württembergische
Infanterie-Regiment Nr. 127 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1920
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