Freitag, 9. Januar 2015

9. Januar 1915


„Am 8. 1. teilte der Kommandeur des I./L. 123, Major Sprandel, seinen Kompagnieführern mit, das Bataillon habe soeben vom Regiment eine ehrenvolle Aufgabe erhalten: „am 9. 1. sei die Höhe des Hartmannsweilerkopfes unter allen Umständen, Jägertanne wenn irgend möglich zu nehmen; die gewonnenen Stellungen seien stark zu befestigen, so daß ein Wiedernehmen durch den Gegner unter allen Umständen ausgeschlossen sei“ (Regimentsbefehl).

Zu dem Angriff wuden dem I. Bataillon Pioniere, ein Maschinengewehrzug und zwei leichte Minenwerfer zugeteilt. Die Artillerie des Abschnitts unter Major Abel sollte den Sturm durch ein Wirkungsschießen auf die vom Feind besetzten Gipfel unterstützen. Gleichzeitig hatte III./L. 123 zur Erleichterung des I. Bataillons einen Vorstoß auf den Sudelkopf zu machen.

Der Angriff wurde am 9. Januar, 12.40 Uhr nachmittags, von den deutschen Geschützen eröffnet. Leider war die Artilleriebeschießung viel zu schwach und viel zu kurz. Nur 40 Minuten waren dafür vorgesehen, und damit sollte die Stellung „sturmreif“ gemacht werden! Auch lag das Feuer schlecht. Die Artillerie war an Gebirgsschießen nicht gewöhnt; die Witterungseinflüsse waren so stark, daß fast alle Schüsse entweder zu kurz oder zu weit gingen. Dadurch wurden die Sturmkolonnen teilweise schwer belästigt, teilweise wurde die feindliche Stellung überschossen. Ebenso ungenügend war das Feuer der leichten Minenwerfer. Punkt 1.20 Uhr nachmittags stürmten die Kompagnien los, die 1./L. 123 von Süden, die 4. von Osten, die 2. von Westen. Die 3. Komp. blieb zunächst in Reserve. Das Sturmgepäck auf dem Rücken, das Gewehr in der Hand, bahnte sich die Infanterie durch Schnee und Eis den steilen Waldeshang hinauf den Weg. Rasch ging’s voran. Der Feind, der (durch Verrat der Landesbewohner?) vom Angriff genaue Kenntnis hatte, war ausgezeichnet im dichten Wald versteckt. Auf hohen Tannen saßen, von Zweigen eingehüllt und unsichtbar, auserlesene Scharfschützen, die mit wohlgezieltem Einzelfeuer die nichts ahnenden Angreifer empfingen. Trotzdem gelang es der 1. und der 4. Komp., die Kuppe zu erreichen und bis auf 20 m vor den starken Drahtverhau der festungsartigen Stellung heranzukommen. Die 2. Komp. geriet zu weit nach Osten und schob sich hinter die 1. Komp., so daß die Umfassung nicht zur Durchführung kam. Nun eröffnete der gut verschanzte Feind das Feuer, das aus der Flanke verheerend wirkte. Schwere Verluste traten ein. Der tapfere Major Sprandel, der, den Degen in der Hand, hinan gestürmt war, wurde von den scharfen Augen eines Baumschützen sofort erkannt und schwer verwundet. Nach 20 Minuten hauchte er seine Seele aus. Die Führung des Bataillons fiel Hauptmann Graf zu, der sich bei den Leuten seiner 1. Komp. in der vordersten Linie befand. Er wollte nun, den Plan der Umfassung wieder aufnehmen, die 2. Komp. nach Westen schieben und dann mit dem Bajonett die Stellung stürmen. Es war nicht auszuführen. Zu stark und tief war das Drahtverhau, zu wohl versteckt der Gegner; zu rasend das Feuer, das er den Stürmenden, die sich in den hart gefrorenen, felsigen Grund nicht einzugraben vermochten, entgegenschleuderte. Die „Feuerüberlegenheit“ war auch mit den Maschinengewehren nicht zu erreichen. Es rächte sich die Wirkungslosigkeit des Feuers unserer Artillerie. Die Zahl der Toten und Verwundeten mehrte sich. So geriet der Angriff ins Stocken. Noch einmal versuchte Hauptmann Graf um 4.20 Uhr den Sturm zu wagen. Er scheiterte am wohlgezielten Feuer der berggewohnten Alpenjäger. Da erteilte schließlich General v. Dinkelacker dem Bataillon vom Tale aus telephonisch den Befehl, das Gewonnene zu halten und zu befestigen. Das Ziel des Tages war nicht erreicht.

Die Stellung und die Stärke der feindlichen Besatzung war viel stärker, als die Führung geglaubt hatte. Ohne stärkere und bessere Artilleriekräfte und ohne ein exaktes Zusammenarbeiten dieser mit der Infanterie mußte ein solcher Angriff fehlschlagen. Immerhin aber war auf der Kuppe des Berges win Bodengewinn von 258 m zu verzeichnen und mittelbar war dadurch erreicht, daß die eigene Artillerie am Osthang des steilen Berges sich aufstellen und zur Bekämpfung des Hirzstein beitragen konnte. Auch war dem Gegner eine weitere taktische Ausnutzung des in die Rheinebene vorspringenden Berges sehr erschwert.

Aber dieser Gewinn war sehr teuer erkauft. Die Infanterie mußte, wie so vielfach zu Beginn des Krieges, ihn teuer bezahlen. Gefallen sind Major Sprandel und Leutnant Brehme, sowie 35 Mann; mutig waren sie in den Tod gegangen. Schwer verwundet wurden Hauptmann Herzog, der tapfere und allseits beliebte Führer der 4./L. 123, die Leutnants Sanders (zum zweiten Male), Speketer, Locher, Wergo und 73 Mann. Es war ein schwerer Tag des I. Bataillons gewesen, aber hell leuchtet das todesmutige Vorgehen und die zähe Ausdauer der braven Wehrleute in der Geschichte des Regiments. Die ganze Nacht blieb das Bataillon vor dem Feinde, in bitterster Kälte – 10 Grad R des Nachts – und in 60 m hohem Schnee liegen. So gut als möglich grub man sich ein oder setzte aus Steinen, Eis und Schnee eine Brustwehr auf.

Der Vorstoß des III./L. 123, der den Angriff des I. Bataillons begleitete, verlief planmäßig und kostete wenig Blut (nur 2 Mann verwundet).

Das Armeeoberkommando sah nun ein, daß es andere Mittel bereitstellen mußte, um zum Ziel zu gelangen, wollte es nicht die Kräfte des Landw.-Inf.-Reg. 123 völlig verbrauchen. Das I./L. 123 und die 8./L. 123 wurden zurückgezogen.“
 
 

aus: „Das Württembergische Landw.-Inf.-Regiment Nr. 123 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1922

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