Montag, 5. Januar 2015

5. Januar 1915


„Am Vormittag des 5. Januar beschossen die Batterien der 26. und 35. Division, darunter1 Mörser- und 7 schwere Batterien, das Grabenstück vor dem I. Bataillon, wo der Einbruch in die feindliche Stellung erfolgen sollte. Dieser war auf 1.45 Uhr nachmittags festgesetzt. Als Zeichen, daß um diese Zeit das eigene Artilleriefeuer auf die rückwärtigen Stellungen der Russen sprang, sollte ein Minenwerferzug – damals noch etwas ganz Neues!.– eine Salve auf den russischen Graben abgeben. Hierauf wollte die Infanterie möglichst in einem Sprung in die feindliche Stellung einbrechen.

Das Feuer lag den ganzen Vormittag über gut auf den gegnerischen Gräben. Das eigentliche Wirkungsschießen setzte gegen 11 Uhr ein. Oberst von Triebig befahl, daß das II. Bataillon dem I. beim Sturm unmittelbar sich anschließen sollte, und daß das in Reserve befindliche III. Bataillon dem Angriff so dicht zu folgen habe, daß es jederzeit zum Eingreifen bereit war. Major Wolff rückte daher gegen ½1 Uhr nach der Gegend des Dorfes Zylin und stellte von dort aus seine Kompanien im dritten Graben des Regimentsabschnitts bereit.

Um 1 Uhr ist die russische Stellung in dichte Rauchschwaden gehüllt. Ab und zu sieht man aus dem Dunst und Dampf unter ohrenbetäubendem Knall eine hohe Rauchsäule aus der Erde zischen. Die Mörsergranaten sind mitten in der Arbeit. In der Nähe des Weges fliegt ein Unterstand in die Luft, deutlich erkennt man die aus dem Graben geschleuderten Balken und Bretter. Einmal wird gemeldet, eine feindliche Befehlsstelle sei getroffen worden. Genau habe man zahllose Karten und Papiere aus der Erde fliegen sehen. Es war aber nur eine Latrine gewesen. Von den Russen ist nichts zu sehen, alle haben sich tief verkrochen.

Kurz vor ¾2 Uhr schießen die Minenwerfer ab. Ein dröhnender Knall. Unmittelbar darauf stürzen die Kompanien des I. Bataillons in den feindlichen Graben. Hier und dort will sich noch ein Russe wehren. Aber umsonst! Schon stehen die Füsiliere am Grabenrand. Nach wenigen Sekunden ergeben sich die Russen scharenweise. In 10 Minuten sind über 600 Gefangene gemacht und 6 Maschinengewehre erbeutet. Eines davon hat der zugeteilte Pionierzug erobert.

Auf dem linken Flügel hatte die 5. und 6. Kompanie den Sturm mitgemacht und ebenfalls einige hundert Russen gefangen. Ja auch Teile des III. Bataillons – wie die 11. und 12. Kompanie – hatten sich nicht mehr halten lassen, sondern waren mit nach vorne gestürmt.

Die Russen zogen sich gegen die Sucha zurück. Oberst von Triebig befahl, dem Feind bis an die Häuser von Dorf Sucha zu folgen, dann aber zunächst nicht weiter vorzugehen, da die 51. Infanterie-Brigade ihre Stellungen nur auf dem rechten Flügel überschritten und starker Gegner nach wie vor noch Vorwerk Zylin besetzt hatte. Auch beim rechten Nachbarn, dem Infanterie-Regiment 176, war die Lage gegen 3 Uhr durchaus noch nicht geklärt. Die bisherigen Kampftage hatten aber zur Genüge gelehrt, daß im Gefecht mit den Russen eines erstes Erfordernis war: die dauernde Wahrung des Anschlusses nach rechts und links. Auch siegreiche Teilstöße einzelner Abteilungen – selbst in der Stärke von Brigaden – die den Russen noch so empfindlich trafen, wußte er mit der Masse der ihm zur Verfügung stehenden Reserven von beiden Seiten zangenartig zu packen und zu erdrücken, sobald die Flanken des Angreifers nicht durch festen Anschluß der Nachbartruppen gesichert waren.

Das Dorf Sucha sollte also nicht überschritten werden. Die sehr durcheinander geratenen Kompanien wurden neu eingeteilt und das II. Bataillon als Reserve im alten Graben östlich Zylin gesammelt. Das II. Bataillon lag links, das I. rechts, dicht bei den ersten Häusern von Sucha. Zwischen beiden Bataillonen aber war eine 150–200 Meter breite Lücke. Die Bataillone erhielten zwar Weisung, ihre inneren Flügel so zu verlängern, daß diese gefährliche Lücke ausgefüllt würde. Vielleicht wäre es auch besser gewesen, gleich eine neue Kompanie an dieser Stelle einzusetzen. Jedenfalls aber wurde die Lücke nicht mehr, oder nur mangelhaft geschlossen.

Bei Einbruch der Dunkelheit schien der Russe sich mit den Hauptkräften auf das nordöstliche Sucha-Ufer zurückgezogen zu haben. Unsere Patrouillen stießen gegen ½7 Uhr abends diesseits des Baches nur noch auf schwächere feindliche Streifabteilungen. Kurz nach 7 Uhr wurde das II. Bataillon aber plötzlich von starken Kräften angegriffen und mit seinem linken Flügel auf die alte russische Stellung zurückgedrängt. Dort wurde der Angriff abgewiesen, und es trat wieder Ruhe ein. Um 10 Uhr indessen brach der Russe mit dicken Haufen aus Sucha heraus gegen das I. Bataillion vor. Offenbar drängten auch starke feindliche Kräfte durch die noch vorhandene unglückselige Lücke zwischen den beiden Bataillonsflügeln hindurch. Denn das Bataillon Bürger sah sich plötzlich auf seinem linken Flügel durchbrochen und mußte auf den am Nachmittag erstürmten ersten Russengraben zurückweichen. Hier aber wurden die anstürmenden Kolonnen des Gegners, der während der Nacht noch viermal anzugreifen versuchte, unter großen Verlusten abgewiesen. Der Führer der Maschinengewehrkompanie, Leutnant Maentel, der sich hierbei besonders auszeichnete, wurde schwer verwundet. Die 10. und 11. Kompanie, die bei den Angriffen des Feindes in das II. Bataillon eingeschoben worden waren, trugen unter ihren Führern, Leutnant Wolf (Emil) und Leutnant d. R. Schaffert, ebenfalls in hervorragender Weise zur Abwehr der Angriffe bei.

Eigentümlich war bei diesen Nachtangriffen der Russen, daß viele Leute der angreifenden Abteilungen nicht mit Gewehren, sondern mit Knüppeln bewaffnet waren. Als es hell wurde, zeigte sich, daß man starken russischen Abteilungen etwa 400 Meter gegenüberlag, die sich an den südlichsten Häusern von Sucha festgesetzt hatten. Der Angriff am 5. Januar hatte also zwar einen Erfolg gebracht, bei dem das Füsilier-Regiment sich in Besitz des ersten russischen Grabens gesetzt und dem Feind 1000 Gefangene mit 6 Maschinengewehren abgenommen hatte. Das eigentliche Ziel des Angriffs, den Gegner über die Sucha zu werfen und dadurch die Vorwärtsbewegung der 26. Division wieder in Fluß zu bringen, hatte aber infolge des Eingreifens starker feindlicher Reserven nicht erreicht werden können“



aus: „Das Füsilier-Regiment Kaiser Franz Joseph von Österreich, König von Ungarn (4. württ.) Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1921

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