Donnerstag, 7. Januar 2016

7. Januar 1915


„Unsere Stellung lag in einem Gelände, über welches 1914 schon die Kriegsfurie hinweggebraust war und in dem im Sommer 1915 verheerende Grabenkämpfe gewütet hatten. Dadurch war die sonst so liebliche flandrische Gegend mit ihren schönen park-umgebenen Schlössern, idyllischen Waldstücken, wohlgepflegten pappelbestandenen Straßen in eine Wüstenei verwandelt worden. Aus den menschlichen Wohn- und Arbeitsstätten wurden Trümmerhaufen, deren Überreste zur Ausbesserung der grund-losen Wege dienten. Die Wälder wurden zu einem gräßlichen Gewirr faulenden Holzes. Die Chaussee nach Ypern war nur noch von Stümpfen eingefaßt. War durch Zufall ein oder der andere Baum stehen geblieben, so wies er tausend Wunden von Gewehr- und Schrapnellkugeln auf und streckte seine kahlen, zerzausten Äste klagend und anklagend in die modrige Todesluft. Um das Niederdrückende dieses Landschaftsbildes noch zu erhöhen, ragte hie und da ein Holzkreuz aus dem feuchten Boden – schief und morsch. Es war kaum noch zu erkennen, ob ein Deutscher oder Engländer hier seine letzte Ruhe-stätte gefunden hatte. Die Kreuze mehrten sich und wuchsen zu ganzen Friedhöfen an, die zum Teil unter Wasser standen. Sonst nichts als Gräben, alte zerfallene, ver-schmutzte, verschlammte und neue, mühsam sauber gehalten. Und über dem Ganzen ruhte ein trüber Winterblust. So sah unser neues Kampffeld aus.
Die Stellung selbst war sachgemäß und mit Fleiß ausgebaut, ein Gewirr von Gräben, in dem wir uns alle erst nach und nach zurechtfanden. Die Stellung bestand in der Hauptsache aus einer vorderen Linie, hinter welcher in der Mitte durch eine umfang-reiche feindliche Sprengung noch eine Trichterstellung entstanden war und aus zwei weiteren Kampf- bezw. Wohnlinien weiter rückwärts, etwa 300 bezw. 1000 m hinter der vorderen Linie. An Verbindungswegen fehlte es nicht. Zwischen den beiden rückwär-tigen Linien lag die Ruine des „Weißen Schlosses“.
Die großen Sprengtrichter (in der Trichterstellung) redeten eine eindrückliche Sprache, welche Zerstörungen eine einzige Ladung hervorrufen kann. Mehrere Kompagnien waren hier in wenigen Sekunden in die Luft geflogen. Wir mußten unsere ganze Auf-merksamkeit darauf richten, uns vor gleichen Schicksalen zu bewahren. Daß noch immer miniert wurde, konnte festgestellt werden.
Die Besetzung der Stellung war so geregelt, daß in dreitägigem Wechsel ein Bataillon die vordere Linie als Kampfbataillon und ein Bataillon die 2. Stellung als Bereit-schaftsbataillon zu besetzen hatte. Ein Bataillon verblieb in Reserve – Ruhebataillon – im Lager. Nach und nach bildeten sich folgende Bezeichnungen heraus, die sich als praktisch erwiesen: „K.-T.-K.“ für den Kampftruppenkommandeur, „B.-T.-K.“ für den Kommandeur der Bereitschaften und „Abschnittskommandeur“ für den Kommandeur des Regimentsabschnitts.
Die M.-G.-K. schlug ihr Quartier westlich Gheluwe auf, 8 Maschinengewehre waren nach besonderem Ablösungsplan auf die Stellung verteilt, der Anfangs März eine Abän-derung erfuhr, als das Regiment auf Grund einer kriegsministeriellen Verfügung noch eine zweite M.-G.-K. aufstellen konnte.
Unsere Gegner waren Engländer. Sie lagen uns in der Mitte etwa auf 50 m gegenüber, auf den Flügeln betrug die Entfernung zwischen den beiderseitigen Gräben bis zu 200 m. Die Engländer waren in jeder Beziehung sehr aufmerksam und tätig. Unser ganzes Grabensystem wurde häufig zu den verschiedensten Tages- und Nachtzeiten mit Feuer belegt, bald hier, bald dort erfolgte ein Feuerüberfall, schwere Kaliber und Minen zerstörten die Befestigungs- und Wohnanlagen der Kampflinien, die Verbindungs- und Annäherungsgräben. Scharfschützen nahmen tagsüber jedes sich ihnen bietende Ziel aufs Korn, Gewehrgranaten machten sich unangenehm fühlbar, Maschinengewehre streuten die vorderen Grabenkämme ab, erbitterte Handgranatenkämpfe während der Nacht in den vorderen Linien waren nicht selten. Ins Hintergelände bis ins Lager verirrte sich nur ganz vereinzelt eine Granate.
Die feindlichen Flieger waren ebenso häufige, wie ungern gesehene Gäste. Der Abwurf von Bomben erfolgte selten, viel Schaden wurde dadurch nicht angerichtet, aber die Flieger dienten der feindlichen Artillerie als vorzügliche Beobachter und lösten bei günstigem Wetter wohlgezieltes Artilleriefeuer aus.
Die Mannschaft unterzog sich mit dem ihr eigenen Pflichtgefühl willig und unermüdlich im Interesse des großen Ganzen den neuen dornenvollen Aufgaben des Krieges gegen den unsichtbaren Gegner. Große Begeisterung war nicht zu erwarten. Das Bewußtsein, trotz täglich eintretender Verluste am nächsten Tage genau so weit zu sein wie am vorhergehenden, „knabberte“ an den Nerven.“

aus: „Das Infanterie-Regiment „Kaiser Friedrich, König von Preußen“ (7. Württ.) Nr. 125 im Weltkrieg 1914–1918“ׅ, Stuttgart 1923

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