„Am 4. Juni nachmittags erhielt das I. Bataillon durch die 100.
Inf.-Brigade und das Inf.-Regt. 53, dem es noch unterstellt war, den Befehl,
unter allen Umständen noch in dieser Nacht die Linie 551 – Batterie a – 765 –
766 zu erreichen. Die Ausführung erwies sich jedoch als unmöglich, da Führer
und Truppe in ihren Abschnitten noch nicht genügend orientiert waren, auch die
Zeit nicht ausreichte, unter den schwierigen Verhältnissen die erforderlichen
Erkundungen, Anordnungen und Vereinbarungen noch rechtzeitig zu treffen. Das
Bataillon bat daher, den Angriff auf den folgenden Abend verschieben zu dürfen.
Das wurde bewilligt.
Beim Erkunden der feindlichen Stellung zeichnete sich der Musketier
Reinhold vom I. Bataillon aus. Von seinem Patrouillengang, zu dem er sich
freiwillig mit den Worten gemeldet hatte: „I gang scho mit, aber zerschde sollt
i no veschbere“, brachte er einen französischen Feldwebel mit zurück. Gewandt
von Trichter zu Trichter springend, war er nahe an den französischen Graben
herangekommen, der gerade von der deutschen Artillerie beschossen wurde. Ein
Franzose wollte diesem Feuer ausweichen und gelangte dabei in Reinholds Nähe,
der ihm dann mit vorgehaltener Pistole den Weg nach dem deutschen Graben wies.
– „Do han i em ‚s Revolverle vor d‘ Nas g’hebt und em g’wonke,“ meldete er bei
der Rückkehr seinem Leutnant.
Am 4. Juni abends löste das II. Bataillon das Bereitschaftsbataillon des
Inf.-Regts. 53 mit Stab, 6. und 8. Kompagnie im Chena Wald mit 5. und 7. Kompagnie
in der La Plume-Ferme ab. Bei La Plume waren die Kompagnien in
splittersicheren, im Wald in alten französischen, meist schußsicheren
Unterständen untergebracht. Um 1 Uhr nachts war die Ablösung ohne Zwischenfall
beendet. Das III. Bataillon und der Regimentsstab verblieben als Reserve im
Tilla-Wald.
Die Aufgabe des Bereitschaftsbataillons war nicht leicht. Dauernd waren die
Kompag-nien mit der Zufuhr von Baustoffen und Munition nach der vorderen Linie
beschäftigt. Auch Kaffee oder Tee mußten vorgebracht werden, da es auf dem
Vauxberg kein Wasser gab. Die Transporte gingen unter den schwierigsten
Verhältnissen bei aufgeweichtem, von Granatlöchern durchwühltem Boden und
häufig im heftigsten französischen Sperrfeuer vor sich. Ein voller Zug war
stets zum Stafettendienst vom Grand Chena nach dem Lindow-Stollen verwendet, da
die Fernsprechverbindung immer wieder zerschossen wurde. Die Unterkünfte der
Kompagnien lagen meist unter dem Feuer leichter und mittlerer Kaliber. Die
Verluste waren deshalb ziemlich erheblich.
Am 5. Juni, 10.20 Uhr abends, stand das I. Bataillon zu dem befohlenen
Angriff bereit. Alle Maßnahmen für das Gelingen waren durch den
Bataillonsführer, Hauptmann Tobias, der seinen Gefechtsstand nach dem Fort
(Ostflanke) verlegt hatte, sehr um-sichtig und mit großer Sorgfalt getroffen
worden. In vorderer Linie hatte er von rechts nach links die 1., 2. und 3.
Kompagnie eingesetzt. In der noch herrschenden schwachen Dämmerung erreichten
sie durch Vorkriechen die richtige Front zu ihren Angriffszielen; ein
Sturmtrupp des Bataillons Rohr stand bereit, die vom Gegner besetzte Sappe 763
– 766 aufzurollen. Die Reservekompagnie (4.), die einen Zug zur Verfügung des
Bataillonsführers nach dem Fort gestellt hatte, sollte, entlang der Liesesappe
vorgehend, den Feind in der rechten Flanke fassen, je zwei Maschinengewehre vor
dem rechten Schulter- und Kehlpunkt des Forts hatten den Angriff des Bataillons
mit Feuer zu unterstützen. Das eigene Artilleriefeuer sollte erst mit dem
Erreichen der feindlichen Stellung durch die Kompagnien mittels Zeichen
vorverlegt werden.
10.30 Uhr abends erfolgte der gemeinsame Angriff. Im gleichen Augenblick
aber schlug aus kurz vorher aus dem Fortinnern abgegebene Leuchtsignale sehr
heftiges Infanterie- und Maschinengewehrfeuer aus Front und Rücken im hellen
Schein von Leuchtkugeln und Leuchtraketen in die Reihen der Stürmenden, das die
1. Kompagnie sofort, die 2. und 3. Kompagnie nach kurzer Zeit niederzwang. Auch
die französische Artillerie begann heftig zu feuern. Trotzdem gelangten Teile
der 2. und 3. Kompagnie bis dicht vor die feindliche Stellung, wo sie indessen
durch Handgranaten zurückgewiesen wurden. Dem Sturmtrupp gelang es zwar, in die
Sappe bei 763 einzudringen, ohne jedoch größere Vorteile erringen zu können.
Der tapfere Führer wurde schwer verwun-det. Die Verluste mehrten sich; die
Durchführung des Angriffs erschien aussichtslos. Die Angreifer entschlossen
sich daher, kriechend wieder ihre Ausgangsstellung zu gewin-nen, die sie um
Mitternacht erreichten. Das feindliche Artilleriefeuer und vereinzeltes
M.-G.-Feuer blieb auf der Stellung des Bataillons liegen.
Besonders hervorzuheben ist das überaus schneidige Vorgehen der 2. und 3.
Kompagnie in dem gutsitzenden feindlichen Infanterie-, Artillerie- und
M.-G.-Feuer und die vorbildliche Tapferkeit des Kompagnieführers der 2.
Kompagnie, Leutnant d. R. Heege, der, seine Kompagnie anfeuernd und ihr
vorauseilend, hierbei von einer Kugel mitten in die Brust getroffen wurde. „Der
treue Unteroffizier Kümmerlen springt seinem Führer bei und bringt ihn mit
Hilfe zweier Kameraden durch das rasende Feuer zurück. Der eine Träger fällt,
der zweite bricht blutend zusammen. Sterbend gibt der Leutnant seinem
Unteroffizier den Befehl, zur Kompagnie zurückzugehen, wo Not an Mann geht, und
sinkt tot zurück. Im alten Graben birgt Kümmerlen zuerst die Leiche, stürmt
dann allein wieder vor und übernimmt das Kommando auf dem linken Flügel. Wär’s men-schenmöglich
gewesen, die Franzosen zu verjagen: Männer vom Schlage Kümmerlen’s hätten es
geschafft…“ („Schwäbische Kunde“, Band 3).
Das Bataillon hatte in dem Gefecht erhebliche Verluste erlitten; zum
Ausgleich wurde ihm eine Kompagnie des II. Bataillons (7.) unterstellt und nach
dem Lindow-Stollen vorgezogen.
Am 6. Juni, 3.50 Uhr morgens, schwoll das feindliche Artilleriefeuer auf
die Stellungen der 1., 2. und 3. Kompagnie wieder zu großer Heftigkeit an und
4.10 Uhr erfolgte ein mit starken Kräften unternommener Angriff der Franzosen. In
dem Feuer der wachsamen und unerschrockenen Besatzung, unterstützt durch das
sofort einsetzende Sperrfeuer unserer Artillerie und das Feuer der
Maschinengewehre, brach er zwar zusammen, wurde aber gegen die Stellung der 2.
Kompagnie mit frischen Kräften immer wieder von neuem versucht, jedoch stets
mit großen Verlusten abgeschlagen. Dabei zeichnete sich der Vizefeldwebel der
3. Kompagnie, Anton Straub aus Straßburg, der sich schon tags zuvor beim
Angriff des I. Bataillons besonders hervorgetan hatte, von neuem aus. Trotz
einer starken Rauchvergiftung hielt er auf einem vorgeschobenen Posten mit
seiner wackeren Schar tapfer aus, bis er abgelöst wurde. Ebenso heldenhaft erwiesen
sich der Unteroffizier der 4. Kompagnie, Adolf Treiber aus Sillenbuch, und der
Gefreite der 1. Kompagnie, Gotthilf Franz aus Backnang, die beide wiederholt
wichtige Meldegänge im schärfsten feindlichen Feuer ausführten.
Gegen 5 Uhr morgens hatte sich der Feind endgültig in seine
Ausgangsstellungen zurückgezogen. Die Feuertätigkeit der französischen
Artillerie ließ jetzt etwas nach. Diese Gelegenheit wurde benutzt, um die
Schwerverwundeten abzutransportieren und die Verbände neu zu ordnen. Gegen
Mittag wurde die Beschießung wieder heftiger; neue schwere Batterien begannen
sich auf die Stellungen der 1. und 2. Kompagnie einzuschießen. 9 Uhr abends
steigerte sich das Feuer zu größter Heftigkeit; auch das der deutschen
Artillerie nahm an Stärke zu. Die 1. Kompagnie hatte am Nachmittag 5 Mann durch
einen Volltreffer der eigenen Artillerie verloren, darunter 3 Tote. Die
Verluste mehrten sich.
10.45 Uhr abends erfolgte ein zweiter französischer Angriff gegen die
Stellungen der 2. und 3. Kompagnie. Unter Hörnersignalen drangen die Franzosen
aus ihren Gräben heraus, flüchteten jedoch unter unserem Infanterie- und
M.-G.-Feuer bald wieder in ihre Stellungen zurück. Das feindliche
Artilleriefeuer flaute nach einer Stunde wieder etwas ab.“
aus:
„Das 8. Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 126 „Großherzog Friedrich von
Baden“ im Weltkrieg 1914-1918ׅ, Stuttgart 1929
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