Montag, 6. Juni 2016

6. Juni 1916


„Am 4. Juni nachmittags erhielt das I. Bataillon durch die 100. Inf.-Brigade und das Inf.-Regt. 53, dem es noch unterstellt war, den Befehl, unter allen Umständen noch in dieser Nacht die Linie 551 – Batterie a – 765 – 766 zu erreichen. Die Ausführung erwies sich jedoch als unmöglich, da Führer und Truppe in ihren Abschnitten noch nicht genügend orientiert waren, auch die Zeit nicht ausreichte, unter den schwierigen Verhältnissen die erforderlichen Erkundungen, Anordnungen und Vereinbarungen noch rechtzeitig zu treffen. Das Bataillon bat daher, den Angriff auf den folgenden Abend verschieben zu dürfen. Das wurde bewilligt.
Beim Erkunden der feindlichen Stellung zeichnete sich der Musketier Reinhold vom I. Bataillon aus. Von seinem Patrouillengang, zu dem er sich freiwillig mit den Worten gemeldet hatte: „I gang scho mit, aber zerschde sollt i no veschbere“, brachte er einen französischen Feldwebel mit zurück. Gewandt von Trichter zu Trichter springend, war er nahe an den französischen Graben herangekommen, der gerade von der deutschen Artillerie beschossen wurde. Ein Franzose wollte diesem Feuer ausweichen und gelangte dabei in Reinholds Nähe, der ihm dann mit vorgehaltener Pistole den Weg nach dem deutschen Graben wies. – „Do han i em ‚s Revolverle vor d‘ Nas g’hebt und em g’wonke,“ meldete er bei der Rückkehr seinem Leutnant.
Am 4. Juni abends löste das II. Bataillon das Bereitschaftsbataillon des Inf.-Regts. 53 mit Stab, 6. und 8. Kompagnie im Chena Wald mit 5. und 7. Kompagnie in der La Plume-Ferme ab. Bei La Plume waren die Kompagnien in splittersicheren, im Wald in alten französischen, meist schußsicheren Unterständen untergebracht. Um 1 Uhr nachts war die Ablösung ohne Zwischenfall beendet. Das III. Bataillon und der Regimentsstab verblieben als Reserve im Tilla-Wald.
Die Aufgabe des Bereitschaftsbataillons war nicht leicht. Dauernd waren die Kompag-nien mit der Zufuhr von Baustoffen und Munition nach der vorderen Linie beschäftigt. Auch Kaffee oder Tee mußten vorgebracht werden, da es auf dem Vauxberg kein Wasser gab. Die Transporte gingen unter den schwierigsten Verhältnissen bei aufgeweichtem, von Granatlöchern durchwühltem Boden und häufig im heftigsten französischen Sperrfeuer vor sich. Ein voller Zug war stets zum Stafettendienst vom Grand Chena nach dem Lindow-Stollen verwendet, da die Fernsprechverbindung immer wieder zerschossen wurde. Die Unterkünfte der Kompagnien lagen meist unter dem Feuer leichter und mittlerer Kaliber. Die Verluste waren deshalb ziemlich erheblich.
Am 5. Juni, 10.20 Uhr abends, stand das I. Bataillon zu dem befohlenen Angriff bereit. Alle Maßnahmen für das Gelingen waren durch den Bataillonsführer, Hauptmann Tobias, der seinen Gefechtsstand nach dem Fort (Ostflanke) verlegt hatte, sehr um-sichtig und mit großer Sorgfalt getroffen worden. In vorderer Linie hatte er von rechts nach links die 1., 2. und 3. Kompagnie eingesetzt. In der noch herrschenden schwachen Dämmerung erreichten sie durch Vorkriechen die richtige Front zu ihren Angriffszielen; ein Sturmtrupp des Bataillons Rohr stand bereit, die vom Gegner besetzte Sappe 763 – 766 aufzurollen. Die Reservekompagnie (4.), die einen Zug zur Verfügung des Bataillonsführers nach dem Fort gestellt hatte, sollte, entlang der Liesesappe vorgehend, den Feind in der rechten Flanke fassen, je zwei Maschinengewehre vor dem rechten Schulter- und Kehlpunkt des Forts hatten den Angriff des Bataillons mit Feuer zu unterstützen. Das eigene Artilleriefeuer sollte erst mit dem Erreichen der feindlichen Stellung durch die Kompagnien mittels Zeichen vorverlegt werden.
10.30 Uhr abends erfolgte der gemeinsame Angriff. Im gleichen Augenblick aber schlug aus kurz vorher aus dem Fortinnern abgegebene Leuchtsignale sehr heftiges Infanterie- und Maschinengewehrfeuer aus Front und Rücken im hellen Schein von Leuchtkugeln und Leuchtraketen in die Reihen der Stürmenden, das die 1. Kompagnie sofort, die 2. und 3. Kompagnie nach kurzer Zeit niederzwang. Auch die französische Artillerie begann heftig zu feuern. Trotzdem gelangten Teile der 2. und 3. Kompagnie bis dicht vor die feindliche Stellung, wo sie indessen durch Handgranaten zurückgewiesen wurden. Dem Sturmtrupp gelang es zwar, in die Sappe bei 763 einzudringen, ohne jedoch größere Vorteile erringen zu können. Der tapfere Führer wurde schwer verwun-det. Die Verluste mehrten sich; die Durchführung des Angriffs erschien aussichtslos. Die Angreifer entschlossen sich daher, kriechend wieder ihre Ausgangsstellung zu gewin-nen, die sie um Mitternacht erreichten. Das feindliche Artilleriefeuer und vereinzeltes M.-G.-Feuer blieb auf der Stellung des Bataillons liegen.
Besonders hervorzuheben ist das überaus schneidige Vorgehen der 2. und 3. Kompagnie in dem gutsitzenden feindlichen Infanterie-, Artillerie- und M.-G.-Feuer und die vorbildliche Tapferkeit des Kompagnieführers der 2. Kompagnie, Leutnant d. R. Heege, der, seine Kompagnie anfeuernd und ihr vorauseilend, hierbei von einer Kugel mitten in die Brust getroffen wurde. „Der treue Unteroffizier Kümmerlen springt seinem Führer bei und bringt ihn mit Hilfe zweier Kameraden durch das rasende Feuer zurück. Der eine Träger fällt, der zweite bricht blutend zusammen. Sterbend gibt der Leutnant seinem Unteroffizier den Befehl, zur Kompagnie zurückzugehen, wo Not an Mann geht, und sinkt tot zurück. Im alten Graben birgt Kümmerlen zuerst die Leiche, stürmt dann allein wieder vor und übernimmt das Kommando auf dem linken Flügel. Wär’s men-schenmöglich gewesen, die Franzosen zu verjagen: Männer vom Schlage Kümmerlen’s hätten es geschafft…“ („Schwäbische Kunde“, Band 3).
Das Bataillon hatte in dem Gefecht erhebliche Verluste erlitten; zum Ausgleich wurde ihm eine Kompagnie des II. Bataillons (7.) unterstellt und nach dem Lindow-Stollen vorgezogen.
Am 6. Juni, 3.50 Uhr morgens, schwoll das feindliche Artilleriefeuer auf die Stellungen der 1., 2. und 3. Kompagnie wieder zu großer Heftigkeit an und 4.10 Uhr erfolgte ein mit starken Kräften unternommener Angriff der Franzosen. In dem Feuer der wachsamen und unerschrockenen Besatzung, unterstützt durch das sofort einsetzende Sperrfeuer unserer Artillerie und das Feuer der Maschinengewehre, brach er zwar zusammen, wurde aber gegen die Stellung der 2. Kompagnie mit frischen Kräften immer wieder von neuem versucht, jedoch stets mit großen Verlusten abgeschlagen. Dabei zeichnete sich der Vizefeldwebel der 3. Kompagnie, Anton Straub aus Straßburg, der sich schon tags zuvor beim Angriff des I. Bataillons besonders hervorgetan hatte, von neuem aus. Trotz einer starken Rauchvergiftung hielt er auf einem vorgeschobenen Posten mit seiner wackeren Schar tapfer aus, bis er abgelöst wurde. Ebenso heldenhaft erwiesen sich der Unteroffizier der 4. Kompagnie, Adolf Treiber aus Sillenbuch, und der Gefreite der 1. Kompagnie, Gotthilf Franz aus Backnang, die beide wiederholt wichtige Meldegänge im schärfsten feindlichen Feuer ausführten.
Gegen 5 Uhr morgens hatte sich der Feind endgültig in seine Ausgangsstellungen zurückgezogen. Die Feuertätigkeit der französischen Artillerie ließ jetzt etwas nach. Diese Gelegenheit wurde benutzt, um die Schwerverwundeten abzutransportieren und die Verbände neu zu ordnen. Gegen Mittag wurde die Beschießung wieder heftiger; neue schwere Batterien begannen sich auf die Stellungen der 1. und 2. Kompagnie einzuschießen. 9 Uhr abends steigerte sich das Feuer zu größter Heftigkeit; auch das der deutschen Artillerie nahm an Stärke zu. Die 1. Kompagnie hatte am Nachmittag 5 Mann durch einen Volltreffer der eigenen Artillerie verloren, darunter 3 Tote. Die Verluste mehrten sich.
10.45 Uhr abends erfolgte ein zweiter französischer Angriff gegen die Stellungen der 2. und 3. Kompagnie. Unter Hörnersignalen drangen die Franzosen aus ihren Gräben heraus, flüchteten jedoch unter unserem Infanterie- und M.-G.-Feuer bald wieder in ihre Stellungen zurück. Das feindliche Artilleriefeuer flaute nach einer Stunde wieder etwas ab.“



aus: „Das 8. Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 126 „Großherzog Friedrich von Baden“ im Weltkrieg 1914-1918ׅ, Stuttgart 1929

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