„Am 11. April 1917, 2 Uhr vormittags, hörten die Posten
Motorengeräusch. Bei dem starken Artilleriefeuer wurde das Geräusch wenig
beachtet. Die Kompagnien wurden aber gefechtsbereit gemacht, da der Gegner
auffällig Bullecourt im Abschnitt 120 und Riencourt in unserem Abschnitt unter
Feuer nahm. 4.30 Uhr vormittags sahen die posten Engländer am Drahthindernis
arbeiten, sie alarmierten die Kompagnien. 4.45 Uhr vormittags wurde das
Motorengeräusch lauter und kam näher, bald wurden mehrere Tanks erkannt, die auf
den Abschnitt zufuhren. Dahinter folgten 5 englische Sturmwel-len, denen dicht
gedrängte geschlossene Abteilungen folgten. In großer Anzahl erschie-nen
tieffliegende Flieger, die mit Hupen Signale gaben. Unser rechtzeitig
ausgelöstes Sperrfeuer setzte ein, war aber für den großen Abschnitt reichlich
dünn. Die Graben-besatzung war auf die Brustwehr gesprungen, um nicht im Graben
wehrlos niederge-macht zu werden, und schoß und warf Handgranaten in die
anstürmenden Massen. Die M.-G. mähten die Engländer reihenweise nieder, aber
immer wieder schlossen sich die Reihen und drängten näher an den Graben heran.
70 Patronen hatte jeder Mann verfeuert, dann begann der Nahkampf. Die 1.
Kompagnie am rechten Flügel wurde zuerst überwältigt, 20 Mann und die Bedienung
eines schweren M.-G. niedergemacht, 40 Mann wurden verwundet, der Rest wich auf
die zweite Linie aus. Der Kompagnie-führer, Leutnant d. R. Mohr, setzte seinen
Reservezug zum Gegenstoß an, er fiel aber bald darauf durch eine Handgranate an
der Spitze des Sturmtrupps. Der Zug hatte anfangs Erfolg und drängte die
Engländer zurück, bald aber gingen die Handgranaten aus und diesen Augenblick
benutzte der Gegner und warf den Zug wieder zurück. An einem Hohlweg hinter der
Stellung klammerte sich der Rest der 1./124 an und suchte ein weiteres
Nachdrücken der Engländer zu hindern. Glücklicher in der Abwehr war die links
daneben liegende 2. und 3. Kompagnie. Trotzdem etwa 7 feindliche Kompagnien gegen
sie anliefen und 3 Tanks vor der Stellung hin- und herfuhren, gelang es den
Kompagnien, ihre Stellungen zu halten und sich gegen die Einbruchsstelle
abzuriegeln. Ein Tank war in das Drahthindernis hineingefahren und in den Drähten
stecken geblie-ben, vergeblich suchte er sich durch Vor- und Zurückfahren zu
befreien, schließlich blieb er liegen, feuerte aber weiter. Ein M.-G. mit
S.m.K.-Munition und ein Minen-werfer nahmen ihn unter Feuer. Nach kurzer Zeit
war er außer Gefecht gesetzt, die Munition des M.-G. hatte den Panzer
durchschlagen, der Minenwerfer 4 Volltreffer erzielt, die fliehende Besatzung
wurde abgeschossen. Gegen die beiden nächsten Unter-abschnitte gingen ebenfalls
mehrere Tanks vor. Alles, was in ihrer Nähe war, wurde beschossen; Mit 6 M.-G.
aus jedem Tank kämmten die Engländer die Brustwehr der Stellung ab und
erstickten jeden Widerstand. Die 10. und 11. Kompagnie hatten hier schwere
Verluste. Obwohl ein Minenwerfer einen Tank durch Volltreffer auf den Radgürtel
außer Gefecht setzte, konnten sich beide Kompagnien der Übermacht nicht
erwehren und wurden aus der 1. und 2. Linie zurückgedrängt. 40 Mann fielen in
Gefangenschaft. Im Abschnitt am weitesten links hielten sich die 12. Kompagnie
und Teile der 11. gegen alle Angriffe, 5 Gruppen des Grenadier-Regiments halfen
hier entscheidend mit. 8.30 vormittags hatten die Engländer C 1 1. und 2. Linie
genommen, in C 4 und 5 die 1. Linie und Teile der 2., von hier aus waren sie in
dem Calwer Graben weiter vorgestoßen bis an das Drahthindernis der
Artillerieschutzstellung. Mehrere feindliche Kompagnien mit zahlreichen M.-G.
hatten sich am Weg Kapelle, südlich Riencourt – Sanssouci-Mühle festgesetzt.
II./124 war in der Nacht zum Schanzen an der
Artillerieschutzstellung vorgezogen ge-wesen und hatte beim Einsetzen des
Trommelfeuers selbsttätig einzelne Züge vorge-schickt, die die 2. Linie
verstärkten und beim Abdämmen gegen den eingedrungenen Feind halfen. Die dem
K.-T.-K. unterstehende 9./124 hatte mit 2 Zügen den im Calwer Graben
vorgedrungenen Gegner bereits bis zur 2. Linie im Handgranatenangriff
zurück-getrieben, als sie sich infolge falscher Gerüchte von ihrer Umfassung auf
die Artillerie-schutzstellung zurückzog. Die Lage war nicht gut, vor allem waren
die Kompagnien, die sich vorn noch hielten, bei einem erneuten Angriff der
Engländer in Gefahr, abgeschnitten zu werden. Die Entscheidung mußte schnell
gesucht werden und so gab der K.-T.-K., Hauptmann d. R. Schöllmann, folgenden
Befehl: „Gegenstoß der 9. und 5. Kompagnie durch Calwer Graben, Gegenstoß der
7. Kompagnie von der Artillerie-schutzstellung gegen Sanssouci-Mühle. Gegenstoß
der 6. und 8. Kompagnie von Ver-bindungsgraben 6 aus. Um 9 Uhr vormittags
brechen alle Stoßkolonnen gleichzeitig vor.“ Die 9./124 unter Leutnant d. R. Schlotterbeck
bahnte sich schnell wieder im Calwer Graben ihren Weg und trieb den Feind in
der 2. Linie zusammen und besetzte diese bis zum rechten Grenadierflügel. Der
Gegner an der Mühle wurde von der Artil-lerieschutzstellung unter wirkungsvolles
Feuer genommen, besonders ein M.-G.-Zug unter Leutnant d. R. Kimpfler riß hier
große Lücken. Als die 7./124 gegen die Mühle vorstieß, war der eingedrungene
Feind auf allen Seiten umstellt, denn auch 6. und 8./124 hatten am rechten
Flügel die 2. Linie und die Verbindungswege wieder genommen. Während die
eingeschlossenen Engländer in Scharen nach Riencourt gefangen abge-führt wurden,
stürmten die Sturmtrupps durch den Erfolg ermutigt über freies Feld vor und
nahmen die 1. Linie wieder, unterstützt von Stoßtrupps, die von beiden Seiten
die vorderste Stellung aufrollten, auf dem linken Flügel beteiligten sich auch
hieran Teile der Grenadiere. Das am Weg Riencourt – Noreuil verloren gegangene
deutsche M.-G. wurde von Leutnant d. R. Schlotterbeck zurückerobert, 2
englische M.-G. wurden feuernd mit stürmender Hand genommen. Nochmals wurde
eine große Zahl Engländer gefangen, 15 Lewis-M.-G. und 2 Minenwerfer erbeutet.
Beim Vorstoß am rechten Flü-gel zeichnete sich besonders die 4./124 aus, der
sich die Reste der 1. Kompagnie ange-schlossen hatten. Die Sturmabteilungen der
Unteroffiziere Pfitzenmaier, Bäuerle und Spieß brachen jeden Widerstand des
Gegners, der sich besonders in C 1 aufs Hart-näckigste wehrte. Unteroffizier
Stoll, 2./124, hatte den Engländern 5 Lewis-M.-G. entrissen, er ließ sie gegen
den Feind einbauen und verwenden. 3 Uhr nachmittags war der Abschnitt wieder
restlos in der Hand des Regiments. Hunderte von englischen Toten lagen vor der
Front, besonders an den Durchbruchsstellen und vor dem M.-G. am Weg Riencourt –
Noreuil. Sie gaben ein beredtes Zeugnis von der Schwere des Kampfes, 4 Tanks
lagen kampfunfähig gemacht vor der Stellung. Englische Kavallerie, die zuerst
mit einer stärkeren Patrouille am Drahthindernis entlang geritten war und mit
stärkeren Abteilungen weiter rückwärts gehalten hatte, mußte unverrichteter
Sache wieder abzie-hen.
So war am 11. April der anfängliche Mißerfolg in einen glänzenden
Sieg umgewandelt worden. Alle Angehörigen des Regiments hatten ihren alten Ruf
voll bewährt und hervorragende Proben von Tapferkeit und unerschütterlichem Mut
abgegeben. Neben mehreren hundert Gefangenen betrug die Gesamtbeute 2 Tanks, 7
schwere M.-G., 49 Lewis-M.-G., 2 Minenwerfer und viel sonstiges Material. Der
11. April gehört mit zu den Ehrentagen des Regiments.
Die eigenen Verluste waren schwer. Tot waren 144 Mann, darunter
die Leutnants d. R. Nestle, Mohr, Hauff, Weber, Geiger und Fähnrich Ricker,
verwundet wurden 230, dabei die Leutnants d. R. Beutter, Strenger, Blattmann, Sauter
und Offizierstellvertreter Schütze. Die Fähnriche Hepp, Hafner und 60 Mann
wurden vermißt.“
aus:
„Das Infanterie-Regiment „König Wilhelm I“ (6. Württ.) Nr. 124 im Weltkrieg
1914–1918ׅ, Stuttgart 1921
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