Sonntag, 30. April 2017

30. April 1917



„Die Zeit in St. Quentin war besonders für diejenigen, die Gelegenheit hatten, in die Stadt zu kommen, sehr interessant. Die Siegfriedstellung umschloß die Stadt auf drei Seiten und lag dicht an der Stadt. Die Stadt selbst war Anfang März von der Bevöl-kerung geräumt worden und vollständig leer. Wenn auch alles brauchbare Material einschließlich Möbel abtransportiert worden war, so befand sich doch noch vieles in den Häusern. So war beim Marktplatz ein Warenhaus, das vom Keller bis zum vierten Stock mit Glas- und Porzellanwaren angefüllt war; dort konnte man nach Herzenslust billig „einkaufen“ und Küchen und Kasinos ergänzten ihre Einrichtungen daraus. In einer Kutscherei befanden sich noch Wagen, die in den Bagageführern neue Herren fanden. Findige Nasen entdeckten in den Häusern und Kellern versteckte Gegenstände wie Kleider, Wäsche, Weißzeug, Lebensmittel und Wein. Eine Maschinengewehrkompagnie des Regiments fand in einem Fabrikhof vergraben mehrere Wagenladungen Autoreifen. Die Stadt lag Tag für Tag unter französischem und englischem Feuer; täglich brannte es an mehreren Stellen, ein Häuserblock nach dem andern fiel dem Krieg zum Opfer. Warum sollte man da nicht retten, was noch zu retten war, ehe es unter Schutt begraben wurde oder verbrannte?
Während in der Stadt die Granaten einschlugen und Schrapnells über den Häusern platzten, bewegte sich eines Tages ein feierlicher Hochzeitszug durch die Straßen der Vorstadt Isle, Herren im Frack und Zylinder, die etwas robust aussehende Damen in hellen Kleidern am Arm führten. Es waren Leute eines der Bereitschaftsbataillone, die sich trotz Artilleriefeuers den Scherz gestatteten. Wer bis in die Mitte der Stadt vorge-drungen ist, konnte die berühmte Kathedrale besichtigen. Sie sah schon damals trostlos aus und hat später noch mehr gelitten. Alle Kunstgegenstände waren sorgfältig verpackt in Sicherheit gebracht worden, das Gebäude selbst bekam aber fast täglich einige Granaten und zeigte starke Beschädigungen. Das Innere der Kirche lag voll mit herun-tergestürzten Steinen und bot ein Bild der Zerstörung. Neben der Kirche war früher das Denkmal des berühmten Malers La Tour. Die Bronzefigur war beseitigt worden, aber auf dem weißen Marmorsockel stand ein großer ausgestopfter Hund. Wer weiß, wer diesem Hund zu diesem Ehrenplatz verholfen hat!
Es wurde schon oben erwähnt, daß die Stellung des Regiments teilweise hinter dem Hang lag. Es fehlte deshalb jede Erdbeobachtung. Um diesem Überstande abzuhelfen, sollte die Stellung wieder zurückerobert werden. Um einen Angriff zu vermeiden, versuchte das Regiment, die Stellung durch Ausheben eines neuen Grabens weiter vor zu verlegen. In mühevoller Arbeit, die leider auch einige Verluste kostete, gelang es in einigen Nächten, einen neuen Graben zu ziehen. Die Stellung wurde dadurch günstiger, aber der Zweck war noch nicht ganz erreicht. Es wurde deshalb eine Unternehmung großen Stils ausgearbeitet und vorbereitet.“

aus: „Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 121 im Weltkrieg 1914–1918“ Stuttgart, 1922


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