„Kurz vor Einbruch der Dämmerung wird abmarschiert. Vom letzten Haus sieht
ein altes Mütterlein tränenden Blicks den Ausziehenden nach. Über Eclisfontaine
geht es die löcherige ausgefahrene Straße nach Véry hinab. Später zieht man den
Weg über die Chaudron-Ferme und Charpentry vor, und bei sehr schlechtem Wetter
scheut man auch den Umweg über Les Granges nicht. Und strömender Regen und
Ablösung sind im Sommer 1916 fast untrennbare Begriffe. Von Véry ab wird es ein
böser Schlauch. Immer finsterer wird die Nacht, kein Sternlein schaut durch den
regenschweren Wolkenvorhang. Trotz des drückenden Tornisters geht es im
Eilschritt vorwärts. Man tappt in Löcher und Pfützen und stolpert in den tief
ausgefahrenen Geleisen zwischen Feldküchen, Packwagen und Munitionskolonnen
dahin. Dunkle Schatten tauchen auf. Die schon abgelösten Kameraden kommen in
einzelnen Gruppen entgegen. Rasche Grüße fliegen herüber und hinüber. Aber
weiter geht’s im eiligsten Schritt. Die Straße ist gefährlich. Und da drüben
blitzt es schon auf, heulend saust es heran und birst krachend. Nach rechts und
links springt alles hinaus ins freie Feld. Ein jeder kennt den Weg. Glücklich
die Kompagnie, die im Beausognelager bleibt. Sie hat nicht nur den kürzesten
Anmarschweg und die angenehmste Arbeit an dem neuen Laufgraben, der bis zum
Waldrand führt, dem Chambronnegraben, sie hat auch in dem von Granaten noch
unberührten jungen Buchenwald die beste Unterkunft. Unter Laubhütten und Zelten
kann man in Hängematten draußen im Freien schlafen, und nur bei schlechtem
Wetter ist man auf die muffigen alten Unterstände angewiesen, die halb in der
Erde versenkt und mit dicken Baumstämmen abgedeckt sind. Die andern Kompagnien
aber müssen weiter. Eine Kompagnie kommt in die mittlere Bereitschaft in einer
Doline östlich der Straße Véry – Avocourt, der die saubere weiße Steinfassade
des Kompagnieführer-unterstandes ein freundliches Gepräge gibt. Die beiden
andern Kompagnien müssen durch den völlig zusammengeschossenen und verfallenen
Ulanengraben. Hier herrscht dunkelste rabenschwarze Nacht. Keine Hand ist vor
den Augen zu sehen. Auf den schlammigen glitscherigen Prügeln, die kreuz und
quer durcheinanderliegen, rutscht und stolpert man von einer Grabenwand an die
andere. Oft sind die Prügelroste durchge-treten, und dann versinkt man bis an
den Leib in Wasser und Schlamm. Rechts und links prasseln die Schrapnells, ein
Feuerüberfall folgt dem andern. In atemberaubendem Tempo geht es weiter. Mühsam
drückt man sich an entgegenkommenden Trupps vorbei. Dort liegt ein Stamm im Graben,
dort ein abgerissener Draht. Erschöpft fällt ein Mann, die Kameraden müssen ihm
weiterhelfen. Man muß eilen und springen, um den Anschluß nicht zu verlieren.
Nur die äußerste Willensanspannung bringt schließlich alle ans Ziel, die
Regimentsreserve, die stark unter Feuer liegt, so daß die kahlen Baumstümpfe
auch keinen Schutz mehr gegen die brennende Sonne gewähren. Am schlimmsten ist
es im F-Stollen, in einer Doline, in der sich das Wasser der ganzen Gegend
sammelt. Es ist ein in die über den Felsen liegende Lehmschicht getriebener
Stollen mit 2–3 Meter Deckung, die dem schweren Feuer nicht standgehalten hat.
Ein Treffer hat den Stollen in der Mitte völlig zusammengedrückt. Man hat ihn
mühsam wieder hergerichtet, aber bei jedem Regenfall drücken an der
zusammengeschossenen Stelle immer wieder ungeheure Schlammmassen herein. Von
den großen Kraterseen auf der Deckung, um die die Weidenröschen blühen, läuft
das Wasser ständig in kleinen Bächlein an den Balken und Wänden herab und
tropft auf die Lagerstätten. Mäntel, Decken, Tornister sind ewig feucht und
schimmeln. Eine ganze Kompagnie ist in diesem großen licht- und luftlosen
Stollen untergebracht. Tische und Stühle gibt es nicht. Heraus kann man nicht,
da draußen alles naß und feucht ist, und das Feuer den, der sich auf Deckung
zeigt, bald wieder in den Stollen zurückscheucht, wo man die ganze Freizeit
hindurch ständig auf der Falle liegen muß. Nur an den Eingängen hat man etwas
mattes Tageslicht und eine Luft, in der man mit Mühe atmen kann. Im Stollen sind
nur einige Winkel trüb von nur schwach brennenden elektrischen Lampen erhellt.
Meist ist die Leitung abgeschossen, und dann herrscht drinnen ägyptische
Finsternis. Mit den paar Kerzen und dem Karbid muß man sparsam umgehen. Drinnen
herrscht eine wahre Treibhausatmosphäre, in der die Pilze auf dem faulen Holz
in den phantastischsten Formen und Farben üppig gedeihen. Zu ihren
Ausdünstungen kommt der Gestank von dem stehenden Wasser unter den
Prügelrösten, in dem neben toten Ratten die herabgefallenen Speisereste modern
und faulen. In dieser Luft etwas zu genießen, ist fast unmöglich. Die meisten
verzichten auf das warme Essen, das in der Nacht durch die mit Wasser gefüllten
Zugangsgräben im Feuer herangeschafft werden muß. Natürlich kommen täglich
Kranke ins Lazarett, und daß die andern trotz Fieber und Übelkeit durchhalten,
zeigt, daß der Geist der Truppe trotz allen Schimpfens noch nicht gelitten hat.
Nach 6 und später 8 Tagen in Bereitschaft, die mit Transporten,
Grabenausbessern, Stollengraben angefüllt sind, geht es in Stellung und zwar
seit dem 12. Mai in den linken Abschnitt. Hier liegt der Gegner 600–800 Meter
entfernt.“
aus:
„Das Württembergische Brigade-Ersatz-Bataillone Nr. 54 und das Württembergische
Ersatz-Infanterie-Regiment Nr. 52“, Stuttgart 1923
Bild: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand M 708
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