Montag, 30. April 2018

30. April 1918



„In der Nacht traf neue Munition ein, meist falsche, aber auch ein Stapel brauchbarer Geschosse. Die Gefechtsbagagen, die Munition, Bespannungen, Verpflegung, etwas In-fanterie und Artillerie waren in der Dunkelheit auf unserer Notrampe, einem wackeligen Bau von Bahnschwellen zu entladen; Licht hätte die feindliche Artillerie auf das Durch-einander gezogen und das hätte gerade noch gefehlt. Rangiergeleise besaß Haltepunkt Rjashenoje nicht; das Stationspersonal war geflüchtet und nur die russischen Lokomo-tivführer und Heizer unserer bewaffneten Lokomotiven hielten aus, freiwillige, präch-tige Burschen voll Abenteuerlust und Haß der roten Garde, die wir leider nur durch Anerkennung und Rubel belohnen konnten. Es geht alles; die Entleerung der Züge wurde ohne Unfall zuwege gebracht, so unmöglich das ausgesehen hatte.
In der Frühe des nächsten Tages waren 8./L. 126 und zwei weitere Feldbatterien ge-fechtsklar zur Stelle. II./L. 121, eben eingetroffen, verließ einige Kilometer hinter Rjashenoje seinen Transportzug und der Regimentsstab L. 121 übernahm den Befehl. Wir griffen an: III. Bataillon frontal, II./L. 121 nach Hakenmarsch flankierend von Os-ten her. Ein deutscher Flieger strich die feindlichen Gräben ab und wurde wild beschos-sen; unverschämt niedrig flog der Mann. Zwischen den in ihre Ausgangsstellungen rückenden Truppen und Kanonen tauchten plötzlich die Männer von Rjashenoje mit ihren Viehherden auf; sie glaubten alles vorüber. „Ihr verfluchten Kerls, wollt ihr wohl machen, daß ihr wieder fortkommt. Gleich geht’s los!“
Die Artillerie eröffnete den Kampf. III. Bataillon mit 8./L. 126 faßte die Bolschewisten von vorn an; vorerst nicht zu scharf; das II. Bataillon mußte sich erst in ihre Flanke geschlängelt haben. Am rechten Flügel trieb die Lokomotive des Leutnant Portheine ihr Unwesen mit M.-G.-Feuer nach rechts, links und vorwärts, das große Wort aber redete die rote Artillerie, sie beschoß alles, unsere Schützenkette, das Hinterland, Ort Rjash-enoje, unsere Batterien, den Regimentsgefechtsstand und auch Punkte, an denen gar nichts stand, beschoß alles mit wütender Ausdauer. Die 10. Kompagnie wurde beim Überschreiten eines Hügelrandes besonders heftig zugedeckt; wie durch ein Wunder traten keine Verluste ein. Bolschewistisches Gewehr- und M.-G.-Feuer um uns; wie sie hinter ihren Erdwällen auftauchten, abzogen und schnell den Kopf wieder wegsteckten, die feindlichen Schützen! Unser Feuer hielt sich vorerst in Grenzen; unser Augenblick war noch nicht gekommen.
Der rote Stab schien auf einer der Windmühlen eingerichtet; der lebhafte Verkehr verriet’s. Jetzt mußte er unser II. Bataillon entdeckt haben; eine Gruppe der feindlichen Batterien drehte nach Osten ab und legte dorthin einen dicken Feuergürtel, andere pfef-ferten weiter auf das III. und in den Ort Rjashenoje. Ein Blick zurück. In den Dorf-straßen warteten, durch die Bauernhäuser zur Not gegen Sicht gedeckt, unsere Bespan-nungen, M.-G.-Fahrzeuge, die Gefechtsbagagen und Munitionskolonnen, auf engen Raum zusammengedrängt; wenn das nur gut ging! Strohmieten und ein Gehöft standen in Flammen, schwarzer Qualm lagerte über dem Nest, Erdfontänen spritzten überall auf. Eine Batterie galoppierte mitten durch nach vorn; Oberleutnant Greiß wechselte die Stellung.
Mulden und Falten benutzend hatte sich das II./L. 121 von Osten her in höllischem Artilleriefeuer bis 10 Uhr vormittags an den rechten Feindlichen Flügel vorgebracht und Verbindung mit der 12./L. 121 aufgenommen. Von vorn oder flankierend, wie es kam, wurde jetzt zugepackt, die vorgeschobenen Nester des Feindes wurden im Nahkampf überwältigt. Beim Überschreiten eines Höhenrandes lag unversehens eine längere rote Schützenlinie senkrecht zur Front des II. Bataillons, das ihr durch Flankenfeuer prompt den Garaus machte. Stoßtrupps schwenkten nach seitlich gestaffelten Stellungen und hoben sie auf; der rechte Flügel der Bolschewisten wurde zermürbt und auseinander-getrieben.
Entscheidend griff Oberleutnant Greiß jetzt von seiner neuen Feuerstellung ein und die lauteste der roten Batterien verstummte. Der feindliche Windmühlengefechtsstand wur-de in Brand geschossen, der rote Stab zersprengt; unsere Artillerie riß fühlbar die Feuer-überlegenheit an sich.
Während III. Bataillon frontal den Sturm ansetzt, rollt das II. die feindliche Stellung von Osten her auf. Das Gefecht hat seinen Höhepunkt erreicht, die Maschinengewehre bei-der Seiten hämmern unaufhörlich, Geschosse und die dumpfen Schläge der krepieren-den Granaten peitschen durch die Luft. Immer stärker treten die deutschen Waffen her-vor, immer mehr schwächt der Gegner ab; er weicht unter dem flankierenden Einbruch; wetterndes Verfolgungsfeuer, und er flieht, was er laufen kann; das zerklüftete Land erleichtert ihm das Entkommen. In einem Zug wird seine erste und zweite Stellung genommen; da und dort flackert das Feuer gegen neuen Widerstand noch einmal auf, dann durchkämmen unsere Schützenketten das Gebiet, Gewehre unter dem Arm, die Nase nach Süden, sammeln Beute, machen Gefangene.
Es ist Nachmittag geworden. Was vom Feind nicht auf dem Gefechtsfeld liegen blieb, flüchtete in Bahnzügen nach Taganrog. Leutnant Portheine besserte die Geleise aus und jagte ihnen nach. Mit ungeschickt angelegten und besetzten Aufnahmestellungen der Bolschewisten beiderseits der Bahn machten seine Maschinengewehre kurzen Prozeß und wo die nachfolgenden Kompagnien auf tote Bolschewisten stießen, fehlte diesen die Fußbekleidung: „denen hat der Panzerzug die Stiefel ausgezogen“ – wir brauchten das Schuhwerk, und brachte man es nicht in Sicherheit, so nahmen es die Landesbewohner, welche die Gefallenen grundsätzlich bis auf die nackte Haut ausplünderten.
Regimentsstab und II. Bataillon gingen in Pokrowskaja zur Ruhe über, während III./L. 121 mit der 1. Batt./Landw.-F.-A.-R. 1 abends Sicherungen in Linie Nowo-Troitzkoje – Bahnhof Koschkino einnahm. Zu später Nachmittagsstunde belegte ein deutscher Flie-ger, der anscheinend von den Vorgängen keine Ahnung hatte, unser I. Bataillon auf Bahnhof Neklinowka mit Bomben; Leutnant Rieg wurde tödlich verwundet.“


aus: „Das Württembergische Landw.-Infanterie-Regiment Nr. 121 im Weltkrieg 1914-1918“, Stuttgart 1925

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