„Der
große Augenblick war gekommen, die Offensive begann auch für uns.
Schon
am 8. Juni – die Truppe ruhte – ritten die Stäbe des Regiments und der
Bataillone vor und erkundeten die mitgeteilten Bereitstellungsplätze für den
Angriff. Es ergab sich, daß diese Plätze Nacht für Nacht unter schwerstem
feindlichem Feuer lagen. Unter solchen Umständen hätte man mit großen Verlusten
rechnen müssen, noch ehe man in den eigentlichen Kampf trat. Oberstleutnant
Fleischmann stellte daher den Antrag, daß das Regiment erst bei Beginn des
Vorgehens dort einzutreffen habe. Das wurde geneh-migt.
R.
120 und seine Begleitbatterie marschierten daher in der Nacht vom 8. auf 9.
Juni zunächst nur in die Gegend nördlich und nordöstlich Cuy und warteten hier
das weitere ab. 12.50 vorm. begann am 9. Juni das Vorbereitungsschießen der
deutschen Artillerie, der Gegner erwiderte nur schwach. 2.30 vorm. wurde vom Regiment
der Marsch wieder aufgenommen nach den Bereitstellungsplätzen; es war eine
stockdunkle Nacht mit dich-tem Nebel.
Zwei
Stunden später erfolgte die elektrische Zündung von 800 deutschen Minen,
zu-gleich das allgemeine Angriffssignal. Auch unser Regiment hatte sich auf
dieses Zei-chen wieder in Bewegung gesetzt, von den Bereitstellungsplätzen aus.
Alles war in fieberhafter Spannung.
Doch
nach kurzer Zeit trat schon wieder eine Stockung ein, das vor uns marschierende
Grenadierregiment 10 konnte über den sumpfigen Divettegrund nicht hinüber. Die
Kompagnien dieses Regiments mußten teils durch Umwege, teils auf andere Art das
Hindernis überwinden.
Währenddessen
stellte das I./R. 120 einen behelfsmäßigen Übergang her und schob sich über
diesen heran gegen Thiescourt, wo es 6.30 vorm. anlangte. Das Dorf selbst lag
unter feindlichem Feuer, deshalb blieb das I. Bataillon nördlich davon in der
alten franzö-sischen Stellung.
Das
II. Bataillon traf den Oberbau der Brücke bei Evricourt zerstört an, die
Pfeiler standen noch unverletzt. Ein neuer Oberbau wurde gelegt; vorsichtig
überschritten, sobald dies möglich war, auf halbfertigem Steg 2 Kompagnien den
Divettegrund.
Für
all diese Brückenbauten war keinerlei Material bereitgestellt worden; auch
mußten die einstigen Infanteriepioniere aus ihren jetzigen Kompagnien erst
zusammengeholt werden. Das alles brauchte viel Zeit. Währenddessen lag der
Divettegrund nicht nur stark unter feindlichem Feuer, er war auch so sehr
vergast, daß Aufenthalt und Arbeit hier nur mit Maske möglich war.
Um
9.20 vorm. traf, freudig begrüßt, die Nachricht ein, Plémont westlich
Thiescourt und Thiescourt selbst samt den südlich vorliegenden Häusern seien
genommen, Connectan-court wahrscheinlich durchschritten, an den
Divetteübergängen werde noch gearbeitet. Die Brigade habe sofort den stürmenden
Bataillonen der 11. Division zu folgen. Die Fahrzeuge sollten nachkommen,
sobald die Divettübergänge dies ermöglichten.
Das
I./R. 120 ging von Thiescourt aus weiter vor, bis in die vorderste Linie des
Kampf-es, um hier links neben Grenadierregiment 10 in das Gefecht einzugreifen.
Vom II. Bataillon rückten auf den eben genannten Befehl hin sämtliche
Kompagnien über den Divettegrund hinüber, das III. Bataillon blieb noch als
Reserve des Regiments in der Gegend von Cuy.
Der
deutsche Angriff rechts von uns schritt gut vorwärts, auf dem Lörmont aber,
also vor uns, war das Grenadierregiment 10 auf heftigen Widerstand gestoßen.
Um
2 nachm. mußte hier von neuem das Vorbereitungsfeuer der deutschen Artillerie
einsetzen, dann gelang es dem Regiment 10 und dem mittlerweile links daneben
eingetroffenen I./R. 120 auf dem Nordwesthang des Berges vorwärts zu kommen,
bis etwa 150 Meter unterhalb der Kuppe. Hier aber stand man vor einem fast
völlig unver-sehrten Drahthindernis und über dieses hinweg raste uns
französisches M.-G.- und Gewehrfeuer entgegen. Es gab kein anderes Mittel, als
möglichst gedeckt nochmals abzuwarten, bis die Artillerie nochmals Bahn
geschossen haben würde, um dann dicht hinter deren Feuerwalze vorzustürmen.
Alles
war hiezu vorbereitet, die Artillerie entsprechend verständigt, da traf der
Befehl ein, die 204. Division ohne R. 120 habe behufs anderweitiger Verwendung
sofort von hier abzurücken, unser Regiment sei der 11. Division unterstellt.
Das
II./R. 120 hatte unterdessen bei Evricourt auf dem äußersten rechten deutschen
Flügel sich entwickelt. Gegenüber dem sehr starken Gegner war es aber dem
Bataillon ebenso wie dem preußischen Regiment 408 links daneben nicht gelungen,
erheblich vorwärts zu kommen.
Jetzt,
wo die 204. Division samt ihrer Artillerie herausgezogen werden mußte, jetzt verzögerte
sich der Wiederbeginn des Angriffs auf den ersten Teil des Lörmonts natur-gemäß.
R.
120 zog zunächst seine 11. und 12. Kompagnien das erste Treffen vor und stellte
sie dem I. Bataillon zur Verfügung. Dieses füllte mit den beiden Kompagnien die
große Lücke rechts neben sich aus, zwischen den Grenadieren und dem Bataillon
selbst.
Der
Rest des III. Bataillons rückte als Regimentsreserve an den Nordrand von
Thies-court, ebenso ein Zug der Begleitbatterie.
Nach
8 abds. konnte der Angriff wieder aufgenommen werden. Die Artillerie arbeitete
aus allen Rohren, doch leider schoß die schwere wiederholt zu kurz und
veranlaßte insbesondere beim I. Bataillon starke Verluste.
Von
solchen Dingen ist die moralische Wirkung noch schlimmer als die tatsächliche.
8.30
konnte die Infanterie wieder antreten. Einzelne französische M.-G,-Nester
leisteten hartnäckigen Widerstand, dazwischen aber brach der deutsche Angriff
durch und nahm dann die M.-G.-Nester von der Seite her.
Auch
das II. Bataillon bei Evricourt vermochte jetzt nach vorwärts Boden zu
gewinnen. Nach einer Stunde war der Lörmont in unserem Besitz, die Bataillone
des R. 120 lagen am Süd- und Südosthang des Berges, der Anschluß an die
Nebentruppen, rechts Regi-ment 10 und links Regiment 408 war vorhanden.
Erbeutet
hatte das Regiment 1 Geschütz, 30 schwere und viele leichte M.-G., 19. M.-W.
Die eigenen Verluste betrugen an Toten 1 Offizier und 40 Mann, an Verwundeten 3
Offiziere und 108 Mann.
Gegen
den Kellerwald gingen Patrouillen vor. Ein Nachdrängen in größeren Abteilun-gen
verbot die Dunkelheit, welche nun rasch sich über dem unübersichtlichen Gelände
ausbreitete. Die Truppen biwakierten daher in ihrer Kampfstellung.
Am
andern Morgen, am 10. Juni, rückte die Division weiter vor. R. 120 trat aber
erst um 120.15 vorm. an und zwar durch die Mulde von Orval. Man erreichte die
Straße nach Ribécourt und stieß hier auf den Anfang des Regiments 408. R. 120
mußte halten, um erst dieses durchzulassen. Jetzt schlugen feindliche Granaten
auf den von uns eben verlassenen Lörmont und die Orvalmulde ein; die
Marschkolonne des Regiments blieb augenscheinlich unbemerkt.
12.10
konnte wieder angetreten werden. Dabei benutzte das III. Bataillon die Straße
Orval – Cambronne, das II. marschierte links daneben, das I. links neben
diesem; allge-meine Richtung Attèche-Ferme.
Sobald
aber die Spitzen der Bataillone die Hochfläche südlich Orval erreichten,
empfing sie starkes M.-G.- und Gewehrfeuer aus südlicher Richtung, besonders
von der Attèche-Ferme her. Das I. und III. Bataillon traten alsbald ins
Gefecht, das II. wurde als Reserve hinter das I. genommen.
Das
III. Bataillon erhielt jedoch auch Feuer aus dem Kellerwald, also von
halbrechts her. Der 11. Kompagnie mit 2 M.-G. gelang es, über den Wiesengrund
in den Wald gegen des Gegners Flanke vorzudringen. Die 12. Kompagnie warf den
Feind, der die Gräben östlich der Straße besetzt hielt, zurück und stieß ihm
dann in südlicher Richtung nach. Die 9. und 10., M.-W. und Begleitbatterie
folgten auf der Straße. So erreichte das Bataillon kämpfend die Höhe, auf
welcher die Ferme gelegen ist, und schickte sich an, den Hof selbst zu nehmen.
Das
I. Bataillon war unterdessen mit seinen vordersten Teilen aus dem Wald
heraus-getreten. Da sah sich die Spitze einem vierfachen Grabensystem gegenüber.
Es gelang, ihr sich bis an das davor liegende Drahthindernis heranzuschleichen
und dieses zu durchschneiden. Die Spitzenkompagnie folgte. Zwar fiel der
Führer, Leutnant Binder, aber durch die Drahtlücke hindurch drang die Kompagnie
weiter; die übrigen Kompagnien des I. Bataillons griffen ein und das ganze
französische Grabensystem wurde aufgerollt.
Doch
die Ferme selbst zeigte sich stark befestigt und besetzt, so daß der Auftrag
des I. Bataillons, links an derselben vorbeizustoßen, zu einer taktischen
Unmöglichkeit wurde. Hauptmann Gebhardt, der stets bewährte Bataillonsführer,
setzte auf eigene Verantwor-tung seine Kompagnien zum links umfassenden Angriff
gegen die Ferme an.
Noch
aber schlugen in dieser deutsche Granaten ein, mit Leuchtkugelzeichen mußte man
erst die deutschen Geschütze zum Schweigen veranlassen. Dann ging der Angriff
vorwärts, unaufhaltsam vorwärts. Zur Unterstützung des I. Bataillons waren noch
die 11. und 12. Kompagnie eingetroffen; um 2.15 nachm. befand sich die
Attèche-Ferme im Besitz der 6 Kompagnien.
2
französische Offiziere und 200 Mann fielen als Gefangene in deutsche Hände, der
Rest, etwa 300, entflohen in südliche Richtung.
Das
III. Bataillon war mittlerweile vollzählig herangekommen, es folgte gemeinsam
mit dem I. dem weichenden Feind. Die Begleitbatterie fuhr im Galopp auf und
sandte ihm ihr Feuer nach.
Auch
das II. Bataillon, bisher Regimentsreserve hinter dem I., rückte gegen die
genom-mene Ferme nach. Da schlugen von rückwärts her deutsche Granaten wieder in
diese ein. Vielleicht war das Mißverständnis veranlaßt worden durch den
Kanonendonner des eben erwähnten Verfolgungsfeuers. Das II. erlitt Verluste und
wich nach Süden aus.
Etwa
1 Kilometer südlich Attèche mußte das Regiment zunächst einmal seine gänzlich
durcheinandergekommenen Verbände ordnen. Dann erst konnte wieder angetreten
werden, und zwar nunmehr vom II. Bataillon auf Antoval, vom III. auf Ribécourt,
das I. folgte dem III. Eine Reihe M.-G.-Nester empfingen die Bataillone mit
ihrem Feuer. Doch man nahm sie eines um das andere. Aber langsam nur kam das
Regiment auf diese Art vorwärts und die beiden Führer der vorderen Bataillone,
Major Schmidt und Haupt-mann Wider, wurden verwundet.
So
erreichte das III. Bataillon Ribécourt, mußte aber angesichts des Ortes noch
einmal Halt machen, weil deutsches Artilleriefeuer in demselben einschlug. Erst
nach Aufhören desselben stieß das Bataillon durch den Ort hindurch bis zur
Kanalbrücke. Einige Franzosen, die im Begriff waren, die Brücke zu sprengen,
wurden abgeschossen, der Kanal überschritten und die Zündleitungsdrähte
durchschnitten.
Weiter
ging es, über La Verrue-Ferme nach der Oisebrücke. Auf 100 Meter schon waren die
vordersten Schützen herangekommen, da flog mit Donnergetöse die Brücke in die
Luft. Auch die andern in der Nähe befindlichen Oiseübergänge waren zerstört.
Leutnant
Schmidt von der 11. Kompagnie durchschwamm den Fluß und holte einen am Südufer
liegenden Kahn. In diesem setzten ein paar Mann über. Sie fanden das Gelände
hier bis auf einige Patrouillen frei vom Feind.
Auf
die entsprechende Meldung hin schob das Bataillon eine seiner Kompagnien über
die Oise vor, mit den andern besetzte es Ribécourt und die Kanalbrücke. 2
Kompagnien des Gegners, welche – anscheinend abgeschnitten – von Pimprez her
auf Ribécourt marschierten, wurden mit Feuer empfangen und ergaben sich.
Ähnliches Schicksal hatten Franzosen, welche von Ville und Dreslincourt her
abziehen wollten.
Das
II. Bataillon kämpfte sich indessen mühsam in Richtung Antoval vor, überwand
verschiedene M.-G.-Nester und nahm 2 noch feuernde 15 Zentimeter-Batterien. Von
einer dritten entflohen im letzten Augenblick die Bedienungsmannschaften, die
Ge-schütze fielen in die Hand des II./R. 120. In Antoval und Cambronne stieß das
Bataillon auf starken französischen Widerstand, die deutsche Kraft reichte
nicht mehr aus, den-selben zu brechen, der Siegeszug kam vorläufig ins Stocken.
Das
I. Bataillon endlich hatte der Regimentskommandeur über das vom III. genommene
Ribécourt nachgezogen und dann gegen Bethancourt angesetzt. Aber auch im
letzteren Ort leisteten die Franzosen zähen Widerstand. Da traf gegen 9 abends
das II./408 bei unserem Regiment ein.
Mit
Hilfe dieser noch ziemlich frischen Truppe und kräftig unterstützt durch das
Feuer eines Zuges der Begleitbatterie gelang es, Bethancourt zu nehmen. Doch
mußte dabei Haus um Haus dem Feind abgerungen werden.
Jetzt
war auch Cambronne und Antoval für den Feind unhaltbar, sie fielen in unsere
Hand.
Unsere
Verluste am 10. Juni waren weniger schwer gewesen als tags zuvor. Sie betrugen
an Toten 2 Offiziere und 13 Mann, an Verwundeten 44 Mann mit 2 Offizieren. Reich,
überreich aber war unsere Beute. 34 Geschütze, darunter viele schwere, hatte R.
120 genommen, ferner eine Unmenge M.-G., 1 Auto, Munition, Gewehre,
Kriegsmaterial aller Art. Mindestens 800 Gefangene, darunter 20 Offiziere,
hatte man nach rückwärts abbefördert.“
aus: „Das Württembergische
Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 120 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1920
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