Mittwoch, 8. August 2018

8. August 1918



„In der sternenhellen Nacht vom 7./8. August waren eben die Kompagnien des II. Bataillons an Stelle des III. Bataillons in der vordersten Linie eingesetzt worden, als zu beiden Seiten der Somme tausende von feindlichen Geschützen ein furchtbares Konzert anstimmten und zahllose englische und kanadische Bataillone, von vielen Tank- und Reitergeschwadern umgeben, sich in den Mulden und Waldstücken hinter ihrer Front-linie zum Angriff bereitstellten. Standhaft hielten die 120er in dem Höllenfeuer aus. In der Kampf- und Tiefenzone des Regimentsabschnitts reihte sich ein Geschoßeinschlag neben den andern. Im Nu waren die Küchen- und Gressaire-Mulde mit dichten Pulverdampfwolken erfüllt. In der letzteren saß unfreiwillig in seinem Gefechtsstand eingeschlossen und jeder Verbindung nach vorne und rückwärts beraubt, der Abschnitts-kommandeur. Er hielt lange einen neuen, rein örtlichen Vorstoß der Engländer, mit der Wiedererlangung unserer vorderen Gräben als Ziel, für bevorstehend. Erst als gegen 9 Uhr vormittags Infanteriegeschosse und kleinkalibrige Granaten, aus Tankgeschützen herrührend, die schweren Geschosse feindlicher Steilfeuergeschütze an seinen Unter-stand begleiteten, mußte es für ihn außer Zweifel sein, daß ein großzügig angelegter feindlicher Durchbruchsversuch im gang war. Bald darauf von vorne kommende ver-wundete und versprengte Leute bestätigten diese Ansicht unwiderleglich. Entlang des nördlichen Sommeufers vorgehende feindliche Bataillone hatten sich in diesem Augen-blick schon über die Gräben der linken Nachbardivision hinweg in die linke Flanke der 27. Division Bahn gebrochen. Auf der großen Straße nach Bray, rechts vom Regiment, hatten Tanks die Linien des Grenad.-Regiments 123 und des Regiments 124 überfahren und operierten in dem Rücken des Regiments 120. So wacker sich auch am Anfang die Kompagnien des II. Bataillons den frontal angreifenden Gegner vom Halse gehalten hatten, jetzt erheischte die Lage dringend ein Zurückverlegen ihrer Verteidigungslinie, wenn sie nicht sämtlich in die Hände des Feindes fallen sollten. Die Umklammerung war schon in ein sehr ernstes Stadium getreten, als sich die ersten Leute vorsichtig auf den Westrand der Küchen-Mulde zurückzogen. Für viele war es schon zu spät, sie gerie-ten in Gefangenschaft. In dem allgemeinen Wirrwarr gelang es später manchem von diesen, sich den Händen der Sieger wieder zu entwinden und sich nach Osten durchzu-schlagen. Auf den Höhen westlich Bray-sur Somme sammelten unterdessen tatkräftige Offiziere und Unteroffiziere die versprengten Mannschaften.. Das I. Bataillon wurde vom Ruhelager Suzanne herangezogen. Bis zum Anbruch der Abenddämmerung war keine rechte Klarheit darüber zu erlangen, wie weit der Gegner im Regimentsabschnitt tatsächlich vorgedrungen war. Die widersprechendsten Nachrichten liefen beim Regi-mentsstab ein. So meldeten einzelne Batterien, daß ihre Geschütze in der Küchen-Mulde noch feuerten, während andere Berichte besagten, daß englische Infanterie bereits am Rande der weiter östlich gelegenen Gressaire-Mulde sich eingenistet habe. Um endgül-tige Gewißheit über die Lage zu haben, setzte der Regimentskommandeur die herbeige-eilten Kompagnien des I. Bataillons nach vorne in Marsch, mit dem Auftrag, die Füh-lung mit dem Gegner wieder aufzunehmen. Sie gelangten, ohne Widerstand zu finden, bis auf den Sachsenberg vor und setzten sich dort zur Verteidigung fest. Vor ihnen irrten englische Infanterieabteilungen planlos zwischen unseren alten Kampfstellungen herum. Nach anfänglich größerem Geländegewinn hatte sich der Engländer wieder respektvoll nach rückwärts verzogen. Eine von Südwesten bis zur Gressaire-Mulde vorgeprellte schwache feindliche Infanterieabteilung, welche vorübergehend wilden Schrecken in die Reihen der 120er getragen hatte, befand sich zu dieser Zeit längst schon auf dem Marsch in unsere Etappe.  Unerschrockene Leute der Nachrichtenkompagnie, denen die Abteilung unvermutet in der Schlucht in die Arme gelaufen war, hatten sie nach kurzem Kampf überwältigt, entwaffnet und gefangen nach hinten abgeführt.
Die beiden anderen Infanterie-Regimenter der Division waren der feindlichen Umklam-merung bedeutend weniger ausgesetzt gewesen. Sie hatten dem Vorwärtsstürmen der Engländer noch weiter westlich als das Regiment 120 Einhalt geboten. Die taktische Lage im Abschnitt der 27. Division und die Haltung ihrer Kampftruppen gab am Abend des 8. August keinerlei Anlaß, die Hoffnung auf erfolgreichen Widerstand der Division bei etwaiger Erneuerung des feindlichen Angriffs schon von vornherein sinken zu lassen. Allein die beträchtlichen Ausfälle an Toten, Verwundeten und Vermißten und das Fehlen der nötigen Reserven an Infanterie und Artillerie waren doch bedenklich. Was uns an Reserven zur Verfügung gestanden hatte, mußte auf das Südufer der Somme hinüber geschickt werden, wo nach dem völligen Zusammenbruch der deutschen Abwehr australische Divisionen fast kampflos ihren Vormarsch nach Osten angetreten hatte. Daß die Entente-Truppen, angefeuert durch ihren dortigen Erfolg, bald auch bei uns nochmal ihr Glück versuchen würden, damit mußte mit Bestimmtheit gerechnet werden.“


aus: „Das Infanterie-Regiment „Kaiser Wilhelm, König von Preußen“ (2. Württemb.) Nr. 120 im Weltkrieg 1914–1918ׅ, Stuttgart 1922

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