Freitag, 12. Dezember 2014

12. Dezember 1914


„Das Konzert der schweren Artillerie war von Tag zu Tag stärker geworden und hatte anscheinend der gegnerischen Artillerie, die sich immer weniger bemerkbar machte, tüchtig zugesetzt. So war der Tag, der die Entscheidung bringen sollte, der 12. Dezember, langsam herangerückt. Die 4. Batterie schob unter dem Schutz des Nebels am Vormittag 2 Geschütze bis dicht hinter den vordersten Graben bei Krzysk vor und 2.30 Uhr nachmittags, kurz vor dem Antreten zum Sturm, nahm der Rest der 4. Batterie unter dem Schutz des Feuers der gesamten Brigade und mehrerer Fußarilleriebatterien Stellungswechsel im Galopp nach vorne vor. Auf dem linken Flügel des Regiments in Poljeßie stand der ehgrwürdige Brigadekommandeur, General von Schippert, der manchen Frontagalopp der 4. Batterie auf dem Cannstatter Wasen gesehen hatte. Er, der in Gedanken schon mit seinem militärischen Leben abgeschlossen hatte, gab seine Bewunderung für die militärische Leistung mit lauten Worten kund. Jetzt sieht man überall die Infanterie aufstehen, das Schlachtfeld ist eine Sekunde belebt mit einer Menschenmauer und plötzlich steigt aus den russischen Gräben eine graubraune Masse empor, man vermißt das Blitzen der Bajonette; dagegen flattert da und dort ein weißes Tuch, andere erheben die Hände. Der Kampf ist aus! Einen Augenblick bedeckt dunkles Gewimmel die Leere des Schlachtfeldes. Aber nur einen Augenblick; dann sammeln sich die Herden hinter den Leittieren und schließlich marschiert ein schwaches Regiment – 2500 Mann – in Kolonne zu vieren im Gleichschritt an der Artillerie vorbei in die Gefangenschaft. Man hört noch einige Schüsse in der Ferne; inzwischen ist es so dunkel geworden, daß an einen Stellungswechsel nicht mehr zu denken ist.

Mit Tagesanbruch hatte die II. Abteilung mit der Spitze der Batterien an der Straße Bargowe – Wrzeliwy zu stehen. In der ersten Morgendämmerung werden mit Mühe die Gräben des bisherigen Schlachtfeldes überwunden; hier stürzt ein Pferd, dort bleibt ein Geschütz stecken, aber nur für Sekunden, schon sind die Kanoniere zur Stelle, fassen in die Zügel, wirken mit den Rädern oder helfen mit dem Spaten. Als die Straße, die bisherige russische Stellung, erreicht ist, leuchtet im Osten das erste Morgenrot. Doch welch ein Anblick: Von den Chausseebäumen liegt die Hälfte der Zweige am Boden. Der Schützengraben ist durchweg mit einer Kopfdeckung versehen, in die Schießscharten aus den Blechkästen etwa in Zigarrenkistengröße, in die die russische Munition eingepackt ist, eingebaut sind. Alle 2 Schritt liegt ein Toter. Ja, die Russen haben sogar Tote in der Verzweiflung in die Brustwehr eingebaut und ab und zu ragt dräuend ein Arm oder ein Bein aus dem Erdwall heraus. Daß die Russen buchstäblich von der Wucht des deutschen Artilleriefeuers in ihren Gräben hinabgedrückt wurden, bewies die Benutzung eines Teils der Munitionskästen als Nachtgeschirr. Kurz ein Bild so schauerlich, wie es weder der Maler des „Morgenrot“ noch der Pinsel eines Wereschagin zu malen gewußt hat und das ich auch in den folgenden 4 Jahren nirgends gräßlicher gesehen habe.“
 
 

aus: „Das Württembergische Feldartillerie-Regiment König Karl (1. Württ.) Nr. 13 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1928

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