Montag, 10. Oktober 2016

10. Oktober 1916


„In der Nacht vom 8./9. Oktober wurde das II. Bataillon von Falvy in die vordere Stellung vorgezogen. Erheblich gesteigerte feindliche Artillerietätigkeit, häufig sich wiederholende Trommelfeuerüberfälle der letzten Tage kennzeichneten den Ernst der Lage. An einem trüben, kalten, regnerischen Sonntag gingen in aller Frühe die Kompagnieführer mit ihren Einweisungskommandos in die vordere Stellung. Aus früherer Schanztätigkeit her war sie ihnen nicht mehr ganz unbekannt. Ein Kompag-nieführer-Gefechtsstand beispielsweise befand sich in dem Meldegraben bei den letzten Häusern von Génermont. Der Stollen war geräumig und hatte zwei Ausgänge, deren einer aber ganz senkrecht, nur als Luftschacht und eventuell als Notausgang dienen konnte, während der andere als Ein- und Ausgang benutzbar war. Die Erddeckung betrug kaum 3 Meter und der Raum diente gleichzeitig als Depot für mehrere tausend Handgranaten.
Die Kompagnieführer kehrten nochmals nach Falvy zurück, um in der darauffolgenden Nacht ihre Kompagnien selbst vorzuführen. Der Führer der 6. Kompagnie, Leutnant d. R. Köstlich, ließ beim Einmarsch seiner Kompagnie zur Sicherung gegen größere Verluste durch das Streufeuer zugweise in Abständen von etwa 30 Minuten vorgehen. Er selbst marschierte mit seinem Stab voraus. Das Feuer schien in der Ablösungsnacht lebhafter als gewöhnlich, doch war der Kompagniestab gut durch Licourt hindurch-gekommen, dann die bekannten Wege an der Quaststellung und am Park von Misery vorbei, wo immer noch der Schimmel hoch aufgedunsen an der Wegegabel lag. Weiter ging man dem Bahndamm zu; da schlugen vorne auf der Höhe – rechts vom einzel-stehenden Haus – funkensprühend Granaten ein. Einen Augenblick stutzte der Stab, doch zu langen Überlegungen war keine Zeit, und er entschloß sich kurz möglichst rasch über die Höhe hinwegzugehen. Ein eigenartiges Gefühl war es, als man gleich darauf die frisch aufgeworfenen Granatlöcher überschritt. Kaum hatte man sie hinter sich, da sauste wieder eine Lage dicht über die Köpfe hinweg, an der selben Stelle, wie vorher einschlagend. Das Glück war bei uns, dachte wohl jeder vom Kompagniestab bei sich. Wenn das nur für die nachfolgenden Züge auch so glücklich abläuft, war die nächste Sorge des Führers. Nach Überschreiten der Riegelstellung gelangte der Führer der 6. Kompagnie in den nach Génermont führenden Laufgraben und bald darauf in den Meldeweg und den Kompagnieführerstollen. Der nun abgelöste Kompagnieführer der 12. Kompagnie, Leutnant Bäuerle, machte aus seiner Freude, zurück zu kommen, keinen Hehl, denn auch er sah die Lage sehr ernst an und rechnete bald mit einem Angriff, was er aus der systematischen Beschießung der Stellung seit einigen Tagen, besonders am linken Flügel und dem daran angrenzenden Abschnitt, schloß. Lange Stunden des Wartens vergingen indessen, bis endlich die Züge der 6. Kompagnie in der Stellung eintrafen und die vollzogene Ablösung meldeten. Der letzte Zug traf allerdings erst am Morgen ein. Er war nach dem Überschreiten des Bahndammes bei Marchélepot in Granatfeuer gekommen und hatte schwere Verluste erlitten: 1 Mann fiel, 1 Unter-offizier (Rieker) und 9 Mann wurden verwundet. Für die Kompagnie galt es nun, sich möglichst rasch im Kompagnieabschnitt einzuleben und alle Maßnahmen für den weiteren Ausbau der Stellung und für einen bevorstehenden Angriff zu treffen. An eine gleichmäßige Besetzung des Abschnittes war nicht zu denken bei der großen Breite von mehr als 500 Meter. Ein Zug wurde in der Sappe und vorgelagerten Schanzen, ein Zug in der Mitte, ein Zug auf den rechten Flügel des Kompagnieabschnittes gelegt, große Grabenstücke blieben unbesetzt, doch man durfte die Kampfkraft der Kompagnie nicht zersplittern. Der Tag brachte sonst nicht viel Bemerkenswertes. Tagsüber schwoll das Artillerie- und Minenfeuer wieder erheblich an, wobei besonders der Meldeweg in seinem linken Teil an vielen Stellen verschüttet wurde.
Schon der frühe Morgen des 10. Oktober hatte bei der 6. Kompagnie einige Opfer gekostet. Als der Kompagnieführer durch die Stellung ging, schlug in seiner Nähe eine Granate ein und beim Passieren der nächsten Grabenecke kam er hinzu, als die Musketiere Mollenkopf und Weizenegger und Krankenträger Goller in ihren letzten Zügen lagen. Ein Volltreffer mit unbeschreiblicher Wirkung hatte den Graben getroffen. Die Gefallenen waren in der Nacht vorne auf Schleierposten gelegen und hatten nun  nach Rückkehr noch beim Einsteigen in den Grabenden Heldentod gefunden.“


aus: „Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 122 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1922

1 Kommentar:

  1. mit noch nicht einmal 21 Jahren in den Tod gehen, welch ein Wahnsinn!

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