Donnerstag, 6. Oktober 2016

6. Oktober 1916


„Im allgemeinen beschränkte sich die Kampftätigkeit des Feindes in den ersten Tagen auf geringes Artillerie- und mäßiges Minenfeuer, letzteres besonders im Abschnitt „Rechts“, das Gewehr- und M. G.-Feuer war nur unbedeutend. Das änderte sich vom 2. Oktober ab. Die Nacht vom 2. auf 3. Oktober war stockdunkel. Am Abend herrschte Ruhe. Da setzt plötzlich 8.55 Uhr abends ein rasendes M. G.- und Gewehrfeuer von etwa 15 Minuten Dauer auf der ganzen Front ein. Danach wurde es ganz ruhig. Was sollte das? Erstaunt und kopfschüttelnd sah man sich gegenseitig an. „Ein Feuerüberfall!“ Mit dieser Antwort gab man sich zufrieden, denn solche Feuerüberfälle waren an sich nichts Ungewöhnliches. Es wird wieder ganz ruhig und dunkel.  Da! Um 9.45 Uhr derselbe Feuerüberfall! Wieder nach 15 Minuten: Ruhe. Man fängt an, etwas kribbelig zu werden. Da! Um 11.30 Uhr abends dasselbe Bild! Man wird nicht klug daraus, wundert sich über dieses neuartige, sinnlose Verschwenden von Munition und geht für die Nacht endgültig zur Ruhe über. Verluste waren in den tiefen Gräben nicht eingetreten. Aber aufregend war die Sache doch etwas, besonders da, abgesehen von dem normalen Minen- und Artilleriefeuer, der Feind sich im allgemeinen ruhig verhielt.
Am nächsten Abend wiederholte sich das Bild genau zur selben Stunde und in derselben weise. Wir waren nun schon darauf gefaßt und rechneten damit. Die Grabenbesatzung war auf alle Möglichkeiten vorbereitet, jedermann war auf seinem Posten. Die Artillerie, schwere und Feldartillerie, Die Minenwerfer, Fernsprecher, Stäbe, Führer aller Grade und jeder einzelne Mann wartete gespannt, was daraus werde.
Am 4. Oktober abends setzte heftiges Sturm- und Regenwetter ein. Das I. Bataillon wurde im Abschnitt „Rechts“ durch das III. Bataillon abgelöst und kam in Ruhe. Gerade in Ablösungsnächten litt die Truppe ganz besonders unter solch‘ heftigem Witterungs-umschlag.
Da! Wieder dieselben Feuerüberfälle, wie an den Vortagen, zur selben Zeit und in derselben Art. Aber 248er lassen sich nicht aus der Fassung bringen. Der Massenver-schwendung an Infanterie- und M. G.-Munition antworteten wir mit ein paar hundert Schuß M. G.-Feuer. Wir halten unser Pulver trocken, bis das Rätsel sich gelöst haben wird.
Das trat am nächsten Abend, am 5. Oktober, ein. Es war ein milder Herbstabend, der leichte Westwind brachte ab und zu einen Regenschauer. Mit Spannung erwarteten alle die Wiederholung der Feuerüberfälle.
Pünktlich 8.55 Uhr abends setzte das allabendliche heftige M. G.-Feuer ein – 10 Minu-ten lang. Dann aber kam nicht die bisherige Ruhe, sondern ein heftiges Minenfeuer. Das schien das Zeichen für etwas Besonderes. Eigenes Artilleriefeuer wurde angefordert und sofort eröffnet. Unter das Schießen der Minenwerfer mischten sich verdächtige Rauch-wolken, bald darauf wurde „Gasangriff!“ gemeldet. Erst schien es unwahrscheinlich. Bald aber mehrten sich die Anzeichen. Rote, grüne, rot-grüne Leuchtsignale, später auch blaue, dazu die die ganze Gegend taghell erleuchtenden Leuchtkugeln im Verein mit den platzenden Minen und Granaten boten ein schaurig-schönes nächtliches Schauspiel und machten auf alle einen überwältigenden Eindruck.
Unsere Artillerie setzte mit Sperrfeuer ein.
Auf die ersten Anzeichen des Gasangriffs war das allgemeine Zeichen für Gasalarm!“ gegeben worden, auf das hin jedermann seine bereitgehaltene Gasmaske aufsetzen mußte. Das war oft geübt und instruiert worden. Jetzt galt es, das Erlernte in die Tat umzusetzen. Dies gelang leider nicht allen so, wie die riesengroße Gefahr es erforderte. Die Folgen blieben nicht aus.
Schon begann die Truppe vorn aufzuatmen und die Gasmasken abzunehmen; 9.45 Uhr wurde das Sperrfeuer der eigenen Artillerie eingestellt. Es wurde ruhig. Da setzte nach wenigen Minuten, 9.50 Uhr, erneut heftiges Minenfeuer und M. G.-Feuer ein. 9.55 Uhr wird eine neue, stärkere Gaswolke mit Rauchentwicklung beobachtet. Die Masken sind schnell aufgesetzt, da die Gefahr sofort erkannt wird. Wieder unterstützt unsere Artille-rie tatkräftigst und in hervorragender Weise durch ihr Sperrfeuer.
Gegen 10.30 Uhr flaut das Feuer ab. Um 11 Uhr tritt völlige Ruhe ein. Die Gasmasken wurden allmählich wieder abgelegt, aber für alle Fälle in Bereitschaft gehalten.
Die Grabenzerstörungen im rechten Abschnitt des III. Bataillons waren bedeutend.
Die Kompagnien begannen sofort, noch in der Nacht, mit Aufräumungs- und Wieder-herstellungsarbeiten; insbesondere bei den verschütteten Maschinengewehren.
Aber es blieb nicht ruhig. Um 11.30 Uhr neuer Feuerüberfall mit M. G.- und Infanterie-gewehren! Auch Gas wird gemeldet. „Gasalarm“ wird beim III. Bataillon angeordnet, bald auch beim II. Bataillon. Auch die feindlichen Minenwerfer feuern lebhaft. Unsere Artillerie antwortet mit Sperrfeuer. Ein feindlicher Infanterieangriff erfolgt nicht. Nach Mitternacht wird alles Feuer eingestellt. Vereinzelte Schüsse unterbrechen die Stille der dunklen Nacht. Um 1.15 Uhr erfolgt noch einmal ein feindlicher Feuerüberfall mit M. G.- und Infanteriefeuer, der jedoch nur 5 Minuten dauert. Dann tritt absolute Ruhe ein.
Da lebt um 2.50 Uhr nochmals das feindliche Feuer auf, diesmal mit schweren Minen und schwerer Artillerie! Unsere Artillerie antwortet mit ruhigem Feuer, auch unsere Minenwerfer beteiligen sich am Abwehrfeuer.
Um 3 Uhr hört das feindliche Feuer nahezu ganz auf, setzt aber nach kurzer Zeit auf einzelne Unterabschnitte mit verminderter Heftigkeit wieder ein.
Gegen ½4 Uhr morgens wurde vom Handgranatenwerfertrupp der 4. Kompagnie und den Schützen des M. G. 5 eine starke feindliche Patrouille bemerkt. Trotz des M. G.-Feuers kamen die Engländer bis auf 20 m an den Graben heran. Hier wurden sie mit Handgranaten empfangen, soviel unsere Leute nur werfen konnten. Die Abwehr der Patrouille gelang glänzend. 6 – 8 tote Engländer blieben vor den M.-G.s liegen, die andern zogen sich ohne Erfolg zurück.
Erst allmählich hörte das Feuer ganz auf, nachdem unsere Artillerie noch mit schweren und Feldgeschützen ein wirksames Vergeltungsschießen abgegeben hatte. Der feindliche Gasangriff und die im Zusammenhang mit diesem vorgeschickte feindliche Großpa-trouille war erfolgreich abgeschlagen.
Am nächsten Morgen – 6. Oktober – besichtigte ich die Stellung und sah mir die Folgen an Ort und Stelle an. An den Stellen, wo das vom Feinde abgeblasene Gas unsere vordere Linie erreicht hatte, war alles Gras zerstört, mehrere Ratten und Mäuse lagen tot und mit zerstörtem Fell herum, die Gewehre waren mit einem Rosthauch, die Patronen mit Grünspan überzogen, ja die Regts.-Nummern auf den Achselstücken der Offiziere und die Sporen an ihren Stiefeln, alle Metallteile waren von dem überaus starken Giftgas angegriffen.
In der nächsten Nacht gelang es einer besonders schneidigen eigenen Patrouille, dem gefallenen, vor unserem Hindernis liegenden Führer der englischen Patrouille, einem englischen Kapitän, seine Papiere abzunehmen. Unter diesen befand sich auch der Befehl für das mehrtägige Unternehmen. Nun war das Rätsel der letzten vier Tage ganz gelöst. Die Engländer hatten ihren Zweck, sich eine deutsche Gas-Leiche zu verschaf-fen, um die Wirkung ihres Gases festzustellen, zwar nicht erreicht, aber die Verluste durch den Gasangriff waren sehr groß und schmerzlich. 3 Tote und 69 Gaskranke wurden festgestellt, darunter etwa 20 schwere Fälle.
Die schweren Gasverluste – es starben im Lazarett noch 5 Leute – lasteten wie ein Alp-druck auf Herz und Gemüt der Kameraden. Wir empfanden es daher als eine Erlösung, als die Nachricht kam, daß wir in den nächsten Tagen abgelöst und abbefördert werden sollten..“



aus: „Das Württembergische Reserve-Inf.-Regiment Nr. 248 im Weltkrieg 1914–1918“, Stuttgart 1924

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