„Die I. Abteilung
hatte an diesem ersten Tage besonders schmerzliche Verluste zu beklagen. Zwei
Offiziere, darunter der Führer der 2. Batterie, und viele Unteroffiziere und
Mannschaften waren gefallen. Über den Heldentod des Führers der 2. Batterie,
Hauptmann d. R. Leube, des beliebten Stadtvorstands von Geislingen a. St., der
sich als Kamerad und Vorgesetzter seltener Beliebtheit erfreute, erzählte mir
der ihn bergende Kriegsfreiwillige Musper I, folgendes:
„Als wir gehört
hatten, daß der erste Versuch, unseren schwerverwundeten Batterieführer,
Hauptmann Leube, von der Beobachtung zur Batterie zurückzubringen, mißlungen
war, meldeten sich der damalige Sanitätsunteroffizier Mayer, mein Bruder, Gefr.
Musper II und ich, ich vom Geschütz weg, mein Bruder eben von einer
Leitungspatrouille ermüdet zurückkommend. Da die Tragbahre der Batterie beim
ersten Versuch verloren gegangen war und in der Dunkelheit nicht mehr gefunden
werden konnte, mußten wir rasch eine behelfsmäßige herstellen; eine Zeltbahn
und zwei Stangen mußten genügen. Damit machten wir uns auf den Weg; für uns so
gar nicht kampferprobte Leute ein grauenhafter Weg! Denn als wir in dem Gehölz
in der Dunkelheit nach der Beobachtungsstelle suchten, berührten die Füße
auf Schritt und Tritt die verstümmelten
Glieder der Leichen der am Tage gefallenen Infanteristen, die sich hier, Loch
an loch eingegraben, ihr eigenes Grab gegraben hatten. Das Heulen der Granaten
und das Pfeifen der Infanteriegeschosse machte uns wenig aus, war uns neu, ja
dieses Neue war für uns mehr interessant; aber dieser Anblick der Toten war uns
furchtbar. Das war der Krieg! So ahnten wir, wie es wohl in unserer Beobachtung
aussehen werde. Wir fanden sie. Von unseren schweren Verlusten dort wußten wir.
Der schwer verwundete Richtkreisunteroffizier Zeifang, dessen einer Fuß
blutüberströmt nur noch an einem Lappen hing, während er noch stundenlang bei
vollem Bewußtsein war, der Tapfere hatte gesagt, wie wir ankamen und die Frage
war, wer nun zuerst zurückgebracht werden sollte: „Nehmet Herrn Hauptmann
zurück, mit mir ist es doch bald zu Ende!“ Er starb bald darnach in dieser
Beobachtungsstelle, die nur aus einem flachen Loch von nicht viel über einen
halben Meter Tiefe bestanden hatte und kaum Schutz gegen Infanteriefeuer bieten
konnte. – So nahmen wir die teure Last. Es war nicht leicht, unserem
Schwerverwundeten – ein Granatsplitter hatte ihm ein Loch in den Rücken, so
groß wie eine Faust, geschlagen – nicht noch weher zu tun bei seinem brennenden
Schmerz. Wir drei lösten uns gegenseitig ab, immer einer voraus, den besten Weg
aussuchend und bahnend. Schlecht genug ging es durch das niedere Gehölz und die
Büsche, über die Infanterielöcher und die Toten hinweg und von den
Telephondrähten behindert. Wir waren kaum fort von der Beobachtungsstelle, so
wurde das Infanteriefeuer stärker und stärker, unsere Infanterie ging vor,
feindliche Maschinengewehre ließen ihre Geschosse pfeifen, rings um uns
klatschte es in die Bäume, in die Erde. Nie seither bin ich je wieder durch
solch Infanteriefeuer gegangen. Oft mußten wir uns niederwerfen, um auf dem
ebenen Boden etwas Deckung zu finden und um den Schweiß abzuwischen, denn der
Tag war heiß gewesen, und besonders mein Bruder, der am nächsten Tag auch eine schwere
Verwundung erhalten sollte, war nicht gewohnt, solche Last zu tragen. Dabei
sprachen wir dann mit unserem Batterieführer, wie es ihm gehe, ob wir’s ihm
erleichtern könnten, denn daß wir nur diese elende Zeltbahn hatten, ihn zu
tragen, mußte ihn wahnsinnig schmerzen. Er hatte aber immer nur den Wunsch:
„Ihr bringt mich doch in meine Batterie?“ Daß Hauptmann Leube immer noch bei
vollem Bewußtsein war, und daß wir ihn zurückbringen durften, das spornte uns
an, uns zu beeilen, so gut es ging. Ich glaube, 20 Minuten brauchten wir dazu,
dann konnten wir ihn im Unterstand unseres Geschützes ein besseres Lager
bereiten. Sogleich war der Arzt zur Stelle; aber das sahen auch wir, seine
Kanoniere, daß unser Hauptmann nicht lange mehr aushalten könne. So verschied
unser geliebter Batterieführer dann eine Stunde darauf, während draußen die
Kanonen wieder donnerten!.““
aus:
„Das Württembergische Feld-Artillerie.-Regiment Nr. 116 im Weltkrieg“
Stuttgart, 1921
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